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22.

Und der Frühling kam mit schmeichelnden Lüften und bunter Blumenpracht.

In der kleinen Villa der Sophienstraße war es stiller geworden als je.

Willy hatte sich ganz der Krankenpflege des Doktor Braun zu widmen, der nach dem Tode seiner Frau allen Lebensmut verloren hatte.

Er sollte durchaus nach dem Süden, allein er konnte sich nicht dazu verstehen.

Ein paarmal hatte er gefragt, weshalb eigentlich der Professor nichts mehr von sich hören ließ. Willy konnte ihm nur mitteilen, daß er mit der schwerkranken Mignon nach der Schweiz gereist war.

Die Gedanken des jungen Mannes weilten oft bei dem Mädchen, das seine Schwester war. Er sehnte sich nach ihr; denn kaum, daß er sie gefunden hatte, war sie ihm auch schon entrissen.

Ein heftiges Fieber war infolge der Aufregung bei ihr ausgebrochen, und ihr erschüttertes Gemütsleben stand in größter Gefahr.

Petri war völlig gebrochen. All seine Sorge richtete sich auf das Kind, denn er gab jede Hoffnung auf, Willy zu versöhnen. Er hatte keinerlei Versuche mehr gewagt. Vielleicht, daß die Zukunft sie einmal wieder näher brachte. –

Für Willy begann eine Zeit grausamer Qual; aber er fand die Kraft, sein Versprechen zu halten.

Kein Wort verriet dem Kranken, was in der Seele des jungen Mannes vorging. Er plauderte über die Mutter, er hörte die Erinnerungen seines Vaters an, der von der Toten wie von einer Heiligen sprach, und so verwischte sich denn auch in ihm allmählich der Eindruck dieser letzten ereignisvollen Tage.

Er lernte nicht nur vergeben, sondern auch vergessen. –

Im folgenden Sommer folgte der Doktor Braun seiner Frau, und Willy stand ganz allein in der Welt.

Jetzt aber bewies Onkel Jack, was für ein prächtiger Mensch er war. Er siedelte in das Haus der Sophienstraße über, er ward Willys väterlicher Berater, und eine herzliche Freundschaft verband sie von dem Tage ab, als Willy ihm seine Seelenqual gestand, weil er einzig so Ruhe zu finden hoffte.

Wurde ihm einmal gar zu schwer, dann brauchte der Musiker sich nur an den Flügel zu setzen, um Willy die schwarzen Gedanken mit seinen Melodien zu vertreiben.

Er hatte ein Grauen vor der Liebe, sie schien ihm etwas Entsetzliches, das nur vernichtete und zerstörte; eine Gewalt, der nichts heilig war.

So lebte er einsam seiner Arbeit, mit der steten Furcht, daß auch ihn einst die Macht der Liebe ergreifen könnte; ohne zu ahnen, daß einzig eine wahrhaft aufrichtige Liebe imstande war, ihm den Glauben wiederzugeben, den Glauben an die Menschheit, der ihm nach diesen niederschmetternden Schicksalsschlägen für immer verloren schien.

 

Ende

 


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