Berthold Auerbach
Das Landhaus am Rhein / Band IV
Berthold Auerbach

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Drittes Capitel.

Wie im Märchen gingen sie im Garten hin und her und pflückten Blumen. Sie gingen zuerst durch den Gemüsegarten, wo in regelmäßiger Entfernung kleine Zwergbäume standen; Lilian erklärte in hausmütterlicher Weise dem Gaste Alles und schloß:

»Da ist kein Rosenstock, kein Baum, den die Tante nicht selbst oculirt hat, und sie hat einen schrecklichen Haß auf alles Ungeziefer. Denk Dir nur, was die Tante Alles zum Ungeziefer rechnet! Aber Du mußt sie nicht darüber auslachen.«

»Was denn?«

»Die Vögel hält sie auch für Ungeziefer. – Ach, Du lachst gerad so wie mein Bruder Hermann. Lach noch einmal! Ja, gerad so lacht er. Mein Bruder ist aber schon drei Jahre im Geschäft. Komm, jetzt wollen wir Blumen suchen.«

Sie gingen nach dem Blumengarten und pflückten Blumen mancher Art, aber Lilian warf einen ganzen Strauß in den Bach und vergnügte sich im Ausdenken, wie die Blumen in den Rhein fließen und vom Rhein ins Meer und wer weiß, ob sie nicht nach New-York kommen, noch bevor sie selbst da ist.

»Ich komme auch zu Dir nach Amerika,« sagte Roland.

»Gib mir die Hand darauf.«

Zum ersten Mal reichten sie einander die Hand.

Da knallte ein Schuß hinter ihnen. Roland erzitterte.

»Sei nur ruhig. Bist Du denn so furchtsam?« beschwichtigte Lilian. »Es ist die Tante, sie verscheucht nur die Sperlinge, sie schießt jedesmal, wenn sie in den Obstgarten kommt. Dort auf dem Tisch liegt immer ein Pistol.«

Roland sah jetzt Frau Weidmann, wie sie das abgeschossene Pistol auf den Tisch legte.

Sie setzten sich miteinander am Bachesrande nieder und leise sagte Lilian:

»Die Reseda will ich behalten, die riechen so gut, auch wenn sie vertrocknet sind.«

»Ja,« fügte Roland hinzu, »gib mir auch eine Reseda und so oft wir daran riechen, wollen wir an einander denken. Der Krischer hat mir gesagt, daß die Reseda am meisten Honig gibt.«

»Du bist aber gescheidt!« jauchzte das Kind. »Sag, meinst Du auch, daß die Bienen die Blumen so riechen wie wir, und daß sich die Blumen so buntfarbig aufputzen, damit die Bienen und die Fliegen zu ihnen kommen und freundlich mit ihnen sind? Denk nur! Das behauptet Herr Knopf. Ach, was für ganz klein winzige Nasen müssen die Bienen haben! Und daß die Hummel nicht gescheidt ist, das hab' ich schon oft gesehen; zwei, dreimal fliegt sie auf eine Blume, wo sie doch weiß, daß da gar nichts zu finden ist. Die Hummel ist dumm, aber die Bienen – Hast Du die Bienen auch am liebsten?«

»Nein, ich habe Pferde und Hunde lieber.«

»Und denk nur,« fuhr Lilian fort, »mir thun die Bienen gar nichts und dem Onkel auch nicht, aber die Tante muß sich in Acht nehmen. Hast Du auch schon einmal einen Schwarm eingefangen?«

»Nein.«

»Wenn Du einmal ein großer Gutsherr bist, mußt Du Dir auch Bienen anschaffen. Die Bienen gedeihen nur in einem Hause, wo Frieden ist, hat mir Herr Knopf gesagt. Und wenn wir morgen abreisen, nimmt der Vater einen Bienenstock mit. Wir setzen ihn auf unsere Farm. Ach, wenn wir ihn nur gesund in die neue Welt bringen; es wäre doch schrecklich, wenn all die guten Bienen unterwegs sterben müßten. Aber schön wird's sein, wenn sie in Amerika aufwachen und hinausfliegen und sehen da ganz andere Bäume.«

»Ist es denn wahr, daß Ihr schon morgen fortgeht?«

»Ja, der Vater hat's gesagt, und wenn der etwas gesagt hat, kannst Du Dich darauf verlassen, so sicher, als morgen die Sonne aufgeht. Jetzt sag', was willst Du denn werden?«

