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Neunundvierzigstes Kapitel.
Wahnsinn oder Verbrechen

Unter den lautesten Aeußerungen des Beifalls oder des Mißfalls zerstreute sich der Haufe, welcher den Ausgang des Prozesses vor dem Gerichtsgebände abgewartet hatte, um demnächst bei einem Glase Bier oder Punsch die ganze Angelegenheit noch einmal in engeren Kreisen zu diskutiren.

Ein Trupp, meist Leute, welchen die Freisprechung M'Clellan's ganz nach Wunsch war, nahm seinen Weg die Chatham-Street herunter nach Castle-Garden, um dort die Erfrischungen aufzusuchen, welche ihm die stundenlange Erwartung doppelt wünschenswerth machte.

Das düstere, räucherige Bierlokal am Quai, welches sonst um diese Zeit nur von irgend einem Matrosen, der seinen Feiertag nicht hinzubringen wußte, oder einem Industriellen, dessen Hauptthätigkeit erst mit dem Anbruch der Nacht beginnt, besucht zu sein pflegte, füllte sich dicht mit Gästen. Der Wirth schob seine umfangreiche Person hierhin und dahin, mit einer Schnelligkeit, die ihm große Schweißtropfen auf die breite Stirn trieb, und die schläfrige Kellnerin hinter dem Schänktisch machte ein noch verdrießlicheres Gesicht als gewöhnlich und klapperte mit den Biergläsern aneinander, daß es fast für ein Wunder angesehen werden konnte, daß auch nur ein Einziger ein ganzes Glas bekam, bis der erste Sturm vorüber und Alle mit dem Verlangten versehen waren.

Die Gäste gehörten der Klasse der Bevölkerung an, welche den größten Theil ihres Lebens in Blousen oder Jacken verbringen, und von denen die Kellnerin in der Regel nicht die 5 Cent Trinkgeld erhält, die ein Gentleman stets als einen selbstverständlichen Tribut der Zeche zuzulegen pflegt; und das war eben die Ursache ihres mürrischen Wesens am heutigen Nachmittage. Sie hatte sich indessen in ihrer Befürchtung getäuscht, denn, wie sich später herausstellte, erhielt sie durch die Freigebigkeit des Gentleman, der sich im äußersten Winkel placirt hatte, bei dieser Gelegenheit mehr Trinkgeld, als sie je von einem Gaste erhielt.

Den Gegenstand des lebhaften und lauten Gesprächs bildete natürlich der heutige Prozeß.

»Ja, freigesprochen ist er, das ist wahr,« nahm ein Lastträger vom Hafenplatz das Wort, »aber daß er seine Stelle verlieren soll, das halte ich für eine Ungesetzlichkeit.«

»Ich sage, es ist eine Gemeinheit,« ergänzte ein stämmiger Arbeiter, »denn wen werden wir an seine Stelle kriegen? – Grant natürlich; und das ist gerade der, der stets auf stärkere Aushebungen gedrungen hat. Was ist die Folge, frage ich? – Die Aushebungen werden nun in verstärktem Maaße beginnen, wir Alle werden nun zum Militair gehen und uns todtschießen lassen müssen; denn was bleibt uns bei der jetzigen Stockung der Geschäfte weiter übrig?«

»Und die enormen Kriegskosten wachsen von Tage zu Tage, und wir Bürger, wir müssen sie bezahlen,« fügte ein arbeitsscheues Subjekt in zerlumptem Ueberrock hinzu.

»Hätten wir unsern Mac an der Spitze der Armee behalten, so hätte der Krieg bald ein Ende gefunden,« brummte ein struppiger Kaminkehrer; »er hätte mit dem Süden Frieden geschlossen, und Jeder hätte dann nach seiner Form sein Staatswesen eingerichtet. – Was in aller Welt gehen uns die Nigger an? – Ich wollte, sie hätten dort im Süden nicht blos ihre Nigger alle zu Tode gepeitscht, sondern unsere noch dazu, die sind doch blos im Lande, um Unheil und Zwiespalt anzurichten.«

»Da hast Du Recht,« bestätigte ein Karrenschieber. »Ihr habt doch gelesen von dem Sklaven-Aufstand in Kentucky?«

