Berthold Auerbach
Das Landhaus am Rhein / Band IV
Berthold Auerbach

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Vierzehntes Capitel.

Am großen Tische der Dienstboten Sonnenkamps war der Stuhl Bertrams unbesetzt. Man erzählte, daß der Castellan die Schrift an der Mauer abkratzen müsse, er habe aber dem Herrn bereits gekündigt. Der Küchen-Chef, der, wenn er zornig wurde, ziemlich geläufig deutsch sprach, wetterte gegen die Frechheit, daß Dienstboten, die sich doch um nichts weiter zu bekümmern hätten, als daß sie ihren ordentlichen Lohn bekommen, ihren Herrn verlassen. Der zweite Kutscher, der nun Hoffnung hatte, in die Stelle Bertrams aufzurücken, stimmte dem bei.

Das Eichhörnchen sprach die Besorgniß aus, daß Feuer angelegt würde, denn die ganze Gegend sei in Aufruhr und dazu sei jetzt die wilde Zeit, in der die Leute sich am neuen Wein gütlich thun. Lutz war nicht da, Niemand wußte, wohin ihn der Herr geschickt. Die alte Ursel bejammerte die unschuldigen Kinder, dabei aß sie aber mit großem Appetit und mit vollem Munde brachte sie immer das Kläglichste hervor.

Der stotternde Gärtner machte den Vorschlag, man solle bleiben, aber gemeinsam größeren Lohn verlangen. Mit Ausnahme Josephs wurde das beschlossen; man wußte nur noch nicht, wie man es vorbringen wollte.

Alles Lobes voll waren indeß die Unterirdischen über Prancken. Das ist ein Edelmann, wie es keinen zweiten gibt.

Hier unter der Erde war auch bekannt, daß Sonnenkamp dem Cabinetsrath die Villa geschenkt. Nun hatte der Gärtner des Cabinetsraths erzählt, daß das Landhaus just Sonnenkamp zum Possen an den amerikanischen Consul verkauft worden sei und die Familie des Cabinetsraths keine Gemeinschaft mehr mit Villa Eden haben wolle.

Ganz ähnlich wurde die Lage Sonnenkamps im Militär-Casino wie in den Bierhäusern der Residenz verhandelt. Hier war vorerst Adams, der Mohr des Fürsten, Mittelpunkt des Gesprächs. Es wurde erzählt, wie fünf Mann kaum vermocht hätten, den Rasenden zu bändigen; er habe Sonnenkamp erdrosseln wollen, und man habe ihn nur mit Mühe aus der Residenz entfernt und nach einem Jagdschloß gebracht. Man fragte, was Sonnenkamp nun thun werde; man begriff nicht, daß Prancken noch bei ihm blieb und die Familie desselben das zugab. Im Militär-Casino fehlte auch die Küchen-Ursel nicht, sie erschien hier nur als ein hoher pensionirter Beamter, der ebenfalls stark aß und während des Essens mit größtem Mitleid über die armen Kinder des Millionärs sprach.

Eine seltsame Wendung aber nahm die Unterhaltung im Hause des Doctor Richard, wo man heute zu Ehren der Frau Weidmann, die zu Besuch gekommen war, einen großen Kaffee gab; er war schon seit mehreren Tagen angeordnet, auch die Professorin, Claudine, Frau Ceres und Manna waren eingeladen, sie kamen nun natürlich nicht. Es wurde viel hin und her erörtert, wie man sich gegen das Haus Sonnenkamp zu benehmen habe, wenn Sonnenkamp so trotzig sein sollte, im Lande zu bleiben.

Lina, die vom Ausfluge mit ihrem Bräutigam zurückgekehrt war, sagte, sie werde wie früher im Hause Sonnenkamps sein und die Freundin Manna's bleiben.

Die ganze Stimmung schlug in Wohlwollen um, als Frau Weidmann Lina vollkommen Recht gab; sie erzählte von dem prächtigen Wesen Rolands, der bei ihnen zum Besuch gewesen, und von der gediegenen Kraft Erichs, den ihr Mann sehr hoch halte.

So schien Alles im Hause sowohl, wie in der Umgegend, in eine mäßige, milde Stimmung überzugehen.

Nur im grünen Hause zeigten sich am Sonntag Morgen die bitteren gehässigen Folgen des Ereignisses.

In der Stunde vor der Messe kamen die bedürftigen Umwohnenden, um ihre regelmäßige Wochengabe zu empfangen, heute kam nur eine einzige Frau in verwahrlostem Aufzuge; es war die Frau eines Trunkenbolds, sie trug ein Kind auf dem Arme und eines hielt sich an der Schürze.

Die Professorin hatte sich nur schwer dazu verstanden, dieser Frau Hülfe zu leisten, aber sie wollte die Verlassene und ihre Kinder nicht darben lassen.

Die Beschenkte betheuerte heute, daß sie nichts vom Gelde des Menschenhändlers nehmen würde, wenn sie es anders zu machen wüßte.

Und von diesem Gelde soll mein Sohn reich werden? sprach die Professorin klagend in sich hinein. Sie saß lange still, da kam Erich und berichtete:

»Ach, Mutter, er war in der Kirche mit Prancken!«

»Und nun?«

»Als er aus der Kirche kam, stand alles Volk in langen Reihen und schaute ihn an. Er ging auf einen armen Mann zu und reichte ihm ein Geldstück; der Arme streckte die Hand aus, schlug das Geld weg und rief: Ich will nichts von Dir! Und Alle schrien: Wir wollen nichts mehr von Dir! Mach' Dich hinaus aus dem Land! Sonnenkamp war davon gegangen, das Geldstück liegt noch vor der Kirche und Niemand will es aufheben.«

»Warst Du denn auch in der Kirche?«

»Nein, Manna und Roland haben es mir erzählt; drunten im Garten sitzen sie und weinen. Ich bin zu Dir geeilt, Du allein kannst uns helfen. Tröste sie, richte sie auf.«

»Ich kann nicht mehr,« sagte die Mutter, »ich bin zu schwach und fürchte, ich werde krank.«

Erich rief die Tante, daß sie bei der Mutter bleibe, und kehrte zu Roland und Manna zurück.

