Berthold Auerbach
Das Landhaus am Rhein / Band IV
Berthold Auerbach

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Zweites Capitel.

Träumend ging Manna des Weges, sie wurde geweckt, denn die beiden Hunde, Rose und Distel, sprangen an ihr empor, sie waren froh, ihre Herrin wieder zu haben.

»So, unser Wildfang ist wieder daheim?« rief eine Stimme aus der Ferne; es war die des Krischers, er hatte die Hunde gebracht.

Sie hörte kaum, wie der Krischer, näher tretend, von seiner letzten Vergangenheit erzählte; erst als er sagte: »Ja, Fräulein, ich bin ein einfältiger Gesell gewesen und habe tiefe Reue,« fragte sie:

»Was habt Ihr denn gethan?«

»Hoho! Daß ich nichts gethan habe, bereue ich; daß ich mein Lebenlang ein einfältiger, ehrlicher Kerl gewesen. Ist's denn wahr, daß Sie Nonne werden wollen?«

Bevor Manna antworten konnte, fuhr der Krischer fort:

»Ich habe auch manchmal das Verlangen, ich möchte ins Kloster gehen. Mit dem sechzigsten Jahr sollte Jeder ins Kloster gehen können; nichts thun als trinken und trinken, bis der Tod die Polizeistunde anruft. Aber ich will vom Tod noch nichts wissen, ich sag' wie der Vogt von Mattenheim: Herr, wie Du willst – Ich habe noch keine Eile.«

Der Krischer hatte bereits am Morgen etwas Aufgeregtes und Lallendes, Manna fürchtete sich vor ihm, dennoch reichte sie ihm die Hand und ging mit den Hunden davon.

»Ich hab' noch eine Bitte!« rief der Krischer Manna nach.

Sie blieb stehen.

Er kam zu ihr und sagte, daß ihm der Aichmeister ein Loos zur Dombau-Lotterie geschenkt habe, er aber habe das Loos dem Siebenpfeifer verkauft, und wenn nun auf die Nummer das große Loos herauskäme, würde er sich alle Haare aus dem Kopfe reißen und hätte auch bei seinen Kindern keine ruhige Stunde mehr; Manna möge ihm also einen Thaler schenken, damit er das Loos zurückkaufen könne.

Schelmisch setzte er hinzu:

»Und es ist eigentlich auch eine fromme Sache und paßt für Sie.«

Manna verstand nicht, was er damit meinte; sie ließ sich jetzt erst erklären, daß man zum Ausbau eines Domes eine Lotterie errichtet habe. Sie schenkte dem Krischer das verlangte Geld und ging eilig davon.

Sie ging am Rhein entlang, der Strom floß so ruhig, die Weiden am Ufer zitterten in der Morgenluft und spiegelten sich im Strom; in kleinen Kreisen, die sich auf dem Spiegel bildeten, zeigte sich das Spielen der Fische. Manna trat in den Park. In die ruhige Luft strömte der Duft der Blumen, und sie waren hell und frisch; die Farbe der einen hob und verklärte die der andern, das Weiß war noch heller durch die blaue, die rothe Nachbarin; die brennende Farbe wurde gemildert von der sanften; es war wie eine heilige, stille Harmonie . . .

Warum können die Menschen nicht im Friedensreiche leben?

Welch eine Ruhestätte könnte das Landhaus hier sein!

Manna ließ sich auf ihren einsamen Stuhl unter der Hängeesche nieder und jetzt dachte sie, warum sie gestern gegen Erich so schroff gewesen.

Sie wollte ihm bei der ersten Begegnung sagen: Glauben Sie ja nicht, daß ich, weil Sie abhängig sind, mir solches herausnahm.

Zur selben Stunde wandelte Erich allein durch den Park und nahm sich vor, bei der ersten Begegnung zu Manna zu sagen: Ich möchte nicht, daß unsere Beziehung mit Verstimmung oder Mißverständniß anfange.

Jetzt hörte Manna Schritte nahen und schaute auf; Erich kam des Weges. Sie blieb ruhig sitzen. Er kam näher, er grüßte und Keines von Beiden sagte die Worte, die sie sich still vorgenommen hatten.

Erich brachte stotternd etwas hervor, daß ein Erzieher sich leicht verleiten ließe, sich in das Denken Anderer zu versetzen, auch da, wo es ihm nicht zustehe.

