Berthold Auerbach
Das Landhaus am Rhein / Band IV
Berthold Auerbach

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Zwölftes Capitel.

In seinem großen Zimmer saß Sonnenkamp allein; er schaute hinauf nach der Burg, die fast fertig ausgebaut war. Wer wird darin wohnen? Er wendete den Blick ab. Lange stand er vor dem Bilde Rolands.

»Man sollte kein Kind haben, nichts von ihnen wissen,« rief er. Er erschrak vor seiner eigenen Stimme.

Er öffnete den Geldschrank, er suchte etwas; er starrte auf die wohlgeordneten Papiere, auf die Schiebladen, die das gemünzte und ungemünzte Gold enthielten.

»Was könnt ihr mir helfen? Und doch . . .«

Es klopfte an die Thür. Joseph meldete den Fürsten Valerian.

Sonnenkamp öffnete. Fürst Valerian sagte mit freundlichen Worten, daß er gekommen sei, da er vielleicht in irgend etwas Beistand leisten könne, auch Herr Weidmann . . .

»Branche keinen Beistand! Brauche Niemand!« unterbrach Sonnenkamp, schlug die Thür zu und verriegelte sie wieder.

»Ich habe kein Mitleid und will kein Mitleid,« sagte er vor sich hin. Da klopfte es wieder.

»Was ist? Warum läßt man mich nicht in Ruh?«

Durch das Schlüsselloch rief eine Frauenstimme:

»Ich, Gräfin Bella, bin's.«

Sonnenkamp zitterte.

Ist das eine Intrigue? Will ihn Jemand sprechen, der diesen Namen annimmt und diese Stimme?

Gut. Wenigstens ist die Person sehr klug, die diese Maske vornimmt. Wollen doch sehen.

Er öffnete. Bella stand vor ihm.

»Geben Sie mir Ihre Hand!« rief sie. Sie überreichte ihm ein Papier. »Hier, lesen Sie. Das ist sein Gutachten, da steht's; er ist voll Geringschätzung des Adels und doch –«

Sonnenkamp überflog die Schrift, die Clodwig als Gutachten an den Fürsten abgegeben hatte. Er wollte Bella sagen, daß ihm das jetzt gleichgültig sei, denn die Vereitelung seines Planes war nicht durch Clodwig, sondern durch Crutius herbeigeführt; aber er erkannte, was Bella damit gethan, daß sie ihm die Schrift überbrachte, und er sprach seine Dankbarkeit und Erkenntlichkeit aus.

Die Schrift in seiner Hand, von ihr übergeben, bildete eine Grundlage . . . wozu? Es wird sich finden. Er kannte Bella genug, um zu wissen, daß sie dies nur that, um in ein großes Abenteuer einzugreifen. Er sah ihre Aufregung; sie will bewegen, herrschen, bestimmen . . . wozu? Vielleicht weiß sie es selbst nicht.

Mit großer Ruhe sagte er, er erkenne es als einen falschen Versuch, ja fast als eine Abtrünnigkeit, daß er um seiner Kinder willen sich hier habe fest ansiedeln und den Adel erlangen wollen. Das sei nun vorbei; er stehe wieder ganz und allein auf seinem Posten.

Nun legte er Bella dar, welch ein großer Kampf sich in der neuen Welt vorbereite und wie er in der alten mitwirke zur Erforschung der europäischen Höfe, zur Erwerbung von Hilfsmitteln zu jenem großen Kampfe, der entscheiden solle, ob es noch freie, herrschende Menschen geben solle.

»Es ist besser so,« sagte er; »mein Schicksal ist verbunden mit dem großen, mein Sieg ist eingeschlossen in den großen Sieg, wie mein Untergang.«

Bella hörte ihn mit gespannten Mienen an, dann sagte sie:

»Puppen sind die Menschen um Sie herum! Füllsel für Uniformen! Feige Professoren- und Journalistenknechte! Sie haben den Popanz Humanität, vor dem fürchten sie sich, verkriechen sich wie die Kinder vor dem Wolf. Sie allein sind ein Mann, Sie haben gethan, was die andern Alle möchten – nein, nicht Alle, aber doch die Einzigen, die Mark in sich haben. Aber sie bekennen sich nicht offen zu dem, der ausführte, wozu sie die Kraft nicht haben und den Muth nicht. Diese Herrchen haben Schwerter, tragen Galanteriedegen und fürchten sich vor dem spanischen Röhrchen des Schulmeisters, der ihnen auf die Finger klopft und sagt: Wißt ihr denn nicht, daß wir in der Epoche – oder nennt man es Zeitalter oder Säculum – der heiligen Humanität leben? Wie viele von diesen Puppen besäßen denn den Adel, wenn sie ihn selbst erwerben müßten wie Sie? Die Excellenzen graben nach Resten aus der Römerwelt; die Römer waren stark und verhöhnten den, der von einem Recht der Sklaven gesprochen hätte. Wären Sie in meiner Jugend gekommen, ich wäre mit Ihnen in die weite Welt gezogen; Sie haben eine napoleonische Ader in sich. Geben Sie mir Ihre Hand!«

Sie reichte ihm beide Hände und drückte die seinen warm.