»Ja wohl,« erwiderte der Arbeiter, »es sind an fünftausend Schwarze davongelaufen.«

»J, das wäre noch das Wenigste,« versetzte der Karrenschieber, »aber sie haben ihre Herren alle umgebracht, bis auf Einige, die entkommen sind. Auf der einen Farm, ich glaube Georgesville heißt sie, da haben sie sogar einen Geistlichen massacrirt, der sich im Hofe versteckt hatte.«

Der Gentleman, der in der Ecke saß, war ein hochgewachsener schlanker, junger Mann mit braunen, düster blickenden Augen und dickem, schwarzem Haar. Er trug einen Rock von dunklem Stoff und Beinkleider von derselben Farbe. An demselben Tische mit ihm saß ein um mehrere Jahre jüngerer Mann von verschmitztem Aussehn, eine echte Verbrecherphysiognomie, mit dem er zuweilen Blicke des Einverständnisses wechselte.

Sie hatten Beide dem Gespräch mit Interesse und mit sichtlichem Vergnügen zugehört. Als aber der Kartenschieber die letzte Mittheilung machte, sprang der Aeltere der beiden Gentlemen plötzlich auf. Seine Faust ballte sich, und sein Auge rollte wie das eines Wahnsinnigen vor dem Wuthausbruch.

»Himmel, mein Vater!« knirschte er.

Die Gäste wandten sich nach ihm um.

»Was ist Ihnen, kennen Sie den Mann, den die Schwarzen ermordet haben?« fragten Einige.

Robert Payne, denn er war es, zuckte zusammen. Er hatte Ursache, sich nicht zu verrathen. Er kämpfte seine Wuth nieder und verrieth durch keine Miene, was in seinem Innern vorging, nur ließ die Todtenblässe seines Gesichts darauf schließen.

»Ich glaube, ich kenne ihn, doch kann ich mich täuschen. – Kümmern Sie sich nicht um mich, erzählen Sie weiter. Ich interessire mich für Ihre Mittheilungen und für Alles, was den Krieg angeht. Fahren Sie fort, ich bitte Sie darum.«

»Nun,« begann der Karrenschieber von Neuem, »es ist davon nicht viel mehr zu erzählen. Es ist den Niggern ein Bataillon vom Regiment Carolina auf den Hals geschickt, aber sie haben sich durchgeschlagen, die Weiber sind mit ihren Kindern nach Ohio entflohen, und die Männer sind aus dem geraden Wege, sich mit der Armee Sherman's zu vereinigen. Sie haben einen Führer, einen Quadroonen, der ein wahrer Satan sein soll. Er führte ein Kind mit sich, was ihm gehört, dasselbe war in die Hände der Miliz gerathen, man wollte es als Geißel benutzen, aber ein tollkühnes Niggerweib hat es mitten aus dem Lager entführt, man hat sie das Ufer des Mississippi hinauf verfolgt, allein sie hat ihre Kleider abgeworfen und ist durch Sumpf und Moor gewatet, daß ihre Verfolger es aufgeben mußten, ihr weiter zu folgen. Hierzu das Bild Seite 385 (Die Flucht der Negerin). Ob sie nun mit dem Kinde entkommen ist, oder ob ein Kaiman im Schilf des Mississippi Beide aufgefressen hat, ist ungewiß, so viel steht fest, daß die Nigger nicht mehr daran dachten, zu kapituliren, sondern die Miliz mit Glanz zurückschlugen.«

»Nun, ich sage, der Tanz da im Süden wird jetzt erst recht losgehen, mit unserer Hoffnung auf ein Ende des Krieges ist es aus,« bemerkte der Arbeiter.

»Da werden wir wahrscheinlich auch wieder ein neues Gefängniß für die Kriegsgefangenen bauen müssen, denn das zu Elmira reicht nicht mehr lange aus,« äußerte der Packetträger.

»A - pro-pos, Bill!« unterbrach das arbeitsscheue Subjekt den Sprecher, erzähle doch einmal die Geschichte von dem Verrückten, der aus dem Elmira-Gefängniß entsprungen ist; sie ist den meisten von den Anwesenden unbekannt, und es ist eine interessante Geschichte.«

Payne rückte unruhig mit dem Stuhle.