»Soldat.«

»Ach, das ist schön, dann kommst Du zu uns und hilfst Alle todtschlagen, die Sklaven haben. Der Vater und der Onkel sagen, es geht bald los. Ach, wenn es nur noch wäre wie in alten Zeiten, dann würden wir mit einander fortziehen in den wilden Wald, weit in die Welt hinein, und da kommen wir auf ein Schloß und da sind lauter winzig kleine Zwerge und da ist ein Einsiedler, ein gar guter Mann mit schneeweißem Bart, den haben alle Thiere im Walde gern . . . und der Herr Knopf könnte so ein Einsiedler sein . . . Ja, er soll unser Einsiedler sein und er heißt ja Emil Martin. Von heut an wollen wir ihn immer Bruder Martin heißen.«

Roland fragte:

»Warum mußt Du denn morgen schon fort?«

»Warum mußt du denn hier bleiben?« entgegnete Lilian.

»Ich muß bei meinen Eltern bleiben.«

»Und ich bei den meinen. – Ach, Du hast ja schon einen Bart,« rief Lilian plötzlich und zupfte Roland am Flaum.

»Das thut weh; Du reißest mir ja die paar Haare aus, auf die ich stolz bin.«

»So, Du bist stolz darauf?«

Und sie streichelte ihn und sprach einen sogenannten Heilsegen dabei, den sie von Knopf gelernt hatte zum Heilen einer Wunde.

»Wo ist denn Dein Hund?« fragte Lilian.

»Er muß mit Erich gegangen sein. Wo er nur sein mag?«

Er pfiff laut; Greif kam herbei.

Lilian liebkoste den Hund, küßte ihn und gab ihm alle guten Worte.

»Ich schenke Dir den Hund,« sagte Roland.

»Siehst Du?« rief Lilian, »er schaut Dich und mich verwundert an, er merkt, daß er einem Andern übergeben werden soll wie ein Sklave. Aber, Roland, ich darf den Hund nicht mitnehmen, ich darf dem Vater gar nichts davon sagen. Denk nur die viele Mühe, die wir mit dem Hunde hätten bis nach New-York; behalte Du ihn nur.«

Roland hatte nachdenklich dreingestarrt; jetzt fragte er:

»Hast Du schon Sklaven gesehen?«

»Nein, sobald sie zu uns kommen, sind sie es ja nicht mehr. Aber ich habe schon Viele gesehen, die es gewesen sind; Einer ist ein Freund vom Vater, und der Vater geht Arm in Arm mit ihm über die Straße. Komm her, Greif,« unterbrach sie sich plötzlich, »da hast Du etwas.«

Sie gab Greif Zuckerbrod zu essen, das sie in der Tasche hatte, der Hund leckte noch lange mit der Zunge seine Lefzen und stand da, in die Landschaft hinausschauend.

Geraume Zeit sprach Keines ein Wort; dann fragte Lilian wieder:

»Hast Du auch eine kleine Schwester?«

»Nein, sie ist ein Jahr älter als ich.«

»Und ist sie auch schön?«

Lilian wartete die Antwort nicht ab, sie winkte Roland, denn eben lief ein Marienkäferchen an ihrer Hand empor.

»Gib Acht,« sagte sie, »jetzt arbeitet es seine Flügelchen unter dem Rückendeckel vor und rüstet sich mit den verborgenen Flügeln. Hui! fort ist es. Das wird viel zu erzählen haben, wenn es heimkommt. Ach, wird es sagen, da ist ein großes Thier gewesen und das hat fünf Bäume an der Hand – meine Finger müssen ihm doch wie Bäume vorkommen, und wenn es dann mit den Seinen zu Nacht ißt – Sag', Roland, bist Du nicht auch hungrig? Ich bin hungrig.«

»Was macht Ihr da?« rief plötzlich eine starke Frauenstimme. »Kommt ins Haus.«

Lilian sagte leise zu Roland:

»Wir kriegen etwas Gutes zur Nacht, Pfannkuchen mit Schnittlauch. Siehst Du nicht den Schnittlauch, den die Tante abgeschnitten in der Hand hält? Der ist zu den Pfannkuchen.«

Sie gingen mit Frau Weidmann ins Haus.


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