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Dreiundreißigstes Kapitel.
Ein alter Freund

Nachdem Mr. Atzerott das Geschäft soweit abgemacht, begab er sich, begleitet von Tucker's Vogt nach Leesburg zurück. Er traf dort gerade mit den Wagen ein, welche Mr. Sanders mit Zeug beladen dorthin geschickt hatte. Inzwischen hatte er, wie er bereits dem Haushofmeister mitgetheilt, das Haus, in welchem Esther wohnte, sorgfältig bewachen lassen. Er hatte dazu einen Neger bestochen, der seine Aufgabe auch zur größten Zufriedenheit Atzerott's gelöst.

Er hatte den ganzen Plan der Flucht in Erfahrung gebracht und Atzerott denselben mitgetheilt, der seinerseits schleunigst die weiteren Maßregeln traf. Als die Wagen abgeladen und die Waaren in das Zelt Nr. 11 gebracht waren, meldete Scipio dies dem Aufseher, Mr. William, der zur Beaufsichtigung von Sanders mitgeschickt war. Mr. William überzeugte sich, daß die Wagen leer seien, gab Scipio den Schlüssel und befahl ihm, die Wagenthüren zu verschließen. Wir wissen bereits, daß Scipio den Befehl nur in Bezug auf die Thüren des blauen Wagens ausführte, die des braunen Wagens aber nur anlehnte.

Wir wissen auch bereits, mit welchem Erfolge der Plan Scipio's ausgeführt ward. – Atzerott der mit dem Vogt und Mr. William in der Chaise saß, hatte, obwohl er sich schlafend stellte und das Gesicht abgewandt, Esther in dem Gange zwischen den Gärten sehr wohl bemerkt, und triumphirend er zu sich selbst sagte:

»Jetzt bist Du in meine Falle gegangen, und zwar in eine Falle, aus welcher ein so schöner Vogel wie Du, nur herauskommt, nachdem er seine schönsten Federn verloren.«

Er hatte bereits Mr. William mitgetheilt, daß er den braunen Wagen nach Richmond schicken solle, da Mr. Tucker denselben benutzen wolle, um Militair-Effekten, die in Richmond gefertigt seien, mit demselben nach Petersbourg zu schicken. William hatte darin gern gewilligt, denn er wußte, daß Mr. Sanders gegen diese Gefälligkeit nichts einwenden werde.

Während auf der Station die Neger beschäftigt waren, die Pferde zu füttern, saßen Atzerott, der Vogt und der alte William in der Gaststube bei einer Flasche Wein, wobei indessen sich der Erstere so placirt hatte, daß er durch das Fenster den braunen Wagen stets im Auge behielt und vor allen Dingen auch jede verdächtige Bewegung des Negers Joë genau beobachten konnte. Dieser merkte recht gut, daß er beobachtet werde und fürchtete sich daher, sich und seinen Passagier durch irgend eine unvorsichtige Handlung zu verrathen; hielt sich aber doch stets in der Nähe des Wagens auf, um den ersten günstigen Moment zu benutzen, dem jungen Mädchen ein Wort der Beruhigung und des Trostes zu sagen.

Da der Wein sehr schlecht war, so war der Genuß desselben nicht geeignet, Mr. William bei guter Laune zu erhalten. Verdrießlich schob er sein Glas bei Seite und sagte brummend:

»Ich schlage vor, wir brechen auf, an einem Orte wie dieser, muß man sich keine Minute länger aufhalten, als nöthig ist. – Was nur der Kerl der Joë da ewig um den Wagen herumschleicht. Statt die Pferde zu tränken und zu füttern, begafft er den Wagen von allen Seiten, als ob er dem Kasten nicht recht traute. – He, Joë, schwarzer Lump!« schrie er aus dem Fenster, als sein Unmuth durch das Benehmen des Negers wuchs. »Meinst Du, wir hätten hier angehalten um Dir Gelegenheit zu geben, die Bauart des Wagens zu studiren? – Vorwärts, lege den Pferden noch ein wenig Heu vor, dann lege ihnen die Zäume an, daß es weiter gehen kann.«