»J, nun,« nahm Bill das Wort, »wenn die Herren es wünschen, will ich's erzählen.«

»Ja wohl, ja wohl – erzähle!« rief man von allen Seiten.

»Gentlemen, wollen Sie nicht solche Klatschgeschichten sich auf passendere Gelegenheiten aufsparen?« rief Payne mit finsterer Stirn, »und jetzt lieber das weit wichtigere Gespräch über die Politik und den Krieg fortsetzen? Ich muß gestehen, daß ich mich für Weibergewäsch nicht interessire.«

»Und warum nicht, Sir?« entgegnete das arbeitsscheue Individuum, der diese Aeußerung für eine persönliche Beleidigung hielt, da er es angeregt hatte, daß Bill die Geschichte erzählen sollte. – »Wenn es Sie nicht interessirt, so nöthigt Sie Niemand zuzuhören. – Erzähle, Bill, und kehre Dich nicht daran.«

»Erzürnen Sie sie nicht, Mr. Robert,« flüsterte der jüngere Gefährte dem andern zu.

Da es Payne allerdings daran lag, mit den Leuten in gutem Einvernehmen zu bleiben, so versuchte er nicht weiter, die Erzählung der Geschichte zu verhindern, sondern drehte der Gesellschaft den Rücken zu, sah aus die Straße hinaus und trommelte an den Fensterscheiben.

»Was ich zu erzählen weiß,« begann Bill, »das habe ich von dem alten Smith, dem Portier im Georgs-Hotel zu Elmira, mit dem ich öfter zusammentreffe, wenn ich Packete nach dem Gasthofe trage. Ihr könnt Euch also darauf verlassen, daß das Alles wahr ist, denn der alte Mann redet nicht die Unwahrheit. Die Geschichte, welche Bill hier erzählt, so unglaublich sie auch klingen mag, ist buchstäblich wahr; die etwas dunklen Andeutungen, welche in dem späteren »Mordprozesse« der Vertheidiger Payne's machte, beziehen sich auf das hier erzählte Factum.

»Abgemacht, wir glauben Dir – weiter!« unterbrach ihn der Kaminkehrer.

»Also dieser Smith hat einen Bruder, der ist Lazarethaufseher in dem Gefängniß zu Elmira, derselbe hatte eine Tochter, ein sehr liebenswürdiges Mädchen ...«

»Das brauchst Du auch nicht zu erzählen,« unterbrach ihn der Kaminkehrer von Neuem. »Wir kennen den alten Smith sowohl als seine hübsche Tochter Nelly, falls Du den Smith meinst, der früher Portier im Hause Powel & Co. war.«

»Ich meine denselben. Gut daß Ihr sie kennt, so brauche ich Euch nicht erst zu sagen, daß es leicht einem Mann passiren konnte, daß er sich in sie verliebte. Das ist nun auch einem Gefangenen passirt. Es war in Elmira ein gewisser Payne, der bei der Armee Arzt gewesen ist, er wurde auch im Lazareth in diesem Fache verwandt. Er verfolgte das Mädchen, aber sie war tugendhaft und gut erzogen und konnte ihn außerdem nicht leiden, weil er stets so was Düsteres, Verstecktes an sich hatte und furchtbar jähzornig war. Eines Tages, als sie zum Besuch bei ihrem Onkel in der Stadt gewesen war, ward sie krank nach Hause gebracht. Da kein anderer Arzt zur Stelle war, so rief man Mr. Payne. Es stellte sich heraus, daß sie das gelbe Fieber hatte.«

»Das gelbe Fieber!« wiederholten die Zuhörer. »Wie kam das, da doch dies Jahr die Epidemie hier nicht herrschte?«

