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Zweiundvierzigstes Kapitel.
Eine Orgie

Das Vergnügen im Ritterhause hatte um die Stunde, als Edward und Frederic das Gemach verließen, bereits angefangen, in einem Grade auszuarten, welcher auch des letzten Schimmers von Anstand und Sitte entbehrte. O'Brien's Stimme forderte eben, als die beiden Freunde den Saal betraten, alle Diejenigen, welche sich an den ferneren Amüsements nicht betheiligen wollten, auf, sich in die anderen Gemächer zu verfügen, da die Thüren des Allerheiligsten geschlossen werden müßten.

Hinter Frederic und seinem Freunde schlossen sich die Thüren, und Belle Boyd kam gerade noch zur rechten Zeit, um mit in das Allerheiligste eingelassen zu werden.

Das Allerheiligste bestand aus einem großen Saale, der mit Palmen und anderen tropischen Gewächsen rings dekorirt war, und mehreren kleinen Zimmern, deren Eingänge durch Portieren verhängt waren. – Wie auf einen Wink erloschen sämmtliche Flammen, oder brannten vielmehr so niedrig, daß in den Zimmern beinahe völlige Dunkelheit herrschte; man konnte eben nur die einzelnen Personen unterscheiden, aber man war nicht im Stande, Jemanden zu erkennen. Zugleich wurden in allen vier Ecken des Saales Räucherbecken angezündet, welche die Räume mit berauschenden Wohlgerüchen erfüllten.

Nun begann unter der Menge ein lebhaftes Regen und Treiben. Alles stürzte durcheinander, jeder Cavalier suchte eine Dame zu erhaschen und jede der Damen womöglich von dem Cavalier erhascht zu werden, der ihr der liebenswürdigste zu sein geschienen hatte. – Dies lebhafte Suchen und Durcheinanderlaufen mochte etwa fünf Minuten gewährt haben, da wurde es allmälig still, die Personen verschwanden nach und nach und verloren sich in das Dunkel der Nebengemächer oder lagerten auf den Polstern, welche unter den Palmen des Saales ausgebreitet waren, versteckt und beschattet von dem Laub derselben.

Alles war still, man hörte nicht das Klingen der Krystallpokale, nicht das Rauschen der Gewänder oder das Rasseln der Degen, nur hier und da leises Geflüster im Dunkel der Palmen, oder unterdrücktes Kichern in den Nischen. –

Da unterbrach der silberhelle Ton einer Glocke die Stille, und eine sanfte Musik ertönte und ließ ihre wonnig weichen Melodieen zauberisch und schmeichelnd von einem fernen Orchester herab ertönen. Die süßen Cadenzen der Flöten schienen die melancholischen Liebesklagen der Nachtigall nachzuahmen, und die gedämpfte Begleitung der Geigen wiegte die Pantasie in süße Träume ein.

Nach etwa einer Viertelstunde schwieg die Musik. Das Signal der Glocke ertönte von Neuem, als Aufforderung, daß Jeder sich wieder mit der Maske zu versehen habe, und auf einmal brannten alle Leuchter des Kronleuchters und die Gaskandelaber an den Wänden wieder in der früheren strahlenden Helle und beleuchteten die Gruppen, welche sich rings auf den Polstern gelagert hatten.

Frederic hatte mit seinem Freunde während der Stille an einem Pfeiler gelehnt. Sein Gesicht unter der Maske bedeckte sich mit Schamröthe bei dem Anblick, der sich seinem Auge jetzt darbot.

