Berthold Auerbach
Das Landhaus am Rhein / Band IV
Berthold Auerbach

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Zehntes Capitel.

Die Cabinetsräthin erwies sich dankbar und gut unterrichtet, sie zeigte Sonnenkamp einen Brief ihres Mannes, worin dieser schrieb, daß der Fürst mit großer Befriedigung den Bericht über die Stiftung gelesen hatte. Der Fürst sprach die Absicht aus, die Villa und die berühmten Treibhäuser und Obstpflanzungen Sonnenkamps in Augenschein zu nehmen. Das sollte allerdings noch geheim gehalten werden, aber es war doch gut, daß Sonnenkamp unterrichtet war. Er ließ die Bitte zurückgehen, daß man vom Besuche des Fürsten telegraphisch Nachricht geben möge.

Wie gefangen kam er sich nun in seinem Besitzthum und im Umkreise desselben vor. Er hatte nie daran gedacht, bevor er ins Bad reiste, die Villa zu verlassen; aber jetzt war es ihm, als würde er plötzlich fortgerissen und der Fürst käme gerade während seiner Abwesenheit.

Er gab genaue Anordnungen und versprach sogar einen besonderen Lohn für schnellste Beförderung eines aus der Residenz ankommenden Telegramms; aber Tag um Tag verging, es kam nichts.

Alles war wieder im ruhigen Geleis, nur Sonnenkamp war in beständiger fieberischer Erregtheit; Prancken wollte abreisen, Sonnenkamp bat, daß er bleibe; im Vertrauen theilte er ihm mit, welchen Besuch er erwarte.

Prancken ertrug es geduldig, daß Manna jede entscheidende Annäherung ablehnte; er war froh, daß sie Erich mit offenbarem Widerwillen behandelte, denn Manna hatte nach den Tagen des harmlosen und lustigen Lebens wieder in strenger Selbstpeinigung sich zurückgezogen und ganz offenkundig, wenn sie Erich begegnete, verfinsterte sich ihr Blick.

Sonnenkamp ging unruhig durch den Park, durch den Obstgarten und die Treibhäuser; seine alte Liebhaberei, mit dem übergeworfenen sackartigen Gewande in der schwarzen Erde zu wühlen, trieb er mit größter Vorsicht. Er saß im Warmhause und wie er so sinnend in sich versunken saß, da ging es wie ein wundersames Säuseln durch die Luft, ein leises, kaum hörbares Knistern ward vernehmbar und laut rief Sonnenkamp:

»Sie ist aufgebrochen!«

Die Victoria regia hatte sich entfaltet. Er sah die Blüthe, er freute sich ihrer und doch schüttelte er ärgerlich den Kopf: Warum konntest Du nicht warten und in dem Moment, wo der Fürst dastand, aufbrechen? Die Natur müßte man zwingen können!

Er schickte sofort einen Wagen zur Cabinetsräthin. Sie kam und fand das ganze Haus, selbst Frau Ceres im Anstaunen der wunderbaren Blüthe.

Sonnenkamp erklärte ihr, wie die Victoria regia am ersten Tage schneeweiß blüht, in der Nacht die Blüthe sich schließt, in der zweiten Nacht wieder aufbricht, aber dann in rosenrother Farbe. Alle vier Tage geht eine neue Blüthe auf und die abgeblühte Blume senkt sich unter Wasser.

Er nahm die Cabinetsräthin bei Seite, sie sollte das Ereigniß sofort nach Hofe berichten. Jetzt war bestimmte Veranlassung, daß der Fürst käme.

Noch am Abend traf die Nachricht ein, daß der Fürst und die Fürstin am andern Tage eintreffen werden; sie würden es aber sehr übel vermerken, wenn man für den Besuch, der nur als eine Zufälligkeit erscheinen sollte, etwas vorbereite.

Sonnenkamp seufzte vor sich hin. Wenn Alles zufällig sein soll, dann bringt der Fürst das Adelsdiplom nicht, das bedarf ja der Vorbereitung und vieler Förmlichkeiten. Vielleicht aber ist Alles schon im Geheimen geschehen, der Cabinetsrath darf nur nichts davon verrathen.

Die unterrichtete Nachbarin hielt das nicht für wahrscheinlich und Sonnenkamp war damit die Freude verdorben. Also immer und immer muß man Neues thun! Immer warten und sorgen!