»Damals,« fuhr sie fort, »als Sie mit dem Fürsten Valerian bei uns speisten, sagten Sie: es gibt ein Pfaffenthum der Humanität. So ist's. Vor der Humanitätsfaselei des Jean Jacques Rousseau fürchten sie sich, die sogenannten starken Geister, sie träumen von einem Paradies der Gleichheit, wo schwarz und weiß, vornehm und gering, Genie und Tölpel ein einziger Gleichheitsbrei sein soll; der contrat social ist ihre Bibel.«

Mit glücklicher Miene fiel Sonnenkamp ein:

»Eine Sache ist siegreich, wenn großgesinnte Frauen für sie begeistert sind.«

Bella erwiderte:

»Seien Sie stolz. Nur jetzt nicht nachgiebig; freuen Sie sich, Sie haben nichts mehr zu verleugnen, nun behaupten Sie sich und zeigen, daß Sie der Einzige sind, der sich vor der Schulmeisterei nicht fürchtet. Der Kühne bekennt und bethätigt, was in der Welt sein muß.«

Bella war aufgestanden; ihr Auge funkelte, ihre Wangen glühten, ein unheimlich fesselnder und bestrickender Ausdruck lag auf ihrem Gesicht.

So muß Medusa dreingeschaut, so muß sie geathmet, so muß sie gezittert haben.

Und mitten in dieser hohen Erregtheit empfand Bella, daß das eine schöne Scene sei; das sind die großen Töne, die ihr zu Gebote stehen, das ist die Majestät, die Leidenschaft. Sie stand plötzlich still, wie in einem lebenden Bilde, da sie dessen inne wurde, und ihr Auge suchte nach einem Spiegel, in dem sie sich selbst sehen konnte.

Sie schüttelte das Haupt und kehrte in die Scene zurück, als träte sie aus einer Coulisse.

»Sie müssen mir erzählen, wie Sie so kühn geworden . . . so frei . . .«

Sonnenkamp, der so starke, erbebte im Innern. Er hatte ein Bekenntniß auf den Lippen, aber er wagte es nicht; er hatte ein dämonisches Lachen, als Bella ihm sagte:

»Nur das Eine thun Sie nicht, sprechen Sie mir nicht von Liebe; nur nicht die fable convenue, das ist nichts für Sie, nichts für mich. Und noch Eins. Sie werden es jetzt auch erfahren, wenn Sie es nicht schon kennen: die größte Tyrannei der Welt ist die Familie. Kümmern Sie sich nicht um die Familie. Ein Held hat keine Familie, und es ist nur eine sentimentale Tradition, daß die Helden mit ihren Kindern spielen. Sie müssen allein an sich denken, dann sind Sie stark. Sie haben nur einen Fehler begangen.«

»Nur einen?«

»Ja, Sie durften keine Familie haben, keine haben wollen. Halten Sie fest, lassen Sie sich nicht zwiespältig machen und zerbröckeln.«

Sonnenkamp sagte, er sei entschlossen, den Kampf fortzuführen; er wolle den tugendhaften Menschen hier zu Lande eine andere Anschauung beibringen; das sei zunächst seine Aufgabe. Er habe einen Plan, der nur noch nicht ganz klar sei, aber er werde klar werden.

Bella sagte, daß sie Niemand im Hause außer ihm sprechen wolle; sie kehre sofort wieder zurück, aber sie verlasse sich darauf, daß er stark bleibe und sich behaupte.

Sonnenkamp öffnete das Sämereienzimmer, geleitete Bella hindurch und öffnete dann die Thür, die zu der besonderen, von Glycinen überrankten Treppe führte. Hier küßte er ihr die Hand zum Abschied. Aber noch auf der Treppe rief Bella ihm nach:

»Und noch Eins! Ihr Erstes muß sein, daß Sie sich selbst von der Sklaverei befreien; Sie müssen diese Lehrersfamilie fortschicken.«

Sie machte eine wegwerfende Bewegung und setzte hinzu:

»Diese Lehrersfamilie soll ihre Spritbrennerei wieder in der kleinen Universitätsstadt etabliren.«

Bella ging davon.

Als Sonnenkamp in das Zimmer zurückkehrte, war es ihm, wie wenn Alles nur ein Traum gewesen, aber noch fühlte er den Duft der feinen Essenzen, den Bella in seinem Zimmer zurückgelassen; noch stand hier der Stuhl, auf dem sie gesessen, und hier auf dem Tische lag das Gutachten Clodwigs.

Er öffnete den eisernen Schrank und legte das Schriftstück in das oberste Fach.

Bella kam indeß nicht ungesehen aus der Villa heim. Im Park traf sie ihren Bruder. Sie bekannte ihm offen, daß sie bei Sonnenkamp gewesen, um ihm Muth zuzusprechen; sie lobte Otto, daß er ausharre und die ganze schwächliche Welt verachte.

Sie ermahnte ihn nun, die Lehrersfamilie bald abzulohnen, zumal da Herr Dournay, »diese Weltseele,« nicht ohne Absicht auf Manna zu sein scheine.

Prancken bestritt das entschieden. Er sah seiner Schwester staunend nach.


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