Berthold Auerbach
Das Landhaus am Rhein / Band IV
Berthold Auerbach

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Viertes Capitel.

Während Roland und Lilian im Garten träumend und räthselnd beisammen gesessen hatten, waren die Männer nach dem Hause gegangen. Sie traten in den großen getäfelten Hausflur, wo viele getrocknete Erntekränze hingen. Weidmann zeigte Erich, daß zweiunddreißig von diesen Kränzen ihm gehören, denn so viel Mal hatte er hier schon geerntet. Der einzeln hängende Kranz sei der fünfzigste Kranz seines Schwiegervaters gewesen.

Man ging in die Wohnstube im Erdgeschoß. Der Raum war groß und wohnlich, mit behaglichen Sitzplätzen in Fenstervertiefungen und da und dort aufgestellten Tischen und Stühlen.

»Im Sommer wohnen wir hier im Erdgeschoß,« sagte Weidmann zu Erich, »da läßt sich Alles besser überschauen. Wenn die Blätter von den Bäumen abgefallen sind, beziehen auch wir unsere Winterresidenz im obern Stock.«

Aus dem großen Wohnzimmer sah man in andere, wo die schweren damastenen Thür-Vorhänge zurückgeschoben waren. Der Banquier, den Erich in Karlsbad kennen gelernt hatte, kam aus einem innern Zimmer; er hielt ein Actenbündel in der Hand und grüßte freundlich. Er freute sich, hier den Freund Clodwigs wiederzufinden.

Sofort wurde man in ein neues Thema eingeführt. Der Banquier sagte, daß er die Papiere genau durchstudirt habe, die Staatsdomäne scheine nicht zu hoch geschätzt und die Art, wie sie zertheilt werden solle, müsse Weidmann verstehen; nur glaube er, daß es schwer thunlich sei, die Sicherung, die Weidmann für seine Arbeiter aufgestellt, auch auf das neue Unternehmen auszudehnen; denn es sei sehr fraglich, ob in Jahren das Erträgniß ein solches sein werde, daß man den Betrag für die Lebensversicherung erübrigen könne.

Erich erfuhr, daß Weidmann seine sämmtlichen Arbeiter veranlasse, einen Verband zu bilden, der sich in eine Lebensversicherung einkaufe, und wer sieben Jahre treu bei ihm ausgehalten, für den trat er im Unvermögens-Falle selbst ein.

In großen Umrissen erklärte Weidmann, wie ihm die sogenannte sociale Frage beständig unter der Form erscheine, in der sie bei den Römern sich zeigte; immer wieder handle es sich darum, freie und selbständige Grundbesitzer zu schaffen. Die sociale Frage werde sich indeß nicht als bloßes Rechenexempel lösen lassen, ein sittlicher Eifer müsse hinzutreten, und wenn auch Manche darüber die Achseln zucken, er bekenne offen, daß das vielfach zur hohlen Phrase gewordene humane Princip der Freimaurerei hier neue Belebung und Bethätigung finden müsse.

Ueberall ist in unseren Tagen ein Dichten und Trachten, ein Sorgen für die Nächsten, für die im Dasein Verkümmerten. Das ist unsere Religion, die keine Tempel und keine geordneten Festtage hat, aber überall und allzeit zum Guten ringt.

Fürst Valerian fragte, was Roland werden wolle. Noch ehe Erich antworten konnte, trat im Geleite des Doctor Fritz ein anderer Mann ein, der Erich sofort freundlich begrüßte; es war der Schwiegersohn Weidmanns, ein Infanterie-Officier höheren Ranges. Die beiden Männer baten, daß man das Gespräch nicht unterbreche, und Fürst Valerian wiederholte seine Frage.

Erich erwiderte, daß Roland sich dem Soldatenstande widmen wolle; es wäre aber zu wünschen, daß er sich dem Feldbau widmen könnte.

