Berthold Auerbach
Das Landhaus am Rhein / Band IV
Berthold Auerbach

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Fünfzehntes Capitel.

Eine Woche war vorüber; die Professorin hatte sich wieder erholt, sie war nur noch matt und ruhebedürftig.

Es war am Sonntag Abend, da strömte ein Menschengewühl auf der weißen Straße, stromab, stromauf und zwischen den Weinbergen hin und her; Alles schien nur Ein Ziel zu haben.

In seinen Mantel gehüllt saß Sonnenkamp auf dem flachen Dache seines Hauses und schaute ringsum in die Landschaft. Soll er sich von hier vertreiben lassen?

Nein, Trotz bieten der Welt; vor dem Muthe beugt sie sich . . .

Es wurde Nacht; da tönte ein Geheul, ein Gejohle, ein Pfeifen, Rasseln und Klirren, wie wenn die Hölle losgelassen wäre. Sonnenkamp richtete sich auf. Bei Fackelschein sah er wunderliche Gestalten mit schwarzen Gesichtern. Was ist das? Ist das Einbildung? Kamen sie heran, die Geschöpfe mit Menschengestalt, aus der fernen Welt?

»Hinaus aus dem Land muß er!« rief es von unten.

»Zu seinen Schwarzen soll er!«

»Wir wollen ihn holen und schwarz anstreichen!«

»Und auf seinen Gaul binden, durchs Land führen und rufen: Das ist er!«

Wieder Pfeifen, Johlen, Schmettern, Rasseln und schrilles mißtönendes Aneinanderschlagen von Töpfen und Kesseln . . . es war ein Höllenlärm.

Vor der Erinnerung Sonnenkamps stieg das Bild auf, wie ein Mann, angeschuldigt, die Sklaven lesen gelehrt zu haben, nackt, getheert, mit Federn beklebt, durch die Straßen getragen und mit faulen Aepfeln und Kohlstrunken beworfen wurde.

Jetzt knallte ein Schuß; die Stimme Pranckens tönte: »Auf meine Verantwortung, schießt die Hunde nieder!«

Es knallte noch ein Schuß, dann rollte und raste es, das Thor krachte und herein drang eine wilde Rotte, Alle mit schwarzen Gesichtern, und Geschrei wurde laut:

»Wo ist er?«

»Gebt ihn heraus, oder wir zerschlagen Alles!«

Sonnenkamp eilte vom Dache herab durch das Haus; er stand auf dem offenen Balcon; da hörte er die Stimme Erichs, der mit gewaltigem Ruf die Menge ermahnte.

»Seid Ihr Menschen? Seid ihr Deutsche? Wer hat Euch zu Richtern gemacht? Sprecht! Ich will Euch antworten. Ihr bringt Euch selbst ins Elend. Ihr habt Eure Gesichter geschwärzt, aber Ihr werdet doch erkannt. Morgen kommt der eingesetzte Richter, wir sind in geordnetem Staate und Ihr verfallt alle der Strafe.«

»Dem Hauptmann geschieht nichts!« rief eine Stimme aus der Menge.

Erich fuhr fort:

»Ist Einer unter Euch, der sagen kann, was Ihr wollt, der trete vor.«

Ein Mann mit geschwärztem Antlitz, den Erich nicht sofort erkannte, trat vor und sagte:

»Herr Hauptmann, ich bin's, der Krischer; lassen Sie mich reden. Der junge Wein ist mit unter den Leuten da drunten. Ich bin katzennüchtern,« setzte er mit lallender Zunge hinzu.

»Was wollen denn die Menschen?«

»Sie wollen, daß Herr Sonnenkamp, oder wie er heißt, unsere Gegend verlasse und wieder dahin gehe, von wo er gekommen ist.«

»Hinaus soll er!«

»Und meine Wiese soll er mir wiedergeben!«

»Und mir meinen Weinberg!«

»Und mir mein Haus!«

So rief es da und dort aus dem Haufen.

Der Krischer stellte sich schnell zu Erich auf die Freitreppe und rief den Versammelten zu:

»Wenn ihr so wahnsinnige Sachen ruft und so dumm durch einander, so bin ich der Erste, der einen Eindringenden erwürgt.«

»Fort soll er!«

»Hinaus! Hinaus!« riefen Alle.

Eben als dies gerufen wurde, trat Sonnenkamp auf die Freitreppe. Geheul, Geschrei, Beckenschlagen ging von Neuem los; Steine flogen durch die großen Scheiben, daß sie klirrten.

Der Krischer eilte die Treppe hinan, stellte sich vor Sonnenkamp und sagte:

»Seien Sie ruhig, ich decke Sie.«

Dann schrie er mit heiserer Stimme:

»Wenn noch ein Wort gerufen wird, wenn nicht ein Jeder seinen Nachbar hält, daß er keinen Arm rühren kann, dann bin ich der Erste, der unter Euch schießt, treffe es dann Schuldige oder Unschuldige.«

»Ihr Männer, was habe ich Euch denn gethan?« rief Sonnenkamp.

