Berthold Auerbach
Das Landhaus am Rhein / Band IV
Berthold Auerbach

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Siebentes Capitel.

Als schwankte der Boden unter ihm, als bewegte sich Alles hin und her, wie im Traum ging Erich über den Hof, die Freitreppe hinan; im Vorzimmer faßte er sich. Jetzt ist der entscheidende Augenblick.

Er trat ein; er wagte kaum, Sonnenkamp anzusehen, er empfand einen Abscheu gegen jedes Wort, das der Mann zu ihm sprechen würde, denn jeder Gedanke, den ihm Sonnenkamp aussprach, ja, was er ehedem mit seinen Gedanken berührt hatte, erschien ihm verunreinigt. Als er aber jetzt den Blick aufschlug, schien sich Sonnenkamp verwandelt zu haben, als hätte er seine mächtige Gestalt durch einen Zauber verkleinert. Er sah so bescheiden, so demüthig, so kindlich lächelnd drein. In gleichgültigem Tone berichtete er, daß die fürstliche Gnade ihm den Adel verliehen habe und das Diplom desselben höchst eigenhändig übergeben wolle.

Erich athmete noch immer schwer und konnte kein Wort hervorbringen.

»Sie sind erstaunt?« fragte Sonnenkamp. »Ich weiß, der jüdische Banquier ist abgewiesen worden und ich glaube sogar – die Herren sind sehr pfiffig – ich glaube sogar – doch das ja ist jetzt gleichgültig . . . Jeder handelt nach seiner Weise. Ich weiß auch, daß ein gewisser Doctor Fritz bei dem Menschenfreunde, Herrn Weidmann, war, der über einen Mann, dem ich unglücklicher Weise ähnlich sehe, mancherlei Ehrenrühriges gesagt hat – nicht wahr? Ich sehe das Ihren Mienen an. Ich hoffe, daß Sie doch nicht – nein, seien Sie ruhig. Mein lieber, werther Freund, freuen Sie sich mit mir und für unsern Roland.«

Erich schaute freier auf. Gewiß ist hier ein Irrthum, denn so zuversichtlich könnte der Mann nicht sein, wenn er etwas zu fürchten hätte.

Sonnenkamp fuhr fort:

»Sie und die Ihrigen bleiben uns Freund.«

Er reichte ihm die Hand; jetzt durchzuckte es Erich wieder. Der Ring am Daumen – ist das auch eine Verwechslung, eine Täuschung? Sonnenkamp mochte etwas fühlen; er zog die dargereichte Hand schnell zurück, wie wenn ein wildes Thier die Tatze danach ausgestreckt hätte. Mit großer Fassung sagte er:

»Ich weiß, Sie sind ein Gegner der Adelserhebung.«

»Nein, mehr – ich wollte noch mehr und Anderes sagen,« warf Erich ein; aber mit Heftigkeit unterbrach ihn Sonnenkamp:

»Wenn ich aber jetzt nicht mehr und nichts Anderes wissen will –«

Schnell wechselnd fuhr er dann mit innigem Tone fort, daß Erich nur noch das Letzte thun solle, indem er Roland zur würdigen Erfassung seiner neuen Stellung und seines Namens anleite und befestige.

»Sehr schön wäre es, wenn Sie die Professur annähmen; ich würde dann Roland, bis wir selbst in die Stadt ziehen, und vielleicht dann noch, mit Ihnen eine gemeinschaftliche Wohnung beziehen lassen, Sie blieben sein Freund und Führer.«

Erich blieb schweigsam, er war mit Mahnungen, mit schweren Besorgnissen gekommen, nun war die Sache vollendet, nun ließ sich nichts mehr thun, ja durch das Bekenntniß Sonnenkamps, daß er mit Herrn Banfield verwechselt werde, schien jeder Einwurf beseitigt.

»Haben Sie Ihre Frau Mutter schon gesprochen?« fragte Sonnenkamp.

»Nein.«

»Sie hat mir leider sagen lassen, daß sie etwas unwohl sei und an unserer Freude nicht theilnehmen könne.«

Erich eilte zu seiner Mutter. Noch nie hatte er sie kränkelnd gesehen, jetzt lag sie matt auf dem Sopha. Sie richtete sich auf und sprach ihre Freude aus, daß er so schnell auf ihren Brief zurückgekommen sei. Erich wußte nichts von einem Brief und auch er hörte jetzt, daß Sonnenkamp einen Boten geschickt und die Mutter ebenfalls einen Brief mitgegeben hatte.

Die Mutter fieberte und sagte, sie fürchte eine schwere Krankheit, es sei ihr immer, als ob das Haus, in dem sie wohne, auf Wellen schwimme, immer weiter und weiter dem Meere zu; sie müsse sich gewaltsam wach halten; denn so wie sie die Augen schließe, käme diese Vorstellung immer beängstigender wieder.

»Wenn Du da bist, wird schon wieder Alles gut. Es war mir so bang, da ich hier auf dieser verkehrten Welt so allein war.«

Erich sah, daß es unmöglich war, seiner Mutter etwas von dem anzudeuten, was er bei Weidmann erfahren.

Die Mutter klagte:

»Ach, ich wünsche, daß es Dir nicht so gehe wie mir. Je älter ich werde, desto räthselhafter und verwirrter sind mir manche Dinge. Ihr Männer seid glücklicher, Euch plagt das Einzelne nicht so sehr, weil Ihr das Ganze seht.«

Sie betrachtete ihren Sohn mit trübem Blick, sie hätte ihm gern das Entsetzliche mitgetheilt. Aber wozu ihn belasten, da er doch nichts leisten kann?

Erich berichtete von dem Leben auf Mattenheim und wie ihm das Glück geworden, auch da einen Freund zu gewinnen. In der Art, wie er das thätige Getriebe des Hauses darstellte, war etwas, als ob er eine frische Luftströmung in die Stube bringe, und die Mutter sagte:

»Ja, man vergißt in Wirrnissen, daß es noch schöne harmonische Existenzen gibt.«

Sie kehrte aber wieder zur Klage zurück und bejammerte die Lebenskämpfe, die einem Mädchen wie Manna beschieden seien. Und eben als sie ihren Namen nannte, kam ein Bote von Manna mit der Bitte, daß die Professorin zu ihr kommen möge.

Erich wollte dem Boten erwidern, daß seine Mutter unwohl sei, Fräulein Manna möge doch die Güte haben, hierher zu kommen; aber die Mutter richtete sich rasch auf und sagte:

»Nein, sie braucht meine Hülfe, ich muß gesund sein und ich bin gesund. Es ist gut, daß mich meine Pflicht von dieser kränklichen Nachgiebigkeit erlöst.«

»Ich komme,« rief sie dem Boten zu:

Sie kleidete sich schnell um und ging mit ihrem Sohn nach der Villa.


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