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Achtundvierzigstes Kapitel.
Vor den Schranken des Gerichts

Entsprechend der Riesenstadt New-York und ihrem tausendarmigen Verkehr, ihrem Ueberfluß an übelberüchtigten Individuen und ungeheuren Verbrechen, entsprechend den riesigen Dimensionen, welche jeder Industriezweig in Amerika angenommen, auch der des Verbrechens – entsprechend dem allen ist das Gebäude, in welchem jene Monstre-Prozesse verhandelt werden, mit welchen Amerika in letzter Zeit mehr zu kämpfen hatte, als irgend ein Land der Erde.

Es fehlte zwar zu keiner Zeit in Amerika an Verbrechern vor den Schranken des Tribunals des höchsten Gerichtshofes, das in City-Hall zu Gericht saß; allein zu keiner Zeit hatten sich die Verbrechen so gehäuft, als während der Periode des blutigen Bürgerkrieges.

Einer Kriegscommission war in den Räumen von City-Hall eine bedeutende Abtheilung eingeräumt, um über militairische Verbrechen abzuurtheilen, und dieselbe hatte vollauf zu thun, denn es fehlte an Verräthern und Spionen so wenig, als an Betrügern und Freibeutern gegen die Kriegskassen.

Es war in den ersten Tagen des Monats November, als das Portal von City-Hall vom Publikum vollständig bestürmt wurde. Die Tribünen des Sitzungssaales der Kriegsgerichtscommission waren zum Erdrücken gefüllt, und die dort Anwesenden standen durch die Menschenhaufen auf den Treppen und in den Gängen mit denen auf der Straße gewissermaßen in Rapport, und jeder Ausbruch der Leidenschaft im Saale fand unter dem Haufen auf der Straße sein Echo, und umgekehrt.

Ein unaufhörliches Brausen und Summen, unterbrochen von lautem Zurufen erfüllte die Räume des ganzen riesigen Gebäudes, und potenzirte sich, je näher es der Straße kam.

Dort waren die Parteien in lebhaftem Wortwechsel begriffen, und debattirten über die drinnen zu verhandelnde Sache mit solchem Eifer, als ob von ihrer Diskussion das Verdict abhinge. Es mußte ein Gegenstand zur Verhandlung kommen, der für alle Parteien von dem größten Interesse war, denn noch nie hatte man einen solchen Andrang des Publikums in City-Hall und eine so lebhafte Betheiligung desselben durch Worte und Geberden gesehen.

Plötzlich verstummte das laute Geräusch von Stimmen auf einen Augenblick. Die enragirtesten Republikaner unterbrachen sich in ihren feurigsten Expectorationen, und die Demokraten vergaßen ihren Ingrimm. Aller Augen richteten sich nach dem Gitterthor von City-Hall, durch welches von zwei Offiziren ein Mann geführt wurde, welchen sie dann durch das Portal in den Sitzungssaal geleiteten.

Es war ein Mann in der Uniform der Offiziere der Unionsarmee, er trug eine niedrige Mühe mit breiter Goldborte, sein nicht unschönes Gesicht war bleich und sein feuriges Auge schoß Zornesblitze auf die Menge, die, nachdem die erste Neugierde gesättigt war, ihren Gesinnungen gegen ihn durch Pfeifen und Zischen Luft machte.

»Geh' nur hinein, Little Mac,« Ein Beiname, den man M'Clellan scherzhafter Weise seiner kleinen Statur wegen gegeben hatte. rief ein vierschrötiger Brauer, die Faust gegen den Gefangenen ballend. »Sie werden Dir Deine Verrätherei besalzen!«

»An den Galgen mit dem demokratischen Schuft!« Die demokratische Partei ist in Amerika die gemäßigte, welche für die Lostrennung der Südstaaten stimmte; sie verhält sich zur republikanischen Partei, wie bei uns die conservative zur Fortschrittspartei. schrieen mehrere Stimmen·

»Er hat muthwillig unsere Soldaten hinschlachten lassen! – Nieder mit ihm!« donnerte ein vollbärtiger Republikaner.