Es war ein bedrückter Ton in seiner Rede, Manna wußte nichts zu erwidern. Beide schwiegen, man hörte nichts als den Vogelsang. Endlich sagte Manna:

»Erzählen Sie mir von Roland. Wie ist er?«

»Roland hat Fleiß, Beharrlichkeit und Wahrhaftigkeit; das ist der sittliche Felsengrund, auf dem sich gut baut.«

Unwillkürlich hob Manna mit beiden Händen ihr Gebetbuch in die Höhe, als wäre es ein Schild.

Erich glaubte eine Andeutung in dieser Bewegung zu finden und er sagte:

»Mich freut an Roland besonders, daß er einen eigenen Blick hat und seinen eigenen Augen vertraut.«

Durch ihre Seele zuckte etwas wie Schmerz, denn das Wort Pranckens ging ihr nach. Ist dies Benehmen Erichs das, was Prancken »sich anbiedern« genannt hatte?

Roland, Prancken und Sonnenkamp kamen daher, Manna stand rasch auf und ging mit Roland an der Hand nach der Villa. Prancken sagte sofort, daß er auch in der Kirche gewesen, es aber für Pflicht gehalten habe, Manna nicht durch einen Morgengruß zu zerstreuen.

Prancken erzählte viel vom Leben auf dem Jagdschlosse und von den Beziehungen zum Hofe des Fürsten, wie zu dem des Fürstbischofs.

»Liebes Kind,« unterbrach Sonnenkamp, »Du hast Herr von Prancken noch nicht gratulirt, er ist Kammerherr geworden.«

Manna glückwünschte und Prancken erzählte in heiterer Wendung, welch ein Contrast es sei, daß er im Sommer ein Bauernknecht gewesen und im Winter Kammerherr sei. Er berichtete weiter, daß der Fürst diesen Sommer in Karlsbad den Brunnen trinken werde.

Sonnenkamp setzte hinzu, daß der Leibarzt auch ihm diesen Brunnen verordnet habe, der ihm zuträglicher sein solle als Vichy.

Wie eine Kette schloß es sich an, als Prancken weiter erzählte, daß auch sein Schwager Clodwig und seine Schwester Bella diesen Sommer Karlsbad besuchen würden.

Kaum ins elterliche Haus versetzt, sah sich Manna sofort wieder in Gedanken davongeführt in den Strudel eines Badelebens. Prancken berichtete dann, daß er das schneeweiße Pferd mit nach Wolfsgarten nehme, um es vollständig für Manna zu dressiren. Ihre Einsprache, daß sie keine Lust mehr habe, zu Pferde zu sitzen, wurde vom Vater gebieterisch abgewiesen. Prancken verstand es, den gebieterisch heftigen Ton Sonnenkamps als Scherz auszulegen.

Mit Innigkeit nahm er nun Abschied und ritt im scharfen Trabe die Straße dahin, die Funken sprühten unter den Hufen seines Pferdes; der Reitknecht hinter ihm führte das schneeweiße Pferdchen am Halfter.

Es erschien Manna wie ein Sinnbild, daß sie noch einmal zu Pferde sitzen sollte, bevor sie, allen Tand der Welt ablegend, nur im Gedanken der Ewigkeit lebe.

Sie geleitete den Vater durch Park und Garten, durch die Treibhäuser. Sonnenkamp hatte es auf den Lippen, ihr die mit Zuversicht erwartete Standeserhöhung mitzutheilen, aber das Kind sollte nicht so plötzlich in das vielfältige Getriebe hinein versetzt werden. Mit Behagen betrachtete er die großen südländischen Bäume und Pflanzen, die nun bald ins Freie gebracht werden. Zuerst öffnet man die Thüren, um frische Luft eindringen zu lassen, dann erst bringt man sie unter freien Himmel an geschützte Stellen. So auch wollte er es mit seinem Kinde halten.

Er war zufrieden, daß sie so fügsam war, er hoffte die Schwermuth ganz von ihr zu verscheuchen.

Manna hatte sich eine Tagesordnung festgesetzt, die sie wie eine Ordensregel inne hielt, und diese Strenge ihres Wesens übte eine Einwirkung auf das ganze Haus. Mit der Mutter hatte sie einen schweren Stand, zunächst wegen der Kleidung, denn Frau Ceres, die sich jeden Tag mehrmals umkleidete, wünschte das Gleiche von Manna; diese indeß war es gewohnt, sich am Morgen für den ganzen Tag anzukleiden, ja sie ließ sich nur widerwillig Bedienung durch die Kammerfrau gefallen. Sie blieb in dem am Morgen angelegten Kleide, und es erschien ihr dem höheren Menschenleben entsprechend, daß die Nonnen unveränderliche Kleider tragen; damit fällt alles Vergeuden des Denkens für die äußere Erscheinung weg.