Mit der größten Selbstbeherrschung nahm er sich vor, keinerlei Verstimmung und Ungeduld erkennen zu lassen.

Am Morgen nach einer fast schlaflosen Nacht verkündete Sonnenkamp, daß heute Niemand das Haus verlassen dürfe und wie befehlend, sagte er Frau Ceres, sie möge heute nicht krank sein. Er ging zur Professorin und bat sie, die Ehrenformen des Hauses zu übernehmen; ihr gestand er, wen er heut erwarte, denn vor ihr, sagte er, könne er keinerlei Geheimniß haben.

Die Professorin schauerte in sich zusammen, ihr Blick sprach: Und das wagst Du mir zu sagen, die ich doch weiß . . .

Aber sie bezwang sich und stellte sich Herrn Sonnenkamp zur Verfügung.

Die Professorin trug heute zum ersten Mal eine Broche mit dem Pastellbilde ihres verstorbenen Mannes, und nun wollte Frau Ceres wieder all ihren Schmuck anlegen; es gelang nur schwer, sie zu überzeugen, daß sie einfach gekleidet sein müsse.

Vom Cabinetsrath aus der Residenz kam ein Telegramm, daß die Fürstlichkeiten abgereist seien.

Nun war es entschieden.

Auch Erich, Roland und Manna wurden unterrichtet. Erich wollte auf seinem Zimmer bleiben.

»Sie erwarten wol, daß Sie gerufen werden?« sagte Prancken scharf.

»Ich erwarte nichts als Freundlichkeit, wo ich mir keiner Verletzung bewußt bin,« erwiderte Erich.

Prancken machte eine kaum merkliche wegwerfende Bewegung des Kopfes, ihm war es entschieden: der Mensch muß fort, der Mensch wird lästig; diese Lehrersfamilie hat sich eingenistet wie Raupen in einem Bienenstock, da hilft nichts als Ausräuchern.

Prancken war der Ruhige, er war Kammerherr und Baron von Prancken und Alle umher waren nichts als armselige Unterwürflinge.

Nicht minder ruhig als Prancken, aber aus ganz anderem Grunde erschien Manna. Sie verwarf es, daß man von der Ankunft sterblicher Menschen sich so in Hast und Unruhe versetzen lasse. Sie war äußerlich ruhig, innerlich aber bangte sie. Was soll dieses Jagen nach Ehre von Anderen und nun gar hier?

Sie wagte schüchtern, die Bitte auszusprechen, daß sie sich zurückziehen dürfe. Man konnte ihr die Bitte nicht gewähren.

Prancken sagte, sie werde sich nach Ueberwindung der ersten Förmlichkeiten am Hof wohl fühlen und Sonnenkamp setzte hinzu, sie werde an der Seite des beliebtesten Cavaliers Freude und Ehre empfangen.

Manna schaute nieder; da kam Roland herbei. Er trug ein vollständig weißes Sommergewand.

Er war voll Uebermuth und redete Manna zu, sie solle nicht furchtsam sein, die Fürstlichkeiten seien überaus huldreich und nach den ersten Worten sei man mit ihnen wie unter Kameraden.

Auf dem flachen Dache des Hauses stand Lutz ausschauend, jetzt kam er rasch herunter und rief:

»Sie kommen!«

Alles zerstreute sich, als ob man Niemand erwartet hätte.

Zwei Wagen fuhren in den Hof. Sonnenkamp eilte die Freitreppe hinab, aber auf der untersten Stufe strauchelte er, er mußte sich am Geländer festhalten.

Was ist denn das?

Ein schwarzes Gesicht!

Ist das Einbildung oder Wirklichkeit?

»Kommen Sie, kommen Sie!« rief Prancken, der ihm nachgeeilt war. »Die Fürstlichkeiten erheben sich bereits.«

Er kam noch glücklich am Wagen an und hatte die Gunst, dem Fürsten beim Aussteigen die Hand reichen zu dürfen. Die Fürstin stieg an der andern Seite des Wagens mit Hilfe Pranckens aus; sie sprach einige huldreiche Worte, wie sie sich freue, einmal den Ort und den Mann in seinem Hause zu sehen, von wo er so viel Schönes und Gutes dem Volke schaffe.

