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14.

Mignon hätte sich gern mit der alten Minna ausgesprochen, allein diese war in letzter Zeit ganz wunderlich geworden. Sie zankte nicht mal mehr mit dem Mädchen.

Manchmal hatte sie ganz dummes Zeug geschwatzt.

Sie redete mit sich selbst; aber obgleich Mignon verschiedentlich versucht hatte, sie zu belauschen, hatte sie nichts verstehen können.

Zuweilen schloß sie sich in ihr Zimmer ein, und dann hörte Mignon, wie sie oft stundenlang vor ihrem Marienbilde lag und ein Gebet nach dem andern murmelte.

Und sie sah sie dabei oft ganz seltsam an und suchte ihr aus dem Wege zu gehen.

Es schien, als ob sie wisse, wie sie zu Will stand, denn sie hatten sich im Hause nicht immer den nötigen Zwang auferlegt.

Was schadete es, wenn sie was gemerkt hatte. Deshalb brauchte sie doch nicht mit solch griesgrämigem Gesichte herumzulaufen.

Und so traute sich Mignon nicht, mit ihr zu sprechen; sie war ganz allein und mußte sich eben in Geduld fassen. –

Da fiel ihr Onkel Jack ein, und wie Frau Anna von ihm gesprochen hatte.

In der letzten Zeit hatte er sich fast gar nicht sehen lassen, denn er ging bei Regenwetter wegen seines Rheumas nicht aus.

Dieser verfluchte Rheumatismus, wie er schalt, den er sich im Biwak in einer elend kalten Regennacht in den sechziger Jahren geholt hatte, als drüben der Norden mit dem Süden im Kampfe lag.

So hockte er denn jetzt zu Hause, aus Furcht, sich zu erkälten.

Will hatte nicht sonderlich gern mit ihm zu tun, weil er meist seinen Spott an ihm ausließ und ein Feind aller Sentimentalität war, die er bis aufs Blut verfolgte.

Aber bei allem persönlichen Sarkasmus waren die meisten seiner Kompositionen von wahrhaft tiefer Empfindung, und er liebte die sentimentale Musik in einem Grade, daß diese Vorliebe unvereinbar schien mit seinem Reden und Handeln.

Er war durch die Erfahrung ein arger Skeptiker geworden, handelte auch danach und liebte an anderen zu bemäkeln, was, wie er sich selbst im stillen sagte, sein größter Fehler war.

Willy kam über diesen Zwiespalt nicht hinweg, ihm blieb es ein Rätsel, was darin Wahrheit und was bloße Maske war.

Onkel Jack hatte sich stets über seine maßlose Verehrung der Mutter lustig gemacht und ihn gleich anfangs das Baby genannt, so daß sie nie in ein rechtes Verhältnis zueinander gekommen waren, wie große Mühe sich Onkel Jack auch später gegeben hatte.

Dabei ging Willy jedes tiefere Verständnis für die Musik ab, und der ehemalige Kapellmeister liebte es, sich in theoretische Erörterungen einzulassen, die er ins Unendliche ausspinnen konnte.

Er hatte dafür in Adolf Wurm einen dankbaren Zuhörer gefunden, der zuweilen ein ebenbürtiger Gegner wurde, und den er hoch schätzte, weil er das bedeutsame Talent des jungen Musikers wohl erkannte und sich mit ihm auch in manchen mehr äußerlichen Punkten berührte. Hatte er ihm doch gleich anfangs vertraut, daß auch er seit Jahren an einem großen Werke arbeitete, das gewissermaßen die Summe seines Lebens ziehen sollte, und auf das er all seine Hoffnungen baute.

Bei Willy hatte er mit seinen Musikgesprächen wenig Glück, der dem kaltherzigen Spötter nicht traute, wenn er warm wurde und sich begeisterte.

*

Durch Willys Verhalten beeinflußt, war auch Mignon Onkel Jack ferner geblieben, obgleich dieser sie vom ersten Augenblicke in sein Herz geschlossen hatte.

Er hatte ihr in seiner barocken Weise Komplimente gemacht, da er nicht wußte, sollte er sie als Dame oder als Backfisch behandeln.