»Das weiß man nicht,« fuhr der Erzähler fort. »Es ist möglich, daß es auch nur von dem Arzt vorgegeben wurde, um die Anwesenden zurückzuschrecken. Er bot Alles auf, mit der Kranken allein zu sein, aber trotz aller Kunstgriffe wollte es ihm nicht gelingen, dieselben zu entfernen. Sein Benehmen, sein stieres Auge, sein wildes Aussehen, das Alles kam den Leuten verdächtig vor, und sobald sie eines andern Arztes habhaft werden konnten, wurde derselbe geholt und Mr. Payne's Hilfe nicht weiter in Anspruch genommen. Das junge Mädchen starb die folgende Nacht. Ihre Leiche, auf einem Bette liegend, wurde, mit einem bloßen Hemde bekleidet, in eine Kammer gestellt, welche in der Nähe der Krankenzimmer des Lazareths liegt. – In der Nacht, als im ganzen Gebäude Alles still ist, schleicht ein Mensch durch den Korridor; die Thür der Kammer, in welcher die Leiche liegt, dreht sich leise in ihren Angeln. Den Posten schauderts. – Wer kann es sein, der um die Mitternachtstunde der Todten einen Besuch macht? – Er wagt sich nicht in die Nähe der Thür. Die Eltern der Gestorbenen sind inzwischen trostlos; der Schmerz und Gram über den Verlust ihres Kindes lassen sie nicht schlafen. Mr. Smith findet keine Ruhe, er kann dem Verlangen nicht widerstehen, sein Kind noch in der Nacht auf dem Todtenbett zu besuchen. Mit einem Licht in der Hand betrat er den Korridor. Der Posten steht zitternd, am Ende desselben und winkt Mr. Smith geheimnißvoll zu:

»Gehen Sie nicht dahin, Sir!« flüsterte er.

»Warum nicht?«

»Es spuckt dadrinnen.«

»Was? Es spuckt?«

»Ja, es ist Jemand drinnen bei Ihrer Tochter.«

»Wer?«

»Ein Gespenst, oder der leibhaftige Teufel. Ich hörte vorhin, als ich mich etwas näher schlich, ein Geräusch, wie wenn die Federn der Matratze knackten; es war gerade, als ob sich die Todte auf ihrem Lager bewege, und dabei hörte ich von einer Mannerstimme einen fürchterlichen Fluch ausstoßen!«

»Einen Fluch!« widerholte Mr. Smith angstbeklommen.

»Ja,« fuhr der Posten fort, »ich hörte von einer tiefen Stimme die Worte sprechen: »Ich habe es geschworen; es muß geschehen !«

Dem entsetzten Vater standen die Haare zu Berge. Der Posten schien ihm noch mehr berichten zu wollen; aber er wartete das Ende des Berichtes nicht ab, sondern keuchend vor Angst stürzte er nach der Kammer, wo sein geliebtes Kind lag. Er öffnete – sein erster Blick war auf das Lager, auf welchem seine Tochter lag; ... da – das Licht entsank seinen Händen. Er stieß einen fürchterlichen Schrei aus.« –

Je weiter die Erzählung verrückte, desto unruhiger wurde Payne. Bald sprang er auf und ging in das Nebenzimmer, bald kam er wieder und sah zum Fenster hinaus, bald warf er mit zusammengebissenen Lippen mißtrauische Blicke auf seinen Gefährten, welche dieser mit boshaftem Grinsen erwiderte: bald ballte er wüthend die Faust hinter dem Rücken des Erzählers, kurz, er geberdete sich in einer Weise, welche Jemand, der ihn beobachtet hätte, höchst ausfallend gefunden haben würde. Zum Glück für ihn waren die Zuhörer viel zu gespannt auf den Ausgang der Geschichte, um auf ihn zu achten. –

»Und was war es, was Mr. Smith sah, als er in die Kammer trat?« fragte mit gespannter Erwartung der Kaminkehrer.

