Berthold Auerbach
Das Landhaus am Rhein / Band IV
Berthold Auerbach

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Vierzehntes Capitel.

Noch lange saß Erich auf der Bank; die Nacht brach herein, er sah Licht im Hause seiner Mutter, er wußte, wie sie jetzt da sitzt und die Tante bei ihr, ja er glaubte sogar Harfentöne in der Luft zu hören, und doch, so weit drangen die Töne nicht. Aber in ihm klang und sang es und dazwischen schwirrte die Frage: Wie wird es Manna tragen, wenn sie das Entsetzliche erfährt? und darfst Du Theil haben an so erworbenem Gut? Wie wird Sonnenkamp rasen? Was wird Prancken beginnen? Die Welt wird sagen, es war fein angelegt; derweil Vater und Bräutigam abwesend, hat er mit Hilfe seiner Mutter die Tochter des Hauses geraubt. Laß die Welt herankommen! Die Liebe besiegt Alles!

Er sah Licht im Zimmer Manna's, er hörte das Fenster schließen, er sah lange hinauf; dann ging er nach dem Hof und befahl dem Reitknecht, ihm ein Pferd zu satteln.

Das Pferd wurde vorgeführt, es sah Erich mit großen Augen an, blies die Nüstern auf, wieherte und warf die Mähne zurück.

Er stieg auf und ritt in wildem Trabe davon, die Straße dahin. Er fühlte sich so sicher auf dem Pferde, das sich seines frohen Reiters zu freuen schien. Er fühlte sich so frei, als wäre alle Körperlast von ihm genommen und er könnte in die weite Welt hineinfliegen.

Er ritt den Berg hinan zum Dorf, wo der Krischer wohnte. Alles, was er auf diesem Wege erlebt und gedacht, drängte sich in einen Augenblick zusammen.

Er ritt ins Dorf.

Hier war Alles still; am Hause des Krischers hielt er an, er wußte nicht warum. In die stille Nacht hinein sang die Schwarzamsel: Freut Euch des Lebens. Weiter kam sie nie in der Melodie, und diese Melodie, so altväterisch und so gut, begleitete nun Erich und tönte mitten aus dem Hufschlag seines raschen Pferdes.

Still ritt er bergab, er sah bereits die Villa und das Glasdach der Treibhäuser, aber nochmals wendete er das Pferd. Er muß es einem Menschen sagen, einem Einzigen. Er ritt nach dem Hause des Majors. Wie ein Verirrter, der ein Licht in der Ferne sieht, freute er sich im Herzen, da er in dem kleinen Hause Licht blinken sah. Der Major, der den Hufschlag des Pferdes gehört hatte, rief zum Fenster hinaus:

»Herr Baron von Lichtenburg, sind Sie schon da?«

»Bis jetzt heiße ich noch Erich Dournay,« erwiderte Erich.

Er stieg ab, band das Pferd an den Gartenzaun und ging zu den Beiden hinauf, die ihn herzlich willkommen hießen.

»Was ist? Es ist doch Alles wohl?« fragte der Major.

Erich beruhigte ihn und der Major sagte:

»Sehen Sie doch, Fräulein Milch . . . setzen Sie nur ohne Scheu Ihre Brille auf . . . sehen Sie doch, unser Herr Erich sieht ganz anders aus. Sie haben ein Fieber, Sie haben so rothe Lippen.«

Erich konnte nicht sagen, daß seine Lippen noch von den Küssen brannten.

Der Major ging nach einem Schrank, mischte ein Pulver in ein halbes Glas Wasser, kehrte zu Erich zurück, befühlte ihm die Stirn und sagte:

»Sie dürfen jetzt schon trinken.«

Dann schüttete er ein zweites Pulver hinein, daß es aufbrauste, und Erich mußte, bevor er ein Wort weiter sprach, das zischende Getränk zu sich nehmen. Der Major lehrte sehr bedächtig, daß es nichts auf der Welt gebe, was gegen alle Aufregung besser wirke, als ein Brausepulver.

Fräulein Milch, die wohl merkte, daß Erich etwas mitzutheilen hatte, wollte sich entfernen, aber dieser rief:

»Sie sollen es auch hören, Sie und mein Freund hier. In Ihre treuen Herzen gebe ich es. Ich bin verlobt.«

»Mit Manna,« sagte Fräulein Milch.

Erich sah starr drein und der Major rief:

»Gottlob, daß sie in unseren Zeiten lebt! In vergangenen, finstern Zeiten hätte man sie als Hexe verbrannt; sie weiß Alles und sieht in die Ferne, es glaubt's kein Mensch. Wie wir da beisammen sitzen, hat sie gesagt: Heut Abend haben sich Erich und Manna ihre Liebe bekannt. Und wie ich lache, sagt sie: Lachen Sie nicht, ich hole eine Flasche Wein. Sehen Sie, Kamerad, da steht sie, und dann sagte sie: Heut Abend kommen sie mit einander. Nun, ganz prophezeien kann sie doch nicht; denn Sie sind allein gekommen, Kamerad. Komm her, laß dich küssen, Bruderherz!«

Er küßte ihn und fuhr fort:

»Du hast keinen Vater mehr, ich . . . ich führe Dich zum Traualtar. Gib mir die Hand. Und da sagen sie, es geschähen keine Wunder! Jeden Tag geschehen Wunder, gerade so gut wie in uralten Zeiten, wir verstehen sie nur heutigen Tages zu erklären; in alten Zeiten hat man das nicht verstanden.«

Fräulein Milch hatte die Flasche entkorkt und die Gläser eingeschenkt.

»Stoß an, mein Sohn!« rief der Major. »Stoß an! den Johannistrunk!«

Sie stießen an, der Major trank aus und küßte Erich nochmals, dann rief er:

»Gib auch Fräulein Milch einen Kuß, ich erlaub's. Fräulein Milch, wehren Sie sich nicht. Komm her . . . da . . . gib ihr einen Kuß; sie ist eine Freundin, Du hast keine bessere auf der Welt außer Deiner Mutter, und sie ist mehr als die Welt weiß; Du sollst es erfahren, Du verdienst es.«

»Herr Major,« unterbrach Fräulein Milch zitternd.

»Gut,« beruhigte der Major. »Ich sage ja nichts. Aber jetzt gebt Euch einen Kuß.«

Erich und Fräulein Milch küßten einander und Fräulein Milch wurde flammroth im Gesicht.

Nun saß man traulich beisammen und der Major hatte seine Freude, daß Prancken das prächtige Mädchen und die vielen Millionen nicht bekomme; daß das Kloster angeführt war, war ihm noch eine besondere Lust.

Erst spät in der Nacht kehrte Erich heim und er hörte noch immer die Schwarzamsel singen: Freut Euch des Lebens!

Im Zimmer Manna's war kein Licht mehr, aber Manna stand am Fenster.


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