Die Fürstin, die mit besonderem Eifer die Wohlthätigkeits-Anstalten des Landes pflegte, betrachtete sich zu Dank verpflichtet für die großen Leistungen Sonnenkamps. Sie hätte zwar lieber gesehen, wenn er die bedeutenden Summen den von ihr gegründeten Anstalten zugewiesen hätte. Es war ein entschiedener Fehler Pranckens, daß er das nicht beachtet hatte.

Ein kaum merklicher Ton der Mißlaune drang durch, indem die Fürstin sagte, sie freue sich, wenn immer neue Anstalten gegründet würden.

Frau Ceres war mit Manna herbeigekommen.

Die Fürstin sprach einige Worte zu ihr und sagte dann Manna, sie gleiche ihrem Bruder wenig, nur die Augen hätte sie gleich mit ihm. Sie fragte nach Roland.

Man sah ihn jetzt auf der Treppe, er sprach heftig in Erich hinein, er solle mit ihm gehen; aber Erich und die Mutter baten, er solle allein vorangehen. Er ging und wurde von den Fürstlichkeiten sehr liebreich bewillkommt.

Der Fürst ging nach dem Hause. Auf der Freitreppe standen die Professorin und Erich. Mit raschem Schritt ging der Fürst auf die Professorin zu und sagte, ihr beide Hände reichend, wie er sich freue, sie wiederzusehen, und auf das Pastellbild der Brosche deutend, fügte er hinzu, daß er diesem Manne ein dankbares Andenken bewahre, er trage sein Bild im Herzen. Erich schien kaum bemerkt zu werden; ein Blick der Mutter sagte dem Fürsten: »Sprich mit meinem Sohn,« und der Fürst wendete sich an Erich mit den Worten:

»Hoffentlich haben Sie, lieber Dournay, einen bessern Schüler als Ihr seliger Herr Vater an mir hatte.«

Erich wußte nichts zu erwidern, er verbeugte sich still. Jetzt trat Prancken vor und fragte:

»Wollen Hoheit zuerst den Park und die blühende Victoria regia oder das Haus in Augenschein nehmen?«

»Fragen Sie die Fürstin,« wurde erwidert.

Mit großer Gewandtheit bewegte sich nun Prancken nach der andern Gruppe und erhaschte den Blick Manna's, der ihm überall hin folgte. Was ist jetzt Erich? Dort steht der arme Mensch; es ist lächerlich, daran zu denken, daß er neben einem Prancken etwas bedeuten mag.

Die Fürstin sagte, daß sie nach der Fahrt im Freien lieber ins Haus eintrete.

Man begab sich nach dem Balconsaal, wo ein Frühstück bereit stand. Sonnenkamp hatte die Kühnheit, zu sagen, daß die erhabenen Fürstlichkeiten mit dem einfach Unvorbereiteten, das ein schlichter Mann zu bieten vermag, vorlieb nehmen möchten.

Frau Ceres hatte die Gunst, rechts neben dem Fürsten zu sitzen, zu seiner Linken befahl er die Professorin; die Fürstin saß zwischen Sonnenkamp und Roland.

Erich fand in einem der begleitenden Cavaliere einen ehemaligen Kameraden, der sich mit ihm unterhielt.

»Sie müssen nun bald eintreten,« wendete sich der Fürst an Roland.

Sonnenkamp sah ihn starr an. Der Fürst weiß ja, wann Roland eintreten soll. Er erwartete jeden Augenblick, daß der Fürst einem Kammerherrn winke, er möge ihm das Adelsdiplom überreichen, aber es geschah nicht. Der Fürst unterhielt sich angelegentlich mit der Professorin und sprach sein Bedauern aus, daß eine so edle und geistig belebende Dame dem Hof entzogen sei. Man stand bald wieder auf und Sonnenkamp war glücklich, wie der Fürst Alles besichtigte und Treibhaus und den Park und die kunstvolle Obstzucht mit hohem Lobe rühmte. Plötzlich fragte der Fürst die Professorin:

»Wo ist denn Ihre Schwägerin, die schöne Claudine?«

»Sie ist hier bei uns, sie wohnt mit mir in dem Hause, das Herr Sonnenkamp uns eingeräumt hat.«

»Besuchen wir sie,« sagte der Fürst.

Nun ging es durch die neue Thür über die Wiese nach dem grünen Hause.

Claudine war überrascht, aber sie bewahrte ihre gute Haltung.