»Menschenfresser!«

»Menschenverkäufer!«

»Menschenhändler!« schrie es aus der Versammlung. »Hinaus sollst Du!«

»Hinaus! Hinaus!«

»Herr Sonnenkamp und Herr Hauptmann,« sagte der Krischer hastig zu den Beiden, »ich habe mich der wilden Rotte nur angeschlossen, weil sie nicht mehr zurückzuhalten war; aber ich krieg' sie am Halfter, überlassen Sie nur Alles mir und wir machen eine Fastnachtsposse aus der ganzen Geschichte. Reden Sie zuerst, Herr Hauptmann, ich bitte, Herr Sonnenkamp, reden Sie nicht.«

»Ihr Männer,« begann Erich, »hat nicht Jedes von Euch etwas gethan, das . . .«

»Wir haben keinen Menschen verkauft! . . . Menschenfresser!« rief es von unten.

Erich kam nicht weiter zu Wort. In diesem Augenblick erschien Manna; sie hielt einen Armleuchter mit zwei brennenden Lichtern in der Hand. Ein Ausruf des Erstaunens ging durch die Rotte, Alles war eine Secunde still, denn Aller Blicke waren auf das Mädchen gerichtet, das dastand, blassen Antlitzes, funkelnden Auges.

Roland stellt sich neben Erich und mit einer Stimme, die weithin tönte, rief er:

»Kommt her, wir sind wehrlos!«

»Den Kindern soll nichts geschehen!«

»Aber der Menschenverkäufer muß fort!«

»Ja, fort muß er!«

»Hinaus!«

Und wieder schien der Tumult zu wachsen; die Gruppe drunten wogte hin und her und Einer schien den Andern anzustoßen, vorwärts zu gehen; selbst die auf der Freitreppe standen, wichen zurück.

Die Professorin erschien unter der Thüre über der Freitreppe. Die Lärmenden im Hof verstummten und schauten staunend auf, die auf der Freitreppe Versammelten wendeten sich um und sahen die Professorin. Sie schritt ruhig vor bis an das Geländer. Kein Laut wurde vernehmbar. Und sie sprach; ihre Stimme wurde weithin gehört:

»Verderbt Euch nicht selbst; haltet ein, damit Ihr nicht morgen weinet über heute.«

Ihre Stimme wurde mächtiger und sie rief:

»Besiegt Euch selbst!«

Sie legte die Hand auf die Schulter Sonnenkamps und mit gewaltiger Stimme rief sie:

»Dieser Mann hier, der Euch Gutes gethan, wird ein so Großes thun, daß Ihr Alle versöhnt seid; ich verspreche es Euch. Glaubt Ihr mir?«

»Ja, der Professorin glauben wir!«

»Die Professorin soll leben . . . hoch! hoch!«

»Kommt fort, heim . . . es ist genug!«

Ein Mann, der eine Trommel bei sich hatte, fing an, einen Marsch zu trommeln, und eben als die wilde Rotte zum Fortgehen sich anschickte, kam etwas daher gerasselt; Helme blinkten, es war die Feuerwehr, und plötzlich zischte ein Wasserstrahl über Alle herab. Auch von der andern Seite kam ein Regen, denn Joseph war zum Obergärtner geeilt und die Berieselung des Gartens wurde nun auch benutzt. Hoch spritzten von beiden Seiten die Ströme, und grölend, lachend und fluchend zogen Alle davon.

»Mutter, Du da? Du von Deinem Krankenlager?« sagte Erich.

»Ich bin nicht mehr krank.«

»Sie federn ihn! Sie federn ihn!« rief Frau Ceres plötzlich aus dem Fenster.

Manna eilte zu ihr und beruhigte sie.

Auf der Freitreppe that Sonnenkamp seinen Mantel ab und legte ihn über die Professorin; man führte die alte Frau nach dem großen Saal; dort setzte sie sich nieder, ihre Augen glänzten wundersam und Alle bemühten sich in Sorgfalt um sie.

Roland kniete vor ihr nieder, faßte ihre Hände und weinte schwere Thränen darauf.

»Jetzt nur Ruhe,« sagte die Professorin, »ich bitte Euch. Ich bin ruhig, regt mich nicht weiter auf . . . Herr Sonnenkamp, geben Sie mir Ihre Hand. Sie müssen etwas thun, um die empörten Gemüther zu beschwichtigen. Ich weiß noch nicht, was.«

»Ich werde etwas thun. Ich werde ein Gericht aufrichten, wie hier zu Lande noch keines war. Sie selber, verehrte Frau, sollen mitwirken.«

Erst spät gingen die in der Villa Versammelten auseinander. Sonnenkamp that es nicht anders, die Professorin mußte auf der Villa sich zur Ruhe begeben, und Erich saß am Bett seiner Mutter, bis sie einschlief.

Draußen am Rhein standen viele Menschen und wuschen sich die schwarzen Gesichter wieder ab, und der Rausch vom jungen Wein verflog. Eine schwarze Welle zog in der Nacht an der Villa vorüber, den Strom hinab ins Meer . . .

Wenn nur auch die schwarze That so abzuwischen wäre!


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