Berthold Auerbach
Das Landhaus am Rhein / Band IV
Berthold Auerbach

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Achtes Capitel.

»Ein Haus ohne Tochter ist wie eine Wiese ohne Blume,« sagte der Major, der mit der Professorin und Sonnenkamp zusah, wie auf der Wiese, die von der Villa nach dem grünen Hause führte, die jungen Leute mit Reifen spielten.

Lina hatte es dahin gebracht, daß Manna theilnahm, und im Verein mit der Kammerfrau es auch vermocht, daß sie ein sommerlich hellfarbiges Kleid und im Haar ein dunkelrothes Sammetband trug, wodurch ihr reiches schwarzes Haar als voller Schmuck erschien.

Im weiten Kreise standen die jungen Leute, schnellten bunt umwickelte Reifen in die Luft und fingen sie mit seinen Stäbchen auf.

Auch der Architekt war dabei; er war auf den besonderen Wunsch Manna's geladen worden, Niemand außer ihr und Lina wußte, warum das geschehen.

Roland hatte gebeten, daß Erich mitspiele, er weigerte sich anfangs, aber Lina zog ihn in den Kreis und rief:

»Wer nicht mitspielt, hat eine Perrücke und fürchtet, sich zu verrathen.«

Prancken grüßte mit seinem Stabe fast militärisch, als wäre es ein Degen. Nun war lustiges Lachen und Springen auf der Wiese und eine volle Augenlust, die schönen Bewegungen Rolands, noch mehr aber die Manna's zu sehen. Wenn sie emporblickte und einen Arm ausstreckte, war es, als ob ihr Auge nach etwas Anderem gerichtet wäre, als stände sie in einer Verzückung und es müßte nicht ein Reif, sondern irgend eine Himmelserscheinung kommen, die sie festhielte. Rechts von ihr hatte sich Prancken, links Erich aufgestellt; Prancken warf so geschickt, daß sie den von ihm geworfenen Reifen stets auffing, Erich dagegen warf entweder zu hoch oder zu tief, sie mußte sich stets bücken, um den Reifen vom Boden aufzunehmen. Roland und Lina spotteten über seine Ungeschicktheit, aber es schien fast, als ob er es absichtlich thäte, denn bei dieser Bewegung zeigte sich die Anmuth Manna's immer auf's Neue.

Ein besonderes Kampfspiel war zwischen Lina und Roland, sie rang mit dem Jüngling, als wäre sie selbst ein wilder Knabe, sie suchten einander niederzuwerfen beim Auffangen eines aus der Linie geworfenen Reifens. Roland ward nicht zu Falle gebracht, er schlüpfte behend unter allen Angriffen durch, und der Architekt lächelte, indem er die rehbraunen Stiefeletten Lina's betrachtete. Als Erich einmal rasch vorstürzte, um den sich zur Seite verirrenden Reif, den Manna geworfen, noch aufzufangen, fiel er der ganzen Länge nach auf die Wiese.

Manna lachte laut auf.

Kaum hatte Lina dies gehört, als sie in die Hände klatschte und rief:

»Die Prinzessin ist erlöst! Herr Hauptmann, Sie haben sie erlöst! Manna ist die Prinzessin gewesen, die nicht lachen kann. Wie wollen wir den Ritter heißen, der sie uns erlöst hat?«

Erich verstand es, seinen Unfall zu einem Scherz zu machen.

Noch nie hatten die Wangen Manna's von solcher Röthe geglüht wie heut; der Bann, der auf ihr lag, schien gelöst, ein einziges Lachen, ein tiefes, herzliches, kindisch volles, hatte ihr eine Belebung gegeben.

Lina ging zu Herr Sonnenkamp und sagte:

»Hoher Fürst! Der Ritter, der die Prinzessin zum Lachen gebracht, dessen Ruhm muß der König durch den Herold vom Thurm der Lichtenburg herab durch alle Lande verkünden lassen.«

Sie ahmte dem Herold nach.

