Berthold Auerbach
Das Landhaus am Rhein / Band IV
Berthold Auerbach

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Fünfzehntes Capitel.

Manna stand am Fenster und schaute hinaus in die Nacht, sie legte die heiße Stirne an die kalte steinerne Fenstersäule und sprach laut vor sich hin kurze Ausrufe, Hoffen, Bangen, Jauchzen, Klagen, Alles durcheinander. Nur die Sterne sahen das Antlitz, das so schmerzlich und so wonnig bewegt war, und in die leere Luft hinaus gingen die Küsse von Manna's Lippen. Sie schaute hinauf zu den Sternen, sie kannte sie, und doch dünkte ihr aller Sternenstrahl nur der Blick von Erichs leuchtendem Auge, das auf ihr ruhte.

Warum nun wieder allein? Warum noch eine Lebenssecunde allein? fragte sie in die Nacht hinein.

Eine tiefe Verlassenheit kam über sie, als wäre sie einsam in der Welt.

Und wieder war es ihr, als stünde sie schwindelnd an einem Abgrund und würde bald hinweggerissen, bald zurückgetragen; sie schaute um, als fühlte sie leibhaftig den Arm Erichs, der sie vom Boden hob. Sie fuhr sich mit der Hand über das Gesicht und es kam ihr vor, als wäre es nicht ihre eigene Hand; sie wendete sich zurück ins Zimmer und warf sich auf die Kniee.

»Weh! ich liebe!« rief sie. »Nein, ich danke Dir, o Gott, daß Du mir diese Probe auferlegt. Diese Probe? Nein, ich kann nicht mehr anders! Du, der Du die Liebe bist, den tausend Zungen nennen und doch nicht ganz zu nennen vermögen, vergib und hilf mir, hilf ihm und uns Allen. Laß mich leben in ihm und in Allem, was heilig und groß, schön und rein. Heimchen, Du meine Schwester, ein Stück von meiner Seele, Du bist dahin geschwebt über die Welt wie eine Blüthe, die vom Baum gefallen . . . ich, ich muß unter Sturm und Wetter am Baum des Lebens haften. Du, den ich anbete, Du, den er verehrt, wenn er auch nicht betet; sein Denken ist Gebet, sein Thun ist Gebet, sein Leben ist Gebet . . .«

Sie stand auf, sie ging wieder ans Fenster und starrte lange ohne festen Gedanken in den sternglänzenden Himmel. In die Mitternacht hinein schwebte etwas vom Fenster Manna's hinab in den Garten und blieb auf einem Baum hängen; es war der Bußgürtel, den sie gelöst hatte . . .

Am Morgen, als Manna erwachte, rief sie:

»Ich bin sein, sein! Ob er wol auch schon wacht?«

Sie öffnete das Fenster. Ein junger Staar, der jetzt noch im Herbst ein Nest baute, fand auf dem Baume vor dem Fenster Manna's die dünne hänfene Schnur, er faßte sie in seinen Schnabel, flog auf und baute sein Nest damit.

Drunten im Garten stand Erich; sich verhüllend rief Manna hinab:

»Ich komme gleich.«

Und in der ersten Morgenfrühe standen sie beisammen und umhalsten und küßten sich. Dann sprachen sie einander Muth zu, denn heute war Schweres zu ertragen, heute kam der Vater und Prancken.

»Ach Erich! ich bin so glückselig und so entsetzlich gepeinigt. Mein Vater –«

»Ich weiß Alles.«

»Du weißt und liebst mich?«

Sie fiel auf die Kniee und umfaßte seine Füße. Er erhob sie, setzte sich zu ihr und nun sprachen sie von dem Entsetzlichen.

