Berthold Auerbach
Das Landhaus am Rhein / Band IV
Berthold Auerbach

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Siebentes Capitel.

Manna war freundlich gegen alle Menschen, aber Niemand ahnte den Grund dieser Freundlichkeit. Alle Menschen erschienen ihr so arm, verloren, gefangen. Was zu ihr gesprochen wurde, hörte sie immer mit einem Gedanken, der daneben stand. Das sprichst Du, das Weltkind, sagte dieser Nebengedanke. Wenn sie sich an einer Lustfahrt betheiligte, war es beständig, wie wenn etwas in ihr sagte: Das bist nicht Du, es ist nur Deine Erscheinung, die das mit unternimmt, Du selbst bist in einer ganz andern Welt – drüber, draußen.

Jedes war erquickt von ihrer Freundlichkeit, von ihrer Sanftmuth, von ihrem treuen Anhören, und doch war es, wie wenn ein Theil ihres Wesens allem dem nur geliehen wäre; sie war nicht selbst und nicht ganz dabei.

Manna saß zu Pferde und ritt mit Prancken, Erich und Roland in der Gegend umher. Auch Sonnenkamp schloß sich auf seinem großen Rappen manchmal den Reitern an; es war ein heiteres Treiben und ein ehrenvolles zugleich, denn überall begegnete man einer Ehrerbietung, die nicht nur von denen gegeben wurde, die die Professorin und Fräulein Milch beschenkt hatten, sondern auch von den Wohlhabenden und Unabhängigen. Wo man einkehrte und anhielt, empfing man neue Bestätigung, daß die ganze Gegend stolz war auf einen Mann wie Sonnenkamp.

Eines Tages ritten Manna, Prancken, Roland, Erich und Sonnenkamp die schöne mit Nußbäumen eingehegte Straße dahin.

Manna, die mit ihrem Vater und Prancken vorausritt, streichelte ihr schönes weißes Pferd und Prancken war glücklich, daß das Pferd seiner Herrin sich würdig zeigte. Im Vorüberreiten riß sie ein Nußblatt ab und erzählte, Erich finde es eine unschöne Neuerung, daß die Anpflanzungen an den Straßen nur noch Linden oder andere Holzbäume seien; der Nußbaum gehöre zum Rhein, er sei schön und ergiebig und biete zuletzt noch übermüthigen Knaben eine herbstliche Beute.

Da sahen sie eine Procession daher kommen. Manna hielt so plötzlich an, daß sie fast vom Pferde stürzte. Sie stiegen ab, auch Erich und Roland mußten absteigen. Die Reitknechte führten die Pferde bei Seite; Manna ging mit der Procession und sang mit den Wallfahrern, auch Prancken sang laut. Bei einer Capelle am Wege kniete Manna nieder und Prancken kniete neben ihr. Erst als sie sich aufrichtete, sah sie, daß Prancken allein bei ihr war und die Andern sie verlassen hatten; sie warteten in einem Feldwege bei den Reitknechten, die die Pferde hielten.

Die Procession zog davon; Manna und Prancken waren allein; von ferne tönte das Murmeln der Wallfahrer. Prancken hielt die Hände gefaltet und schaute Manna wie betend an.

»Manna,« begann er – er nannte sie zum ersten Male so – »Manna, so soll unser Leben sein! Die Gnade des Himmels, daß wir getragen vom Besitze, von edlem Namen, uns frei erheben dürfen, erkennen wir, sind aber jeden Augenblick bereit, mit unsern Brüdern und Schwestern uns zu vereinigen, die in groben Schuhen und barfuß die heiligen Wege gehen. Manna, so wollen wir leben!«

Er ergriff ihre Hand, sie ließ sie ihm eine Sekunde, dann zog sie sie zurück und er fuhr fort:

»Noch habe ich Ihnen nicht gesagt, daß auch ich mit dem Entschlusse rang, der Welt zu entsagen. Auch Sie haben gerungen, groß und fromm, und sind in die Welt zurückgekehrt; ich lege mein Herz, meine Seele, mein Seelenheil in Ihre Hand . . . treten Sie mit mir in die Capelle.«

Er faßte nach ihrer Hand, aber in diesem Augenblicke rief Erich:

»Fräulein Manna!«

»Was gibt's? Was wollen Sie?« fuhr Prancken auf.