An der vielgeschäftigen Wohlthätigkeit der Professorin nahm sie keinen Antheil; sie hatte kurz erklärt, daß sie noch zu sehr mit sich selber zu thun habe und nicht bereits auf Andere wirken könne.

Dazu hatte sie eine entschiedene Abneigung gegen die Helferin, Fräulein Milch; sie vermied jedes Gespräch mit Fräulein Milch und reichte ihr nie die Hand.

Gegen die Professorin blieb sie ehrerbietig, aber ablehnend; den Lehrer ihres Bruders behandelte sie wie ein zum Hause Gehöriges, zu dem man indeß nur eine Beziehung hat, wenn man seiner bedarf. Es gab Stunden und Tage, wo sie über ihn hinwegsah, als wäre er ein Stuhl, ein Tisch. Oftmals fragte sie ihn geradezu, wenn ihr ein Gegenstand des Wissens unklar war; sobald aber Erich eine Erörterung anknüpfte, die über die Grenze des von ihr Gewünschten hinausging, sagte sie mit großer Bestimmtheit:

»Das wollte ich nicht fragen. Ich danke Ihnen für das, was Sie mir mitgetheilt.«

Nie empfing sie eine Belehrung von ihm, für die sie nicht sofort dankte, wie sie auch jedem Dienstboten für jede Handreichung dankte.

Regelmäßigen Unterricht nahm sie bei der Tante Claudine im Harfenspiel, und diese war die Einzige, die ihr Zutrauen zu besitzen schien; ihr zeigte sie auch ihre Schulhefte, namentlich das über Astronomie mit eingelegten blauen Blättern und den goldenen Sternbildern. Trotz einer gewissen majestätischen Haltung hatte Claudine etwas Anschmiegsames; sie schien auch etwas im Leben verloren oder aufgegeben zu haben, und so war sie in ihrem Wesen weicher und anziehender für Manna.

In hellen Nächten waren sie oft stundenlang auf dem flachen Dach der Villa und schauten nach den Sternen. Es zeigte sich, daß Manna gründlich unterrichtet war, denn die Klosterschule, in der sie gelebt hatte, legte besondern Nachdruck darauf, die weltlichen Schulen an wissenschaftlicher Tüchtigkeit wo möglich zu überragen; natürlich war alle Wissenschaft mit jener Grenze umzogen, die der Glaube setzte.

Mehr als über ihre Kenntnisse mußte man oft über die Denkkraft Manna's staunen; ihr Empfindungsleben war nach allen Seiten hin durchgearbeitet. Das Bewußtsein religiösen Ernstes und religiöser Reife gab ihr eine Sicherheit, die als Stolz erscheinen konnte. Sie fühlte sich stets wie auf einer unsichtbaren Erhöhung über die Andern hervorragen, die nicht im Glauben lebten. Dennoch war das nicht Ueberhebung, sondern Getragenheit, die sie in jedem Augenblick mit den großen Mächten und Ausblicken ausrüstete, in denen so viele heilige Männer und Frauen das Leben überwunden hatten.

Manna fragte Tante Claudine, ob ihr dies Alleinstehen in der Welt nicht oft schwer geworden sei.

»Gewiß, liebes Fräulein. Man weiß oft in der Jugend nicht, was es heißt, einen Entschluß für das ganze Leben zu fassen.«

Manna faßte nach dem Kreuz auf ihrer Brust; die Tante fuhr fort:

»Ja, es gehört Muth und Tapferkeit dazu, eine alte Jungfer zu sein; zur Zeit, wenn man sich dazu entschließt, ist man sich dessen nicht voll bewußt. In der Einsamkeit bin ich ruhig und wünschelos, aber in Gesellschaft und in der Welt erscheine ich mir oft so überflüssig, nur aus Barmherzigkeit geduldet. Da muß man sich hüten, nicht in Mitleid mit sich selbst sentimental zu werden.«

»Hatten Sie nie das Verlangen, in ein Kloster gehen zu können?«

»Ich möchte Sie nicht beirren und stören.«

»Nein, sprechen Sie nur, ich kann Alles hören.«

»Nun denn, es gibt Formen, die so viel Unheil anstifteten, daß sie das Recht des Bestehens verwirkt haben. Und, ich für mich könnte nicht leben ohne die Kunst, ohne freie Musik, ohne Anblick dessen, was die bildende Kunst hervorgebracht und noch hervorbringt.«

Manna sah nachdenklich auf Claudine.


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