Jetzt war Lina ganz in ihrem Element. Sobald es eine Lustbarkeit gab, eine Neckerei, war sie klug, erfinderisch, übermüthig, voll überraschender Einfälle; sobald man aber in ein ernstes Gespräch einlenkte, saß sie immer da, folgsam und demüthig, aber ihr Blick sagte:

Das ist gewiß recht schön, was ihr da sagt, aber mir schmeckt es nicht; und daß die Menschen von all dem Gescheidtreden gesünder und lustiger geworden sind, habe ich noch nie gesehen.

Man kehrte in die Villa zurück.

Lina hatte ihren Hut an einen Strauch gehängt, der Architekt trug ihr denselben nach, er streichelte die braunen Knüpfbänder und betrachtete das braune Strohgeflecht und die künstlichen herbstlich bereiften braunen Weinblätter. Er übergab Lina den Hut und unter demselben drückten sie einander die Hand. Der Architekt sagte, er müsse nochmals nach der Burg, um Anordnungen für den nächsten Tag zu machen.

Nur eine Sekunde sah Lina nachdenklich dem Davongehenden nach, dann sprang sie behend die Freitreppe hinan in den Musiksaal, setzte sich ans Klavier und spielte zum Tanze auf, denn getanzt mußte heute auch noch werden. Als nun Prancken Manna scherzend zum Tanze aufforderte, sprang Lina vom Klavier auf.

»Nein, das geht nicht! Zuerst kommt der Ritter von der ins Gras gefallenen Philosophie, der die Prinzessin erlöst hat.«

Lina that es nicht anders, Manna mußte zuerst mit Erich tanzen. Claudine war bereit, aufzuspielen, so daß Lina nun auch tanzen konnte. Mit einem schelmischen Knix forderte sie Herrn von Prancken auf und tanzte mit ihm hinter Erich und Manna drein.

»Ich begreife gar nicht, daß ich tanze,« sagte Manna, während sie sich wie schwebend am Arme Erichs durch den großen Saal drehte.

»Ich auch nicht,« erwiderte Erich.

Claudine mußte immer weiter spielen, denn Prancken forderte Manna auf; sie athmete noch hastig, er hielt sie eine Weile an der Hand, bevor er sich mit ihr im Kreise drehte. Roland tanzte mit Lina und wollte gar nicht aufhören.

Sonnenkamp sagte zur Professorin, wie gut sich das Alles nun gefügt, er hätte nimmermehr geglaubt, daß sein aus dem Kloster heimgekehrtes Kind in diesem Saale vor ihm tanzen würde. Er hatte zu Frau Ceres geschickt, sie möge doch auch zusehen. Sie kam, und nun mußten Prancken und Manna noch einmal vor ihr tanzen. Sonnenkamp pries es als einen guten Gedanken seiner Frau, Manna zu Ehren einen großen Ball zu geben, diese aber wehrte entschieden ab. Lina bat leise die Eltern, man solle heute Manna nicht weiter bedrängen, sie werde schon Alles zu Stande bringen.

Nach dem Abendessen wünschte Lina, daß man noch einmal tanze, sie wollte, daß man heut gar nicht schlafen gehe. Sie hatte das ganze Haus und vor Allem Manna in neues Leben gebracht.

Sie war so voll übersprudelnder Heiterkeit, daß selbst Erich, der sie bisher gleichgültig betrachtet hatte, sich ihr freundlich näherte.

»Ja,« sagte sie, »damals, wissen Sie noch? Hätten Sie damals geglaubt, daß Sie mit dem geflügelten Wesen tanzen würden? Nicht wahr, sie ist ein himmlisches Geschöpf? Ach, und wenn Sie sie erst wieder so lustig sehen. Ich freue mich darauf, wie Sie verliebt in Manna werden . . . so verliebt, schrecklich verliebt. Wollen Sie mir etwas versprechen?«

»Was denn?«

»Daß Sie am ersten Tage, wenn Sie verliebt sind, es mir sagen.«

»Wenn ich mich nun aber in Sie verlieben würde?«

»Ach, gehen Sie, ich bin viel zu dumm für Sie; für Herrn von Prancken wäre ich gescheidt genug gewesen, aber ich bin versorgt und aufgehoben. Hat Ihnen Manna noch nichts von mir gesagt? Haben Sie noch nichts errathen?«

Erich verneinte und Lina fuhr fort:

»Thun Sie es mir zu lieb und schnappen Sie Manna dem Baron Prancken weg.«

»Warum lacht Ihr denn so sehr?« trat Manna bei diesen Worten auf die Beiden zu.