»Er hat mit dem Rebellenpräsidenten conspirirt. – Steinigt ihn!« kreischte eine Marketenderin, sich vordrängend.

Allein diese Rufe und Verwünschungen, so zahlreich sie auch laut wurden, sie wurden übertönt durch die Cheers, welche ihm von anderer Seite gebracht wurden. Die demokratische Partei hatte sich so zahlreich versammelt, daß sie fast die der Republikaner übertraf, und der Beifall, den sie dem gefangenen General zollte, schien diesen nicht wenig zu ermuthigen und zu beruhigen. Er grüßte die Anhänger freundlich, ein donnernder Jubelruf begleitete ihn, als er in dem Portal verschwand.

Nun begann die hitzige Debatte der einzelnen Parteien von Neuem, und nur die Achtung, welche unwillkürlich jeder Amerikaner dem Orte zollt, an welchem das Gesetz gehandhabt und zur Ausführung gebracht wird, hinderte den Ausbruch von Exzessen. In jeder Stadt Europa's hätte man befürchtet, daß die Partei des Südens das ganze Gebäude demoliren würde, wenn der Gerichtshof M'Clellan verurtheilte, oder daß die Republikaner sich an den Personen der Richter vergreifen würden, falls sie ihn freisprächen, man hätte die ganze Polizei ausgeboten, um den Platz vor dem Gebäude und das Gebäude selbst zu räumen, oder wenigstens zu besetzen, um jedem Exzesse vorzubeugen, dort aber war nirgends ein Polizeibeamter sichtbar, außer dem Portier vor der Eingangsthür. – Die Achtung vor dem Gesetz ist in Amerika der Grundpfeiler der Republik, und der Amerikaner setzt seinen Stolz darin, die Freiheit, welche ihm das Gesetz gestattet, nicht zu mißbrauchen.

Die Lebhaftigleit der Debatten wurde von Neuem unterbrochen durch das Erscheinen eines Wagens, der vor dem Portal vorfuhr. Drei Männer in Generalsuniform stiegen aus.

Die republikanische Partei ließ ein donnerndes Hoch ertönen, welches von dem Zischen der Demokraten nicht übertönt werden konnte.

»Hoch, Grant, Sherman und Sheridan!« riefen sie. »Und noch einmal hoch!«

»Hoch Grant! Der ist der Retter des Vaterlandes, der ist kein Verräther, der wird den Sklavenzüchtern den Garaus machen ... Hoch Grant!«

»Hoch, Ulysses Grant, der die Rebellion zerschmettern wird und zertreten, wie einen Wurm!«

»Hoch, Grant, Sherman und Sheridan, die Zeugen für M'Clellan's Verrath!«

So tönte es von allen Seiten, mit einem Enthusiasmus, den die Gegenpartei vergebens zu überschreien bemüht war. Erst lange, nachdem die drei Generale in den Zeugensaal geführt waren, legte sich der Jubel, und die Stimmen der Gegner konnten sich vernehmlich machen.

»Verlaßt Euch nur auf Euern Grant!« spottete Einer derselben. »Es wird nicht lange dauern, so hat ihn Lee zum Lande hinausgejagt, wie einen räudigen Hund!«

»Halte Dein ungewaschenes Maul, verdammter Copperhead, Copperhead (Kupferkopf) ist der Name einer Schlange, welche sehr giftig ist, man geißelt mit dieser Benennung in Amerika die Partei, welche dem Sklaventhum huldigt (reactionäre Partei). oder Du nimmst neben dem saubern Mac auf der Anklagebank Platz,« antwortete ihm sofort ein Anderer.

