Berthold Auerbach
Das Landhaus am Rhein / Band IV
Berthold Auerbach

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Elftes Capitel.

»Sind Sie auch schwermüthig und gedankenvoll?« rief der Doctor dem Eintretenden entgegen. »Ich treffe hier eine Colonie von Bangenden. Was ist denn an dieser Geschichte so Schwermüthiges? Herr Sonnenkamp schafft sich ein neues Gewand, eine neue Equipage an. In alten Zeiten, ich erinnere mich ihrer noch, durfte ein Bürgerlicher nicht vierspännig fahren, und wenn er es wollte, mußten die Pferde hänfene Stränge haben. Herr Sonnenkamp schafft sich lederne Stränge an. Frau Ceres ist krank, Manna ist krank, die Professorin ist krank, der Herr Hauptmann sieht krank aus; nur Fräulein Perini und die Tante sind noch gesund in diesem Lazareth. Brausepulver! Brausepulver wird heut als Haus- und Feldgeschrei ausgegeben.«

Der Doctor brachte einen frischen Ton, der wie ein über den Bergwäldern gewürzter Luftstrom die Dünste wegblies. Die Professorin konnte nicht sagen, warum sie so bang sei, Erich konnte es nicht sagen.

Der Doctor nahm Erich mit nach der Villa, und eben als sie in den Hof eintraten, kam ein Telegramm an Erich. Es war von Sonnenkamp und enthielt den Auftrag, er möge Frau Ceres mittheilen, daß er in dieser Minute seine Auffahrt bei Hof halte.

Der Doctor übernahm die Verantwortung, Frau Ceres diesen Bericht vorzuenthalten; sie sei ohnedies bis zum Wahnwitz aufgeregt, er habe ihr deßhalb ein Schlafmittel verordnet.

Bei Tische erschien Fräulein Perini, Manna und Erich. Nach dem ersten Gericht wurde Fräulein Perini zu Frau Ceres gerufen; sie ging und kam nicht wieder.

Manna und Erich saßen allein.

»Sie waren heut auch in der Kirche?« fragte Manna.

»Nein. Für mich klingt kein Glockenton durch die Luft. Ich erkenne aber vollkommen die Empfindung derer, denen dieser Klang ein Besonderes in der Seele wach ruft.«

Manna schwieg und legte den Bissen, den sie eben zum Munde führen wollte, wieder auf den Teller. Ahnte sie, daß Erich mit Gewaltsamkeit den Zwiespalt zwischen ihnen offen legte und dadurch jede Annäherung unmöglich machen wollte? Lange saßen die Beiden stumm einander gegenüber.

Erich glaubte, daß er zu scharf hervorgetreten sei, er hätte gern ein friedliches, beschwichtigendes Wort gegeben, er fand es nicht. Da begann Manna:

»Sie wollen sich gottloser darstellen als Sie sind. Wer so mit lauterer Hingebung wie Sie einem Menschen sich gewidmet . . .«

Sie brach plötzlich ab und fuhr hocherröthend fort:

»Ach, mir fällt ein, wie ich Sie am ersten Tage verletzte . . .«

Sie wollte hinzufügen: und jetzt versenke ich mich in Dein Denken und wollte Dir doch wehren, in das meinige einzudringen.

Erich wollte erwidern, wie er dessen kaum mehr gedenke, wie er gar kein Zeitmaß habe für die Dauer ihres Zusammenseins, aber er brachte kein Wort hervor; er fühlte, daß es ihm nicht möglich ist, etwas zu sagen, ohne die ganze Uebermacht seiner Liebe hervorbrechen zu lassen. Und wieder begann Manna:

»Sie hatten einen jüngeren Bruder, den Sie verloren haben? Ich habe Sie heut davon sprechen hören.«

»Ja, er war im Alter Rolands, und eben heute mußte ich darüber denken, warum ich meinem leiblichen Bruder nicht so viel sein konnte, wie ich es unserm Roland gewesen.«

»Gewesen? Sie sind es noch und werden es ihm bleiben.«

»Gewiß. Aber was hilft das beste Denken, wenn man nicht mehr das tägliche Brod des Lebens mit einander bricht? Ich habe gewußt, daß diese Trennung eintreten wird, habe sie als nothwendig erkannt, und doch fühle ich erst jetzt lebhaft, wie lange Zeit, einzelne Abirrungen ungerechnet, ich nichts dachte, nichts empfand, nichts erlebte, was ich nicht sofort zu Roland in Beziehung brachte, ja nur für ihn erlebte. Jetzt ist diese ganze Seelenrichtung zerschnitten, abgelöst, der Halt- und Zielpunkt verändert. Ich fühle mich so heimatlos, so leer.«

»Ich verstehe das vollkommen,« sagte Manna, da Erich eine Pause machte.

Sie nippte von dem Wein, der vor ihr stand.