Aber sie hatte ihn doch besser erkannt, als es Will möglich gewesen war. Als sie sein wirkliches Wesen erfaßt und begriffen hatte und sich mehr und mehr zu ihm hingezogen fühlte, brachten es die äußeren Umstände mit sich, daß sie seltener zusammentrafen.

Dennoch entschloß sie sich, ihn aufzusuchen. Vielleicht ergab sich im Laufe des Gespräches die Möglichkeit, die Dinge der letzten Tage zu berühren und den Rat Onkel Jacks zu hören.

Rasch warf sie den Mantel um, und mit dem Schirm bewaffnet, wagte sie sich in den Regen, der nun mit kurzen Unterbrechungen gleichmäßig fiel und bei dem leichten Winde schauerweise von den Lindenbäumen der Sophienstraße und den mächtigen Kastanien der Berliner Straße auf die straffe Seide ihres Schirmes trommelte.

Durch die Hardenberg- eilte sie in die Knesebeckstraße, wo Onkel Jack in der zweiten Etage eines schmalen roten, mit weißem Sandstein verkleideten Hauses wohnte.

Sie klingelte zweimal, dann kam er selbst in großen Filzpantoffeln, den Schlafrock zusammenhaltend, angeschlurrt und rief freudig aus, indem er ihr die Korridortür öffnete:

»Ah, Fräulein Mignon! – Kommen Sie schnell herein, liebes Kind, nur schnell herein!«

Er tat, als ob sie noch auf dem Treppenabsatze dem Regen ausgesetzt sei.

Dann nahm er ihr diensteifrig den tropfenden Schirm ab und hing den feuchten Mantel an den Garderobeständer.

»Treten Sie ein, bitt' schön.«

Er öffnete ihr die Tür völlig, indem er den grauen Schlafrock, der seine lange Gestalt noch länger erscheinen ließ, mit der roten Schnur fester zusammenzog.

»Ich lasse Sie gleich ins Arbeitszimmer. Das schadet doch nichts? … Da ist es schön warm. So! bitte nur aufs Sofa. Es wird gleich Platz.«

Er schaffte eiligst ein paar Arme voll Noten fort, die dort wüst durcheinander lagen, so daß Mignon sich setzen konnte, die den Hut abgenommen hatte und sich ihr feuchtgewordenes Haar zurecht strich.

»So! – und nun: was verschafft mir denn die hohe Ehre, daß das gnädige Fräulein bei solch einem Hundewetter zu mir altem Einsiedler herauskommt?«

»Gar nichts Besonderes,« sagte sie treuherzig lachend. »Ich war nur allein und langweilte mich schrecklich. Will hat heute abend irgendeinen Kommers. Mit unserem Fräulein Minna ist gar nichts anzufangen, und Frau Doktor hat Migräne – wenigstens sagte sie heute morgen so. So, nun wissen Sie alles. Und da hab' ich mir eben gedacht, willst einmal Onkel Jack einen Besuch machen.«

»Und das war sehr hübsch und gescheit von Ihnen, Kindchen. Da sitzt unsereins nun in seiner einsamen Junggesellenbude und guckt zu, wie es regnet, und weiß ganz genau, wenn er hinausgeht, holt er sich für mindestens vierzehn Tage was weg. Und so ein Springinsfeld läuft unterm Regen durch, und es tut ihm noch gut. Die alten Knochen wollen nicht mehr so recht. Die haben Anno 62 und 63 den Regen kennen gelernt. Zuletzt ist dann die Nässe gründlich hineingezogen, und nun will sie nicht wieder hinaus. Da hilft nichts als ein guter Schnaps. Passen Sie mal auf!«

Er ging an einen kleinen Eckschrank, und während Mignon die Blicke durch das zweifenstrige Zimmer fliegen ließ – über den großmächtigen geöffneten Flügel, über die Wände, an denen drei alte Lorbeerkränze hingen, zwischen ein paar Bildern, wahrscheinlich von Musikern, die Mignon nicht kannte, und den Büsten von Mozart, Haydn, Gluck und Beethoven –, holte Jack aus dem Schranke ein dickbauchiges Fläschchen und füllte ein kleines grünes Gläschen vorsichtig bis zum Rande.

