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4.

Ein schweres Abendgewitter war über Berlin niedergegangen. Die Blitze hatten den dichten grauen Dunstschleier, der ewig drückend schwer über der gewaltigen Häusermasse lagerte, zerrissen, bis die stürzende Regenflut ihn völlig durchschlagen hatte.

Endlose Ströme stürzten prasselnd vom eintönig grauen Himmel und überschwemmten alle Straßen, Plätze und Trottoirs. Im Augenblicke waren die Fassaden der Häuser von dem feinen grauen Staube reingewaschen, der sich in den letzten, übermäßig heißen und ganz windstillen Tagen darauf gelagert hatte. Der Schmutz von den Steinen, dem Asphalt und den Holzblöcken des Pflasters wurde in die Straßenrinnen geschwemmt, wo er wie eine tintenartige Masse langsam den gurgelnden und schluckenden Kanalöffnungen zutrieb, um in der Erde zu verschwinden.

Als sei eine Wolkenmauer geborsten, so rauschten die Regengüsse nieder. Der Wind trieb die dicken Tropfen gegen die Scheiben der Fenster und jagte breite Wolken von Sprühregen wie Wellen über das glatte Pflaster der menschenleeren Straßen.

Ueberfüllte Straßenbahnwagen fuhren in gleichmäßigen Pausen die unter Wasser stehenden Schienen hin; einzelne hastende Droschken jagten in eiligem Trabe unter dem Regen durch, der Kutscher mit vorgebeugtem Nacken, den Wachstuchzylinder tief in die Stirn gedrückt und den weiten Mantel fest um die Schultern ziehend.

Unter allen Torwegen und in jedem offenen Hausflur standen Spaziergänger und unruhige Geschäftsleute, eng zusammengepfercht, mit ihren tropfenden Schirmen und dampfenden Kleidern, – und zogen sich tiefer in den Hausflur zurück, wenn der heimtückische Wind plötzlich seinen feinen durchdringenden Sprühregen in den Torbogen warf.

Die dicken klatschenden Tropfen, die fast silbern, wie zerplatzende Hagelschossen aussahen, fielen nicht mehr. Allmählich ging der Wolkenbruch in einen gleichmäßig feinen Landregen über, der alles mit seinen dunstigen Nebelschleiern umhüllte. –

Willy Braun hatte den dicken Band, in dem er geblättert, niedergelegt, weil die Dunkelheit immer stärker ward, und blickte jetzt in den Regen hinaus in die einsame Mauerstraße, wo kein menschliches Wesen zu erblicken war.

Vor den beiden Fenstern des Wohnzimmers befand sich ein Balkon, und von dem kleineren der zweiten Etage stürzte hier der Regen herab, daß die Wasserfluten in das Zimmer einzudringen drohten, dies große, elegant eingerichtete Gemach, das so gar keine Aehnlichkeit hatte mit den bescheidenen Studentenbuden seiner Kommilitonen hoch im Norden oder Nordwesten der Stadt, jenen bescheidenen, engen und meist kahlen vier Wänden, in denen sie zu seinem Entsetzen hausen mußten.

Seit dem ersten Semester, das er an der Universität Jura studierte, hatte er diese aus drei Zimmern bestehende Wohnung inne. –

Es klopfte an der Tür.

Er drehte sich um, und seine Wirtstochter fragte fast scheu, als ob sie sich nicht traue, hereinzukommen:

»Soll ich auch die Lampe bringen, Herr Braun?«

Er warf einen Blick auf die Straße und dann einen auf die zierliche Bouleuhr auf dem Kaminsims, die dreiviertel sieben zeigte – dann erst sagte er:

»Bringen Sie nur, Fräulein Martha, – aber anzünden brauchen Sie sie nicht gleich.«

Sie huschte hinaus, kam nach einer Weile mit der Lampe wieder und sah sich ratlos im Zimmer um, denn der Tisch war ganz mit Büchern bedeckt.

»Nur auf den Schreibtisch, bitte.«

Er hatte sich wieder an das Fenster gestellt und sah, wie zuweilen ein ferner Blitz über den jenseitigen Häusern aufzuckte und das Zimmer leicht erhellte, dann herrschte wieder eintönige, farblose Dämmerung.

Am Himmel trieben einzelne Wolkenfetzen, und der Regen ließ sichtbar nach; nur zuweilen verschlimmerte sich stoßweise dieser prickelnde Sprühregen, der so fein rieselte, daß man glauben konnte, er habe ganz aufgehört.

Willy bemerkte bei seinen Beobachtungen gar nicht, wie sich Martha noch immer im Zimmer zu schaffen machte.

Er hatte in all der Zeit, daß er bei dem Registrator Kuhlemann wohnte, kaum ein Auge gehabt für die hübsche achtzehnjährige Martha, mit ihren reichen blonden Haaren und diesem bescheidenen Wesen, das so gar nicht zu dem der anderen Mädchen paßte. Er hatte es nie bemerkt, daß sie alles tat, um seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, daß sie stets alles selbst besorgte, wenn er irgend etwas wünschte, so daß er das Dienstmädchen, das die Familie hatte, kaum zu Gesicht bekam.

Er war freundlich gegen sie, aber nie sagte er ein Wort mehr als nötig; nie machte er auch nur den Versuch, mit ihr, die so gern schwatzte, zu plaudern.

Ein paarmal hatte sie ihn um ein Buch zum Lesen bitten wollen, das ihr beim Aufräumen aufgefallen war, allein wenn sie den Entschluß noch so fest vorhatte, traute sie sich im entscheidenden Augenblicke doch nicht mehr, weil er immer so ernst und schweigsam war.

All das diente nur dazu, ihre Neigung mehr und mehr zu vertiefen, sie aber auch im gleichen Maße geheim zu halten.

