Berthold Auerbach
Das Landhaus am Rhein / Band IV
Berthold Auerbach

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Neuntes Capitel.

Am Gesindetisch im Erdgeschoß war eine große Lücke. Der obere Platz, den Bertram einnahm, war leer, auch Joseph und Lutz fehlten, denn sie waren mit nach der Residenz gereist. Die Männer und Frauen am Tische flüsterten leise, endlich sagte der Obergärtner, die Sache sei kein Geheimniß mehr; er behauptete, schon damals, als die Fürstlichkeiten zum Besuche gewesen, es gesehen zu haben. Mit einer Art Herablassung, die deutlich erkennen ließ, wie er bedauere, seine Bildung vor diesen Menschen bekunden zu müssen, gab er seine Worte, denn diese Leute konnten doch nicht würdigen, was er zu sagen hat; Joseph allein, wenn er da wäre, hätte ihm das entsprechende Lob dafür ertheilen können. Die übrige Dienerschaft aber hatte einen Widerwillen gegen den vornehm und gelehrt thuenden Obergärtner. Niemand antwortete ihm. Die dicke Köchin, die sich selten zu Tische setzte, denn sie behauptete, sie esse eigentlich gar nichts, wagte es nun, den Platz Bertrams so einzunehmen, daß sie jeden Augenblick aufstehen konnte. Sie sagte, sie habe ihr Lebenlang nur bei adligen Herrschaften gedient und jetzt sei es wieder so. Nun war das Wort heraus, Allen schien eine Last von der Seele genommen, da man frei davon sprechen durfte. Der zweite Kutscher stülpte die Batten an seiner langen Weste etwas auf und betrachtete sie mit forschendem Blick.

»Da kommen nun auch Wappenknöpfe hin,« sagte er endlich; »und unsere Wagen werden neu lackirt, auf dem Kutschenschlag wird ein feines Wappen angebracht.«

Ein Reitknecht freute sich, daß aus den Pferdedecken über dem Namen eine siebenzinkige Krone allen Menschen in die Augen stechen würde.

Die Weißzeugschließerin jammerte über die große Mühe, die man haben werde, alle Wäsche neu zu sticken; die Silbermamsell dagegen freute sich, daß sie neue Löffel und Gabeln bekäme, denn jetzt werde Alles umgeschmolzen, um neu gravirt zu werden.

»Und die Hundehalsbänder werden auch neu gemacht,« rief eine kreischende Stimme.

Alle lachten über den Hundejungen, der blöde grinsend drein schaute, weil er etwas so Lustiges gesagt hatte.

Die alte Ursel, die beharrlich auf ihrem Schemel saß und ihren Teller auf dem Schooß hielt, rief der zweiten Köchin zu:

»Nun gibt's auch bald eine Frau Lutz. Jetzt wird der Herr das Heiraten erlauben.«

»Hat er es denn Dir erlaubt?«

»Gottlob, daß ich's nicht mehr nöthig habe. Aber jetzt bleibt er für ewige Zeiten da und geht nicht mehr fort. Jetzt könnt Ihr alle heiraten.«

Der zweite Gärtner, das sogenannte Eichhörnchen, erklärte mit Salbung:

»Ich will nichts gesagt haben, aber wenn ich ein so reicher Mann wäre, ich hätte mich nicht adeln lassen; nein, ich wäre lieber der reichste Bürger rheinauf und rheinab, als der neueste Adlige. Ich thät's den Adligen nicht zu Gefallen. Wenn man Geld hat, ist man adlig genug.«

Alle höhnten den Vorwitzigen. Nur der Obergärtner sah ihn gönnerisch nickend an; seine Mienen sagten: ich hätte dem Einfältigen solch einen Gedanken nie zugetraut.

Man sprach nun hin und her, welche Livreen der Herr anschaffen werde und ob er vor seinem alten Namen ein von bekommen oder einen ganz neuen Namen erhalten werde. Endlich ging das Gespräch auf die Verlobung Pranckens über.

Die Weißzeugschließerin vertraute auch der dicken Köchin, daß der Kammerdiener Joseph – sie habe es während des ganzen Winters bemerkt – eine Liebschaft mit der Tochter des Victoriawirths habe.

Die Unterredung im Erdgeschoß wurde unterbrochen, als eine Stimme von oben kam mit der Botschaft, es solle noch einmal angespannt werden, denn die gnädige Frau wolle ausfahren . . .

»Ja – er hat's gut, er reist, er zerstreut sich und mich läßt er hier allein! Was soll ich nun anfangen?«

So klagte Frau Ceres gegen Fräulein Perini, als Sonnenkamp, Prancken und Roland abgereist waren. Mit der Hast und Unruhe einer Fieberkranken ging sie im Zimmer auf und ab und fragte Fräulein Perini, was sie thun solle. Diese ermahnte sie, sich ruhig zu verhalten, sich zu ihr zu setzen und am andern Ende ihrer Stickerei den Grund auszufüllen.