»Kosten Sie mal, Mignon, ganz was Feines.«

Sie lachte, indem sie sich in das kleine, mit Noten ganz bepackte Sofa zurücklehnte.

»Nein, Onkel Jack, deshalb bin ich nicht zu Ihnen gekommen, um mich mit Schnaps vergiften zu lassen.«

»Oh! – oh, Kind,« sagte er bedauernd. »Ein so gutes Tränklein sollte man nicht verachten. Ich kann Ihnen sagen, der tut 'nem kranken Menschen gut. Sie wollen also nicht mal kosten? …«

»Nein!« lachte sie. »Lieber nicht! …«

Als er das übervolle Glas vorsichtig an die Lippen bringen wollte, rief sie ihm ein lustiges Prosit! zu, so daß er, weil er dankend mit dem Kopfe nickte, fast die Hälfte verschüttete.

»Ah,« sagte er dann, »das tut wohl. Wenn wir den damals gehabt hätten, wir hätten das bißchen Regen nicht gefürchtet. Aber jetzt … du lieber Gott! … Doch ich glaube beinah, ich lamentiere Ihnen was vor. Wie wäre es, wenn ich das auf dem Marterkasten da täte?«

»Ach ja, bitte, Onkel Jack.«

»Nun passen Sie mal auf, ganz was Neues, was noch kein Mensch gehört hat. Uebrigens – was macht denn eigentlich Ihre Kuh? – Von der hört man ja gar nichts mehr.«

»Ach!« sagte sie und wurde rot. »Lassen wir doch das dumme Tier. Ich habe das Ding jetzt hübsch in Gips abgegossen in meinem Zimmer stehen. Wir wollen es uns den Marmor nicht kosten lassen; es gefällt mir nämlich gar nicht mehr. Ich weiß nicht, aber die Kuh sieht so furchtbar stupide aus. Es war ja alles Unsinn, nur zum Spaß.«

»Na – na! Wenn Sie so scharf mit sich ins Gericht gehen, dann kann ich mich wahrscheinlich auf was gefaßt machen. So! … Nehmen Sie mal das Buch da. Hoffentlich können Sie die Pfote lesen. – Aber keinem Menschen je ein Wort sagen. Das ist das Textbuch, das hat mir mal drüben ein Landsmann geschrieben. Da – das Duett aus dem zweiten Akte will ich Ihnen vorspielen. Sie sind ja sonst immer so ein kluges kleines Mädchen. Nun geben Sie mal Ihre Meinung ab.«

Er wies ihr kurz den Zusammenhang an, und während sie das große Buch vor sich nahm, setzte er sich an den Flügel und spielte ihr das Duett vor, ein Liebesgeständnis.

Eine süße, fast märchenhafte Poesie lag in den Tönen, eine Innigkeit des Gefühls, die man ihm bei seinem eckigen, oft schroffen Wesen nicht zugetraut hätte.

Eine milde, einschmeichelnde Melodie, wie hingehauchte Klagen, das Ausklingen eines tiefen Seelenschmerzes. –

Als Jack zu Ende war und nun die Finger still auf den Tasten ruhen ließ, als denke er an ganz etwas anderes, an eine hinter ihm liegende, langentschwundene Zeit – wagte es Mignon nicht, ein Wort zu sagen.

Diese volksliedartige Klage des Duetts hatte sie tief ergriffen, denn sie hatte an sich selbst gedacht. Ihr war, als spreche sich in der Musik ihre eigene Seele aus.

Sie konnte sich diese rührende Sehnsucht nicht recht mit der robusten Gestalt Jacks in Einklang bringen, und so fragte sie plötzlich, ganz unter dem Eindrucke dieses Gedankens, wider ihren Willen, um im nächsten Augenblicke schon darüber zu erschrecken:

»Warum sind Sie eigentlich Junggeselle geblieben, Onkel Jack?«

Er sah sie mit tieftraurigen Augen an, in denen sie las, daß er denselben Gedanken gehabt hatte, daß ihm ihre dumme Frage nicht unerwartet kam.