Schon am Nachmittag mußte der Doctor gerufen werden. Die Professorin war krank.

Die Verwirrung und Erschütterung hatten die Einen in Jugendkraft, die Anderen in Trotz oder in Gleichgültigkeit zu überwinden begonnen; die Professorin allein fühlte ständig einen Seelenschmerz, Tag und Nacht.

Erich war es schon vor Tagen aufgefallen, aber er erklärte es durch die Erschütterung, daß seine Mutter, als er Hand in Hand mit Manna vor sie trat, das wol innig und gut, aber so stumpf und gedrückt aufgenommen.

Die Mutter war gewohnt, keines Andern Hülfe zu beanspruchen, sie hatte immer die Kraft, Anderen zu leisten, und in diesem Leisten für Andere fand sie selbst sich immer wieder gestärkt. Seit dem Tage, als Fräulein Milch ihr die Eröffnung gemacht, war das anders; nur wie mechanisch vollführte sie ihre ehedem so frei belebte Thätigkeit.

Von jenem Tage an hatte sie sich vorgesetzt, jeden Luxus, den der prunksüchtige Mann auch gern auf sie ausdehnte, abzulehnen; von jenem Tage an war ihr die Wohnlichkeit genommen, sie sah sich in der Fremde. Stündlich war sie gerüstet, und Alles, was sie besaß und so ruhig um sich her aufgestellt, erschien ihr bereit, eingepackt zu werden und sich mit ihr an einen anderen Ort versetzen zu lassen.

Nie in ihrem Leben hatte sie sich mit Reue gequält, sie hatte nichts gethan, das sie wie einen Vorwurf, wie ein zu Tilgendes abwenden und auslöschen mußte; jetzt konnte sie eine beständige Reue nicht los werden.

Warum hat sie sich so unüberlegt an eine räthselhafte, in sich zerfallene Familie angeschlossen?

Freude und Schmerz trafen sie wie ein in Fieberphantasien Versunkenes.

Mitten in dieser Wirrniß, wo ihr alles vergangene Leben wie ein Traum erschienen, war plötzlich die Nachricht der verwittweten Fürstin gekommen, die ihr ein Asyl anbot und jetzt in ihrer Verlassenheit sich ihrer erinnerte. Sie empfand die Güte, die darin lag, und doch schmerzte sie es fast: sie hatte sich in das abhängige Leben hier gefunden, sie hatte den Widerspruch beschwichtigt, daß sie Gutes thun sollte von dem, was aus dem Bösen stammte; nun kam auf einmal das vergangene Leben wieder herauf, und statt der Empfindung, daß sie sich freuen sollte, wie dort am Hofe die Menschen besser waren, als sie sich vordem gezeigt hatten, und wie doch noch so viel Reinheit sich finde, verwandelte sich Alles in ihr zu Schmerz und Bitterkeit. Sie hatte das Anerbieten der verwittweten Fürstin abgelehnt und doch kam es ihr jetzt oft vor, als ob das Rettung gewesen wäre. Am meisten quälte sie, daß sie deutlich sah, wie sich Alles in ihr verkehrte und sie das doch nicht ändern konnte.

Daß Erich und Manna einander so innig liebten, hörte und sah sie mit einer fast erzwungenen Theilnahme.

So lebte sie wie sich selbst entfremdet; sie hoffte, Alles in sich selbst überwinden zu können. Jetzt, da die Hülfsbedürftigen die Gaben aus ihrer Hand ablehnten, jetzt brach hervor, was sie so lange in sich verschlossen hatte: eine namenlose Trauer. Es erschien ihr unfaßlich, daß ihr Kind in diese Familie eingewachsen sein sollte.

Der Doctor hatte die Mutter fieberisch aufgeregt gefunden; er gab ihr beruhigende Mittel. Die Mutter klagte, daß sie nie gewußt, wie zerfallen die Menschen in sich selbst und mit Anderen sein könnten; lächelnd erwiderte ihr der Doctor, daß nicht alle Menschen einen so feinen inneren Haushalt besitzen wie sie, und auf Sonnenkamp hinweisend, sagte er, daß es ein Klima des Geistes gebe, das uns ganz fremde Organisationen erzeuge, die aber nicht minder ihre Naturbedingung hätten, wie unsere alltäglich gewohnten.

Erich, Manna und Roland umgaben die Professorin mit beständiger Sorgfalt, und in diesem Sorgen für ein Anderes lag eine große Befreiung.

Fräulein Milch duldete es nicht, daß Manna sich ganz der Professorin widmete, sie war die beste Pflegerin.

Der Major ging wie verwaist umher. Von allen Menschen vielleicht, die Kinder nicht ausgenommen, war er am schwersten betroffen von der Kunde über das vergangene Leben Sonnenkamps.

»Die Welt hat Recht, heißt das, Fräulein Milch hat Recht,« sagte er immer, »sie hat mir beständig gesagt, ich sei kein Menschenkenner.«

Er fand indeß eine gute Zuflucht, er ging auf einige Tage zu Weidmann nach Mattenheim.


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