»Ja,« rief Frau Ceres plötzlich, »jetzt hab' ich's. Ich will ihm auch eine Freude machen, ich sticke ein Sophakissen mit unserm Wappen. Und noch etwas! Ich habe auch gesehen, daß man mit Wappen gestickte Betschemel in der Kirche hat; das wollen wir auch haben.«

Fräulein Perini stimmte bei.

»Noch eins!« sagte sie.

»So? Sie wissen noch etwas?« rief Frau Ceres.

»Ja, es wird Ihrem frommen Sinne gut anstehen, Sie haben es gewiß schon gedacht, nur wieder vergessen.«

»Was? Was habe ich vergessen?«

»Sie wollten, wenn die Ehre erreicht ist, sofort eine Altardecke sticken.«

»Ja, das wollen wir. Hab' ich das einmal gesagt? Ach, ich vergesse Alles. Ach, liebe Madame, bleiben Sie nur immer bei mir, mahnen Sie mich nur immer an Alles. Haben Sie großen Stramin? Wir wollen jetzt gleich anfangen.«

Fräulein Perini hatte immer Alles bereit, Seide, Wolle, Goldfäden und Silberfäden, Stramin und Muster. Frau Ceres machte in der That einige Stiche, dann aber sagte sie:

»Ich zittere heute, aber angefangen habe ich doch die Decke und nun arbeiten wir immer daran. Nicht wahr, Sie helfen mir?«

Fräulein Perini bejahte, sie wußte, daß sie die ganze Altardecke fertig machen mußte, aber Frau Ceres war nun doch etwas ruhiger geworden.

»Wollen Sie mir nicht den Pfarrer rufen lassen, oder wollen wir ihn nicht besuchen?«

»Wie Sie befehlen.«

»Nein, es ist besser, wir bleiben allein. Wo nur Manna ist? Sie soll kommen, sie soll bei ihrer Mutter sein.«

Sie klingelte und schickte nach Manna; sie erhielt die Antwort, daß sie sich bereits zur Ruhe begeben, sie bäte die Mutter um Entschuldigung, aber sie sei so müde.

»Wo nur die Professorin bleibt? Wäre es nicht ihre Schuldigkeit, zu mir zu kommen und mir zu gratuliren?«

»Sie scheint wieder gesund, sie war bei Fräulein Manna und ging wieder heim,« entgegnete Fräulein Perini.

»Sie war im Hause und ist nicht zu mir gekommen?« rief Frau Ceres. »Sie soll sogleich kommen – augenblicklich. Schicken Sie nach ihr, sie soll sogleich kommen!«

Fräulein Perini mußte willfahren.

»Seien Sie recht ruhig, Frau Baronin,« ermahnte sie.

»Frau Baronin! Die Professorin wird mich hoffentlich doch auch so nennen?«

»Gewiß, sie hat sehr viel Anstand.«

Wieder ging Frau Ceres unruhevoll im Zimmer auf und ab. Vor dem großen Spiegel stand sie manchmal still und machte eine Verbeugung; sie legte die Linke aufs Herz, die Rechte hing schlaff herab, und sie verbeugte sich tief.

An dem Spiegel waren zu beiden Seiten vierarmige Leuchter angezündet und manchmal griff sich Frau Ceres an ihren Oberkopf.

»Er hat mir ein siebenzinkiges Diadem versprochen; es wird mir gut stehen, nicht wahr?«

Sie verbeugte sich nochmals vor dem Spiegel und hatte ein überaus holdseliges Lächeln.

Fräulein Perini hörte draußen die Ankunft der Professorin, sie ging ihr entgegen und bat, Frau Ceres recht schonend und nachsichtig zu behandeln und sie ja nur immer Frau Baronin zu nennen.

»Warum haben Sie mir sagen lassen, daß sie krank ist, und mich darum noch in der Nacht rufen lassen?«

»Entschuldigen Sie, Sie wissen, es gibt Kranke, die nicht zu Bett liegen.«

Die Professorin verstand.

Als sie eintrat, rief Frau Ceres, immer noch mit dem Gesicht zum Spiegel gewendet:

»Ah, schön! Schön, daß Sie kommen, liebe Professorin – sehr freundlich – sehr dankenswerth – ich bin Ihnen auch gut.«

Jetzt erst wendete sie sich um und reichte der Angekommenen die Hand.

Die Professorin glückwünschte nicht und nannte sie nicht Frau Baronin.

Frau Ceres wollte nun wissen, was ihr Mann – sie corrigirte sich aber schnell und sagte: »Nicht wahr, man sagt immer Gemal?« – also, was ihr Gemal in der Stadt zu thun habe, ob er Ritterprobe bestehen müsse und ob er vor dem versammelten Volke den Ritterschlag erhalte.

Die Professorin entgegnete, daß Derartiges nicht mehr geschehe; es werde ihm einfach ein pergamentenes Diplom überreicht.

»Pergament – Pergament?« wiederholte Frau Ceres vor sich hin. »Was ist Pergament?«

»Das ist eine gegerbte Haut,« erklärte die Professorin.

