Berthold Auerbach
Das Landhaus am Rhein / Band IV
Berthold Auerbach

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Neuntes Capitel.

In seinem Zimmer hatte Sonnenkamp gesessen; vor ihm lag der Briefbeutel, er öffnete ihn nicht. Was liegt daran, was die Welt draußen will? In ihm raste der Gedanke, daß er etwas thun müsse, etwas Empörendes, alle Welt Niederschmetterndes. Was? Er weiß es noch nicht. Stumm saß er mitten in der schönsten Landschaft bei verhängtem Fenster, wie in einem Keller.

Nur nicht weich werden! rief er sich zu. Was hast Du gethan? Ernst hast Du gemacht und Du bleibst dabei. Es ist gut, daß nichts mehr zu verbergen, daß Alles bekannt ist . . .

Er ging in den Park nach dem Treibhause. Er stand bei seiner unvergleichlichen Sammlung von Eriken aller Art, und wie im Fluge wandelten seine Gedanken nach all den Orten, wo diese Eriken heimisch, denn es war nicht Täuschung gewesen, als er Erich bei dessen Eintritt gesagt hatte: ich bin an den meisten Orten gewesen, wo diese Pflanzen wild wachsen. Muß man denn hier an diesem Orte haften?

Er ging nach dem Obstgarten und sah, wie hier die großen Früchte prangten; bei einzelnen Früchten waren an Drähten mit Wasser gefüllte Glaskugeln untergesetzt, damit immer Wasser verdampfe und die Frucht nähre. Das Alles kann man machen. Man kann der Natur den Weg weisen. Warum den Menschen nicht? Warum dem Schicksal nicht? Er sah die großen Früchte an, als könnten sie ihm Antwort geben. Lange stand er vor einem Baume, den er in Form einer Grafenkrone gezogen, und starrte auf die Zweige.

Er kehrte in sein Zimmer zurück und verschloß es. Er nahm einen Revolver von der Wand . . . da klopfte es.

»Was gibt's? Was ist?«

Ein Reitknecht nannte seinen Namen; Sonnenkamp öffnete. Der Reitknecht berichtete, daß der Rappe des Herrn röchele und Schaum vor dem Maul habe, er sei krank und man wisse nicht woher.

»So?« rief Sonnenkamp. »Habt Ihr den Rappen nicht, wie befohlen, als Handpferd spazieren geführt?«

»Ja. Soll ich den Thierarzt holen?«

»Nein! Komm, ich will ihn schnell curiren.«

Er ging hinab in den Stall, er schaute den Rappen grimmig an, dann stellte er sich an dessen Kopf und schoß ihn ins Hirn; das Pferd röchelte tief auf und stürzte nieder.

Als er eben den Stall verließ, kam ihm Prancken entgegen.

»Was haben Sie gethan?«

»Pah! Ich habe ein Pferd erschossen, und Jeder, der nicht unterduckt,« rief er laut, so daß alle Diener es hörten, »soll wissen, was ihm bevorsteht!«

Er befahl dem Reitknecht, ihm ein anderes Pferd zu satteln.

Joseph kam mit der Anfrage von Frau Ceres, was geschehen sei.

Sonnenkamp ließ ihr melden, daß er den Rappen erschossen. Er lächelte, als er den Bericht Pranckens von der Stimmung seiner Frau hörte, vermied indeß, zu ihr zu gehen.

Das große Haus bot die Möglichkeit, daß Jedes für sich lebte.

Er ging zur Professorin, es war ihm schwer, vor sie und Erich zu treten, aber es mußte sein; er mußte sich waffnen, allen Menschen keck ins Antlitz zu schauen. War er denn ein Feigling? Hatte er nicht der Welt Trotz geboten, und sollte er nun diese Lehrersfamilie fürchten?

Er trat in das grüne Haus. Er reichte weder der Professorin, noch Erich die Hand, er fragte nur, wo die Kinder seien. Er erhielt die Antwort, sie hätten sich in die Bibliothek eingeschlossen.

Mit leichtem Tone sagte Sonnenkamp, es sei ihm erwünscht, daß er nun offen über seine Verhältnisse mit ihnen sprechen könne; er werde zur Zeit schon Alles erklären.

Er ging ruhig wieder davon; er stand eine Weile am Bibliothekzimmer und hörte drinnen Roland und Manna sprechen, aber er verstand nichts.

Er klopfte zweimal an, kein Laut wurde vernehmbar. Er ging davon.

Er kehrte nach der Villa zurück und stieg zu Pferde; er ritt nach der Villa des Cabinetsraths, und wollte der Frau seine Meinung sagen. Wie er so dahin ritt, war es ihm, als ob der Reitknecht hinter ihm plötzlich anhielte, und dann wieder, als ob zwei hinter ihm drein ritten. Wer ist das fremde Geleite? Er zwang sich, nicht umzuschauen. Das Pferd zitterte unter dem Druck seiner Schenkel. Er kam beim Landhause des Cabinetsraths an, er hielt am Thor und fragte nach der Frau.