Erich fuhr fort:

»Ich habe einen dichterischen Freund, der Alles überaus ernst und schwer nimmt; er lebt mit ganzer Seele, rückhaltlos und ausschließlich, seinem Berufe. Er klagte mir einst, wie ausgehöhlt, wie abgelöst und verlassen er sich erscheine, wenn er ein Werk vollendet, das nun von ihm ausgeht in alle Welt, aber nicht mehr bei ihm bleiben will. Er hat sein Denken und Empfinden Tag und Nacht den Gestalten seiner Phantasie gewidmet, und nun sind sie ausgewandert übers Meer in eine andere Welt, nicht mehr für ihn da; er kann seine Gedanken nicht von ihnen zurückziehen und doch nichts mehr für sie, für ihre Reingestaltung, ihre Vervollkommnung thun. Ja, Fräulein Manna, und das sind nur Gebilde der Phantasie, die den Mann verließen und ihn einsam stellten. Wie ganz anders, wenn ein lebendiger, uns in die Seele eingewurzelter Mensch uns verlassen.«

Manna schaute ihn groß an; Thränen hingen an ihren langen Wimpern, und sie sah auch das Auge Erichs in feuchtem Glanze; sie faltete die Hände auf dem Tische und sah ruhig in sein Antlitz.

Er fühlte diesen Blick und verwirrt sagte er: »Entschuldigen Sie den Egoismus, daß ich nur von mir spreche. Ich will die Schwester nicht noch mehr belasten, und kann Ihnen auch sofort den Trost geben, den ich für mich gefunden. Aus dem Allgemeinen heraus schließt man sich dem Einzelnen an, das eine Erscheinung des Allgemeinen ist, und nun tritt dieses Einzelne wieder zurück, verläßt uns. Wir müssen die Kraft haben, uns dem Allgemeinen, Ewigen wieder zu Gebote zu stellen, und uns nur freuen und getrösten, daß es uns erschienen ist in einem lebendigen Menschenkinde, von dessen Dasein wir keine Ahnung hatten. Ach, ich spreche verwirrt. Ich wollte nur sagen, man kann in solcher Stunde nichts thun, als still warten, sich sammeln in Gedanken an die Fülle der Weltkräfte und die Fülle der Pflichten und Freuden, die in unsern Fähigkeiten liegen. Ach,« unterbrach er sich lächelnd, »meine Mutter erzählt von einem alten Pfarrer, der seiner Gemeinde zurief: Kinder, ich predige nicht nur für Euch, ich predige auch für mich, ich hab's auch nöthig.«

Ein Lächeln ging über das Antlitz Manna's und sie sagte:

»Ich glaube, ich verstehe Sie. Sie meinen, der einzelne Mensch ist ein Bote des ewigen Geistes, und ist der Bote nun auch wieder zurückgekehrt, wir wissen doch, wer ihn gesendet hat, und wissen, wo er daheim ist.«

»Ich würde es nicht so fassen, aber immerhin. Indem wir dem Einzelnen, Zerstreuten, Vergänglichen dienen, dienen wir dem Ewigen, dem im Gesammten ruhenden Geiste, bis er uns auf einen andern Posten beruft.«

»Glauben Sie an Bestimmung?«

»Ich glaube, es ist eine Fügung und Richtung, eine Verknüpfung in unsrem Leben, die wir erst erkennen, wenn sie geschlossen, leider meist erst, wenn sie abgeschlossen ist. Mir wird jetzt jene Stunde wieder lebendig, da ich drüben auf dem Wege nach Wolfsgarten zum ersten Mal hier herab sah. Da lebt eine Menschenseele und ahnt nicht, daß sich eine andere zu ihr drängt, und daß sie Beide einander zu einem Schicksale werden. Es gibt eine Vorbereitung, die den Einen fähig macht, einen Menschen, dessen Namen er nicht gekannt, von dessen Dasein er keine Ahnung hat, in sich aufzunehmen, als wäre man Ein Leben mit ihm gewesen. Hierin liegt die Erlösung von der Ursünde des Egoismus; wir sagen: Du bist der Hüter Deines Bruders.«

»Sie sind nicht gottlos . . . nein, Sie dürfen das nicht von sich sagen. Sie sind nicht gottlos,« rief Manna.

Ihre Wangen glühten, sie that die gefalteten Hände auseinander, sie streckte die eine Hand aus, als wollte sie sie Erich reichen, aber unterwegs erfaßte sie die Flasche und sagte:

»Nicht wahr, ich bin eine schlechte Wirthin?«

Sie schenkte ihm ein, er trank, und während er trank, ruhte sein Blick auf Manna. Sie wußte, daß er sie anschaute, sie schlug die Augen nieder.

»Ich muß Ihnen noch ein Bekenntniß machen,« sagte sie. Sie hielt an, Athem schöpfend, dann fuhr sie fort:

»Wie Sie davon sprachen, daß Sie nun so traurig sind, weil Sie nichts mehr für Roland thun können, wurde mir aufs Neue klar, welch ein Glück, welch einen Glauben auch ich verloren habe.«

Sie schloß die Augen, sie athmete tief, dann öffnete sie die Augen wieder und sagte:

»Ich hatte einst geglaubt, man könne für einen Andern beten, für einen Abwesenden, Fernen, wo und was er auch sei; ich hatte geglaubt, man könne sich für einen Andern opfern und Alles wäre gesühnt und nun . . . ach, nun glaube ich das nicht mehr.«

Erich erwiderte nichts, er wußte, wie schwer dies Bekenntniß sich von den Lippen Manna's losrang; ihn überschauerte es. Jetzt wußte er, Manna liebte ihn, denn nur dem Manne, den sie liebt, konnte sie das anvertrauen.

Ein Diener trat ein und sagte Erich, seine Mutter erwarte ihn, er solle zu ihr kommen.

»Ich begleite Sie,« sagte Manna aufstehend. Sie ging, um ihren Hut zu holen.


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