Berthold Auerbach
Das Landhaus am Rhein / Band IV
Berthold Auerbach

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Dreizehntes Capitel.

Fürst Valerian, der von Sonnenkamp so schroff abgewiesen war, ließ sich bei Erich anmelden. Roland hörte im Nebengemach, wie er eintrat und fragte:

»Wo ist Roland?«

»Er will allein sein,« entgegnete Erich, und der Fürst erklärte, daß Erich am besten zu ermessen verstehe, was jetzt für Roland zuträglich sei; er seinerseits möchte glauben, daß eine Gemeinschaft mit Menschen, von deren Augen er die Liebe zu ihm absehe, ihm in diesem namenlosen Jammer helfen müsse.

Roland richtete sich im Nebenzimmer auf. Wäre das wirklich besser, als allein in sich denken? Durch seine Seele zog der Gedanke: O, die Welt ist nicht so schlecht, wie Ihr auf der Fahrt mir einflößen wolltet. Da ist ein Mann, der trägt mein Schicksal in der Seele . . .

Der Fürst berichtete, Herr Weidmann sei empört von der Art, wie Professor Crutius diese Sache in die Oeffentlichkeit gebracht; die Andeutung, daß Doctor Fritz an dieser boshaften Publication einen Antheil habe, sei ohne Zweifel eine Täuschung. Doctor Fritz habe, als er sein Kind abgeholt, immer gesagt, er wünsche, daß die Sache verborgen bleibe um der Kinder Sonnenkamps willen.

Und weiter sprach der Fürst im Nebengemach, Herr Weidmann habe überlegt, ob er nicht selbst nach Villa Eden reisen und dort seinen Beistand bringen sollte, aber er habe eingesehen, daß dies unthunlich sei, und daher ihm zugerathen, seinen Vorsatz auszuführen.

»Ach,« rief er, »seit lange zum ersten Mal hat mir die bevorzugte gesellschaftliche Stellung, die ich einnehme, Freude gemacht, aber Freude ist nicht das rechte Wort. Ich habe mir gedacht, daß ich dadurch hier im Hause etwas mehr als ein Anderer sein kann, und vor Allem Ihrem Zögling Roland, den ich so sehr liebe und dessen Qualen mich keine Minute ruhen lassen. Ach, Herr Hauptmann, auf dem Wege hierher wurde ich ein Ketzer. Ich fragte mich, was haben denn die gethan, die in die Welt gesetzt sind, um Liebe und Brüderlichkeit zu predigen und nicht abzulassen? Sie haben es ruhig mit angesehen, wie Tausende und Tausende Sklaven, Tausende und Tausende Leibeigene sind. Und da ging es mir auf: wer befreit die Leibeigenen und die Sklaven? Die reine Humanität erlöst sie.«

Der Doctor trat ein.

»Wo ist Roland?« fragte er nach der ersten Begrüßung.

Auch er erhielt die Antwort, daß Roland allein bleiben wolle, und der Doctor sagte:

»Ich billige das. Er ist wol jetzt sehr aufgeregt? Geben Sie Acht, es werden Tage kommen, wo er in Apathie versinkt; lassen Sie das gewähren. Die edelste Gabe der Natur ist Stumpfsinn, das ist ein Theil Schlafes der Seele; der einfältige Mensch und das Thier haben das beständig, und kommen dadurch nicht zur gesteigerten, alles Dasein in Frage stellenden Aufregung, und auch über den belebten Menschen erbarmt sich die Natur und gibt ihm den Stumpfsinn. Erst wenn dieser zu weichen beginnt, dann machen Sie Roland klar. Wissen Sie, was mich an der Offenbarwerdung dieser Geschichte am meisten ärgert?«

»Wie kann ich das?«

»Es empört mich, daß die satte, selbstgefällige, mit Anstand geschminkte Gesellschaft sich ein Bene anthut. Jedes beschaut sich streichelnd: Ach, ich bin ein prächtiges Wesen im Vergleich mit diesem Ungeheuer. Und doch ist die Gemeinheit des Sklavenhandels nur offenkundiger als die von Tausenden da draußen. Im Jockeyclub randalirt die Jeunesse dorée über das Ungeheuer Sonnenkamp, und was sind sie selbst? Hunderte von Geschäften wandeln am Rande des Verbrechens.«

Roland trat ein, der Fürst und der Doctor umarmten ihn und sprachen kein Wort.

Erich und Roland ließen die Pferde satteln und begleiteten den Fürsten ein Stück Weges.

Als sie dahin ritten, rief plötzlich Roland:

»Dort wandelt – ich irre mich nicht – das ist ja unser Freund Knopf!«

Und dieser war es in der That. Er ging in der Nacht dahin und räthselte schwer darüber, warum er die Welt nicht verstehe; eigentlich wäre sie ihm doch schuldig, sich zu erklären; er hat sie ja so lieb. Warum ist sie so spröde und geheimnißvoll? Was soll aus Roland werden? Und zwischen hinein kam ein leiser, aber ganz kleiner Aerger: daß der Major ihn vollkommen vergessen. Knopf nimmt es ihm gar nicht übel, nicht im geringsten, denn, in solchem Wirrwarr hat man den Kopf voll genug, wer kann da an Alles denken? Bescheiden sagte er vor sich hin, daß er ja auch nichts hätte helfen können; er ist ja so ungeschickt, da ist der Herr Dournay und Prancken . . . vom Fürsten Valerian wußte er noch nichts. So ging er nun durch die Nacht dahin und fragte sich allerlei und sah dann wieder zu den Sternen auf.

»Herr Knopf! Herr Knopf!« wurde gerufen von verschiedenen Stimmen. Knopf hielt still. Roland sprang rasch vom Pferde und umarmte ihn.

Knopf hielt die Hand auf die Schulter Rolands gelegt, als könnte er ihm von seiner Kraft verleihen, und preßte die Brille sehr nah an die Augen, da er hörte und sah, wie der Jüngling das schwere Ereigniß mannhaft zu tragen begann. Er drückte Erich still die Hand.

Als man endlich Abschied nahm, bat Roland, daß Knopf auf dem Pony heimreite. Knopf konnte wiederholt versichern, es sei ihm ein wahres Vergnügen, zu Fuß durch die Nacht zu wandern; Roland betheuerte, daß Puck ein frommes Thier sei, folgsam, sanft und verständig.

Knopf widerstrebte noch immer und zuletzt brachte er in weinerlichem Tone hervor, daß er keine Stege an den Beinkleidern habe. Alles lachte und mitten in seinem Jammer lachte auch Roland. Knopf war überaus glücklich, daß Roland lachen konnte, und jetzt willfahrte er. Roland half ihm aufs Pferd, er streichelte noch den Arm des vormaligen Lehrers und streichelte das Pferdchen; Knopf ritt mit dem Fürsten Valerian davon.

Auch Erich stieg nicht mehr auf, er führte das Pferd am Zügel und ging mit Roland Hand in Hand nach der Villa.

Als die Beiden an der Villa ankamen, sagte Roland tief aufseufzend:

»Ach, Erich, jetzt ist das Haus noch ganz anders ausgeraubt wie damals, als wir von Wolfsgarten zurückkehrten.«


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