So viele Freunde M'Clellans auch unter der Menge waren, so wagte doch Keiner ein Wort gegen Grant oder einen der beiden andern Generale zu äußern, selbst die verbissensten Copperheads hielten ihr Gift für die Folge an sich. Sicherlich ein größeres Anerkenntniß der Verdienste dieser großen Männer, als aller Beifall ihrer Freunde. – –

Drinnen im großen Sitzungssaale von City-Hall hatten inzwischen die Verhandlungen begonnen.

Auf der Anklagebank saß der ehemalige Oberbefehlshaber der Unionsarmee, George M'Clellan, im Zeugenraum hatten die Generale Grant, Sherman und Sheridan Platz genommen. Hinter dem mächtigen halbrunden Tische saß der Präsident des Gerichtshofes, General Wallace, und ihm zur Linken die übrigen Mitglieder des Tribunals. An dem einen Ende des Tisches, dem Angeklagten gegenüber, hatte der die Rolle des Staatsanwaltes vertretende Ankläger seinen Platz, es war der eben so geistvolle als verdiente und in der ganzen Welt mit Verehrung genannte Buchanan; am andern Ende des Tisches, in der Nähe des Angeklagten, der Vertheidiger, der später bei dem Mordprozeß so unpopulär gewordene Reverdy Johnson.

Der Prozeß gegen M'Clellan in seinem Verlauf und Ausgang ist bekannt genug und von allen europäischen Zeitungen hinlänglich besprochen, indessen dürfen wir interessante Details desselben nicht übergehen, um so weniger, da dieselben in Europa nicht bekannt geworden sind.

Die Anklage lautete auf Landesverrath. Durch Conover's geheime Correspondenz mit Buchanan und der New-Yorker Tribüne waren schon längst Thatsachen bekannt geworden, welche die Erhebung der Anklage rechtfertigten, allein es hatte bisher stets nur an Zeugen gefehlt, welche diese Thatsachen bestätigen konnten. Die Facta, die ihm zur Last gelegt wurden, waren in Kurzem:

1) Er habe absichtlich und zwecklos die Truppen von den Rebellen hinschlachten lassen; 2) er habe stets die günstige Gelegenheit, den Feind anzugreifen und zu schlagen, absichtlich unbenutzt gelassen; 3) er habe bei Atietam die feindlichen Armeen, die bereits eingeschlossen waren, mit Vorsatz entkommen lassen; 4) er habe geheime Verbindungen mit der Partei der Rebellen unterhalten.

Was der erste Punkt betraf, so konnte er nicht in Abrede stellen, daß er zuweilen Angriffe gemacht habe, die sich später als zwecklos herausgestellt und einen großen Menschenverlust zur Folge gehabt hätten, indessen leugnete er, daß jene betrübenden Folgen lediglich in seiner Absicht gelegen haben. Durch das Zeugniß Sherman's wurde folgendes Factum festgestellt: Bei Bull-Run lag ein Theil der feindlichen Armee in einem Walde versteckt; und M'Clellan habe den Befehl gegeben, den Wald zu stürmen. Seine Untergenerale hätten ihm davon abgerathen, da man nicht wisse, wie stark die im Wald verborgenen Truppen seien, und besonders, da es sehr gefährlich und meist erfolglos sei, einen durch den Wald wohl gedeckten Feind anzugreifen, so daß also die Angreifer seinen Geschossen ausgesetzt seien, dem Feinde aber keinen großen Schaden zugefügt werden könne. M'Clellan bestand aber auf dem Befehl und zwar ließ er den Wald nicht durch eine compackte Macht stürmen, sondern durch einzelne Regimenter, welche denn auch, wie vorauszusehen, zum größten Theile aufgerieben sind. Beispielsweise sind von einem ganzen Bataillon nur 11 Mann am Leben geblieben. –

Sein Zaudern, das ihm durch den zweiten Anklagepunkt vorgeworfen wurde, erklärte der Angeklagte überall als eine Maßregel der Vorsicht.

