Berthold Auerbach
Das Landhaus am Rhein / Band IV
Berthold Auerbach

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Dreizehntes Capitel.

Schön geschmückt, mit Blumen im Haar, ging Manna im großen Saal auf und ab; sie schämte sich vor sich selber, als sie im großen Spiegel ihren entblößten Nacken sah, sie hüllte sich fester in die Tüllwolke; da traten Roland und Erich ein.

Erich stand starr.

»Sie kommen so spät,« sagte Manna.

Erich erklärte, daß er seinen Lehrer in die Ordnung des Badelebens eingeführt, und daß er wünsche, auch Manna möchte an dem feinsinnigen Manne Freude gewinnen.

»Ihren Lehrer?« sagte Manna, sie hatte wieder den umflorten Ton. »Machen Sie mich morgen mit ihm bekannt. Aber nun eilen Sie, daß Sie noch rechtzeitig zur Reunion kommen.«

»Ich bin nicht geladen,« entgegnete Erich.

»Nein, er ist nicht geladen, und da gehe ich auch nicht,« rief Roland.

Vater und Mutter kamen, es half kein Dreinreden; Roland blieb zurück, selbst den dringenden Bitten Erichs willfahrte er nicht. Die Familie fuhr nach dem Gesellschaftssaal. Roland schien es jetzt doch leid zu sein, daß er nicht mitgegangen; Erich mußte ihn auf die Tribüne des Saales begleiten, von wo sie die Gesellschaft tanzen sahen.

Prancken war der Herr der Gesellschaft und Manna theilte den Vorrang mit ihm, ihre Wangen glühten und Roland ärgerte sich, daß sie nicht ein einzigmal nach der Tribüne aufschaute.

Manna aber kam sich wie ihr selbst entzogen vor und mitten in der Lustbarkeit sagte sie zu Prancken:

»Haben Sie schon gehört, daß der Lehrer des Herrn Hauptmann Dournay angekommen ist?«

Prancken zog die Brauen zusammen. Also sie denkt an ihn, jetzt, mitten in der Lustbarkeit! Er hielt eine Weile an, er wußte nicht, was er antworten sollte. Endlich sagte er in heiterem Ton:

»Ach, Lehrer! Diese ganze Koppel von Lehrerthum, wird sie Ihnen nicht auch langweilig? Jetzt ist Musik, Tanz, Freude – kommen Sie.«

Er schwang sich mit ihr behend im Kreise und Manna war es, als schwebte sie in der Luft und nicht mehr auf dem Boden.

»Laß uns gehen,« sagte Roland auf der Tribüne zu Erich. Sie gingen und wandelten im Mondschein die schönen Waldwege, die sie heut am Morgen beschritten.

»Gibt es denn gar kein Mittel,« fragte Roland, »daß ich ein vertrautes Geheimniß, an dem ich so schwer trage, kundgeben darf? Ich möchte so gern mit Dir davon reden. Darf ich es Dir nicht sagen?«

»Nein, Du darfst unter keiner Bedingung Dein Wort brechen. Thust Du das, so lösest Du allen Halt in Dir selbst auf.«

Roland seufzte; er hätte Erich so gern gesagt, daß seine Familie geadelt wird.

Als sie nun auf die Lichtung hinaustraten und im Mondesglanz das Städtchen und das Thal überschauten und Töne aus dem Musiksaal wie verlorene Klänge zu ihnen heraufdrangen, sagte Roland wieder:

»Ich glaube, daß heut Abend Manna die Braut Pranckens wird. Die Mutter meint, daß dann das Andere schneller und besser zu Stande kommt. Nicht wahr, errathen darfst Du es doch?«

Erich erwiderte, daß es von Roland nicht wohlgethan sei, über Familien-Angelegenheiten zu sprechen, die man nur ihm anvertraut.

Er sprach das mit bebender Stimme. Was schon längst entschieden war, erschien ihm plötzlich ganz neu, unerhört, unmöglich. Mit Wonne in der Seele und mit Schauder zugleich empfand er, daß Manna ihm mehr geworden, als sie sein sollte. Er bohrte seinen Stock tief in den Boden und stemmte ihn so mächtig ein, daß er ihm in der Hand zerbrach; dann sagte er zu Roland, sie wollten nach Hause gehen.

Eben als sie ins Haus traten, fuhr der Wagen vor; Sonnenkamp stieg aus, hinter ihm Frau Ceres und Manna.