»Ah, ein Skalp – ein Skalp. Ich verstehe. Da drauf . . . Wird das Diplom auch mit Dinte geschrieben, wie Anderes, was man schreibt?«

Sie starrte lange vor sich hin; dann zuerst die Augen schließend und wieder öffnend, bat sie die Professorin, sich eines ihrer schönsten Kleider auszuwählen; stolz und erschreckt erhob sich diese, aber sie setzte sich rasch wieder und sagte, sie erkenne die Freundlichkeit der Frau Sonnenkamp, sie trage aber keine so schönen Kleider mehr.

»Frau Sonnenkamp trägt auch keine mehr. Frau Sonnenkamp – Frau Sonnenkamp!« wiederholte Frau Ceres.

Sie wollte der Professorin zu Gemüthe führen, daß sie sie nicht Frau Baronin genannt habe.

»Haben Sie schon einmal die Adelserhebung eines Amerikaners erlebt?« fragte sie plötzlich.

Die Professorin verneinte.

Als nun erwähnt wurde, daß Herr Sonnenkamp den Namen Baron von Lichtenburg, nach der Burg, die man neu erbaue, erhalten werde, rief Frau Ceres:

»Ah, das ist's! Das ist's! Jetzt weiß ich's. Noch heut Abend, jetzt gleich will ich die Burg besuchen – unsere Burg! Dann werde ich gut schlafen. Sie Beide begleiten mich.«

Sie klingelte, daß man sofort anspanne; die beiden Frauen sahen einander erschreckt an. Was soll daraus werden? Wer weiß, ob nicht unterwegs in dieser Aufregung eine plötzliche Verwirrung, ein Wahnwitz ausbricht.

Die Professorin sagte Frau Ceres, es wäre viel schöner, morgen am Tage die Burg zu besuchen; wenn man es noch heut in der Nacht thäte, würde das in der ganzen Gegend Aufsehen erregen.

»Warum? Gibt es vielleicht eine Sage von unserer Burg?«

Es gab wol eine solche, aber die Professorin hütete sich, sie jetzt zu erzählen; sie war indeß bereit, mit Frau Ceres eine Stunde in der milden Nacht auf der Landstraße spazieren zu fahren; sie hoffte, daß sie das beruhigen werde.

Und so fuhren die drei Frauen durch die linde Nacht mit einander dahin. Die Professorin hatte angeordnet, daß nicht nur neben dem Kutscher ein Bedienter, sondern auch ein anderer auf dem Rücksitz saß; sie wollte für alle Vorkommnisse Hilfe haben. Eine solche aber war nicht nöthig, denn als Frau Ceres im Wagen saß, war sie ruhig, ja, sie begann von ihrer Kindheit zu erzählen.

Sie war früh verwaist, die Tochter eines Capitäns auf einem der Schiffe Sonnenkamps, das weite, sehr gefährliche Fahrten gemacht habe. Nach dem Tode der Eltern habe Herr Sonnenkamp sie ganz in seine Obhut genommen und sie einsam, nur von einer alten Dienerin und einem Diener bewacht, aufwachsen lassen.

»Er hat mich nichts lernen lassen, gar nichts,« klagte sie wieder; »er hat mir gesagt: so wie Du bist, ist es am besten. Ich war noch nicht fünfzehn Jahre alt, als er mich heiratete.«

Sie weinte; dann aber wieder in die Hände schlagend, rief sie:

»Nun ist Alles gut – nicht wahr, es ist Alles gut?« Sie reichte der Professorin und Fräulein Perini die Hände.

»Glauben Sie,« wendete sie sich zur Professorin geheimnißvoll, »glauben Sie, daß unser Adelstand nun ganz sicher und gewiß ist?«

»Nachdem das Decret ausgefertigt, scheint Alles fest, aber Niemand kann sagen, daß etwas fest sei, bevor es geschehen; es können im letzten Momente noch Zufälle eintreten.«

»Welche Zufälle? Was meinen Sie? Welche? Was wissen Sie? Sagen Sie mir Alles!«

Die Professorin war in tiefer Verlegenheit, aber Fräulein Perini half ihr, indem sie die »Frau Baronin« bat, sich nicht gewaltsam in Aufregung zu bringen; sie erzählte von dem Palais, das Herr Sonnenkamp in der Residenz baue, und Frau Ceres ließ sich ablenken, zumal da Fräulein Perini zwischen jeden Satz die Anrede »Frau Baronin« einschob.

Frau Ceres legte sich in die Ecke zurück; sie schlief ein wie ein Kind, das sich ausgetobt und ausgeweint. Fräulein Perini bat dringend, die Professorin möge Frau Ceres doch Baronin nennen, wenn sie wieder aufwache. Sie ließ den Wagen wenden, man fuhr zurück nach der Villa.

Frau Ceres war kaum zu erwecken; man brachte sie zu Bett. Sie dankte den Frauen innig, und glückselig lächelte sie, als die Professorin sagte:

»Nun schlafen Sie gut, Frau Baronin.«


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