»Mir gefällt der Bursche nicht,« bemerkte Atzerott. »Ich sähe lieber, Sie nähmen ihn mit nach Sandersford. Mein Freund hier,« – er meinte den Vogt Mr. Tucker's, »würde es übernehmen, den Wagen nach Richmond zu fahren, und von da wird ihn ein gewissenhafter Führer nach Sandersford zurückbringen. – Diesem Joë traue ich nicht.«

»Ha, ha!« lachte Mr. William. »Er ist eben nicht schlechter als die anderen schwarzen Taugenichtse; aber er ist auch nicht so liebenswürdig, daß ich Ihnen seine Gesellschaft aufdringen will. Wenn er Ihnen nicht gefällt, so werde ich ihn mitnehmen. Er kann drinnen im Wagen Platz nehmen.«

Mr. William erhob sich und ging mit den anderen Herren hinaus. Die Thüre des blauen Wagens wurde geöffnet, Joë hineingeschoben und darin eingeschlossen, worauf der blaue Wagen abfuhr. Der alte Vogt hielt sich ebenfalls nicht länger auf, er händigte Atzerott den Schlüssel zum brauen Wagen ein und empfahl sich. Der Vogt Mr. Tucker's bestieg jetzt den Bock des braunen Wagens, und wollte eben abfahren, als Atzerott ihm die Worte zurief, die Esther mit Schrecken erfüllten:

»Halt noch einen Augenblick!«

Sie hörte, wie sich seine Tritte dem Wagen näherten. Die nächste Minute mußte über ihr Schicksal entscheiden. – Es war im Wagen finster, vielleicht, falls man wirklich den Wagen öffnete bemerkte man sie nicht. In athemloser Spannung lauschte sie.

Die Thür des Wagens wurde nicht geöffnet, aber sie hörte, daß ein Schlüssel in das Schloß der Wagenthüren gesteckt und umgedreht wurde. – Sie war eingeschlossen. –

»Vorwärts jetzt!« ertönte die Stimme Atzerott's.

Im scharfen Trabe fuhr der Wagen davon.

»O, Himmel,« jammerte sie, »was wird mit mir geschehen!«

Sie stand Todesqualen aus. Alle Schrecken, welche ihr bevorstanden, wenn sie ihrem Herrn ausgeliefert würde, traten ihr in der Dunkelheit ihres Gefängnisses gleich Gespenstern drohend entgegen. Das ganze grauenhafte Bild eines Sklavenlebens rollte sich vor ihren Augen auf: Die Körper zerfleischt, die heiligsten Gefühle verhöhnt und grausam mit Füßen getreten; Wesen, die ebenfalls nach dem Bilde Gottes geschaffen sind, zu Thieren herabgewürdigt, Pflichtgefühl, Mutterliebe, Gattenliebe gewaltsam in ihnen erstickt und unbarmherzig aus ihrer Brust gerissen, – daß nichts von ihnen bleibt als der narbenbedeckte Körper, der sein klägliches Dasein unter dem Joch der mühevollsten Arbeit dahinschleppt! ...

Das waren die Gespenster, die in ihrer entsetzenerregenden Gestalt sich drohend und immer drohender vor ihr erhoben, je näher sie dem Ziel ihrer Reise kam.

Es war bereits spät in der Nacht, als der Wagen über die Manchester Brücke rollte, in die Yorktown-Straße einbog und dann in der Nähe von Mr. Tucker's Palais hielt.

Esther war sehr verwundert, als sie an dem Rollen des Wagens auf dem Steinpflaster merkte, daß das Ziel ihrer Reise nicht White-House sei, denn dort hatte man nicht Steinpflaster, sondern nur chaussirte Wege oder Kieswege. Sie hörte, daß ein leichteres Fuhrwerk, als der Packetwagen, unmittelbar nach demselben auch anhielt, sie hörte, daß der Portier den Schlag des Wagens öffnete, und daß zwei Männer leise zusammen sprachen.