Ueber den dritten Anklagepunkt, die Begebenheit von Atietam anlangend, ließen sich die Zeugen Grant und Sheridan dahin aus, daß es ein leichtes gewesen wäre, die ganze südliche Armee dort mit einem Schlage zu vernichten, und daß es beinah unbegreiflich sei, wie Lee mit seiner Armee habe entkommen können. M'Clellan versicherte, daß es in der That seine Absicht gewesen sei, diesen Coup auszuführen, allein er sei durch das Unglück, das den General Sheridan betroffen habe, genöthigt gewesen, Halleck den Oberbefehl über diesen Theil der Armee anzuvertrauen. Daß Lee entkommen sei, wäre deßhalb nicht eine Verrätherei seinerseits, sondern nur der Ungeschicklichkeit des Generals Halleck zuzuschreiben.

Es blieb demnach nur noch der vierte Punkt zu erledigen übrig, durch welchen M'Clellan beschuldigt wurde, mit den Rebellen geheime Verbindung unterhalten zu haben. Für diese Beschuldigung aber hatte man keinen Beweis als die Versicherung Conovers, der selber positive Beweise nicht anzuführen wußte, sondern nur sehr bestimmte Vermuthungen aussprach.

Der Antrag des Anklägers lautete auf Todesstrafe.

Ein Murren erscholl von der Tribüne, welche fast durchgängig mit Leuten von M'Clellan's Partei angefüllt war.

Nun begann Reverdy Johnson sein Plaidoyer. Er führte im Allgemeinen nur weiter aus, was der Angeklagte bereits zu seiner Vertheidigung vorgebracht hatte, als er aber, um die Aussagen der drei Zeugen entkräften, behauptete, diese wären insofern nicht ganz zuverlässig, als sie ohne Zweifel die Hoffnung hätten, daß Einer von ihnen, im Falle der Verurtheilung M'Clellan's den Oberbefehl erhalten würde, da erhob sich von den Tribünen von Neuem Gemurmel und laute Aeußerungen des Mißfalls. Selbst die Partei der Gegner, so dringend sie auch die Freisprechung ihres Gesinnungsgenossen wünschte, mochte dennoch keinen Tadel gegen die Ehrenhaftigkeit dieser Männer aussprechen hören.

Das drei Stunden lange Plaidoyer des Vertheidigers war beendet; M'Clellan's Unschuld nach Kräften dargethan, und namentlich der letzte Punkt der Anklage als völlig aus der Luft gegriffen und als eine schamlose Verleumdung hingestellt – schon schöpften die Männer auf den Tribünen neue Hoffnung für ihren Parteigenossen – schon fing M'Clellan selbst an, an seine Freisprechung zu· glauben – da ereignete sich etwas, auf das weder der Ankläger noch der Vertheidiger vorbereitet waren.

Durch die dichten Haufen, welche mit unglaublicher Geduld viele Stunden draußen auf der Straße des Ausganges harrten und nur von Zeit zu Zeit durch Vermittelung der auf den Treppen Stehenden Nachricht erhielten, wie drinnen die Sachen ständen, drängte sich gewaltsam und ohne Rücksicht, ob sie die im Wege Stehenden sanft oder unsanft bei Seite schob, ein Mädchen.

»Laßt mich durch,« rief sie, »ich muß in den Saal hinein!«

Anfangs war man höflich genug, ihr Platz zu machen, aus der dem Amerikaner angebornen Courtoisie gegen das weibliche Geschlecht. Als aber die Menge dichter und die Andringende stürmischer ward, wurde ihr hie und da Widerstand geboten.

»Was? Eine Farbige will in den Saal?« rief höhnisch Einer aus der Menge. – »Gehen Sie, Miß, da drinnen giebt's nichts für Nigger und Abkömmlinge von Niggern.«

Das junge Mädchen warf dem Sprecher einen zornigen Blick zu.