Da lagen die Wüstlinge von den Courtisanen umschlungen, ohne sich darum zu kümmern, ob ihre Attitüde das moralische Gefühl eines Dritten beleidige oder nicht, schätzte sie doch ihre Maske vor Erkennung, und durften sie doch am andern Tage ohne zu erröthen im Senat sitzen oder an der Spitze ihre Compagnien kommandiren oder in den Salons der gebildeten und streng sittlichen Familien sich bewegen. – Hier zog eben langsam und zögernd ein Marquis seine Hand unter dem keuschen Brustlatz einer Nonne hervor, dort war eine Jeanne d'Arc noch beschäftigt ihren Panzer zuzuschnallen, der ihr an der Seite ihres Ritters hinderlich gewesen war – dort machte eine Dame die eifersuchterregende Entdeckung, daß sie die Liebkosungen eines Beduinen mit einer Nebenbuhlerin, die an der anderen Seite neben ihm lag, hatte theilen müssen – dort war eine Diana bemüht, mit ihrem Pantherfell einen Unfall, den ihre Tricots erlitten, zu verbergen, wobei sie sich der Hilfe ihres Galans bediente, und endlich unter lautem Lachen den Versuch als vergeblich aufgab. Kurz, überall anstößige Scenen und widerwärtiger Cynismus. – –

Das lustige Treiben in den Salons begann von Neuem. Man griff wieder zu den auf den Marmortischen bereit stehenden Weinkaraffen und füllte die Pokale, man zechte, man lachte, man promenirte, man tanzte. Frederic und Edward musterten jede Figur, betrachteten jede weibliche Maske so genau, daß sie überzeugt sein konnten, es sei nicht die, welche sie suchten, und verzweifelnd gaben sie bereits ihre Nachforschungen auf, als ihnen zufällig der Hellebardier in den Weg kam, welcher hier offenbar als Festordner fungirte und dessen unverkennbar dünne Stimme ihn uns bereits als den Haushofmeister Tucker's verrathen hat. Er näherte sich den beiden jungen Männern und sagte scherzend:

»Die Gentlemen scheinen nicht zu finden, was sie suchen, ich sah sie an der Säule lehnen während Alles sich mit dem, Liebchen zurückgezogen hatte. – Sollte Keine hier Ihren Beifall gefunden haben?«

»Das ist es nicht,« antwortete Edward in seinen Ton einstimmend. »Aber wir sind überzeugt, daß Sie noch andere Leckerbissen hier verbergen, welche Sie uns vorenthalten. – Wir wollen unsern Appetit nicht an den gewöhnlichen Speisen sättigen, damit die delikateren Gerichte noch Reiz für uns behalten.«

»Ah, Sie haben eine feine Nase, Herr Schotte!« lachte O'Brien. – »Sie wittern mein Dessert. ... In der That ich habe etwas dergleichen in petto, um die Genüsse nach und nach steigern zu können. Ich versichere Ihnen, es ist etwas ...«

Er vollendete diese Apostrophe, indem er seinen Zeigefinger küßte und mit der Zunge dazu schnalzte.

Frederic zapfte verstohlen seinen Freund am Aermel. Dieser fuhr zu O'Brien gewandt fort:

»Würde es Ihre Vollmacht überschreiten, wenn Sie uns von dem »Dessert« einmal kosten ließen noch bevor es zum allgemeinen Genusse aufgetragen wird?«

»Hm, – ja, es ginge wohl – indessen es ist, wie Sie sagen, – es überschreitet meine Vollmacht .... jedoch unter Umständen ...«

»Ah, ich verstehe,« antwortete Edward, zog sein Portfeuille hervor und nahm daraus eine Banknote. »Wird uns das die Thüren öffnen?«

O'Brien winkte ihnen geheimnißvoll, ihm zu folgen. Er führte sie durch mehrere Zimmer, die fast dunkel waren und öffnete in dem letzten eine ganz unbemerkbare Tapetenthür. Diese führte in eine Art Vorgemach, in welchem der Mann, den wir bereits kennen lernten, als er O'Laughlin's Waare in Empfang nahm, auf- und abging.

»Oeffne den Herren,« befahl ihm O'Brien. ... »Viel Plaisir!« fügte er zu diesen gewandt hinzu und entfernte sich.

Der Thürhüter drehte den Schlüssel in der mit dickem Wollenstoff beschlagenen Thür. Erwartungsvoll und klopfenden Herzens näherten sich Frederic und Edward.

»Werden Sie hier bleiben?« fragte der letztere den Wächter.