»Er sah,« fuhr der Packetträger fort; »daß die Leiche nicht allein auf der Matratze lag; ein Mann lag neben ihr, sie in seiner Umarmung haltend!«

»Unglaublich!«

»Gräßlich!«

»Nichtswürdig! – Abscheulich!«

»Das muß ein Verrückter gewesen sein!«

»Du hast Recht!« sagte Bill zu dem, der zuletzt gesprochen hatte. »Es war, so wie Du sagst. Der Mann, der neben der Leiche auf der Matratze lag, sprang auf, rannte Mr. Smith über den Haufen und eilte durch den Korridor. Der empörte Vater jedoch raffte sich schnell auf, sprang ihm nach und schrie um Hilfe. Da ermannte sich auch der Posten. Der Entflohene wurde ergriffen und in ihm der gefangene Arzt Payne erkannt. Auf den Lärm versammelte sich eine große Menschenmenge, auch der Oberarzt erschien. Die Leiche wurde besichtigt, und es stellte sich heraus, daß sie geschändet war. Der Oberarzt erklärte – wie Du es eben thatest, Ned –dies sei die That eines Wahnsinnigen. Payne wurde deshalb in eine Zwangsjacke gesteckt und nach der Irrenstation transportirt.«

»Man müßte das Ungeheuer hängen!« erklärte entrüstet der Karrenschieber.

»Das ist noch zu wenig,« fügte der stämmige Arbeiter hinzu. »Ich habe gewiß Sympathie für den Süden und die Gefangenen des Südens, aber diesen Nichtswürden könnte ich mit meiner eigenen Faust mit kaltem Blute erwürgen.«

»Aber bedenket, daß er verrückt war!« erinnerte mit einem sarkastischen Lächeln der Gentleman mit der Galgenphysiognomie mit einem verstohlenen Blick auf Payne, welchen Blick Payne mit wüthendem Zähneknirschen erwiderte.

»Ei was, verrückt oder nicht! Solche Scheußlichkeit müßte aufs Härteste bestraft werden,« entgegnete der Kaminkehrer.

»Ganz meine Meinung,« stimmte der Gentleman mit der Verbrecherphysiognomie bei. »Und ich bin der Ueberzeugung, daß das Individuum, von dem die Rede ist, mit unseren Gesetzen einen schlimmen Conflict haben würde, wenn sich zufällig herausstellte, daß er nicht verrückt war. – Ich meine, daß ihm ein Platz zwischen Himmel und Erde sicher genug wäre.«

Er begleitete diese Worte wieder mit einem teuflischen Blick auf seinen Gefährten, was aber nur dieser allein bemerkte.

»Ich hätte das Vieh für würdig gehalten, den Galgen zu zieren,« sagte der Arbeitsscheue; und halte die Strafe der Einsperrung ins Tollhaus für viel zu gering, aber auch diese Strafe erleidet er nicht einmal, denn der Nichtswürdige ist entsprungen; was Bill zu erzählen vergessen hat.«

Der allgemeine Unwillen und die Indignation, selbst bei diesen Leuten, die zur niedrigsten Hefe des Volkes gehörten, machten sich in einer Weise Luft, welche es Payne dringend gerathen erscheinen ließ, das Gespräch auf eine andere Bahn zu lenken. Allein alle seine Versuche, die er zu dem Zweck machte, scheiterten theils an dem Reiz, den die Geschichte auf alle Zuhörer ausgeübt hatte, theils an der boshaften Freude, welche Payne's Gefährte in seiner Unruhe und in seiner Wirth fand. Bob Harrold wußte stets das Gespräch wieder auf das Thema zu bringen, so oft es durch Paynes Operation auf einen andern Gegenstand überzugehen drohte.

Vergebens forderte Payne sie zum Trinken auf, vergebens bestellte er bei der mürrischen Kellnerin ein ganzes Faß Bier, um mit seinen Freunden, wie er die Gesellschaft nannte, auf M'Clellan's Wohl zu trinken. Vergebens begann er immer von Neuem, einen Gegenstand der Politik auf's Tapet zu bringen. – Bob Harrold machte ihm stets einen Querstrich, und fand darin bei der übrigen Gesellschaft die lebhafteste Unterstützung.

Je mehr Payne vor Wuth schäumte, desto fideler wurde sein Freund und mit desto größerer Seelenweide verweilte er bei der Geschichte von der Leichenschändung und bei der Strafe, die den vermeintlichen Verrückten erwartete, falls sich Jemand finden sollte, der ihn der Behörde auslieferte.

