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2

Jack Beardmore war in tiefe Gedanken versunken, als er an diesem Morgen über die Rasenflächen ging. Unwillkürlich schlug er die Richtung zu dem kleinen Tal ein, das ungefähr eine Meile vom Hause entfernt lag. Dort lief die Hecke, die die Besitzungen der Beardmore und Froyant voneinander trennte.

Bei einer großen Ulme blieb er stehen und schaute sich suchend um. Aber es ließ sich niemand blicken. Zehn Minuten später zwängte er sich durch das Loch in der Hecke, das er gemacht hatte, und ging auf ein kleines Gartenhaus zu. Das junge Mädchen, das sich dort aufhielt, mußte seinen Seufzer der Erleichterung gehört haben, denn sie schaute sich um und stand widerwillig auf.

Sie war außergewöhnlich hübsch, hatte blondes Haar und eine zarte Gesichtsfarbe; aber in ihren Augen leuchtete kein Willkommengruß.

»Guten Morgen«, sagte sie kühl.

»Guten Morgen, Thalia.«

»Es wäre mir lieber, wenn Sie nicht hierherkämen.«

Ihr Wesen war ihm ein Rätsel. Er hatte einmal beobachtet, wie sie einem Hasen nachjagte, und hatte erstaunt dieser lachenden Diana nachgeschaut. Er hatte sie froh und heiter singen hören, aber er hatte sie auch schon niedergedrückt und traurig gesehen.

»Warum sind Sie immer so kalt und abweisend gegen mich?« fragte er verstimmt.

Ein leichtes Lächeln ging über ihr Gesicht.

»Weil ich Bücher gelesen habe«, antwortete sie fast feierlich. »Arme Sekretärinnen, die nicht kalt und abweisend gegen Millionärssöhne sind, nehmen gewöhnlich ein schlechtes Ende. Außerdem wüßte ich nicht, warum ich nicht kalt und abweisend sein sollte. Auf diese Art und Weise tritt man doch seinen Mitmenschen gegenüber, es sei denn, man hat sie gern. Und Sie habe ich nicht gern.«

Sie sprach ruhig und gelassen.

Jacks Gesicht färbte sich dunkelrot. Er kam sich wie ein dummer Junge vor und ärgerte sich, daß er diese zurückweisenden Worte herausgefordert hatte.

»Ich möchte Ihnen etwas sagen, Mr. Beardmore, was Ihnen vielleicht noch nicht eingefallen ist. Wenn ein junger Mann und ein junges Mädchen gemeinsam auf eine Insel verschlagen werden, ist es nur natürlich, daß der junge Mann denkt, das Mädchen wäre die einzige Schöne auf der ganzen Welt. Mit der Zeit wird sie immer wunderbarer in seinen Augen. Ich habe viele Geschichten darüber gelesen und viele Filme gesehen, die dieses interessante Thema behandeln, und ich habe den Eindruck, daß es bei Ihnen ganz ähnlich ist. Sie sind auf einer verlassenen Insel – Sie verbringen zuviel Zeit auf Ihrem Landsitz, und Sie sehen nur Kaninchen, Vögel und Thalia Drummond. Sie sollten in die Stadt gehen und sich mehr unter Menschen Ihrer eigenen Gesellschaftsklasse bewegen.«

Sie nickte ihm zu und wandte sich dann ab, denn sie hatte ihren Chef bemerkt, der nähergekommen und unwillig stehengeblieben war.

»Ich denke, Sie machen die Hausabrechnung, Miß Drummond?« sagte er scharf.

Der hagere Mann mochte Anfang der Fünfziger sein. Er hatte kantige Gesichtszüge und war vorzeitig kahlköpfig geworden.

»Morgen, Beardmore«, begrüßte er den jungen Mann mürrisch und wandte sich dann wieder an seine Sekretärin. »Ich sehe es nicht gern, wenn Sie Ihre Zeit vergeuden, Miß Drummond.«

»Ich vergeude weder Ihre noch meine Zeit, Mr. Froyant«, antwortete sie ruhig. »Ich habe die Abrechnung fertig – hier ist sie!« Sie zeigte auf eine abgetragene Ledertasche, die sie unter dem Arm trug.

»Sie hätten die Arbeit im Haus machen können. Es war wirklich nicht nötig, damit in die Wildnis zu gehen.« Er rieb seine lange Nase und schaute Jack an. »Ich wollte gerade Ihren Vater besuchen, Beardmore. Vielleicht begleiten Sie mich?«

Thalia war schon auf dem Wege zum Hause, und Jack hatte keine Ausrede, noch länger zu bleiben.

»Nehmen Sie ihre Zeit nicht zuviel in Anspruch, Beardmore. Sie haben keine Ahnung, wieviel sie zu tun hat – und ich bin sicher, Ihr Vater sieht es auch nicht gern.«

Jack hatte eine scharfe Antwort auf der Zunge, unterdrückte sie aber.

»Diese Art Mädchen«, begann Mr. Froyant wieder, als sie am Rande der Hecke entlanggingen, »diese Art Mädchen –« er blieb plötzlich stehen. »Zum Teufel, wer ist durch die Hecke gebrochen?« fragte er und wies mit dem Stock auf die Stelle.

»Ich«, erwiderte Jack grimmig. »Übrigens ist es unsere Hecke. Man erspart dadurch eine halbe Meile Weges – wir wollen weitergehen.«

Sie stiegen langsam den Hügel hinauf und hatten die Spitze fast erreicht, als Jack seinen Begleiter plötzlich am Arm packte.

Mr. Froyant drehte sich um, sah, daß Jack Beardmore auf einen Baumstamm starrte, und folgte der Richtung seines Blicks. Seine ungesunde Gesichtsfarbe wurde noch fahler, als er den roten Kreis entdeckte, der auf den Baumstamm gemalt war. Die Farbe schimmerte noch feucht.


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