»Wenn Sie es befehlen,« erwiderte dieser, »so bleibe ich.«

»Wir befehlen es aber nicht,« versetzte Edward; »denn Ihr Hierbleiben würde uns geniren. Wir werden schellen, wenn wir Ihrer bedürfen.«

»Ganz wie Sie befehlen, Sir, aber noch eins, bevor ich gehe. – Wünschen Sie sie schlafend oder wachend? Im ersten Fall müßte man ihnen erst wieder eine neue Dosis geben, denn sie sind aufgewacht.«

»Ist uns ganz angenehm. Gehen Sie und kümmern Sie sich nicht um uns, bevor wir Sie rufen.«

Mit athemloser Spannung standen sie noch zaudernd vor der Thür. – Hier also sollten sie die Schwester und Geliebte finden, hier hielt man sie also eingekerkert, um sie jedem beliebigen Wüstling preiszugeben. Sie mußten erst Fassung gewinnen, ehe sie öffneten; ihr Kopf schwindelte und ihre Pulse schlugen fieberhaft als sie eintraten. ...

Jammernd und händeringend traten ihnen zwei junge Mädchen entgegen. – Esther war nicht dabei! – –

»Ist Niemand sonst noch hier?« fragte Frederic.

»Niemand,« antworteten sie. »Wir sind hier gefangen; wie wir hierher gekommen, wissen wir nicht. Haben Sie Erbarmen mit uns, bringen Sie uns zu unseren Eltern zurück, die unsertwegen in Verzweiflung sein werden.« – Sie brachen in Thränen aus und bedeckten ihr Gesicht mit den Händen.

»Man hat Sie gewaltsam hierher gebracht?« fragte Frederic theilnahmvoll.

»Wir wissen es nicht. Nach dem Thee, den unsere Dienerin uns bereitete und in der Halle servirte, kam ein unwiderstehlicher Schlaf über uns, wir waren allein. Wir schliefen ein und sind erst hier erwacht. O, sagen Sie uns, wie sind wir hierher gekommen? wo sind wir? was hat man mit uns vor?«

»Sie sind durch ein Bubenstück hierher gebracht, Miß, und sind hier, um dem abscheulichsten Verbrechen geopfert zu werden,« antwortete Edward. – »Wir suchten eine Andere hier, und danken Gott, sie nicht gefunden zu haben, wenn wir Sie aber befreien können, so wird unser Wagestück doch nicht ganz vergebens unternommen sein.«

Vorsichtig öffnete er die Thür. Der Wächter war fort. Die Treppe war leicht entdeckt und die Pforte, welche in den Garten führte, nur von innen verriegelt. Es war also leicht, die unglücklichen Mädchen hinauszulassen. Mit dem Rathe, sich bis morgen früh im Port verborgen zu halten, begleitete Edward sie hinab. – Ohne, wie sie versprochen, den Wächter zurück zu rufen, begaben sie sich in den Saal zurück, wo die Orgie immer größere Dimensionen anzunehmen begann. Aufzüge fanden statt, von welchen sich der Genius des Schicklichen mit Abscheu abwenden mußte, Aufführungen, denen ein Uneingeweihter dieses Cirkels nur mit Erröthen zuzuschauen vermochte; Tänze, in Vergleich zu denen der Cancan im Salon Mabile eine feierliche Prozession genannt werden konnte.

Auf einem der Polster unter den Palmen saß der Türke, welchen wir bereits dem Leser am Eingang zum Ritterhause zeigten, die lange Pfeife von Weichselrohr mit dem Bernsteinknopf in der Hand. Halbnackte, nach der Sitte ihrer Heimath gekleidete Sklavinnen, wozu Mr. Tucker die schönsten Negerinnen ausgewählt hatte, lagen zu seinen Füßen und warteten seines Winkes, um ihm Kühlung zuzufächeln oder seine Pfeife mit neuem Taback zu versehen. An seiner Seite schmiegte sich, den Kopf auf seinen Schooß legend, ein Negermädchen von einem Wuchs dessen schöne Plastik Bewunderung erregte. Mit namenlos zärtlichem Blick schaute sie zu ihm auf, und die Maske, welche ihr sein Gesicht verbarg, schien sie fast betrübt zu machen.