»Bist Du die Braut Pranckens?« fragte Roland.

»Du bist ein albernes Kind,« entgegnete Manna und sprang rasch die Treppe hinauf.

Sonnenkamp bat Erich, daß er zu ihm aufs Zimmer käme, Roland sollte sich zur Ruhe begeben.

»Hier ist eine leichtere Sorte Cigarren, stecken Sie sich eine solche an,« sagte Sonnenkamp zu Erich, indem er sich in den Stuhl zurücklehnte. »Herr Hauptmann, ich betrachte Sie als Zugehörigen, Sie sind unser und sollen es immer bleiben.«

Erich erzitterte. Sollte der Vater etwas ahnen? Sollte er jetzt, durch die ungeschickte Frage Rolands bewegt, ihm sagen, daß er jeden Gedanken von Manna abthun müsse? Sonnenkamp machte eine längere Pause; er hatte offenbar erwartet, daß Erich auf seine zutrauliche Anrede etwas erwidere. Da dieser aber noch immer schwieg, stand Sonnenkamp auf und ging im Zimmer auf und nieder. Dann blieb er vor Erich stehen und sagte:

»Heute gebe ich Ihnen das untrüglichste Zeichen, daß ich Sie als Zugehörigen betrachte. Reichen Sie mir Ihre Hand.«

Erich that's.

Sonnenkamp fuhr fort:

»Ich erkenne, ich ehre vollkommen Ihre Zurückhaltung.«

Unstet ging der Blick Erichs hin und her.

Was sollte das?

Nachdem Sonnenkamp mehrere Züge seiner Cigarre rasch hinter einander ausgestoßen, fuhr er fort:

»Sie haben, was vorgeht und was Sie wohl bemerkten, nie durch ein Wort zu erkennen gegeben.«

Immer noch bebte Erich. Sonnenkamp machte so ungewöhnliche Pausen.

Endlich stieß er fast wie unwillig die Worte hervor:

»Sie wissen, daß ich geadelt werden soll.«

»Nein, das wußte ich nicht.«

»Nicht? In der That? Hat Ihnen Roland nie eine Andeutung?« –

»Die Andeutung von einem Geheimniß wohl, aber ich habe ihm streng untersagt, ein anvertrautes Geheimniß auch nur mit einem Hauche zu brechen.«

»Sie hatten Recht. Ich bin Ihnen dankbar – Ich werde es Ihnen noch mehr sein. Also gradaus! Herr Hauptmann . . . Sie können zur Förderung . . . zur Beschleunigung der Sache wesentlich beitragen.«

»Ich?«

»Ja, Sie. Sie sind der Freund unseres edlen Grafen Wolfsgarten; er gehört bereits zu unserer Familie, aber er lehnt es beständig ab, wenn ich oder meine Freunde ihn in dieser Angelegenheit beanspruchen. Sie kennen mich, lieber Herr Hauptmann, Sie haben mein Leben beobachtet, Sie haben ein scharfes Auge, ich darf erwarten, daß Sie bei allen meinen Fehlern, die ich ja leider auch habe, gerecht und als Menschenfreund von mir denken. Sie sind ein Mann, der seinem Denken gemäß handelt. Sie verstehen mich doch?«

»Offen gestanden, ich verstehe noch nicht ganz.«

»Nun denn, ich werde in den nächsten Tagen – ich gebe ein ländliches Fest im Haus-Heilingthal – mir den Juden annectiren, Sie werden mit Ihrem Freunde Wolfsgarten gehen und leicht erfahren, welch ein Gutachten er über mich abgeben wird oder vielleicht schon abgegeben hat.«

»Sollte nicht Herr von Prancken oder die Gräfin oder auch der Cabinetsrath besser dazu geeignet sein?«

»Nein. Ich würde Sie ja sonst nicht bemühen. Graf Wolfsgarten hat jegliche Auskunft abgelehnt, denn nach seiner etwas pedantischen . . . ich meine nach seiner feinen, strengen Weise sagt er beständig, ein vertraulich abgegebenes Gutachten, das nur vor das Auge des Fürsten kommen soll, darf niemand Anderem bekannt sein. Der Fürst reist in den nächsten Tagen ab, er ist in guter Stimmung. Also nicht wahr, lieber Dournay, Sie erforschen mir das? Es wird Ihnen ja so leicht!«