»Der Haushofmeister erwartet Sie, Sir.«

»Hat er bereits die nöthigen Vorsichtsmaßregeln getroffen?«

»Ich denke wohl. Er hat angeordnet, daß der Wagen in den Hof fahre.«

Das war Alles, was die Gefangene von dem Gespräch verstehen konnte. Dann hörte sie, wie ein Thor, das Hofthor aller Wahrscheinlichkeit nach, sich knarrend in seinen Angeln drehte, und merkte, daß ihr Wagen jetzt auf den Hof fuhr. Er hielt wieder, und wieder hörte sie die Stimmen mehrerer Männer, die mit einander flüsterten.

»Sie darf nichts sehen,« hörte sie eine dünne Stimme sagen.

»Dazu ist glücklicher Weise der Abend dunkel genug,« antwortete ein Andrer, dessen Stimme sie mit Schaudern als die Atzerott's erkannte.

»Das einfachste Mittel ist, ihr die Augen zu verbinden,« meinte der Dritte.

»Das ist auch meine Meinung,« versetzte der Inhaber jener dünnen Stimme, »also vorwärts!«

Die Thüren des Wagens wurden geöffnet. Atzerott hatte Recht gehabt, die Finsterniß, die draußen herrschte, gab der nichts nach, welche in dem verschlossenen Wagen das Mädchen umgab. Alle Gegenstände erschienen ihr nur in schattenhaften Umrissen, und nur sehr undeutlich vermochte sie zu erkennen, daß der Hof au drei Seiten von Gebäuden eingeschlossen und daß die vierte Seite von einer hohen Gartenmauer abgegrenzt war, vor deren kleiner Pforte der Wagen hielt.

»Nun heraus, mein Püppchen, wenn's gefällig ist,« rief Atzerott's widrige Stimme in den Wagen hinein.

Esther war wie gelähmt, sie vermochte sich nicht zu regen.

»Keine Umstände, oder soll ich Dich binden –?« sagte er ungeduldig.

Esther hatte oft genug Gelegenheit gehabt, zu erfahren, daß man sich einem Sklaven gegenüber Alles erlauben durfte, und daß die Drohung ausgeführt werden würde, wenn sie dem Befehle nicht gehorchte. Ihr tödtlicher Haß und ihr Rachedurst gaben ihr Kraft. Ihr spähendes Auge durchdrang die Finsterniß und suchte ihren Peiniger. Sie sah ihn nicht; sie konnte Niemanden sehen – doch, da erschien ein Kopf an der geöffneten Thür. Sie konnte keine Züge unterscheiden, aber sie wußte, daß es Atzerott's boshafte Augen waren, die hineinblickten. Hätte ihr in diesem Augenblick Jemand einen Dolch in die Hand gegeben, sie hätte ihn dem Unhold in die Brust gestoßen.

Die Wuth machte ihre Glieder zittern und raubte ihr einen Augenblick die Vernunft. Mit einem Satze sprang sie aus dem Wagen und streckte die Arme aus, um die Nägel ihrer Finger in das Fleisch des Verhaßten zu graben. In demselben Augenblicke aber, als sie mit den Füßen den Boden berührte, ward ein dichtes schwarzes Tuch über ihren Kopf geschlagen und zugleich wurden ihre Hände fest zusammen gebunden.