»Erzähle mir,« sagte sie, »wie hast Du es ertragen?«

»Frage lieber, wie wird es Roland ertragen?«

»Glaubst Du, daß er es erfahren wird?«

»Gewiß. Wer weiß, wie bald die Welt . . .«

»Die Welt! die Welt!« rief Manna. »Nein, nein! Die Welt ist gut, die Welt ist schön. O Dank, Dank dem Unerforschlichen, daß er mir meinen Erich gegeben, meine Welt, meine ganze Welt!«

Ruhig und klar, wunderbar durchsichtig erkannte Manna Alles; aber mitten in der Darlegung warf sie sich an die Brust Erichs, schluchzte und rief:

»Ach, warum muß ich in meinen jungen Jahren Alles das wissen, Alles das erleben, besiegen?«

Hand in Hand gingen sie nach dem grünen Hause und setzten sich nieder, wo sie am Tage vorher mit der Mutter gesessen. Sie warteten, bis sie erwachte. In aller Lust und allem Leid einer heimlichen, von Gefahren umringten Liebe wollten sie ausdenken, wie es in der Hauptstadt ergangen war. Sie konnten es nicht ahnen.

Erich ließ Manna allein zurück. Er hatte ihr erzählt, daß er gestern in der Nacht beim Major gewesen, er wollte nochmals zu ihm, um ihn und Fräulein Milch zu bitten, das Geheimniß der Liebe ja recht streng zu bewahren.

Erich ging die Straße dahin, ein Wagen kam des Weges; sein Name wurde gerufen. Bella stieg aus.

Es freut mich, daß ich Sie noch treffe. Doch ich komme heute nicht zu Ihnen und den Ihrigen. Clodwig läßt Sie grüßen und bitten, zu ihm nach Wolfsgarten zu kommen; er ist einsam und Sie sind einsam und es wird Ihnen wol angenehm sein, die ersten Tage des Durcheinander hier im Hause und bis Sie sich in die Entfernung ihres Zöglings gefunden, bei uns zu verleben. Sie können mit unserm Wagen nach Wolfsgarten fahren, ich will hier bei meiner Schwägerin sein, bis Alles geordnet ist. Wo ist denn das liebe Kind?«

Erich geleitete Bella nach der Villa, er konnte kein Wort reden. Glücklicherweise kam Fräulein Perini und er konnte Bella ihr überlassen; er eilte zu Manna. Hastig athmend berichtete er, daß Bella angekommen sei; halb schelmisch, halb mitleidig sah ihn Manna an.

»Ist es denn wahr, daß Du sie einmal geliebt hast?«

»Ja und nein. Bist Du eifersüchtig?«

»Nein, denn ich weiß, Du hast nie geliebt, nie! Du kannst Niemand geliebt haben, Niemand als mich. Erich, komm! Hand in Hand laß uns vor sie hintreten und bekennen, was wir uns sind, und so vor aller Welt. Laß uns nur keine Minute heucheln, nichts verbergen. Ich habe den Muth, Alles zu bekennen und bin glücklich, Alles bekennen zu dürfen. Die Weltrücksicht soll uns keine Minute rauben, keine Minute, in der wir uns nicht ins Auge sehen, uns frei die Hand reichen und uns als Eins der Welt darstellen, wie wir es sind.«

Erich hatte Mühe, Manna zur Klugheit und Vorsicht zu bestimmen; er verlangte es als erstes Zeichen seines Rechts an sie, daß sie sich seinem Willen füge.

»Gut, ich gehorche Dir, aber ich lasse mich vor Niemand sehen.«

Er versuchte Manna zu bestimmen, daß sie Bella begrüße; doch sie widerstand und sagte:

»Kannst Du, der Reine, Gute, mich nur auf eine Stunde so verderben lassen? Wie soll ich dastehen, wie soll ich mich benehmen, wenn sie mich als Schwägerin begrüßt?«

Erich erzählte, daß Bella ihn veranlassen wollte, sofort nach Wolfsgarten zu fahren, um über die nächsten unruhigen Tage dort bei Clodwig zu sein. Und als er darauf hinwies, in welch seltsamer Lage ein Dienender sei, fuhr ihm Manna mit ihrer zarten Hand über das Gesicht.