Der Gärtner sagte, daß sie nicht da sei und daß sie überhaupt nie mehr käme.

Hell auflachend hörte Sonnenkamp die Nachricht, daß seit gestern die Villa an den amerikanischen Consul in der Residenz verkauft sei mit Allem, was darin. Er ist überlistet, die Leute sind nicht mehr seine Nachbarn, und vom Zurückfordern des eigentlich nur mit einer Scheinsumme Bezahlten kann nicht mehr die Rede sein. Aber fürchtet denn der Cabinetsrath nicht, daß seine Bestechlichkeit offenbar gemacht werde?

Der Schlaukopf weiß dadurch Schweigsamkeit zu erkaufen, daß er die gerichtliche Untersuchung wegen Beleidigung des Fürsten niederschlägt.

Nach dem ersten Aerger hatte Sonnenkamp wieder seine gewohnte besondere Freude daran, daß so viel kluge Menschen auf der Welt sind; es ist doch eine Lust, was für Füchse und Luchse überall stecken und ihre besonderen Masken haben.

Ein Hoflakai kam des Weges daher geritten.

Sonnenkamp hielt ihn an.

»Wohin wollen Sie?« fragte er den Hoflakai im Anhalten.

»Nach Villa Eden.«

»Zu wem?«

»Zur Professorin Dournay.«

»Darf man wissen, wer Sie schickt und was Sie wollen?«

»Warum nicht?«

»Nun, was gibt's?«

»Die Professorin ist ehemals Hofdame bei der gnädigen Fürstin Mutter gewesen und die gnädige Fürstin hat sie sehr gern gehabt.«

»Gut, gut. Und nun?«

»Ja, nun soll die Professorin bei einem entsetzlichen Mann wohnen, der die ganze Welt betrogen hat und Sklavenhändler ist; da ist man ja keine Minute seines Lebens sicher, und da schickt mich nun die gnädige Fürstin, ich soll die Professorin, wenn sie will, gleich mitnehmen, damit sie von diesem Ungeheuer fortkommen kann.«

Der Lakai sah staunend auf, wie der Mann, der ihn ausgefragt hatte, ohne ein Wort zu erwidern, davon ritt.

In Sonnenkamp kochte die Wuth; aber bald lachte er hell auf.

So ist's recht! Furcht . . . Furcht hat die ganze Welt vor ihm! Das gibt Kraft, das ist noch besser als die einfältige Ehre, wobei man noch schön thun muß.

Er ritt nach der Burg. Hier waren die Arbeiter, die an einem Seitengebäude bauten; sie grüßten offenbar widerwillig. Sonnenkamp lächelte; sie müssen ihn doch grüßen. Er hätte gern die ganze Welt versammelt, um ihr auf Einmal trotzig ins Antlitz zu schauen.

Er ritt nach dem Hause des Majors.

Fräulein Milch stand am Fenster, und bevor er fragte, rief sie hinab:

»Der Herr Major ist nicht zu Hause.«

So ritt er heimwärts.

Als er an die Gartenmauer kam, bemerkte er, daß hier etwas mit großen Buchstaben angeschrieben war; er ritt näher und sah, daß durch einander vielfach angeschrieben war: Sklavenhändler! Sklavenmörder! Ein Künstler von etwas ungeübtem Talent hatte sogar einen Galgen abgebildet, daran hing eine Figur, die die Zunge herausstreckte, und auf der Zunge stand: Sklavenhändler! Er befahl dem Castellan, besser Acht zu geben und die frechen Menschen, die solches thun, niederzuschießen.

Der Castellan erklärte:

»Ich schieße nicht, zu Martini verlasse ich ja ohnedies den Dienst.«

Sonnenkamp ritt nach dem grünen Hause zurück, er wollte seine Kinder herausholen und der Professorin sagen, daß sie keine Gaben mehr dem Gesindel geben dürfe, das es gewagt, solche Worte an die Wand seines Gartens zu schreiben. Aber er kehrte wieder um. Das Beste ist, man läßt nichts merken.

Schnaubend vor Wuth kam er in seinem Zimmer an, und es däuchte ihm, daß dies Haus nicht mehr sein eigen sei; alle Menschen der Umgegend dringen ein, verhöhnend, bemitleidend; er lebt wie auf der Straße, Jeder spricht über ihn und er kann ihm nicht wehren.

Er stampfte mit dem Fuße auf.

Du hast gewollt, daß Jeder von Dir spreche, nun thun sie es – aber wie!

»Ich verachte Euch Alle!« rief er.


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