Aller Widerstand war nun vergeblich; sie mußte über sich ergehen lassen, was man über sie verhängen würde. Man führte sie vom Hofe fort; sie merkte an den Kieswegen unter ihren Füßen und dem Rauschen des Laubes, daß der Abendwind sanft bewegte, daß ihr Weg durch einen Garten ging. Einige hundert Schritte mochten sie gegangen sein, da wurde sie aufgefordert, einen Augenblick still zu stehen. Sie hörte einen Schlüssel sich in einem Schlosse drehen, das Knarren der Angeln einer Thür, welche sich öffnete und eine ihr unbekannte Stimme, welche sagte:

»Ich danke Ihnen, meine Herren. Es ist weiter nichts nöthig. Sie sehen, es ist für den Nothfall andere Hülfe hier.«

Sie hörte, wie die Tritte zweier Männer sich auf dem Wege, den sie gekommen, entfernten. Dann ward sie durch die Thür geführt, in einen so schmalen Gang, daß ihr Führer sie allein vorangehen lassen mußte. Der Gang war sehr krumm und zu beiden Seiten von hohem Buschwerl eingeschlossen. –

An dem Stacketenzaun, welcher den hintern Theil des Parkes abschloß und jenseits dessen sich Esther jetzt befand, hatte Mr. O'Brien seine beiden Helfer, nämlich Atzerott und den Vogt verabschiedet. Die neue Hülfe, auf welche er sich berufen hatte, bestand in einer alten Mulattin, welche ihn an der Pforte des Stacketenzauns bereits erwartete. Sie hatte jedenfalls einmal manche Reize besessen, denn noch heute, obwohl ihr Gesicht bereits die Furchen des Alters durchzogen, zeigte ihre Figur ein großes Ebenmaß in den Formen und eine äußerst anmuthige Fülle und Rundung. – Sie trug ein sauberes und zierliches Mousselinkleid und eine mit rothen Bändern geschmückte Haube, unter deren Spitzen hervor ihr großes Auge halb mürrisch, halb widerwillig den Haushofmeister anglotzte.

Schweigend nahm sie Esther's Hand und zog sie hinter sich durch die Windungen des schmalen Ganges, während O'Brien, beide Hände in den Taschen seines Ueberrockes, langsam hinterher schlenderte und mit stillem Behagen und echter Kennermiene die schlanke, schöne Figur der Quadroone musterte.

»Atzerott, der Schurke, hat mich nicht betrogen,« murmelte er. »Es ist ein Spottpreis für diese Sclavin; wenn Mr. Tucker kalt bleibt, so ist es aus mit ihm, und er ist hoffnungslos der Politik verfallen, die mich und ihn ruiniren wird.«

Der Gang, durch welchen die Gefangene geführt wurde, endete am Fuß des Berges, auf dessen Gipfel der Wind die düstern Tannen hin und her wiegte. – Dort, wo der Gang endete, bogen sich die Gesträuche zu beiden Seiten über demselben zusammen und bildeten eine Laube, so dicht, daß auch kein Strahl des ohnehin matten Sternenlichtes hindurch zu dringen vermochte. Die Mulattin war aber mit dem Wege so vertraut, daß sie, ohne auch nur ihre Schritte zu mäßigen, durch die Finsterniß weiterschritt und endlich vor einer niedrigen Thür stehen blieb.

Wer bei Tage diese Thür durch irgend einen Zufall aufgefunden hätte, würde sicherlich der Meinung gewesen sein, daß sie zu einem in dem Berge befindlichen Eiskeller führe. Sie hatte übrigens ganz den Anschein, denn sie befand sich nicht nur in einer Wand von Feldsteinen ausgemauert, wie gewöhnlich bei Eiskellern, sondern man hatte, um die Täuschung zu vervollständigen, die Thür selbst mit Rohr bekleidet.

Die Mulattin schloß schweigend auf, erfaßte wieder Esther's Hand und führte sie hinein. Eine unheimlich kalte und feuchte Luft strömte ihr entgegen, der Dunst eines wenig gelüsteten Kellers. Es war ein gewölbter Gang, welcher etwa funfzig Schritte vorwärts führte, und in welchem die Tritte der drei Personen, die denselben passirten, schaurig wiederhallten. Die Finsterniß war jetzt vollständig, so daß Esther von dem, was sie umgab, auch dann nichts gesehen haben würde, wenn man ihr den Gebrauch ihrer Augen gestattet hätte. Der Gang führte in einen weiteren, ebenfalls überwölbten Raum, und von hier ging eine breite steinerne Treppe aufwärts.