»Ich will gegen ihn Zeugniß ablegen!« rief sie, – »gleichviel ob ich von Schwarzen abstamme oder nicht, ich habe den Beweis seiner Schuld. Lassen Sie mich hindurch, ehe es zu spät ist.«

Es ist ein Vorwurf, der selbst Viele trifft, welche ihr Lebenlang gegen Sklaventhum gepredigt haben, daß sie einen unbesiegbaren Widerwillen gegen jene Menschenrace hegen; zumal findet man es unter den weniger Gebildeten, daß sie zwar Befreiung der Sklaven wünschen, aber nimmermehr in eine Gleichstellung derselben mit den weißen Bürgern der Republik willigen würden.

Das junge Mädchen, das durch ihre etwas gelbliche Hautfarbe sowohl als durch die Züge ihres schönen Gesichts und das eigenthümliche Feuer ihrer Augen unverkennbar ihre Abkunft von Negern verrieth, hatte deshalb unter der Menge nicht nur Diejenigen gegen sich, welche Anhänger des Südens waren, sondern auch die Meisten von den Republikanern und viele von den Abolitionisten.Die radikale Partei, welche Befreiung und Gleichstellung der Neger anstrebt.

Man weigerte sich, ihr Platz zu machen; man verspottete und verhöhnte sie und bekrittelte ihr Vorhaben, dort als Zeugin auftreten zu wollen, mit den verletzendsten Reden.

»Bürger!« rief sie keuchend und zitternd, »ist es nicht Eure Pflicht, zur Entlarvung eines Verbrechers Alles beizutragen, was in Euren Kräften steht?«

»Was?« unterbrach sie wüthend ein junger Bursche. »Die Niggerin will uns an unsere Pflicht erinnern? Geh in die Baumwollen-Plantagen und predige den schwarzen Hunden von ihrer Pflicht, aber laß Dir die Frechheit vergehen, uns Weißen an unsere Pflicht als Bürger der Republik erinnern zu wollen. – Noch ein Schritt vorwärts, und ich schlage Dich zu Boden!«

Ein lauter Beifall folgte.

»Recht so, Mr. Harrold! Die Schwarzen in unserer Stadt werden übermüthig durch die Freiheiten, die wir ihnen aus Gnade und Barmherzigkeit eingeräumt haben. Nun sie wissen, daß wir den Krieg führen zu ihrer Befreiung, denkt die anmaßende Brut schon, sie seien eben so viel werth, als Unsereins! – Die will uns an unsere Pflicht erinnern ...«

»Ja das will sie, und das muß sie,« unterbrach den Sprecher ein Gentleman, der sich bis zu dem Platz vordrängte, wo verzweifelnd das junge Mädchen stand. »Sie muß Euch an Eure Pflicht erinnern, da Ihr dieselbe nicht zu kennen scheint. Allerdings erfordert es Eure Pflicht gegen den Staat, ein verrätherisches Individuum nach Kräften entlarven zu helfen. – Kommen Sie, Miß ich werde Sie hindurchführen.«

»Halt da!« riefen Mehrere. »Das geht nicht so! Er ist ihr Liebhaber; werfet Beide zurück!«

»Nein!« riefen Andere, sich schützend vor dem kleinen, alten Herrn aufpflanzend. »Er ist nicht ihr Liebhaber, er ist ein Ehrenmann; es ist Mr. Powis, ein Anhänger der demokratischen Partei, aber ein Ehrenmann. – Platz da für Mr. Powis, Gentlemen!«

Der alte Herr nahm den Arm des jungen Mädchens und führte sie in's Innere des Gebäudes, er stand bei allen Parteien in solcher Achtung, daß Niemand, der ihn kannte, ein beleidigendes Wort gegen ihn auszusprechen wagte. Man machte ihm bereitwilligst Platz und er betrat mit ihr den Sitzungssaal, als eben der Vertheidiger, sein Plaidoyer beendend, die Worte sprach:

»Daß mein Client, der General M'Clellan, mit irgend einem der Rebellen eine öffentliche oder geheime Verbindung gehabt, ist also völlig unerwiesen, und von der Unparteilichkeit der Jury steht zu erwarten, daß dieselbe es für ihre Pflicht sowohl gegen den Charakter dieses verdienten Mannes, als gegen das Vaterland halten wird, ihn von jedem Makel freizusprechen.· Ich wenigstens halte es für meine Pflicht, zu erklären, daß jene Gerüchte, woher sie auch gekommen sein mögen, völlig aus der Luft gegriffen, daß sie nichts sind, als feige Lügen und schamlose Verleumdung!«

»Das ist nicht der Fall!« rief das junge Mädchen plötzlich vortretend und dem Vertheidiger mit ihren schwarzen, durchbohrenden Augen furchtlos in's Gesicht blickend.

Ihr Erscheinen wirkte wie ein elektrischer Schlag auf die Versammlung. Die Schönheit des Mädchens sowohl wie ihr entschiedenes Auftreten machte auf Jeden einen Eindruck.

»Was veranlaßt Sie zu dieser Behauptung?« fragte nach einer Pause der Präsident das junge Mädchen in freundlichem und wohlwollendem Tone.

»Ich habe Beweise dafür, daß dieser Mann da« – sie deutete auf den Angeklagten – »mit den Rebellen und namentlich mit dem Kriegs-Minister in geheimer Verbindung gestanden. – Ich bitte, mein Zeugniß zu hören und zu Protokoll zu nehmen,« sagte sie mit fester Stimme.

»Wie heißen Sie?« fragte der Präsident.

»Esther Brown!«

»So reden Sie, was wissen Sie von der Sache?«

Esther begann ohne Zagen und mit der Sicherheit, welche nur die Wahrheit zu geben vermag, zu erzählen, daß M'Clellan zwei Tage vor dem Entkommen Lee's über den Yorkfluß einen heimlichen Besuch beim Kriegsminister gemacht habe, daß sie seine Karte in Händen gehabt habe, auf welcher sein Name stand, daß sie genau wisse, er habe dem Kriegsminister ein Verzeichniß derjenigen Personen überreicht, welcher er sich als Zwischenträger bediene.

»Und Sie irren sich nicht in der Person dieses Mannes?« fragte der Präsident, als sie ihren Bericht beendet hatte.

»Ich erkenne ihn mit Bestimmtheit wieder.«

Die Richter wechselten bedeutungsvolle Blicke. M'Clellan erbleichte. Die Zuhörer auf der Tribüne horchten in athemloser Spannung.

Der Vertheidiger erbat sich das Wort.

»Meine Herren Richter!« sagte er. »Ich hoffe, daß das Zeugniß dieses Mädchens für Sie nicht maßgebend ist, ich erinnere Sie daran, daß bis jetzt die Neger noch nicht frei sind, und daß bis jetzt noch das Gesetz existirt, nach welchem es unstatthaft ist, daß ein Sklave, mag er auch nur im vierten oder· fünften Gliede von Schwarzen abstammen, gegen einen Weißen zeuge. Meine Herren, Ihre Achtung vor unseren Gesetzen ist viel zu hoch, als daß Sie auch nur ein Titelchen derselben verletzen sollten. Ich protestire daher gegen das Verhör dieses Mädchens.«

»Aber ich bin keine Sklavin, ich bin eine Freigelassene!« rief Esther erröthend. – Hier ist mein Freibrief.«

So sehr auch das Vorurtheil gegen die Neger damals noch in der Seele des Amerikaners eingewurzelt war, so erhoben sich doch einzelne Stimmen, welche verlangten, daß die Quadroone vereidigt werde; der Präsident selber war der Ansicht, daß der Protest des Vertheidigers ein ungerechtfertigter sei, und ergriff bereits die Bibel, um die Zeugin dieselbe küssen zu lassen.