Payne hatte durch diese unaufhörlichen Nadelstiche dermaßen die Fassung verloren, daß er in Gefahr war, sich durch sein auffallendes Benehmen selbst zu verrathen, was ohne Zweifel geschehen wäre, wenn nicht ein Ereigniß in die Unterhaltung eine unerwartete Wendung gebracht hätte.

Die Thür öffnete sich ein wenig, und durch die Spalte quälte die Stimme des Zeitungsjunge:

»Das Extrablatt des »Herold,« Gentlemen!«

Gleichzeitig flog das angekündigte Zeitungsblatt durch die Spalte.

Der Arbeitsscheue stürzte sich sofort darauf und begann die Zeilen zu lesen, welche gleich oben mit fetter Schrift gedruckt standen:

M'Clellan ist freigesprochen; jedoch seines Postens entsetzt. Den Oberbefehl über die Truppen der Union erhält der General Ulysses Grant. Wie verlautet, verlangt derselbe eine Verstärkung der Potomac-Armee um hunderttausend Mann; die Aushebungen werden deshalb unverzüglich beginnen.«

»Da haben wir's!« rief der Arbeiter und schlug mit der geballten Faust aus den Tisch. »Jetzt geht's mit den Aushebungen los; was wird uns übrig bleiben? – Wir lassen die Familien in Noth sitzen und lassen uns dieser nichtsnutzigen Schwarzen wegen todtschießen, der Teufel hole sie!«

Alle stimmten ihm bei; am lebhaftesten Payne, welcher hinzufügte:

»Und wer ist es, der seine Knochen zu Markt trägt? – Aber trinken Sie, Gentlemen; lassen Sie mich keine leeren Gläser sehen. Wenn das Faß zu Ende ist, wird Miß Lavvy nichts dawider haben, uns ein neues zu bringen. – Wer ist es, sage ich, der seine Knochen hergeben muß? ... Der Arbeiter ist es, denn der Reiche hat Geld und kann sich einen Ersatzmann kaufen. Der Arbeiter muß sich vor die Geschütze Lee's treiben lassen, während der reiche Faullenzer hier schwelgt! – Trinken Sie, Gentlemen – erlauben Sie, daß ich mit Ihnen anstoße. – Dieser ganze Krieg ist bloß von den reichen Faullenzern ersonnen, um den Armen zu ruiniren, und wird nicht eher aufhören, als bis unsere Parthei an der Spitze steht!«

»Brav gesprochen, Sir!« rief der Arbeiter. »Reichen Sie mir Ihre Hand. Ich kenne zwar Ihren Namen nicht ...«

»Ich heiße Robert.«

»Also gut, Mr. Robert, ich gebe Ihnen Recht und bin ganz Ihrer Meinung, welche die allerrichtigste ist.«

»Jawohl, Mr. Robert. Sie haben gut gesprochen Sir!« riefen Alle. »Mr. Robert, der Spender dieses Fasses und der Mann von unserer Parthei, lebe hoch!«

»Aber was zum Teufel sollen wir denn machen, um das zu ändern?« nahm Einer das Gespräch wieder auf.

»Wie ich Ihnen bereits sagte, unsere Parthei muß an die Spitze kommen,« antwortete Payne. »Und zu dem Zwecke muß man die Männer zum Teufel schicken, die jetzt da oben sitzen und den Krieg ersonnen haben, da ist z. B. Sewart, der Premierminister.«

»Jawohl, Sewart muß herunter! – Hm, ja – er ist zwar ein rechtschaffener Mann, aber um des allgemeinen Wohles willen muß er herunter.«

»Und der Kriegsminister Stanton!«

»Auch der!«

»Und vor allen Dingen Lincoln selbst!«

»Halt da, Sir!« unterbrach ihn der Arbeiter. »So sehr ich auch in allen Dingen Ihrer Meinung bin, dagegen muß ich protestiren. – Lassen Sie Old Abem Old Abem (der alte Abraham); so wurde mit einem Anstrich von Herzlichkeit und Vertraulichkeit gewöhnlich der Präsident Abraham Lincoln genannt. aus dem Spiele, wenn ich bitten darf!«

»Das ist auch unsere Meinung!« schrieen die Andern. »Reden Sie nichts von Old Abem, Sir!«