»Du guter Mensch, Du hast dienen müssen; ich weiß jetzt, was das ist für Dich, die große, reine Seele, der Alles unterthan sein sollte. Ach, Du Guter, das hast Du Alles auf Dich nehmen müssen. Aber es ist gut, denn sonst wären wir nicht einander zu eigen geworden. Nun denn, ich werde es können, ich muß es können.«

Sie ging, Bella zu begrüßen, und hatte Haltung genug, dies in bester Form zu thun.

Erich entfernte sich bald und Bella sah mit Staunen den Blick, den Manna ihm nachsandte. Manna sprach sehr viel und ungewöhnlich lebhaft, so daß Bella aufs Neue stutzig wurde.

Jetzt kam auch der Major, um Manna zu gratuliren; als er Bella sah, schwieg er erschreckt.

Manna wendete sich ab.

Bella hatte genug gesehen. Plötzlich stand es vor ihr: Manna liebt Erich. Aber nein, das kann nicht sein! Sie wollte Manna umarmen und küssen, aber diese bat, ihr heute recht viel Ruhe zu gönnen.

Bella richtete sich hoch auf, sie warf einen Blick auf Manna, es war der Medusenblick, aber Manna hielt ihn ruhig aus. Ohne ein Wort weiter zu sagen, schritt Bella aus dem Hause und verließ die Villa.

Als Bella fort war, stand Manna starr; der Major trat auf sie zu und sagte:

»Kind, hast Dich tapfer gehalten, brav . . . hast ruhig gestanden im Feuer . . . Recht so! Sollst an mir eine Hilfe haben und an Fräulein Milch auch, und wenn sie Dich hier im Haus plagen, kommst Du zu uns . . . Sei ruhig, Du bist nie verlassen auf der Welt. Wirst schon noch erfahren . . . Red' nur nicht . . . an mir hast Du eine Hilfe . . . und sie hat mir gesagt, ich soll hierher gehen, sie wolle zur Professorin gehen, sie weiß immer das Rechte. Ich wünschte nur, wenn Ihr so lange bei einander seid, daß Ihr auch noch so zu einander seid wie wir . . . Wirst schon noch erfahren, wirst die Augen aufreißen. Man kann auch im Gegentheil stark sein, sie ist's im Gegentheil. Schon gut . . . Ich habe nichts ausgeplaudert? . . .«

Manna lächelte unter Thränen über die seltsame, unverständliche und doch so innige Zusprache des guten Majors.

Während Manna und der Major beisammen standen, ging Bella durch den Park.

Haß, tiefer Haß bewegte sich in ihr, ihr Auge schien etwas zu suchen, woran sie ihre Wuth auslassen konnte. Was kann man hier zerstören? Was thun, womit man die Menschen ärgert?

Sie dachte an Erich, an die Professorin, an Claudine, sie suchte einen Angriffspunkt, wo man sie fassen und zerschmettern könnte. Sie haßte vor Allem diese Dournay's, denn durch sie war eine Tonart in die Umgebung gekommen, die nicht sie bestimmte; diese Menschen hatten sie gegeben. Wer sind sie? Predigerhafte Schulmeister, die Trödel treiben mit sublimen Gedanken! Und sie, Bella, die glänzende, die bewunderte, die ehedem mit einem Blick, einem Wort beglücken konnte, stand daneben! Aber sie müssen fort, diese Schmarotzer, sie sollen fühlen, wer sie sind, und sollen wissen, wer sie kennt und zerbricht!

Sie ging unruhig hin und her zwischen der Villa und dem grünen Hause, endlich trat sie bei der Professorin ein. Hier traf sie Fräulein Milch.

Die ist's! Die packt man als Hammer, um die Anderen zu treffen.

Als Bella eintrat, erhob sich Fräulein Milch, verbeugte sich und wollte gehen.