»Ja – ja, weshalb ich Junggeselle geblieben bin. Es hat wohl so sollen sein.«

»Haben Sie nie jemand lieb gehabt, Onkel Jack?«

»Was Du für närrische Fragen stellst, Kind. Aber Du hast ganz recht. – Ob ich nie wen geliebt habe?«

Als er schwieg, stand sie auf, ging zu ihm hin und bat:

»Sind Sie böse auf mich? …«

Er faßte nach ihrer Hand, streichelte sie und sagte:

»Nein, Kind, nein! – Weshalb sollte ich böse sein? – Aber Du hast mit Deinem guten Herzen erraten, was die andern alle nicht wissen. Glaubst Du, ich wäre immer der Barbar gewesen, der ich jetzt bin? – O nein! … Aber es ist lange, lange her … und lustig war es gerade auch nicht. Ich habe einmal wen lieb gehabt, lieber als mein Leben. Erst hat sie getan, als habe auch sie mich lieb, dann hat sie mich ausgelacht, als ich sie gefragt habe, ob sie mein Weib werden wolle, – und dann ist sie eines Tages ihrem Vater fortgelaufen mit einem – ja, mit einem von meinen Musikanten. Und dann, nach einem Jahr ungefähr, haben wir sie im Hospitale wieder gefunden, ihr Vater und ich, und dann hat es keine acht Tage mehr gedauert, da war es mit ihr aus.« –

Er fuhr sich mit dem Rücken der Hand über das Gesicht und sagte:

»Sieh, Kind, und seitdem sind mir alle Gedanken an eine andere vergangen.«

Eine lange Weile war es mäuschenstill im Zimmer, dann faßte Mignon sich Mut:

»Onkel Jack, wollen Sie mir raten und helfen?«

»Ja, Kind, wie und wo ich nur immer kann.«

»Willy und ich lieben uns.«

Er zog die Augenbrauen in die Höhe mit flüchtigem Lächeln.

»Schau! – schau! …«

»Will hat seiner Mama alles gestanden. Heute war sie bei mir und suchte mich zu überreden, wir seien törichte Kinder. Aber es wird ihr doch nicht möglich sein uns zu trennen, denn wir lieben uns. Tun wir damit ein Unrecht, Onkel Jack?«

»Nein Kind, nicht daß ich wüßte.«

»Wir lassen nicht mehr voneinander.«

»So fest entschlossen, Kind? Sag mir mal, wie alt bist Du?«

»Siebzehn.«

»Nun, ein bißchen jung, aber es läßt sich schon hören.«

»Wir warten eben. Wir wollen doch nicht gleich heiraten. – Wollen Sie nun für uns sprechen, Onkel Jack?«

»Ja, Mignon, was in meiner Macht steht, gern! Also meiner schönen Frau Schwägerin gefällt das nicht?«

»Sie ist nur eifersüchtig.«

»Das wird's sein, gewiß! Nun, wir wollen mal unser Heil versuchen. Trotz des Regens möchte ich gleich aufstehen …«

»Nein, Onkel Jack, es muß wie unabsichtlich kommen. Wenn ich nur erst den eigentlichen, richtigen Grund wüßte …«

»Wir werden es schon herauskriegen.«

Er sprach ihr zu, und ein erleichterndes Frohgefühl überkam sie, als er so zuversichtlich seine Hilfe zusagte.

Mit lebhaftem Geplauder verwischten sie bald die trübe Stimmung, die sich ihrer bemächtigt hatte.

Eine halbe Stunde verschwatzten sie noch so, bis die Dämmerung angebrochen war und der Regen etwas nachließ.

Jack sah ihr vom Fenster aus nach, als sie fortging.

Was es doch für ein seltsames Mädchen war. Ein Kind, und doch kein Kind mehr mit ihren tiefsinnigen Augen, die ihm gleichsam sein Geheimnis abgerungen hatten.

