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3.

Lautner hatte sich von Wurm verabschiedet, und da er mit seiner Zeit heute nichts anzufangen wußte, ging er langsam schlendernd und sinnend wieder die Linden zurück dem Brandenburger Tore zu.

Sein angefangenes Bild beschäftigte ihn vollauf. Ob er die Kraft hatte, es zu vollenden, – ob er es annähernd so ausführen konnte, wie er es lebendig vor sich sah?

Wenn es ihm gelang, dann war alles gewonnen. Dann brauchte er sich nicht mehr mit dem Jahrmarktströdel der auf Bestellung gelieferten Salonbilderchen abzugeben.

Am meisten jedoch dachte er daran, welch eine Freude er seiner alten Mutter machen würde, und nur das eine wieder stimmte ihn trübe, daß ihre Augen mit jedem Tage schwächer wurden, so daß sie kaum mehr arbeiten konnte und ihr Sticken hatte ganz aufgeben müssen. Das und vieles Weinen hatte ihre Augen verdorben. Es war so arg geworden, daß er ihr am Morgen die Zeitung vorlesen mußte, weil ihr die Zeilen ineinander liefen.

War es nicht eine bittere Ironie, daß, während er sich bemühte, die leuchtendste Farbenpracht auf seine Leinewand zu bannen, die Mutter immer weniger imstande war, seine Kunst zu genießen?

Das fraß an ihm, und er war doch machtlos.

Der Arzt hatte ihm erklärt, daß es Altersschwäche sei, gegen die es kein Mittel gäbe. Er mußte sich also in das Unvermeidliche fügen. –

Die Hände in die Taschen des Jacketts versenkt, weil er niemals Stock oder Schirm trug, ging er gemächlich dahin, aufmerksam rings beobachtend.

So bemerkte er nicht, wie jemand eine Weile hinter ihm herging und ihn dann endlich auf die Schulter klopfte.

Er drehte sich rasch um. Es war Professor Petri, der lachend vor ihm stand und nun seinen Arm nahm.

»Kommen Sie mit, Lautner. Ich habe mich mit Willy verabredet zu Gurlitt. Sie gehen doch mit? Wir essen nachher zusammen, wo Sie wollen, wenn Sie sonst nichts vorhaben.«

»Nein! Das paßt mir ganz gut. Ich bin eine ziemliche Weile nicht dagewesen.«

»Also gehen wir langsam hin.«

Reinhold Petri mochte etwa in den vierziger Jahren sein. Das dunkle, kurzgelockte Haar war stark in Grau übergegangen, allein es sah aus, als ob dies von Anfang an die Naturfarbe gewesen sei.

Ein starker Bart mit links und rechts tief herabhängendem Schnurrbart bedeckte das Kinn und ließ nur manchmal die etwas zu breiten Lippen sehen.

Die Augen waren stahlgrau und scharf durchdringend. Gewöhnlich etwas kalt, fast stechend, von starken, fast borstigen Wimpern überschattet und mit breiten energischen Brauen.

Das ganze Gesicht war durch Alter etwas hängend und leicht gedunsen, allein die scharfe energische Nase verwischte diesen Eindruck wieder.

Der Kopf mit der hohen, beinah viereckigen Stirn wirkte beim ersten Blick sympathisch gewinnend, und in den scharfen Zügen lag viel Geist.

Es war eins jener Gesichter, die so frappant sind, daß man sie nicht wieder vergißt, deren Ausdruck sich voll mit der Persönlichkeit deckt; aus denen man schwer etwas erraten kann, aber stets geneigt ist, in ihnen alles zu finden, was man über den Betreffenden erfahren hat.

Es lag Zielbewußtsein in seinem Auftreten, in der straffen Haltung seines mächtigen, breitschultrigen Körpers.

Das Seltsame dabei war, daß seine Arbeiten, so groß sie angelegt sein mochten, stets an einem Zuge zur Zierlichkeit krankten und seine kleineren Statuetten mehr Boudoirnippes glichen als selbständigen Schöpfungen eines großen Bildhauers.

Es lag ein französisch leichtfertiger Zug in seinen Figuren, der nur zu oft die einheitliche Wirkung störte. –

Lautner hatte eine Zeitlang unter ihm gearbeitet. Allein, nachdem er in die Geheimnisse des Modellierens einigermaßen eingedrungen war, ließ er davon ab und griff wieder zu Pinsel und Palette. Die Farbe interessierte ihn doch mehr als die Form.

*

Als sie bei Gurlitt eintraten, fanden sie Willy Braun schon anwesend, der vor einer norwegischen Landschaft stand, deren üppiger Goldton ihn begeisterte.

Lautner zuckte nur die Achseln und suchte nach irgendeinem Bilde, das seiner Geschmacksrichtung besser entsprach, aber er fand nichts Gescheites.

Er war nicht einmal dazu aufgelegt, seine gewohnheitsmäßigen ironischen Bemerkungen zu machen, zumal er wußte, daß Reinhold Petri sie ihm oft genug verargte.

Nur im großen Saale versetzten ihn ein paar originell sein sollende Plein-air-Bilder in wilden Zorn, weil sie so gar keinen Inhalt hatten.

»Ich glaube, allmählich könnten wir gehen,« sagte er endlich, müde von dem nutzlosen Herumstehen.

»Einen Augenblick noch. Dieser Bronzekopf interessiert mich zu sehr.«

»Kommst Du nachher mit zu mir, Lautner?« fragte Willy.

»Gewiß, gern. Ich habe nichts vor.«

»So, jetzt wäre ich fertig. Wenn ihr also mit zum Pschorr wollt, so können wir dort essen.«

*

Nach Tisch ließ der Professor die beiden jungen Leute allein, die zu Braun gingen, der seit einiger Zeit in der Mauerstraße seine Wohnung hatte, um nicht beständig den Weg nach Charlottenburg machen zu müssen.

