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24

Jack Beardmore hatte von Brabazons Verhaftung gehört und fuhr sofort nach Scotland Yard, um Mr. Parr aufzusuchen. Er hörte dort aber, daß dieser »tüchtige Beamte« nach Hause gegangen war.

Außer dem begreiflichen Interesse an dem Roten Kreis und allem, was dazu gehörte, hatte Jack keine besondere Veranlassung, den Inspektor zu sprechen. Alles Wissenswerte hatte er schon von Derrick Yale erfahren.

Jack hatte seinen Wagen nach Hause geschickt, weil er fühlte, daß er etwas Bewegung nötig hätte, um auf andere Gedanken zu kommen. Er ging durch den dunklen Park, um den Heimweg abzukürzen. Plötzlich ertappte er sich bei dem Gedanken, welches Leben Parr wohl zu Hause führen mochte. Der Mann hatte noch nie über seine Familie gesprochen.

Jack blieb stehen. Ob Mr. Parr einen Besuch übelnehmen würde? Aber welche Entschuldigung konnte man vorbringen, um ihn in seiner häuslichen Zurückgezogenheit zu stören? Er verließ den Park, rief in einer hellerleuchteten Straße ein Auto an und nannte die Adresse des Inspektors.

Parr selbst öffnete ihm die Tür.

Sein Gesicht, das schon von Natur aus völlig ausdruckslos war, verriet auch jetzt weder Überraschung noch Ärger über den späten Besuch.

»Kommen Sie herein, Mr. Beardmore«, sagte er. »Ich bin gerade nach Hause gekommen und bin beim Abendessen. Sie haben gewiß schon lange gegessen.«

»Lassen Sie sich nicht stören, Mr. Parr. Ich habe nur erfahren, daß Sie Brabazon verhaftet haben, und ich dachte, ich könnte einmal mit Ihnen sprechen.«

Der Inspektor führte ihn zum Eßzimmer, aber plötzlich blieb er stehen.

»Großer Gott!« sagte er.

Jack konnte sich nicht erklären, warum der Mann so bestürzt war.

»Würden Sie bitte einen Augenblick hier warten?«

Zum erstenmal seit ihrer Bekanntschaft sah Jack den Polizeibeamten verlegen.

»Ich muß erst meiner alten Tante sagen, wer Sie sind. Sie ist nicht an Besuch gewöhnt. Wie Sie wissen, bin ich Witwer, und meine Tante führt mir die Wirtschaft.«

Er ging eilig in das Eßzimmer und zog die Tür hinter sich zu. Es vergingen zwei Minuten, und Jack hörte, daß sich jemand in dem Raum eilig bewegte. Dann öffnete Parr die Tür.

»Kommen Sie herein.« Sein rotes Gesicht hatte sich noch dunkler gefärbt. »Nehmen Sie bitte Platz, und verzeihen Sie, daß ich Sie habe warten lassen.«

Jack befand sich in einem geschmackvoll eingerichteten Raum. Er ärgerte sich über sich selbst, daß er etwas anderes erwartet hatte.

Mr. Parrs Tante war eine alte zerstreute Dame und schien ihm viel Sorge zu bereiten. Er wandte kein Auge von ihr, wenn sie sich im Zimmer bewegte. Wenn sie etwas sagte, unterbrach er sie gewöhnlich sofort, immer höflich, aber sehr bestimmt.

»Ich hoffe, Sie entschuldigen die Unordnung, Mr. –« wandte sie sich an Jack.

»Beardmore«, erwiderte er.

»Sie wird den Namen doch nie behalten«, murmelte der Inspektor.

»Ich kann die Wohnung nicht so gut in Ordnung halten, wie Mutter es tat«, fuhr sie fort.

»Selbstverständlich nicht, Tantchen«, sagte Mr. Parr schnell. »Was möchten Sie denn nun gern wissen, Mr. Beardmore?«

Jack entschuldigte sich.

»Der Rote Kreis ist eine so komplizierte Angelegenheit, daß ich jedes neue Mitglied in Verdacht habe, die Hauptperson zu sein. Glauben Sie, daß Brabazons Verhaftung zum Ziele führen wird?«

»Ich weiß es nicht«, entgegnete Parr langsam. »Vielleicht kann er uns sehr nützlich sein. Ich habe übrigens einen meiner eigenen Leute bei ihm gelassen und Anweisung gegeben, daß der Gefängniswärter unter keinen Umständen die Zelle betreten darf.«

»Sie wollen vermeiden, daß er wie Sibly vergiftet wird?«

Parr nickte.

»Finden Sie nicht auch, daß das einer der rätselhaftesten Morde des Roten Kreises war?«

Er fragte sehr ruhig, aber in seinen Augen lag ein sonderbarer Glanz.

»Warum lachen Sie?« fragte Jack. »Es war doch wirklich unbegreiflich!«

»Natürlich. In gewisser Hinsicht ist die Vergiftung Siblys bei der endgültigen Festnahme des Roten Kreises sogar viel wichtiger als die Verhaftung Brabazons.«

»Wenn ihr doch nicht immer über Verbrechen und Verbrecher sprechen würdet«, sagte die Tante gereizt. »Du fällst einem damit wirklich auf die Nerven, John. Mutter mag das ja geliebt haben –«

»Es tut mir leid«, erwiderte Parr schnell.

Als sie das Zimmer verlassen hatte, konnte Jack eine neugierige Frage nicht unterdrücken.

»Mutter scheint eine ungewöhnliche Frau gewesen zu sein?«

Parr lachte.

»Ja. Sie wohnt augenblicklich nicht bei uns.«

»Ist es Ihre Mutter?«

»Nein, meine Großmutter.«

Jack sah ihn erstaunt an.


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