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19

Als Thalia zu ihrem Chef zurückkam, saß er vor einem Stoß unbeantworteter Briefe.

»Ist das der Schlüssel?« fragte er. »Danke schön. Legen Sie ihn dorthin. Ich glaube, die Briefe hier müssen Sie zum größten Teil selbst beantworten. Die meisten kommen von albernen jungen Leuten, die ich als Privatdetektive ausbilden soll. Hier ist ein Schema für die Antwort. Sie können dann auch selbst unterschreiben.« Er reichte ihr ein Blatt, hob dann den Schlüssel auf und wog ihn einen Augenblick in der Hand.

»Sie haben Mr. Parr getroffen?«

Sie lachte.

»Mr. Yale, Sie sind einfach schrecklich. Ich habe ihn getroffen, aber woher wissen Sie das?«

»Ich bilde mir auf meine Fähigkeit nicht das geringste ein, ebensowenig wie Sie sich etwas auf ihre kleptomanische Veranlagung einbilden.«

»Ich habe mich gebessert.«

»Ich glaube, mit der Zeit werden Sie sich ändern. Sie interessieren mich außerordentlich!« Mit einer kurzen Kopfbewegung entließ er sie.

Sie klapperte eifrig mit der Schreibmaschine, als er kurze Zeit später in der Tür seines Zimmers erschien.

»Versuchen Sie, mit Mr. Parr Anschluß zu bekommen«, sagte er. »Sie finden seine Nummer im Verzeichnis.«

Mr. Parr war nicht in seinem Büro, als sie anrief. Aber eine halbe Stunde später bekam sie die Verbindung.

»Sind Sie es, Parr?« fragte Yale. Thalia hörte seine Stimme durch die Tür, die er offengelassen hatte.

»Ich will nach Beardmores Wassergrundstück fahren, um es zu durchsuchen. Ich habe die Idee, daß sich Brabazon dort versteckt hält! ... Nach dem Lunch, gut. Wollen Sie um halb drei hier sein?«

Thalia horchte und machte sich stenographische Notizen auf ihrer Schreibunterlage.

Um halb drei kam Parr. Sie sah ihn nicht, denn Yales Zimmer hatte einen direkten Eingang vom Korridor aus. Aber sie hörte seine Stimme. Bald darauf gingen die beiden Herren fort.

Sie wartete, bis ihre Schritte verhallt waren, dann nahm sie ein Telegrammformular, adressierte es an Johnson, 23, Mildred Street, City, und schrieb:

 

»Derrick Yale nach Beardmores Wassergrundstück gefahren. Durchsuchung.«

 

Man konnte Thalia Drummond viele schlechte Eigenschaften nachsagen, aber sie war pflichtgetreu.

*

Das Haus stand an einem kleinen Landungssteg und sah verlassen und vernachlässigt aus. Es mochte einmal sehr malerisch ausgesehen haben, aber jetzt bot es mit den zerbrochenen Fenstern und dem verfaulten Holzwerk ein bedauernswertes Bild des Verfalls.

»Ein angenehmer Aufenthalt«, meinte Yale, als er die Tür öffnete. »In dieser Umgebung sollte man eigentlich den eleganten Brabazon nicht vermuten.«

Der Korridor war mit Staub bedeckt. Spinnweben hingen von den Decken, und im ganzen Haus herrschte Totenstille. Sie machten einen schnellen Rundgang durch die Räume, konnten jedoch nichts von dem Flüchtling entdecken.

»Hier ist noch eine Dachstube.« Yale zeigte auf eine Anzahl Stufen, die zu einer Falltür in der Zimmerdecke des obersten Geschosses führten.

Er eilte hinauf, stieß die Tür auf und verschwand. Aber er kam bald wieder zurück.

»Es ist niemand dort«, sagte er und schlug die Falltür zu.

»Ich habe auch niemals erwartet, daß Sie hier jemand finden«, erwiderte Parr.

Als sie auf dem mit Unkraut bewachsenen Pfad dem äußeren Tor zuschritten, beobachtete sie vom Dachgeschoß aus ein bleicher Mann durch staubiges Glas. Sein Bartwuchs verriet, daß er sich eine Woche lang nicht rasiert hatte, und auch seine intimsten Freunde hätten in ihm wahrscheinlich nicht den bekannten Bankier Brabazon erkannt.


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