Esther hatte natürlich keine Ahnung, wo sie sich befand. Sie hatte geglaubt, als sie durch die Thür in den gewölbten Gang geführt wurde, daß sie jetzt in einem Hause sei, aber die Treppe, die sie jetzt hinaufsteigen mußte, war so hoch, wie sie nimmer eine in einem Hause gesehen hatte. Am obern Ende derselben mußte erst eine Klappe oder Fallthür geöffnet werden, ehe man vollends hinaufgelangte. Esther fühlte, daß die Luft in dem Raum, wo sie sieh jetzt befand, nicht mehr die feuchte Kellerluft, sondern warm und rein sei. Der Fußboden war von Brettern und mit einem Teppich bedeckt, sie wußte also, daß sie sich jetzt wirklich in einem Hause befand. Nachdem man sie durch mehrere Zimmer geführt, jedenfalls um die Möglichkeit zu vermeiden, daß Esther einmal die Klappe entdeckte, unter welcher sich die Treppe befand, stand in einem derselben ihre Führerin still, die Hände des jungen Mädchens wurden von den Fesseln befreit und das schwarze Tuch von ihrem Kopf genommen.

Wie aus einem Traum erwachend, blickte Esther um sich. Mehrere Male schloß sie die Augen und öffnete sie wieder, als ob sie sich vergewissern wollte, daß sie auch wirklich wache, denn was sie sah, war sehr geeignet, sie glauben zu machen, daß sie durch einen phantastischen Traum geäfft worden.

Das Zimmer, in welchem sie sich befand, war ein großes Gemach mit zwei Fenstern, an welchen schwere Gardinen von rother Seide herabhingen. Die Ausstattung desselben war von fürstlichem Luxus; von den türkischen Teppichen bis zu dem Himmelbette mit seinen seidenen Vorhängen und seinen zarten, mit Spitzen garnirten Kissen war Alles kostbar, Alles prunkend und geeignet, auch noch so verweichlichten Gewohnheiten Rechnung zu tragen. Doch fehlte ein gewisser Geschmack in der Einrichtung. So kostbar und schön jedes einzelne Stück für sich betrachtet auch sein mochte, so ging doch dem Ganzen die wohlthuende harmonische Einheit ab, ein Beweis, daß bei der Einrichtung dieses Zimmers nicht ein gebildeter weiblicher Geschmack maßgebend gewesen war.

»Dies hier ist Ihr Schlafzimmer,« redete die Mulattin sie an, deren Gesicht noch immer die mürrischen Falten zeigte.

Die Stimme weckte Esther aus ihrem stummen Erstaunen und erinnerte sie daran, daß sie nicht allein sei und nicht von einem Traum in die Märchenwelt von Tausend und eine Nacht versetzt sei.

Sie sah bald die Mulattin, bald Mr. O'Brien an, der noch immer voll inniger Befriedigung schmunzelnd dastand. Ihre Blicke baten um Aufklärung; ihre Lippen aber vermochten kein Wort hervorzubringen, so daß wieder das bisherige Schweigen eintrat.

Diesmal unterbrach der Haushofmeister dasselbe, indem er sich galant an Esther wandte.

»Sie sind ohne Zweifel angegriffen und ermüdet, Miß, und ich hoffe, Deborah,« – fügte er zu der Mulattin gewendet hinzu, – »daß Du Anstalten getroffen hast, die junge Dame mit einem guten Abendessen zu erquicken. Der Weg von Leesbourg ist lang, und das Reisen macht immer Appetit.«

Esther blickte ihn mißtrauisch an. – Was hatte man mit ihr vor? Statt, sie, wie sie erwartet hatte, in eine finstere Zelle zu sperren, um sie am nächsten Tage züchtigen zu lassen, ward sie in ein Feengemach geführt, und ihr eröffnet, daß dasselbe für sie bestimmt sei. Es wurde ihr förmlich wirr im Kopfe und mit einem Blick voll Unruhe richtete sie an den Haushofmeister die Frage:

»Sagen Sie mir, Sir, wo befinde ich mich? Was hat man mit mir vor?«

O'Brien blinzelte mit den Augen und lächelte schallhaft, während er antwortete:

»Sie befinden sich in dem Hause eines alten Freundes von Ihnen. Ich hoffe, es gefällt Ihnen hier?«

»Sie sagen in dem Hause eines alten Freundes?« wiederholte Esther, seine letzte Frage unbeachtet lassend. – »Ja wessen Hause? und was hat dies Alles zu bedeuten?«

»Das wird man Ihnen sagen, sobald es nöthig ist,« entgegnete der Haushofmeister ausweichend und wandte sich dann an die alte Mulattin: »Willst Du die junge Dame jetzt zu Tische führen, und sie zugleich der hübschen Camilla vorstellen?«

Die Mulattin antwortete nichts, sondern forderte Esther ohne Weiteres auf, mit ihr zu kommen. Esther fühlte nicht das Bedürfniß zu essen, aber doch folgte sie der Mulattin willenlos. Alles, was sie umgab, hatte so sehr den Anstrich des Geheimnißvollen, daß sie fast an der Wirklichkeit und an der völligen Klarheit ihres Verstandes zweifelte. Die Mulattin öffnete eine Flügelthür und ließ Esther vorangehen in ein nicht so großes, aber noch prächtiger dekorirtes Zimmer, als dasjenige, welches sie eben verlassen. Dies war kein Schlafzimmer, sondern eine Art Boudoir. Teppiche auf den Dielen, und an den Wänden, Büsten und Oelgemälde, mythologische Scenen darstellend, die Möbeln mit echten Gobelins; Divans rings an den Wänden; ein Piano von Polysander; Gardinen von grünem Damast; die zierlichsten und seltensten Nippes auf den Marmorconsolen – nichts fehlte, um das Bondoir als ein Feengemach erscheinen zu lassen.

Der überraschendste Anblick aber, der sich ihr darbot, war die Gestalt eines Mädchens, das auf einem Divan ausgestreckt lag und schlummerte. Es war eine Negerin, oder doch sehr nahe von schwarzer Abkunft, denn ihre Farbe war so dunkel, wie die einer Negerin, nur die Bildung ihres Gesichtes war nicht die einer Negerin. Sie war noch sehr jung, denn sie mochte wohl kaum mehr als 16 oder 17 Jahre zählen, aber ihr ganzer Körper war bereits zur vollen Reife aufgebläht. Ihre Züge waren schön und ihr entblößter Nacken üppig und zart. Ihre Kleidung war so leicht, daß sie überall die schwellenden Formen ihres Körpers erkennen ließ. Der kleine Fuß steckte in rothen Maroquin-Schuhen, und an den Fingern ihrer malerisch schönen Hand blitzten Ringe mit edlen Steinen.

»Das ist meine Tochter,« sagte die Alte, ohne dabei Esther anzusehen. – »Steh auf, Camilla; komm hinauf, es ist angerichtet.«

Die schöne Schläferin ließ sich aber so leicht nicht wecken, sondern wandte sich nur nach der Seite um, reckte ihre vollen runden Arme in die Höhe, so daß ihr schwellender Busen das dünne Gewand zu zersprengen drohte, und ließ einen ihrer Füße von dem Divan auf die Erde gleiten, wobei sich das Kleid verschob, und den weißen Strumpf bis an's Knie hinauf sehen ließ. Die Stellung, welche die schöne Negerin jetzt einnahm, war so lüstern, so verführerisch, wie sie nur von einer Hetäre aus dem Harem des Königs von Dahomay ersonnen werden könnte.

Das Auge der Quadroone ruhte mit Wohlgefallen auf der schönen Negerin. Sie vergaß einen Augenblick ihre Angst und ihren Kummer und ließ sich von dem Interesse fesseln, das ihre Umgebung ihr abzwang.