»Sagen Sie es ihr,« neckte Lina.

Als Erich schwieg, fuhr sie fort:

»Er kann Dir's sagen, aber er ist entsetzlich hinterhältig und verschlagen. Manna, gib keine Ruhe, bis er Dir es sagt. Herr Hauptmann, wenn Sie es nicht gleich sagen, so sage Ich es.«

»Ich traue Ihnen Haltung genug zu,« erwiderte Erich sehr ernst, »daß Sie einen Scherz nicht muthwillig ins Gegentheil verkehren.«

Die Mienen Lina's veränderten sich und sie sagte:

»Ach, Manna, er ist schrecklich gelehrt. Der Vater sagt es auch, er sieht die Menschen durch und durch. Hast Du nicht auch manchmal Angst vor ihm?«

Ohne Antwort zu geben, nahm Manna Lina unter den Arm und ging mit ihr durch den Garten und Lina plauderte und scherzte und sang durcheinander . . .

Als Manna endlich allein auf ihrer Stube war, däuchte es ihr, die Bilder an der Wand schauten sie an und fragten: wer bist Du denn? Sie schlug die Augen nieder vor den stummen Bildern, dann warf sie sich auf die Kniee und in ihr sprach es: Das mußte so sein, Du solltest alle eitle Lebenslust wieder kennen lernen, um sie zu überwinden. In ihr zerknirschtes Gebet hinein tönten lustige Walzer und fröhliches Lachen.

War es die Lebenslust, die sich in ihr regte, oder war es ein Anderes?

Am andern Tage mußte sie in neue Lustbarkeit hinein.

Man zog nach der Burg, wo der Architekt mit einer Art feierlichen Ernstes eine würzige Maibowle bereitete. Die Gesellschaft saß auf dem Vorsprung der Burg, man schaute aus in die weite Landschaft und Lina war so glückselig, daß sie die übermüthigsten Tiroler Jodellieder sang. Sie sang im Freien fast noch besser als im Zimmer, und dazu hatte sie gute Begleitung, denn sie sang auch ein Duett mit dem Architekt.

Auch hier wurde Erich aufgefordert, daß er singe, auch hier versagte er es.

Lina brachte es dahin, daß Manna den Maiwein credenzte und zuerst aus dem bekränzten Pokale trank. Sie sagte scherzend, wenn sie es nur dahin bringen könnte, daß wieder die alte Manna oder eigentlich die junge Manna herauskäme. Diese schien heraus zu wollen, aber noch hatte Manna Kraft genug, sich zurückzuhalten, nur lachte sie heut bei den kleinsten Scherzen Lina's.

Roland nickte Erich zu, aber dieser sagte ihm leise, er solle nicht auf die Heiterkeit Manna's aufmerksam machen, denn damit zerstöre man dieselbe.

Es wurden Kränze gewunden, Lina erinnerte an das erste Eintreten Erichs aus Wolfsgarten. Der Abendstern glänzte am Himmel, als man bekränzten Hauptes wieder von der Burg nach der Villa zog.

Am letzten Abhang sprang Manna behend den Berg hinab, Lina sprang ihr nach, und drunten am Berge umarmte Lina die Jugendfreundin und rief ihr zu:

»Du bist erlöst! Du hast die drei besten Dinge auf der Welt, Du hast gelacht, getanzt, getrunken . . . Nein, das sind doch nicht die besten, das Beste kommt noch.«

Manna blieb still.


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