»Herr Sonnenkamp,« entgegnete Erich, »Sie hatten vorhin die Güte, es als correctes Verfahren zu erkennen, da ich Roland davon abhielt, mir ein Geheimniß anzuvertrauen. Wie sollte ich nun –«

»Ach lieber Dournay,« fiel Sonnenkamp ein, »man versagt einem jungen Menschen Manches, was man sich selbst erlauben darf. Ich ehre, ich respectire Ihre Wahrhaftigkeit, ich erkenne auch das Opfer an, das Sie mir bringen . . . vollkommen . . . durchaus . . . aber dies Opfer bringen Sie mir?«

Erich suchte den Auftrag abzulehnen, Sonnenkamp warf den Kopf zurück, da Erich darauf bestand, daß er nicht zum Ausforschen geeignet sei und es für einen Verrath an der Freundschaft halte, vertrauliche Mittheilungen weiter zu geben.

»Ich glaube indeß,« schloß er, »daß Graf Wolfsgarten mir nichts Näheres sagen wird.«

Sonnenkamp war innerlich empört, aber er lobte die Gewissenhaftigkeit Erichs, er sprach begeistert von seinem feinen Tact, seiner sittlichen Reinheit und seiner Ideengröße . . . Ja, er bat ihn um Verzeihung, daß er einmal kurz geglaubt, Erich sei etwas mehr als der Freund Bella's. Er entschuldigte dieses kurze Unrecht mit seinen traurigen Erfahrungen und pries es als höchstes Glück, einmal einen wirklich edlen und reinen Mann kennen gelernt zu haben.

»Mein lieber junger Freund!« sagte er mit zitterndem, ja mit einem wie von Thränen gepreßten Ton. »Ja, mein Freund, so nenne ich Sie, denn Sie sind es – habe ich auch selber nicht das Recht, Ihnen so nahe sein zu dürfen, wie ich wohl möchte, so bedenken Sie, Sie wirken ein Großes, ja durchaus Nothwendiges – nicht für mich, was liegt an mir? Sie bewirken es für unsern Roland . . . für unsern Roland!« wiederholte er nachdrücklich.

Bei Nennung dieses Namens war es, als wenn Erich plötzlich erwachte; er erwiderte zunächst nur fragend, warum denn Herr Sonnenkamp für Roland den Adel wünsche.

»O mein Freund!« fuhr Sonnenkamp zärtlicher werdend fort, »das ist das letzte, das einzige Ziel meines Ringens in der alten Welt. Wer weiß, wie bald ich sterbe, Sie bleiben der Freund, die Stütze meines Sohnes . . . geben Sie mir die Hand . . . Sie bleiben es. Ich sterbe in ruhiger Zuversicht, da ich ihn in Ihrer Obhut weiß. Ach, man sieht mir nicht an, wie krank ich bin. Ich halte mich gewaltsam aufrecht, innerlich bin ich gebrochen. Die Mühen und Kämpfe des Lebens haben etwas in mir geknickt, was mir Niemand ansieht. Es kann plötzlich einmal enden und da möchte ich meinen Sohn in fester Geborgenheit zurücklassen. Mein Freund! Sie lieben unser schönes, unser herrliches deutsches Vaterland. Sie gewinnen dem Vaterland einen treuen, mächtigen Sohn. Bleibt Roland, wie er ist, behält er den Namen, den er hat, wird er sich immer als Bürger der Welt da drüben ansehen, wird nie ein echter Sohn unseres erhabenen deutschen Vaterlandes, in welchem allein ein Mann mit edlem Sinn und reichen Mitteln eine humane Mission erfüllen kann. Verzeihen Sie, wenn ich mich nicht so warm ausdrücke, wie ich es fühle, wie ich es zu Ihnen sollte. Ich sage Ihnen nur, Sie haben so viel an Roland gethan, machen Sie ihn nun auch zum Sohne Deutschlands, wenn nicht um unseret-, so doch um des Vaterlandes willen.«

Sonnenkamp wußte wohl, welch eine tiefklingende Saite er in Erich berührte, und dazu der schmerzvolle, innige Ton des Vaters, und ein Blick, so groß, so weit, so andachtsvoll, als sähe er nicht nur über seinen Tod, sondern auch über alles einzelne Sein hinweg. Erich war erschüttert und sagte:

»Für Roland gebe ich mein Leben hin . . .«

Sonnenkamp wollte ihn umarmen, aber Erich bat, ihn ausreden zu lassen.