Fast alle Anwesenden schaarten sich um diese Gruppe und ließen ihre Blicke mit lüsternem Behagen auf den schwellenden Reizen der Negerinnen ruhen. – Mr. Tucker schien für die ihn umgebenden Reize kein Auge zu haben, denn er blickte gleichgiltig über die Regerinnen hinweg nach den Zuschauern, die sich um ihn versammelten.

»Hast Du denn nicht einen Blick für mich, Berveley?« fragte in mißmuthig zärtlichem Ton das schöne Negermädchen, welches ihren Kopf auf seinen Schooß stützte ... »Du siehst nach allen Andern nur auf Deine Camilla nicht. Du bist nicht froh, Berveley; kann ich Dich durch etwas erfreuen?«

Das Mädchen schien kein Bewußtsein davon zu haben, daß alle Blicke auf sie gerichtet waren, denn sie kümmerte sich um Niemanden, ihr Auge hing an dem ihres Gebieters.

Dieser legte nachlässig seine Hand um ihre weichen Schultern und sagte:

»Gieb mir zu trinken, Camilla, das wird mich froher machen.«

Das Mädchen sprang davon und kehrte bald mit einem Pokal perlenden Champagners zurück.

»Da nimm, Berveley, das wird Feuer in Deine Adern gießen.«

Sie reichte ihm den Pokal und stand, während er ihn langsam leerte, erwartungsvoll vor ihm.

»Tanz!« sagte Tucker mit halblauter Stimme.

Auf diesen Wink schien Camilla gehofft zu haben. Ihre Augen leuchteten, wie die Gluth der untergehenden Sonne, ihr Mund lächelte, und zeigte zwischen den purpurrothen Lippen den Alabaster ihrer Zähne. Ihrem Gebieter mit der Hand noch einen Liebesgruß zuwinkend verschwand sie in ein Nebenzimmer.

Zugleich erhoben sich auch mehrere der übrigen Negerinnen, welche zu seinen Füßen lagen, als ob auch ihnen der Befehl geworden wäre, bei dem Tanze mitzuwirken und begaben sich ebenfalls in das Nebenzimmer.

Tucker fuhr indessen ruhig fort, seinen Wein zu schlürfen und Rauchwolken zwischen seinen Lippen hervorzublasen.

Da sprang Camilla mit einem Tambourin in der Hand aus dem Nebenzimmer hervor, und den Schall des Schlages, den sie daraus führte, durch eine schwirrende Bewegung des Instruments verrauschen lassend, trat sie vor ihren Herrn und warf sich mit über ihren Busen gekreuzten Armen vor ihm nieder.

Ein dünner, golddurchwirkter Shawl war leicht um ihre Hüften geschlungen, ein langer Streifen von rothem Flor hing über ihren Armen, ein Perlhalsband umgab ihren Nacken, und die ungewöhnliche Fülle ihres glänzend schwarzen Haares hing in schweren Locken über ihre sammetweichen Schultern herab. Ihre kleinen Füße waren in zierlichen Sandalen und an ihren Fingern glänzten Ringe mit edlen Steinen.

Tucker's Blick ruhte einige Momente mit innigem Wohlgefallen auf der reizenden Mädchengestalt, dann reichte er ihr die Hand zum Kusse hin und sagte:

»Tanz!«

Während dieser Zeit waren auch die andern Sklavinnen, welche sich entfernt hatten, in ähnlichem Costüm aus·dem Nebenzimmer hervorgetreten, von denen Eine eine Art von Zither, die Anderen aber Triangeln und Tambourins trugen. Sie ließen sich in einiger Entfernung hinter Camilla auf der Erde nieder und erwarteten den Wink, die Musik zu beginnen, während eine andere Negerin fortfuhr, dem Gebieter Kühlung zuzufächeln.