Lächelnd entgegnete Weidmann, daß Erich, weil selbst Soldat gewesen, zu scharf gegen diesen Stand sei; er für sich sei der Ueberzeugung, daß es zur Fertigstellung eines Mannes von großer Bedeutung sei, dem Soldatenstande angehört zu haben. Da bilde sich Gewecktheit, Entschlossenheit und Selbstvertrauen und zugleich ein Einreihen in die Gesammtheit. Nirgends lerne man so gut Pünktlichkeit und nirgends übe man sich besser im Befehlen wie im Gehorchen. Roland müsse nur immer in der Ueberzeugung stehen, daß das Soldatenleben ein Durchgangspunkt sein solle, nichts, das sein ganzes Leben durchaus einnehmen und ausfüllen dürfe.

»Dann wird er kein rechter Soldat,« fiel der Schwiegersohn Weidmanns ein. »Wer etwas unternimmt, das er nicht für eine Thätigkeit hält, der die volle Lebenskraft gehört, wer dabei immer nach einem beruflichen Jenseits schaut, steht nicht voll im Gegenwärtigen.«

»Es wäre wichtig für Roland,« sagte Knopf, »nicht einen vorübergehenden, sondern einen bleibenden Beruf zu finden. Gerade Sie, Herr Weidmann, bei dem mächtigen Eindruck, den Sie und Ihre Thätigkeit auf Roland unfehlbar machen – gerade Sie wären geeignet, ihm die entscheidende Richtung zu geben.«

Man setzte sich und der Banquier begann:

»Ich glaube, es ist Jean Paul, der einmal sagte. Kommst Du in eine fremde Wohnung und es ist Dir unheimisch, so arbeite sofort etwas und es wird Dir heimisch. Ich möchte das erweitern. Heimisch in der Welt wird man nur durch Arbeit; wer nicht arbeitet, ist heimatlos. Noch eine Frage,« wendete er sich an Erich. »Hat Ihr Zögling nicht auch, wie leider die meisten Söhne der Reichen, das Verlangen, ein Cavalier, ein Junker zu werden?«

Da Erich nicht antwortete, fuhr er fort:

»Unser Unglück ist, daß die Söhne der Reichen blos Erben sein und nicht Selbstgeltung aus sich gewinnen wollen.«

»Wie wir schon gehört,« nahm der Schwiegersohn Weidmanns das Wort, »will der junge Mann Soldat werden, und ich glaube, daß man ihn darin bestärken müßte. Ich hoffe, daß man mir nicht ein Vorurtheil für meinen Beruf zutraut, aber ich muß die Betrachtungsweise unseres Herrn Vaters wiederholen: das Soldatenthum gibt eine Geschlossenheit, die nichts Anderes so bewirken kann. An jedem Tage gerüstet mit Sack und Pack dem Leben gegenüberstehen, das macht fertig; das stehende Heer wird gewissermaßen in jedem Einzelnen zur Thatsache.«

»Einverstanden,« ergänzte Weidmann. »Aber muß man nicht doch wieder fürchten, daß ein Mann, der seine besten Jahre Soldat gewesen, nur schwer in eine andere bleibende Thätigkeit kommt? Er betrachtet sich stets als auf Urlaub, und ein Hauptunglück zeigt sich vornehmlich in den Reichen, daß sie sich immer auf Urlaub, immer in Ferien befinden.«

»Das Beste ist, Roland bringt das Geld durch, dann kommt es unter die Leute,« scherzte der Sohn Weidmanns und zeigte die von Prancken so sehr gescholtenen impertinent weißen Zähne.