»Mein Leben kann ich hingeben, meine Grundsätze nicht; aber ich bin jede Minute bereit, mich von Vernunftgründen bekehren zu lassen. Glauben Sie denn, daß es für Roland ein Glück wäre, wenn er geadelt wird?«

»Das einzige, sonst gibt es keines. Sie verkennen mich gewiß nicht, mein lieber herrlicher Freund. Ich bekenne Ihnen offen, ich schätze das Geld hoch, ich habe es schwer erworben und möchte es auch erhalten. Ich möchte das bewegliche Besitzthum zum unbeweglichen machen, wenigstens zum guten Theil; mein Sohn soll das, was ich mit eisernem Fleiß erworben, frei genießen. O mein Freund, Sie wissen nicht, wie mein Leben hart gehämmert wurde, weil ich . . . Doch lassen wir das, es würde mich heute zu sehr erschüttern. Aber da fällt mir ja eine Hauptsache ein, gut, daß ich mich daran erinnere. Sie waren die Veranlassung, daß ich mein Dichten und Trachten auf diesen Gedanken brachte.«

»Ich? Warum ich?«

»Erinnern Sie sich. – Am ersten Tage Ihres Eintritts haben Sie mir gesagt und noch oft bestätigt, Roland habe keine besondere Begabung, die ihn zu einem besonderen Berufe verpflichtet. Damals kränkte es mich, aber es ist vollkommen wahr. Gerade weil Roland nicht mit Genie begabt ist, soll er adlig werden, das gibt auch mittelmäßigen, nicht selbst erobernden Naturen Stellung und Halt. Man ist Baron, man ist Graf, damit ist man bereits etwas, hat nicht erst etwas zu werden; und ist er sonst noch etwas, ist man ihm dankbar dafür, findet es besonders schön. Ach, lieber Freund, ich spreche viel durcheinander.«

»Durchaus nicht.«

»Lassen Sie mich nur noch sagen: tritt Roland einst – ja vielleicht bald – in den Besitz von Millionen, ist er ein Adliger, so steht er nicht nur in der geschlossenen Reihe, sondern hat auch alle Verpflichtungen und höheren Aufgaben von Ehre, Wohlthätigkeit, Gemeinnützigkeit, und hat sie doppelt, weil er ein Neugeadelter ist. O mein Freund, ich öffne Ihnen mein ganzes Herz – Ich kenne fast die ganze bewohnte Welt, und soll ich Ihnen sagen, was ich gefunden?«

»Ich würde es dankbar aufnehmen.«

»Nun denn, mein Freund; es gibt drei Menschengemeinschaften, die einen Zusammenhalt bilden, so daß man nicht allein steht. Von diesen Dreien muß man Eines sein in dieser zerfallenen Welt . . .«

Sonnenkamp machte eine Pause, und da Erich ihn fragend ansah, fuhr er fort:

»Ja, mein Freund, in der Welt muß man sein: entweder ein Jude, oder ein Jesuit, oder ein Adliger. Sie lächeln? Sie sind überrascht? Lassen Sie es mich erklären. Uebersehen Sie die ganze Welt und Sie werden finden, daß diese drei allein noch zusammenhalten, unverbrüchlich, beständig, sie bieten noch eine wirkliche Gemeinschaft. Ein Jude kann mein Sohn nicht werden, ein Jesuit soll er nicht werden, ein Adliger muß er werden.«

Erich war wie benommen von alle dem, was ihm Sonnenkamp mittheilte, sein Freisinn sträubte sich, aber er sah, wie unzerstörbar der Gedanke in Sonnenkamp war, und rückwärts schauend, wurde ihm klar, wie Alles immer darauf gestellt und gerichtet war. Und sollte es nicht vielleicht gut sein, wenn Roland geadelt wird? Daß dies allein im Stande wäre, ihm in Deutschland eine wirkliche Heimat zu geben?

Bis tief in die Nacht hinein legte Sonnenkamp dar, wie nothwendig der Adel für Roland sei, und übermüdet gab endlich Erich das Versprechen, daß er auch bei Clodwig dahin wirken wolle. Ruhelos lag er in seinem Bette, er erschien sich als ein Abtrünniger.


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