Camilla sprang auf, schlug gegen das Tambourin, daß es rauschend erklang, und schwang es, sich wie ein Kreisel aus den Füßen drehend, hoch über sich durch die Luft, während sie zwischen ihren Händen den Florshawl entfaltete, daß er sie wie eine Wolke umwehte, zugleich stimmte die Sklavin mit der Zither eine wildrauschende Melodie an, und ihre Gefährtinnen ließen die Triangeln und Tambourins im Tact ertönen.

Camilla wurde in ihren Bewegungen immer lebendiger, immer graziöser, immer sprechender; bald glich sie der triumphirenden glücklichen Liebe, bald war sie die verzweifelnde, verstoßene Geliebte, bald wand sie sich schmachtend und flehend zu ihres Herren Füßen, und dann floh sie wieder in wilder leidenschaftlicher Lust im Kreise herum.

»Sie ist schön!« flüsterte O'Brien seinem Gebieter zu, indem er sich zu ihm herabbeugte.

Man konnte trotz seiner Maske sehen, daß Tucker's Auge zwar mit Lüsternheit auf dem Mädchen ruhte, aber doch nicht zufrieden blickte.

»Ich wollte es wäre Esther!« erwiderte er verstimmt und leerte den Pokal, der neben ihm stand, auf einen Zug.

Die Musik der Negerinnen rauschte leiser und leiser, und als ihr letzter Ton verklang war Camilla an der Seite ihres Gebieters auf den Teppich niedergesunken. Zugleich begann das Orchester wieder seine flüsternden Melodien, und die Lichter erloschen von Neuem.

Der Tumult im Saale, das Haschen, Suchen und Durcheinanderrennen begann wieder und währte einige Minuten, dann ward Alles still, und nur unter den künstlichen Blumenlauben und in den Nischen und Logen vernahm man unterdrückte Laute wie vorher. Frederic und Edward hatten auf einem gepolsterten Sitz am Ende des Saales Platz genommen; sie legten, weil die Maske sie belästigte, dieselbe bei Seite, da sie ja wußten, daß man ihnen durch ein Signal anzeigen werde, wann es Zeit sei, dieselbe wieder anzulegen, und unterhielten sich flüsternd, als Edward plötzlich fühlte, wie ein weicher Arm sich um seine Schultern legte.

Sein erster Gedanke war: Belle Boyd! – Allein als er die Hand tastend ausstreckte, berührte er nicht das luftige Gewand der Hebe, sondern den nackten Leib eines zarten Mädchens.

Das Gesicht desselben näherte sich seinem Ohr, so daß die Lippen ihn fast berührten, und eine weiche Stimme flüsterte:

»Ich weiß, wen Du suchst.«

»Wer bist Du?« fragte Edward überrascht.

»Camilla, die verstoßene, gekränkte Camilla!«

»Die Favoritin Tucker's?«

»Ich war es. Jetzt denkt er nicht mehr an mich. Er liebt mich nicht mehr, er liebt nur die, welche Du suchst.«

»Woher weißt Du, daß ich Jemanden suche?«

»Sie hat mir gesagt, daß Du sie hier suchen würdest. Ich habe Dich erkannt. Das Auge einer Eifersüchtigen durchdringt die Finsterniß und durchschaut die Maske. Sie beschrieb Dich mir.«

»Wer?«

»Deine Schwester.«

»Du kennst Sie, Camilla, weißt, wo Sie ist? – Sprich, Mädchen, wo finde ich sie?«

»Ich will Dich zu ihr führen. – Ich würde es nicht thun; ich thue nichts, was den Mann kränkt, den ich liebe; aber sie hat mir seine Liebe geraubt. Seine Lippen sprechen nur ihren Namen, seine Augen suchen nur sie, und heute – heute Nacht wird er bei ihr sein. Mein Tanz hat seine Leidenschaft erweckt, aber sie brennt nicht für mich, sondern für sie; doch Du sollst sie ihm entreißen.«

»Führe mich!« rief Edward aufspringend. – »Laß uns keine Minute verlieren.«

»Noch nicht,« erwiederte sie. »Ich werde Dich aufsuchen, wenn es Zeit ist; nicht eher, als bis Mr. Tucker oder O'Brien gegangen ist.«

Zwei schwellende Lippen berührten seine Wange und das Mädchen war von seiner Seite verschwunden.