Payne fühlte, daß er zu weit gegangen sei; die Liebe und Verehrung wurzelte zu tief in den Herzen selbst der demokratischen Parthei, um so leicht daraus entfernt werden zu können; er lenkte deshalb schnell ein, indem er hinzufügte:

»Ich wollte sagen, vor allen Dingen müßte Lincoln Anstalten treffen, sich von dem Einfluß der Reichen frei zu machen, und die Nigger, diese Brut, welche all' das Unheil angerichtet hat, welche in neuester Zeit die scheußlichsten Mordthaten verübt – Sie haben ja selbst gehört, daß sie den Geistlichen zu Georgesville erschlagen haben – diese Bestien müssen vertilgt werden.«

Wieder laute Beistimmung von allen Seiten.

»Es ist aber ein schweres Ding, das durchzusetzen,« äußerte ein Irländer, welcher in der Aussicht, auf eine Umwälzung, die vortrefflichste Gelegenheit sah, seinen verbrecherischen Gelüsten in jeder Richtung Genüge zu thun. – »Wo finden wir einen Mann, der das durchsetzt?«

»Der Mann bin ich!« entgegnete Payne.

»Sie, Sir?«

»Ja, ich. Ich setze es durch. Natürlich mit Eurer Hilfe. Seid Ihr Männer, welche sich eine Ungerechtigkeit der Regierung nicht gefallen lassen wollen? Seid Ihr freie Männer?«

»Ja, das sind wir.«

»So werdet Ihr nicht dulden, daß der Krieg fortgesetzt wird zum Unglück des Staates. Ihr werdet Euch gegen die Aushebungen wehren!«

»Ja, das werden wir, beim Henker, wir wollen uns nicht für die Reichen hinschlachten lassen!«

»Ihr werdet auch nicht zugeben, daß man Euch; den intelligenten Bürgern des freien Staates, die Nigger, diese Halbmenschen gleichstellt.« –

»Nein, bei Gott, das ist ein Schimpf!«

»Gut, wascht diesen Schimpf ab, bringt die Regierung zur Raison. Ruft Eure Freunde zusammen, verseht Euch mit Waffen, und an dem Tage, den ich Euch bestimme, da wollen wir losbrechen, die Werbebüreaus zerstören und die Aushebungslisten vernichten, – die Schwarzen zum Teufel schicken, und die da oben stehen, zwingen, uns das Ruder in die Hand zu geben. Wollt Ihr?«

»Das ist ein schöner Plan!« rief der Irländer entzückt, und sein gieriges Auge funkelte. – Aber Sir, Sie wissen, daß Derjenige, der sich Truppen wirbt, auch Bounty zahlen muß.«

»Das will ich auch!« versetzte Payne. »Jeder von Euch, der mir oder diesem Gentleman« – er deutete auf Bob Harrold – »in die Hand gelobt, an dem zu bezeichnenden Tage an unserer Affaire Theil zu nehmen, erhält von mir sofort 20 Dollars zum Ankauf von Waffen. An dem betreffenden Tage selbst wird Jeder hinlänglich Gelegenheit haben, sich bezahlt zu machen – es fehlt ja in New-York nicht an reichen Abolitionisten,« fügte er mit bedeutsamem Lächeln hinzu.

»Das wird ein Tanz – ha, ha, ha!« jubelte der Irländer. – »Her mit den 20 Dollars; ich lasse mich sofort anwerben.«

Der Punsch, das Bier und das blanke Gold verfehlten ihre Wirkung nicht. Es blieb Keiner zurück. Jeder versprach, so viele Freunde zu gewinnen, wie möglich, und an diese sollte Harrold, der zu einer gewissen Stunde jeden Tages in dem Bierhause sein sollte, das Werbegeld auszahlen. Harrold sollte auch an dem verhängnißvollen 9. September den Banden das Signal zum Beginn der Revolte geben. Dann wurden die Gebäude, Institute und Persönlichkeiten näher bezeichnet, welche der Vernichtung preisgegeben werden sollten.

Es war während dieser Berathungen späte Nacht geworden.

New-York schlummerte in tiefem Frieden und ahnte nicht die unheilvolle Nähe des unsichtbaren Feindes.


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