»Fräulein Manna, Ihr Herr Vater läßt Ihnen sagen, daß dort ein bequemer Markstein sei, von dem aus Sie wieder zu Pferde steigen können.«

»Ich reite nicht mehr, ich gehe zu Fuß nach Haus,« erwiderte Manna, und – wußte sie es, daß Prancken ihr nicht folgte, oder wußte sie es nicht – sie ging mit Erich weiter. Erst nach einer guten Strecke wendete sie sich zurück, und da sie Prancken noch regungslos auf seinem Platze stehen sah, rief sie, er möge doch auch kommen.

Trotz alles Zuredens stieg sie nicht wieder zu Pferde, sie ging den weiten Weg in dem schweren Gewande zu Fuß.

Sie sprach kein Wort mehr, ein seltsamer Trotz lag auf ihrem Gesichte.

In ihrem Zimmer angekommen, verschloß sie sich und weinte und betete.

Jetzt war der Kampf da und sie erschien sich waffenlos; Prancken hatte ein Recht, so zu ihr zu sprechen. Und ist es vielleicht nicht doch besser, sie gehört dem Leben an? Es war ihr, als müßte sie Erich fragen, wie er ihre Wandelbarkeit beurtheile.

In schweren Kämpfen rang sie und gewann nur das Eine: sie wollte nicht mehr durch Zerstreuung ihr eigen Selbst sich entwenden lassen.

Auf den Abend war eine Kahnfahrt verabredet. Manna, die zugesagt hatte, lehnte jetzt die Mitfahrt ab. Sie stand am Fenster ihres Zimmers, sie öffnete das Fenster nicht, sie wünschte, daß es vergittert sei. Sie sah die Männer und Frauen auf dem Strome herabkommen, Lina sang hell und eine schöne Männerstimme begleitete ihren Gesang.

Wer ist das?

Es ist nicht Prancken, nicht Roland; nur Erich kann es sein.

Drunten auf dem Kahn aber bat Lina, daß Erich die Schubert'sche Melodie des Harfnerliedes singe; Erich fand es widersprechend, das, was in Einsamkeit und Nacht von einem schwer Beladenen ausgeklagt wurde, hier in froher Gemeinschaft auf dem Rheine laut werden zu lassen. Aber Lina ließ nicht ab und Erich sang:

Wer nie sein Brod mit Thränen aß.

Die Ruder hielten an, die Stimme Erichs tönte das Herz durchschütternd. Er machte eine kleine Pause und ging dann auf die Worte über:

Ihr führt ins Leben uns hinein,
Ihr laßt den Armen schuldig werden,
Dann überlaßt Ihr ihn der Pein:
Denn alle Schuld rächt sich auf Erden.

Ohne Auflösung, auch musikalisch in der Schwebe gehalten, schließt die Weise Schuberts wie Goethe's Wort. Als der Kahn an der Villa vorüberglitt und droben Manna die Schlußworte hörte, warf sie sich nieder und bedeckte das Antlitz mit beiden Händen. Da klang's:

Denn alle Schuld rächt sich auf Erden . . .

Stunde um Stunde verging; da wurde an der Thür geklopft. Manna erwachte; von der Müdigkeit des Körpers und der Seele überwältigt, war sie eingeschlafen. Roland und Lina riefen sie, wie träumend ging sie hinab zur Gesellschaft. Es war ihr, als wäre es Morgen und doch war es Nacht; sie kam sich wie gefangen vor von all den Menschen, die sich ihr doch in Liebe zuwendeten.

Wie um sich selbst zu überwältigen, machte sie den Vorschlag, daß man jetzt in der Mondnacht nochmals auf dem Rhein fahre. Sie bat Lina, ein Lied zu singen, aber diese erwiderte, sie könne nicht so schön singen wie Herr Dournay.

»Bitte, singen Sie,« wendete sich Manna an Erich.

»Ich kann jetzt nicht,« entgegnete er.

Die erste Bitte, die sie an ihn richtete, schlug er ihr geradezu ab. Sie war anfangs gekränkt, dann aber freute sie sich. Es ist besser so, er soll Dich nichts angehen; Du mußt wieder die rechte Stellung zu ihm gewinnen. Und um zu zeigen, daß die Unfreundlichkeit sie nicht verletzt habe, war sie heiter wie noch nie.

Als man von der Fahrt zurückkam, ging Sonnenkamp den ans Land Steigenden entgegen und verkündete, daß eben der Siebenpfeifer ihm im Vertrauen mitgetheilt habe, die Schiffer, für die er die wohlthätige Anstalt gegründet, würden ihm einen Dank darbringen.


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