Frederic hörte dem Bericht, den ihm sein Freund von seinem Gespräch mit der Negerin machte, athemlos zu.

»Sie soll gerächt werden!« rief er. »Ich selbst werde sie rächen an dem Ungeheuer, das sie zu verschlingen droht.« –

Jetzt ertönte das Signal mit der Glocke. Die beiden Freunde griffen nach ihren Masken, welche sie neben sich auf einen Sessel gelegt hatten. Zu seinem Schrecken bemerkte Edward, daß dieselben verschwunden waren. – Noch einmal tönte die Glocke, und das Licht der tausend Flammen beleuchtete das unbedeckte Gesicht der beiden Jünglinge.

Noch hatten sie sich von ihrem Erstaunen nicht erholt und sich so weit gesammelt, daß sie an ihre Rettung denken konnten, als ihr Blick auf Beile Boyd fiel, welche in einiger Entfernung stand und ihre Masken in der Hand hielt. Also sie war es, welche ihnen die Masken entwendet hatte. – Entdeckt, verrathen! Der furchtbare Gedanke machte sie verzweifeln!«

»Wir müssen fliehen – da hinaus!« rief Edward seinem Freunde zu und eilte nach einer Thür.

»Haltet sie!« ertönte Belle Boyd's Stimme hinter ihnen. »Zwei Flüchtlinge!«

Sie waren in einem Nebensaale. Keine Thür führte dort hinaus. Alle Hoffnung war verloren, – sie mußten, wenn sie hinaus wollten, wieder durch den großen Saal zurück, dort aber hörten sie noch die Stimme Belle Boyd's, welche alle andern Stimmen übertönte:

»Ihnen nach, – es sind Flüchtlinge, es sind Spione!«

Was war das? der Lärm der Uebrigen ward größer und größer und erstickte das Schreien der Courtisane Was war es, das alle Anwesenden so erregte? – Die beiden Freunde wußten es, sie konnten es aus den Worten schließen, die sie unter dem Wirrsal der Stimmen verstanden:

»Was sagt Ihr?« hörten sie die Gentlemen fragen; »die beiden Misses sind verschwunden? – Entflohen? – Von zwei unbekannten Gentlemen hinausgelassen? – Wo ist O'Brien, er hat die beiden Gentlemen zu ihnen geführt, er soll uns sagen, wo sie sind?«

»Es sind die beiden Flüchtlinge!« kreischte Belle Boyd. – »Eilt ihnen nach, dort hinein!«

Die Stimmen näherten sich. Einige erschienen am Eingange des Nebensaales. Mit klopfendem Herzen standen Frederic und Edward hinter einer Gardine verborgen und erwarteten mit dem Bowiemesser in der Faust den Moment, wo man versuchen würde, sie zu ergreifen.

Da fühlte Edward von hinten seine Schulter leise berührt. Er wandte sich hastig um, das Messer emporschwingend; allein er ließ es sofort wieder sinken.

Es war Camilla, die jetzt eine Kapuze über dem Kopf und einen Mantel um die Schultern trug.

»Komm!« flüsterte sie. »Jetzt ist es Zeit! – O'Brien ist voraus und bereitet für Mr. Tucker den Empfang bei Deiner Schwester vor; in einer halben Stunde wird Berveley Tucker ihm folgen.«

Sie öffnete eine geheime Thür, die sich auf einen Druck einer Feder öffnete, und die Flüchtlinge waren, ohne daß Jemand von der Art ihrer Rettung eine Ahnung hatte, ihren Verfolgern entkommen. Die geheime Thür schloß sich hinter ihnen. Im Saal aber hörten sie noch Belle Boyd's Stimme, welche rief:

»Ich werde mit Atzerott ihnen in den Park nacheilen. Wir werden dort suchen und sie sicherlich noch finden.«


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