»Lassen Sie sie schlafen,« bat sie die Mulattin. »Ich habe ohnehin keinen Appetit zum Essen.«

Diese letzte Bemerkung erinnerte sie aber wieder an das Seltsame ihrer Lage und ihre Unruhe kehrte mit erneuter Heftigkeit zurück. Wo war sie? – In einer Stadt sicherlich, aber in welcher? In wessen Hause war sie? Wer war der Eigenthümer dieser Schätze, und was bewog ihn, ihr dieselben zur Verfügung zu stellen?

Sie benutzte den Augenblick, in dem die Mulattin an den Divan trat, um der jungen Negerin etwas in's Ohr zu flüstern, trat an's Fenster und schaute hinaus, ob vielleicht die Gegend ihr bekannt sei. Allein sie erblickte nichts als vor dem Hause einen wenige Fuß breiten Blumengarten und eine hohe, hohe Mauer, über welche die Gipfel dunkler Tannen hinüberragten. Die Mauer sah aus wie die Mauer eines Gefängnisses, was sie aber vollends erbeben machte, war die Entdeckung, daß die Fenster von außen mit Traillen versehen waren.

Erbleichend wandte sie sich von dem Fenster ab. Die junge Negerin hatte sich inzwischen erhoben und stand mit kindlich verschämtem Blick vor Esther, halb freundlich halb verlegen sie betrachtend.

Eben wollte Esther sie anreden, als etwas Anderes ihre Aufmerksamkeit auf sich zog. – Eine der Seitenthüren öffnete sich, und lächelnd, gefolgt vom Haushofmeister trat Mr. Berveley Tucker in das Boudoir.

Camilla hatte ihn kaum erblickt, als sie mit einem Schrei der Freude auf ihn zusprang. Sie schlang ihren weißen Arm um seinen Hals und legte ihren Kopf schmeichelnd an seine Brust.

»Ah, Berveley,« sagte sie halb schmeichelnd halb vorwurfsvoll; »Sie waren so lange nicht bei mir. Haben Sie Camilla nicht mehr lieb? – Kommen Sie, Berveley, setzen Sie sich hierher, nehmen Sie mich auf Ihren Schooß und sagen Sie mir, daß Sie mich noch lieb haben. Ach, ich habe mich so gesehnt nach Ihnen!«

Mr. Tucker achtete weder auf ihre Liebkosungen noch auf ihre Worte, sondern schob sie sanft bei Seite und näherte sich Esther.

»Willkommen hier, mein sprödes Schätzchen!« sagte er lachend. »Ich hoffe, es gefällt Dir, in meinem Venusschloß?«

Er machte Miene, ihre Hand zu berühren. Esther aber prallte schaudernd zurück, die Ahnung der Wahrheit dämmerte in ihr auf; und der Schrecken übermannte sie, daß sie auf einen Stuhl sank.

»Erschrick nicht, meine Schöne,« nahm Mr. Tucker wieder das Wort. »Du erkennst mich wahrscheinlich nicht. – Sieh mich nur an, ich bin ja ein alter Freund von Dir, wir sahen uns das letzte Mal am Tage vor Deiner Flucht bei Mr. Breckenridge. – Ha, ha, ha, damals entkamst Du mir. Jetzt aber bist Du mein, und ich werde Dich festzuhalten wissen. – Oh, nicht so ängstlich, wir werden gute Freunde bleiben, wenn Du Dich artig und zärtlich benimmst, also komm her, umarme mich.«

Esther hatte ihr Gesicht mit den Händen bedeckt, sie vermochte den Mann nicht anzusehen, in dessen Gewalt sie jetzt war und dessen wollüstiger Leidenschaft sie zum Opfer werden sollte. Sie hörte seine Worte nicht, ihre Angst machte sie taub. Da fühlte sie ihre Hände berührt; sie blickte empor, es war Mr. Tucker. Mit einem Schrei sprang sie auf, stürzte in das Schlafzimmer und schloß die Thür hinter sich ab.


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