»Ich möchte auch ein Wort sagen,« wendete sich der Fürst Valerian an Weidmann. »Ich glaube, daß wir in Rußland ein Beispiel sein können. Wir müssen aus Gutsbesitzern zu Landwirthen werden, ob das Erbe nun in Geld oder in großen Gütern besteht. Warum soll der junge Mann nicht einfach Landwirth werden?«

»Die Landwirthschaft hat fünf Zweige,« erwiderte Weidmann, »und diesen sollen fünf gleiche Wurzeln in der Neigung entsprechen. Die Landwirthschaft besteht aus Physik, Chemie, Mineralogie, Botanik und Zoologie; Eines davon, ich meine die Neigung zu einer dieser Wissenschaften, muß so zu sagen den Boden im Gemüthe bilden, sonst erwächst kein Berufsglück daraus. Und wissen Sie,« wendete er sich lächelnd an den Fürsten, »wissen Sie, was das erste Erforderniß für einen Landwirth ist?«

»Geld.«

»Nein, das ist das zweite. Das erste ist: gesunder Menschenverstand, und es gibt weit mehr geistreiche Menschen, als Menschen von einfach gesundem Verstand.«

Mit einem Eifer, der gegen sein sonst ruhiges Wesen sehr abstach, erging sich Weidmann in Widerlegung der allgemeinen Ansicht, daß die Landwirthschaft eine allgemeine Zuflucht sei, in der man Jegliches unterbringen könne; dennoch blieb man endlich dabei, daß es am angemessensten wäre, wenn Roland sich zur Landwirthschaft in Verbindung mit der Groß-Industrie bestimmen ließe.

Das Gespräch zertheilte sich. Weidmann fügte hinzu, das Schwierigste bleibe, daß Roland nichts zu wünschen habe, wozu er seine Kräfte anspanne, und dann glücklich sei, wenn er das Erstrebte erreiche, und sofort wieder ein Neues sich ansetze; denn das ist ja das Treiben und Wachsen im Leben, daß alles Erreichte sofort wieder den Keim eines zu Erstrebenden ansetzt.

»Man kann keinen Menschen zum Glücklichmacher erziehen,« schloß er endlich. »Der Jüngling muß etwas bekommen, das in ihm das Bedürfniß nach der Association mit Menschen erweckt; er soll Alles auf Andere und zugleich auf sich beziehen; er muß etwas schaffen wollen. Aus dem Geschaffenen allein fließt Glück.«

Doctor Fritz hatte keinen Antheil an der Berathung genommen; er saß nachdenklich da und hatte die Brauen zusammengezogen.

»Warum sprichst Du kein Wort?« sagte Weidmann leise zu ihm, während sich verschiedene Zwiegespräche entwickelt hatten. Ebenso leise erwiderte Doctor Fritz:

»Es ist schon schwer, ein so übermäßiges, rechtlich erworbenes Erbe anzutreten, wie viel schwerer noch eines, an dem eine Schuld haftet.«

Weidmann winkte seinem Neffen und legte den Finger, wie Schweigen gebietend, an die Lippen.

Nun trat Frau Weidmann ein und bat, daß man zu Tische käme. Man ging nach dem Speisezimmer.

Erich saß neben Knopf und sagte:

»Herr College, ich habe eine Frage, die Sie mir aber nicht sofort, sondern morgen beantworten.«

»Welche Frage?«

»Was würden Sie thun, wenn Sie plötzlich in den Besitz von vielen Millionen kämen?«

Knopf, der eben das Glas an den Mund gesetzt hatte, fing plötzlich so heftig zu husten und zu prusten an, daß er sich vom Tisch entfernen mußte. Er kam nach einer Weile wieder, aß aber keinen Bissen und trank keinen Tropfen mehr an diesem Abend.

Als Alle sich zur Ruhe begaben, sagte Weidmann leise zu Erich, er möge noch bei ihm bleiben, er habe mit ihm zu reden.

Roland ging mit Knopf in der sternhellen Nacht umher und Knopf mußte versprechen, ihn zur Abreise des Doctor Fritz und seines Kindes zu wecken. Erst dann begab Roland sich zur Ruhe; er fand sie lange nicht, denn Alles, was er heute erlebt, dazu das Geräusch des Baches, das Klappern der Mühle hielt ihn wach. Aber endlich siegte Ermüdung und Jugend und er schlief fest ein.


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