»Bleiben Sie nur,« bat die Professorin. »Sie kennen doch die Frau Gräfin Wolfsgarten?«

»Ich habe die Ehre.«

Bella sah die Bescheidene an, die sie zerschmettern wollte, dann sagte sie:

»Ach ja, ich erinnere mich; sie ist die Haushälterin des Majors, wenn ich nicht irre?«

»Fräulein Milch ist meine Freundin,« fiel die Professorin ein.

»Ihre Freundin? Das wußte ich nicht. Sie sind sehr gütig.«

»Fräulein Milch ist meine Freundin und Helferin im Werke der Wohlthätigkeit.«

»Ach ja, Sie colportiren das Geld des Herrn Sonnenkamp.«

Es war unentschieden, ob dieses Sie auf beide anwesende Frauen sich beziehen ließ, oder ob es nur eine Anrede gegen Fräulein Milch war.

Bella sah, wie das Antlitz der Professorin zitterte. Jetzt ist's gefunden. Diese Professorin hat ihr durch ihren Sohn eine Kränkung angethan – nein, das nicht, aber sie hat sie persönlich gekränkt, sie hat sich in eine erste Rolle hineingesetzt, die ihr nicht zusteht.

Und Bella fuhr fort:

»Diese Gabenspendung an Verwahrloste, an notorische Trunkenbolde wird nun wol aufhören . . .«

Die Professorin bat Fräulein Milch, sie zu verlassen; sie hatte sie noch nie geküßt, heut umarmte sie sie innig und gab ihr einen Kuß. Sie wollte der Gekränkten eine Beruhigung, eine Entschädigung geben und der Gräfin zeigen, wie sie die so hart Angegriffene, die wehrlos schien oder sich doch nicht wehren wollte, hoch ehrte. Als Fräulein Milch weggegangen war, sagte Bella:

»Ich begreife nicht, wie Sie mit dieser Person so vertraulich sein können; Sie entwerthen dadurch die freundschaftlichen Beziehungen zu Ihnen.«

»Ich glaube, wen ich ehre und freundschaftlich an mich schließe, der ist dadurch in einer Ehrenstellung, und ich dürfte erwarten, daß das von Jedem gewürdigt würde.«

»Gewiß, gewiß, so lange Sie hier sind. Wenn Sie nun aber die Gegend bald verlassen?«

»Die Gegend verlassen?«

»Die Aufgaben sind ja hier erfüllt und . . .«

Die Professorin mußte sich setzen; die Augen Bella's glühten, sie hatte erreicht, was sie wollte. Sie hatte diesen immerdar mit Hoheit aufgeputzten Menschen allen Flitter abgerissen.

In sehr höflichem Tone sagte sie:

»Ach, ich bitte, es sollte mir in der That leid thun, wenn ich voreilig die von Herr Sonnenkamp beabsichtigte Entlassung . . .«

Die Widerstandskraft, welche die Professorin sonst in allen Schrecknissen bewahrt hatte, wich zum ersten Mal von ihr. Sie hatte viel im Leben kennen gelernt, das noch nicht; die reine Bosheit, die nichts will, als Bosheit seyn, sich zur Lust und Andern zum Leid, hatte sie nicht für möglich gehalten. Und in der Empfindung, daß sie das nun auch erleben, in ihrem Gedanken festsetzen, für wahr halten muß, verlor sie alle Kraft der unmittelbaren Gegenwehr.

Sie sah Bella an mit einem Auge, das diese zur Weichheit hätte stimmen müssen, aber Bella wollte nicht weich sein; sie mußte wieder einmal etwas zum Zerreißen haben, und da sie Erich nicht beikommen konnte, mußte es seine Mutter entgelten. Sie sprach noch sehr höflich und sehr viel; die Professorin hörte sie kaum und wußte kaum, daß sie endlich fortgegangen war.

Triumphirend rauschte Bella den Wiesengang dahin nach der Villa, sie bestieg den Wagen, der noch bespannt auf dem Hofe stand, und fuhr nach Wolfsgarten zurück. Ihre Zerstörungslust war gesättigt, sie war frei und froh.


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