Mit keinem Menschen hatte er je über diese Zeit seines Lebens gesprochen, die schuld daran war, daß er Junggeselle blieb. Und nun kam dieses siebzehnjährige Ding, und dem Naseweis erzählte er, wie eine alte Klatschbase, alles haarklein, und beinah hätte er gar vor dieser unvernünftigen Krabbe zu zümpfeln angefangen. –

Es war doch ein herziges, seelensgutes Geschöpf, und er begriff seine Frau Schwägerin einmal wieder gar nicht. Wenn die beiden auch noch jung waren, so brauchte man sich ihrem Glücke doch nicht ohne weiteres in den Weg zu stellen.

Bei passender Gelegenheit wollte er einmal ein kernig Wörtlein fallen lassen. –

*

Indessen war Mignon jubelnd nach Haus geeilt, indem sie leichten Herzens durch den Regen lief und wie im Uebermut über die Wasserpfützen sprang.

Zu Haus fand sie einen Brief aus Kopenhagen, in dem ihr der Vater ausführlich Bericht über seine Reise gab und nur das eine bedauerte, daß sie nicht mit ihm sein konnte.

Wohl zehnmal las sie den Brief durch und steckte ihn dann gewohnheitsgemäß in die Tasche, um ihn, trotzdem sie ihn längst auswendig kannte, bei Gelegenheit wieder durchzulesen.

Darüber hatte sie ganz vergessen, daß Frau Anna heute morgen dagewesen war und ihr alle Hoffnung hatte rauben wollen.

Jetzt war alles wieder gut. –

Sie sprang durch das Haus, sang leise vor sich hin, war lustig und aufgeräumt wie nie, so daß die alte Minna aus dem Kopfschütteln nicht herauskam.

»Ganz wie Deine Mutter, Kind. Die tollte auch immer so durch das Haus. Wollte Gott, sie hätte diese Schwelle nie betreten, dann lebte sie vielleicht noch.«

»Aber Minna!«

»Laß nur … laß nur! Es ist doch so. Und ich … ich sah nichts, rein gar nichts. Aber so geht es immer. Man denkt an ganz was anderes, und eines Tages hat man die Geschichte. Eines schönen Tages war die Liebe da, und nun gab es kein Halten mehr. Und ich dummes Geschöpf glaubte, nun würde alles gut, und sah zu, ohne die Hand zu regen. Deine Mutter, Kind, war ein Engel. Ich konnte ihr nicht raten, durfte ja nichts sagen. Und dann dachte ich immer, wenn Du erst mal da sein würdest, dann mußte er sie ja zur Frau nehmen. Und da ist nun doch nichts draus geworden.«

Sie wischte sich mit der Schürze über das alte runzlige Gesicht.

»Ja, ja! sie war immer so lustig, ganz wie Du. Sie sang und sprang den lieben langen Tag. Und nur, wenn die Nacht kam, so in der Dämmerung, dann saßen die beiden still in der Stube, und keiner sagte ein Wort. Wenn ich dann mal was Wichtiges hatte, traute ich mich nicht, es zu sagen. – Ach Gott, ja! Und er hat Deine Mutter recht lieb gehabt, das muß man ihm lassen. Ganz recht war es ja nicht. – Wenn das seine selige Mutter noch erlebt hätte! … Na ja! – Nur das eine hätte er nicht tun sollen. Siehst Du, Kind, Deine Mutter war katholisch, wie ich, und das hätte er nun nicht tun sollen, daß Du nun lutherisch bist. Wenn Du sie nun niemals wiedersiehst? – Na ja, Kind, ich weiß ja nicht, wie das ist, und bin man 'ne dumme Person. Ich bin gar nicht so, und die Mutter Gottes wird schon ein Einsehen haben. Ich verstehe nichts davon. Aber es kann doch noch mal ein Unglück geben. Gut ist es nicht, gewiß nicht.«

»Aber Minna, was redest Du nur.«

»Ja – ja – ich rede. – Ich schwatze und schwatze, und dabei gibt es tausend Dinge zu tun. Ich finde gar nicht mehr durch. Du könntest mir wohl ein bißchen behilflich sein.«

»Aber mit dem größten Vergnügen, Minna.«

Und während Mignon forteilte, um sich eine große weiße Küchenschürze vorzubinden, sah ihr die alte Minna nach und murmelte vor sich hin:

»Und es gibt doch noch ein Unglück, daß er das Kind zu den Lutherischen gebracht hat.«


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