Sie sprachen über Reinhold Petri, der eben ein neues Werk vollendet hatte, das sich noch im Atelier befand, aber in den nächsten Tagen ausgestellt werden sollte.

Willy stand, trotzdem er über das Sie und das Herr nie hinausgekommen war, mit ihm auf vertrautem Fuße. Oft, wenn ihn irgend etwas bedrückte, wenn er in irgendeiner Angelegenheit einen Rat haben wollte, wandte er sich, ehe er der Mutter die letzte Entscheidung überließ, an Petri, zu dem er viel Vertrauen besaß.

Sie ließen es sich beide nach außen hin nicht anmerken, wie vertraut sie im Grunde waren. Wenn Willy in Charlottenburg war, in den Ferien, so machten sie gemeinsam die ausgedehntesten Spaziergänge.

In den letzten Tagen war der Professor nervös erregt gewesen, wie jedesmal, wenn er mit einem neuen Werke an die Oeffentlichkeit trat.

Eine Ruhelosigkeit ohnegleichen marterte ihn; er konnte vor allem keinen Augenblick allein sein.

Jetzt hatte er die beiden jungen Leute nur verlassen, weil er selbst den Transport seiner Gruppe anordnen und überwachen wollte. –

Sie waren vor dem Hause der Mauerstraße angelangt und stiegen die helle Treppe zu Brauns in der ersten Etage gelegenen, aus drei Zimmern bestehenden Wohnung hinauf, über die sich Lautner jedesmal aufs neue ärgerte, weil sie, wie er behauptete, mit geradezu geschmackloser Protzigkeit eingerichtet war.

»Natürlich, die Martha!« sagte Lautner, als sie auf den Korridor traten und in demselben Augenblicke eine Tür geöffnet wurde und ein blonder Mädchenkopf sich zeigte.

»Du, das Mädel ist, glaub' ich, in Dich verliebt, Will. Sie muß immer herausgucken. Na, deshalb brauchst Du nicht gleich rot zu werden.«

»Ich bitte Dich, Fritz.«

»Na laß doch. Du kannst ja nichts dazu, das weiß ich. Ich glaube, ehe Du mal ein nettes Wort zu einem hübschen Kinde sagst, muß die Welt untergehen. In der Beziehung bin ich nun gerade kein Unmensch.«

Er hatte es sich in einem Ledersessel bequem gemacht und betrachtete eifrig die Titel der in den Repositorien stehenden Bücher. Es war so behaglich in den hübsch ausgestatteten Räumen, daß er gern ein Stündchen hier mit Braun verplauderte.

»Uebrigens, Will, Du hast mir immer mal versprochen, zu uns heraufzukommen. Ich habe meiner Mutter so viel von Dir erzählt, daß sie ganz neugierig geworden ist. Dafür mache ich Dir dann mit Würmchen am nächsten Sonntag in Eurer Villa Gegenbesuch, wenn Dir die Zeit paßt.«

»Aber sehr gern.«

»Weißt Du, so nett wie bei Dir findest Du es nun nicht bei uns. Hinterhaus drei Treppen, wegen des Ateliers. Und das ist auch danach, klein und scheußlich einfach, vier kahle Wände, das ist alles.«

Dann fuhr er mit wohltuender Wärme fort:

»Aber dafür ist eins darin, und das weißt Du ja zu würdigen: Du mußt meine Mutter mal kennen lernen, 'ne einfache, alte Frau natürlich, recht alt sogar, aber darauf siehst Du hoffentlich nicht so sehr.«

»Ich habe nichts mehr zu tun, wenn wir also …«

»Aber mit dem größten Vergnügen, lieber Junge. Je unerwarteter, desto besser.«

Sie brachen wieder auf und gingen nach Moabit hinaus. –

*

Ein großes graues Vorderhaus, dann ein völlig verwahrloster Garten und hinten ein kleines, aber hohes Hintergebäude.

Die Treppen waren schmal und ausgetreten. An den Wänden blätterte der Kalk ab, und Braun war froh, als sie endlich die Treppen hinauf waren und nun in ein paar Stübchen kamen, mit gescheuerten schneeweißen Fußböden. Alles so peinlich sauber. Der einfachste Hausrat von der Welt; aber diese Einfachheit atmete eine wohltuende Gemütlichkeit, die auch den verwöhnten Willy Braun bestach.

Die alte Frau Lautner kam aus der Küche herbei. Sie hatte sich schnell eine saubere Schürze umgebunden. Es war alles an ihr so sicher und ruhig; sie kam dem jungen Manne höflich, aber doch mit einer gewissen überlegenen Herzlichkeit entgegen, daß er fast zwei Stunden mit dieser einfachen Frau verplauderte, nachdem er anfangs nur mitgekommen war, um dem Freunde gegenüber einer Anstandspflicht zu genügen.

Zum ersten Male erkannte er, wie weich Lautners Stimme klingen konnte, wenn er »Mütterchen!« sagte: wie verändert er schien, der ihn sonst mit seinen kalten Urteilen so oft erbittert hatte.

Er schien hier ein ganz anderer Mensch zu sein, und erst, als er ihn dann in sein Atelier führte, eine Art Bodenkammer, abgeschrägt, aber fast blendend hell, und als er ihm einige Farbenskizzen zeigte, hastig hingeworfen, gleichsam dem Leben entrissen, da war er wieder der alte Skeptiker, der sich selbst mit der schärfsten Ironie beurteilte, so daß Braun fast drängte, fortzukommen, nur um sich den guten Eindruck zu bewahren, den er heute von ihm durch sein Verhalten der Mutter gegenüber empfangen hatte.


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