Berthold Auerbach
Das Landhaus am Rhein / Band IV
Berthold Auerbach

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Zweites Capitel.

Knopf sprach indeß viel mit Roland, er pries ihn glücklich, daß er einen Mann wie Erich zum Erzieher erhalten. Roland war unaufmerksamer als je, zuletzt fragte er nur:

»Was ist der Vater Lilians?«

»Ein angesehener Advocat, ein Hauptkämpfer gegen die Sklaverei.«

Knopf hätte sich gern einen Schlag auf den Mund gegeben, als er das gesagt, aber es war heraus. Er sah Roland scharf ins Gesicht; zu seiner Beruhigung gewahrte er, daß die Mittheilung gar keine Wirkung auf den Jüngling geübt hatte.

Auf dem Wege hatte man noch die Melodie des Walzers im Gedächtniß und jetzt, da man sich dem Hofe näherte, wurde sie verdeckt, denn man vernahm das Wallen und Rauschen eines Mühlbachs und das Klappern der Mühle. Der Bach floß unter einem guten Theil des Hauses hinweg und trieb die dort angebaute Mühle.

»Sie werden heut Nacht nicht gut schlafen,« sagte Knopf zu Roland.

»Warum nicht?«

»Weil Sie sich an das Rauschen der Mühle gewöhnen müssen; wenn man sich aber daran gewöhnt hat, schläft man weit besser, als sonst irgendwo. Meiner kleinen Schülerin ist es auch so ergangen.«

Nicht weit vom Hofe trat die Gruppe am Zaun einer Einhegung wieder zusammen; Roland war voll Freude über die schönen Fohlen, die lustig umhersprangen und herbeikamen, da sie Herrn Weidmann witterten.

Dieser erklärte, dies sei seine Kleinkinderschule; er habe einen Fohlengarten angelegt, wo alle Züchter aus dem Gau ihre jungen Thiere hinschicken; da sei gutes Weideland, sie könnten sich austurnen, seien gegen mäßige Vergütung in guter Hut und alle versichert. Das nütze der Pferdezucht der ganzen Landschaft.

»Haben Sie sich bereits entschlossen, was Sie werden wollen?« wendete sich Weidmann an Roland.

Zum ersten Mal zögerte Roland, eine bestimmte Antwort zu geben.

Weidmann drängte nicht weiter.

Lilian machte sich von der Hand des Vaters los, ging zu Knopf und sagte ihm leise, er habe ihr immer nicht geglaubt, daß sie eine Begegnung im Walde gehabt; nun müsse er doch überzeugt sein, daß Alles Wahrheit gewesen.

Roland erzählte, wie auch Erich ihm das Begegniß nie habe glauben wollen.

Knopf strich immer mit der Hand über die Brust und seine Augen glänzten unter der Brille. Ja, mitten unter Chemie und rationeller Fütterung, Locomotivenpfiff und Dividenden-Speculation – mitten unter alledem gibt es noch Romantik in der Welt. Freilich, das begegnet nur Sonntagskindern und Lilian war ein Sonntagskind. Er wünschte, daß er etwas thun könnte, um den Kindern diese schimmernde Romantik einer wundersamen Begegnung zu bewahren und zu erhöhen. Aber zum Romantischen kann man gar nichts thun, es kommt immer von selbst, unerwartet und überraschend, läßt sich nicht reguliren und rationell anbauen; nur still halten kann man, den Athem anhalten, nichts rufen, sonst verschwindet der Zauber. Knopf that nun doch das Beste. Er ging davon und ließ die Beiden allein.

Sie schauten einander an und sprachen noch immer nicht. Eine schöne rothe Kuh, die eine Schelle um den Hals hatte und einen Kranz zwischen den Hörnern, wurde in den Hof geführt. Das Mädchen ging der Kuh entgegen und rief, sie streichelnd:

»Guten Abend, Rothtraut! Bist Du nun stolz, weil Du den Preis gewonnen? Wirst Du es Deinen Nachbarinnen erzählen? Wird Dir es noch gut daheim schmecken oder weißt Du gar nicht, daß Du so viel Ehre bekommen hast?«

Die Kuh wurde nach dem Stall geführt und Lilian sagte zu Roland:

»Möchtest Du nicht auch wissen, ob die Kuh eine Ahnung davon hat, daß etwas mit ihr vorgegangen ist?«

Da Roland noch immer nichts erwiderte, fuhr Lilian ernst werdend fort:

»Willst Du auch Landwirth werden und beim Oheim in die Lehre eintreten? Wenn ich fort bin, kannst Du in meinem Zimmer wohnen. Da ist's schön! Warum bist Du denn nicht früher zu uns gekommen?«

»Ich habe nicht gewußt, wo Du bist und wer Du bist,« konnte Roland endlich hervorbringen.

»Ach ja!«

Und nun erneuerten sie nochmals die Erinnerung, wie damals Lilian vom Oheim Weidmann fortgeführt wurde und wie Roland weiter wanderte zu Erich. Damals war Frühling, jetzt ist Herbst.

Roland erzählte, wie er sich auf der Reise bald so einsam und verlassen, bald so überselig gefühlt hatte; Lilian hörte ihm mit gespannten Mienen zu. Seine Stimme wurde immer bewegter. Er berichtete von seiner Krankheit, wie sich ihm da immer die Worte gesprochen hätten: das ist der deutsche Wald – wie er in seinen Fieberträumen auch Maienblumen verlangt und dies die ersten Pflanzen waren, die vor seinem Krankenbette gestanden, als er zur Besinnung gekommen. Lilian weinte, große Thränen rannen ihr über die Wangen.

»Hast Du die Blume aufbewahrt, die ich Dir geschenkt habe,« fragte Roland.

»Nein. Ich mag keine vertrockneten Blumen. Schenk mir etwas – schenk mir etwas, das nicht verwelkt.«

»Ich habe nichts,« erwiderte Roland. »Aber ich will Dir meine Photographie schicken, wo ich als Page – Nein, das ist nichts. Ach, wenn ich nur meine Ringe noch hätte! Ich möchte Dir einen Ring geben, aber Erich hat sie mir alle von der Hand genommen.«

»Ich will keinen Ring. Gib mir das – gib mir den Kieselstein, auf dem Dein Fuß jetzt steht.«

Roland bückte sich und gab ihr den Kiesel, dann bat er, daß sie ihm auch einen Kiesel gebe.

Sie that es und rief:

»Jetzt nehm' ich ein Stück Deutschland mit übers Meer.«

Roland schwieg, das Herz zuckte ihm.

Das Mädchen fuhr fort:

»Also das ist der Wildfang Roland, von dem der gute Herr Knopf immer spricht? Du glaubst gar nicht, wie lieb er Dich hat.«

»Vielleicht so lieb wie Dich?«

»Ja, mich hat er auch lieb, und er hat mir versprochen, er kommt zu uns nach Amerika.«

»Ich bin auch aus Amerika.«

»Ach ja! Willkommen, lieber Landsmann. Geh mit mir in den Garten und hilf mir einen Blumenstrauß suchen, den ich morgen mitnehme.«

»Wohin gehst Du denn morgen?«

»In aller Früh reisen wir heim.«

»Wir sehen uns nur zu Willkomm und Abschied,« sagte Roland.

»Komm mit mir in den Garten,« erwiderte Lilian.


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