Der Fürst sagte, er könne sich gar kein Harfenspiel vorstellen, ohne Fräulein Claudine mit ihren langen Locken dazu zu denken, wie sie auf einem Tabouret saß und die Harfe im Arme hielt; es sei eine seiner liebsten Jugend-Erinnerungen, wie er sie im Zimmer seiner Mutter gesehen und gehört habe; das sei die schönste Romantik seiner Kindheit. Wiederholt sprach er seine Dankbarkeit gegen die Schwester seines Lehrers aus und pries Herrn Sonnenkamp glücklich, zwei so edle Frauen zu Nachbarn zu haben.

Der Fürst hatte das ernste Bestreben, die Menschen glücklich zu machen, und er glaubte sie durch porzellanene Redeblumen zu beglücken; er war überzeugt, daß Tante Claudine von diesem Tage an ein Genügen und eine Freude ohne Gleichen empfinden werde.

Er blieb lange in dem grünen Häuschen und befahl zuletzt, daß die Wagen hieher kämen, damit man von hier wieder abreise.

Erich, der nicht zum Mitgehen aufgefordert worden, war auf der Villa zurückgeblieben und unterhielt sich mit dem fürstlichen Lakaien, einem großen Mohr, genannt Adams, der eine phantastische Livree trug.

Der Mohr wurde bald zutraulich. Erich erfuhr nur abgerissen einzelne Thatsachen aus seinem Leben. Er war als kühnster Springer und Mann von ungeheurer Stärke Mitglied einer Reiterbude gewesen. Der Bruder des Fürsten, der eine Reise in Amerika gemacht, kaufte ihn los und nahm ihn mit nach Europa. Jetzt war er der Lieblingslakai des Fürsten. Während er sprach, sah er immer nach der Villa; sein rollendes Auge schien etwas zu suchen.

Erich sprach zum ersten Mal in seinem Leben einen Menschen, der Sklave gewesen; es bewegte ihm dies das Herz und doch konnte er ein Bangen nicht überwinden, zumal da der Neger so unruhig war, als hätte er etwas in sich zu bekämpfen.

Während Erich mit dem Neger sprach, war im grünen Hause von ihm die Rede. Die Tante lenkte mit Geschick das Gespräch auf ihn und erzählte dem Fürsten, welch ein Mann Erich geworden. Als man nun nach dem Wagen ging, sagte der Fürst ganz laut zur Professorin:

»Wo ist denn Ihr Herr Sohn? Sagen Sie ihm, daß ich ihm gern einmal beweisen möchte, wie ich mich unserer Jugendkameradschaft erinnere.«

Die Fürstlichkeiten fuhren davon. Der große Mohr, der auf dem Rücksitz saß, schaute lange rückwärts.

Sonnenkamp war sehr verstimmt. Er sagte zu Prancken, dieser Besuch des Fürsten habe eine unbegreifliche Wendung genommen; er verstehe das nicht. Er gab nun den Verdruß kund, daß er, der Herr des Hauses, eigentlich am wenigsten beachtet worden sei; es mochte ihn aber noch etwas Anderes beunruhigt haben.

Als man nach der Villa zurückkehrte, ging Manna auf Erich zu und sagte ihm:

»Der Fürst hat Ihrer Mutter einen besonderen Gruß an Sie aufgetragen und Sie sollen sich erinnern, daß Sie sein Jugend-Kamerad gewesen.«

»Das einzig Erfreuliche an der fürstlichen Gnade ist für mich, daß Sie, Fräulein Manna, mir die Botschaft überbringen,« entgegnete Erich.

Alle staunten über diese Zutraulichkeit zwischen Manna und Erich. Prancken lachte höhnisch über die gewandte Keckheit des Schulmeisters.

»Wo waren Sie denn?« fragte Sonnenkamp im verweisenden Ton.

»Ich glaubte nicht folgen zu sollen; inzwischen hat es mich interessirt, mich mit dem Diener des Fürsten zu unterhalten.«

Sonnenkamp sah ihn seltsam an, dann ging er nach seinem Treibhause.

Prancken verkündete laut, daß er nun auch abreise; er erwartete offenbar, daß Manna Einsprache erhebe, aber sie sagte nichts. So ritt er davon und hinterließ eine seltsam verwirrte Stimmung auf der Villa.


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