Da erhob sich Reverdy Johnson von Neuem:

»Meine Herren. Ich behaupte, daß diese Zeugin nicht aus reiner Absicht sich vor den Schranken eingefunden hat. Ich behaupte, daß ihre Stammgenossen, verschmitzt, hinterlistig, treulos und rachsüchtig wie sie sind, diese Eigenschaften auf alle ihre Nachkommen vererben, mögen sie sich nun mit weißem Blute vermischt haben oder nicht. Ehe Sie sie schwören lassen, fragen Sie nur die Zeugin, ob sie bloß um der Wahrheit willen, oder aus irgend welchen persönlichen Beweggründen sich zum Zeugniß aufgeworfen hat. Finden Sie, daß dies nicht der Fall ist, so erkläre ich mich damit einverstanden, daß sie vereidigt werde.«

Esther wechselte die Farbe.

»Sie haben die Frage gehört,« redete sie Mr. Wallace in sanftem Tone an. »Antworten Sie, hat Sie zu Ihrer Aussage irgend ein persönlicher Grund, das Gefühl des Hasses oder dergleichen geleitet?«

Das junge Mädchen hatte ihre frühere Festigkeit völlig verloren, mit unsicherer und leiser Stimme antwortete sie:

»Ich kann es nicht leugnen, Sir; mich leitet das Gefühl der Rache. Ich habe viel erdulden müssen von Denen, die an der Spitze der Rebellen stehen; man hat mich gequält und erniedrigt, man hat mich auf das Schmählichste beschimpft, und da schwur ich, mich zu rächen, dadurch, daß ich ihre Pläne, so weit ich sie kenne, durchkreuzen würde. Ich fühle, daß dieses mein Bekenntniß die Glaubwürdigkeit meines Zeugnisses beeinträchtigt, aber ich schwöre beim lebendigen Gott, daß ich nichts sage, als die Wahrheit.«

Die Richter schüttelten den Kopf. Reverdy Johnson triumphirte, und M'Clellan's Antlitz erhielt seine natürliche Farbe wieder. Die Zuhörer auf den Tribünen ballten die Faust gegen die Zeugin.

Esther Brown wurde nicht vereidigt.

Die Geschworenen zogen sich zurück. Nach kurzer Berathung kamen sie wieder, ihr Urtheil lautete auf – nichtschuldig.

Lautes Hurrah erscholl von den Tribünen, das sich bis auf die Straße fortpflanzte.

Esther sank vernichtet auf eine Bank zurück. Was sie gehört und erlebt, hatte sie völlig muthlos gemacht: –

»Von unseren Feinden gemißhandelt und beschimpft,« murmelte sie, – »von Denen, die sich unsere Freunde nennen, verachtet und bedroht; – von dem Manne, dem ich mein Leben geopfert hätte, verschmäht... das ist der Fluch, der auf meinen Stammeltern ruht...o mein Gott, mein Gott!«

»Kommen Sie, Miß,« sagte Mr. Powis, der sich freundlich zu ihr herabbeugte. »Wenn Sie von den hier Anwesenden Keinen überzeugt haben – mich haben Sie überzeugt. – Kommen Sie, fürchten Sie die drohenden Geberden der Leute draußen nicht, ich führe Sie sicher, wohin Sie wollen. Es wäre mir angenehm, wenn Sie mir erlauben wollten, Sie Mrs. Powis, meiner Frau, vorstellen zu dürfen; sie wird Ihnen eine Freundin sein.« – –

M'Clellan verdankte seine Freisprechung einem damals leider noch allgemein verbreiteten Vorurtheil; allein, wenn man ihn auch nicht für schuldig erklärt hatte, so mußte man ihn doch nach den erwiesenen Thatsachen für unwürdig halten, den Oberbefehl zu führen.

Noch denselben Tag las man in den Zeitungen:

»M'Clellan ist seines Postens entsetzt. Der General Ulysses Grant erhält den Oberbefehl über die Unions-Truppen.«


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