Sie rückte jetzt an einer Vase und ordnete das Bukett darin, dann wischte sie über den Deckel des Pianos, warf noch einen Blick auf den am Fenster stehenden jungen Mann, der ihr achtlos den Rücken kehrte, und entschloß sich endlich, mit einem leisen »Guten Abend!« das Zimmer zu verlassen.

Er hatte kaum mehr daran gedacht, daß sie noch da war, denn seine Gedanken waren schon draußen in Charlottenburg, in der kleinen Villa der Sophienstraße, wo heute seine Mama ihren achtunddreißigsten Geburtstag feierte, seine junge, schöne Mama, wie er sie liebkosend so gern nannte, die er fast vergötterte, und auf die er so stolz war, wenn er an ihrer Seite ging oder mit ihr ausfuhr, und alle Welt sich nach ihnen umsah.

Denn sie fiel auf mit ihrer Schönheit, die etwas mädchenhaft Eigenartiges hatte.

Diese Feinheit ihres Profils hatte sich auch auf ihn übertragen; er hatte dasselbe hellbraune Haar, dieselben dunklen Augen, und trotz seines kräftigen Körperbaus etwas Weiches, fast Zartes, daß man sofort erkannte, wie er von einer Frau, und nur von einer Frau großgezogen war und von der Welt nichts wußte, nicht viel mehr als ein verzärteltes Haustöchterchen.

Das zeigte sich auch in seinem Anzuge, eine Sauberkeit und Nettigkeit wie die eines Pensionsfräuleins, das nicht das kleinste Fleckchen oder Stäubchen an sich duldet. –

Er kannte nur seine Mutter. Eine seltsame Neigung zog ihn zu dem spöttischen Maler und dem so überschwänglichen Wurm. Sonst hatte er keinen Freund. Und auch Frauen kannte er nicht. Seine Mutter war die einzige, die Bedeutung für ihn hatte, auf die er all seine Liebe übertrug, eine blinde, rückhaltlose Verehrung wie für eine Heilige.

Heute in aller Frühe schon war er draußen gewesen, um ihr seine Glückwünsche zu überbringen.

Er hatte sie in dem großen, immer so sorgfältig gepflegten Garten getroffen, wo sie ihn erwartete; denn sie wußte, daß er kommen würde.

Im vorigen Jahre war er noch ganz zu Haus gewesen. Zum ersten Male war er jetzt fern. Er wollte arbeiten, und dazu kam er daheim nicht. Denn immer gab es etwas für die Mutter zu tun; gleich war er mit einer Frage bei der Hand, ob er ihr nicht irgendwie behilflich sein konnte oder auch nur ihr Gesellschaft leisten sollte, wenn der Vater wieder einen seiner Schmerzensanfälle hatte und der sie nicht um sich duldete, weil er wußte, wie peinlich es ihr war, weil sie dann wieder für einige Tage an ihrer Nervosität zu leiden hatte. –

In ihrem lichten Morgenkleide hatte sie auf der kleinen, dicht an der Gartenmauer gelegenen Anhöhe gestanden, von wo aus man die Straße ganz hinuntersehen konnte.

Er war auf sie zugeeilt und hatte sie in seine starten Arme genommen, als wollte er sie zerdrücken, daß sie ihm lachend wehren mußte.

Sie hatte die weißen Kamelien leidenschaftlich gern, und so hatte er ihr auch schon heute früh ein großes Bukett gebracht, und für heute abend war ein gleiches, noch schöneres bei Schmidt bestellt.

Er sah in Gedanken ihr liebes, freudiges Gesicht, und wie sie ihn schelten würde, daß er ein Verschwender sei; und doch würde sie ihm für seine Verschwendung so gut sein, daß er schon jetzt die Freude durchkostete, ihr einen Wunsch erfüllen zu können. –

Es regnete noch immer, aber jetzt ganz fein. Das Gewitter hatte sich verzogen, und er entschloß sich, fortzugehen.

Rasch vertauschte er die braune Joppe mit dem Gesellschaftsrocke, warf den hellen Ueberzieher um die Schultern, steckte noch einen Brief an einen auswärtigen Freund in die Brusttasche und verließ das jetzt ganz dunkle Zimmer.

Als er die Korridortür öffnete, rief ihn Martha an, ob er heute heimkommen oder draußen bleiben würde.

Nein, – er kam nach Hause.

Regelmäßig hatte sie eine derartige Frage, wenn er fortging, und er sah darin nichts anderes als eine liebenswürdige Vorsorglichkeit, während es doch von ihr nichts war als das Bestreben, ihn auf sich aufmerksam zu machen.

Er achtete nicht darauf; er dachte nicht im entferntesten an sie, die ihm vom Fenster aus nachsah, bis er in dem Torbogen der kleinen Mauerstraße verschwand, die er, ohne sich zu beeilen, durchschritt und dann langsam in die Linden einbog.

Ein feiner Dämmerungsschleier lag über den schon herbstlich gelb gefärbten Bäumen.

Der Fahrdamm war von Fuhrwerken aller Art belebt. Auf dem Trottoir nur wenige Menschen, die mit aufgespannten Schirmen sich eilends an den Häusern hindrückten.

Willy trat in den Blumenladen von Schmidt ein. Der bittere, sinnverwirrende, schwüle Blütenduft, der hier hing, betäubte ihn fast, während draußen die Luft vom Gewitter gereinigt war.

Er lächelte dem bleichsüchtigen Ladenmädchen zu, das ihm die Blumen fürsorglich in buntgestreiftes Seidenpapier einschlug.

Dann nahm er das Bukett vorsichtig unter den Schirm und trat wieder hinaus in den Regen, der mehr und mehr nachließ. –

Gleichmäßig plätscherten auf dem Pariser Platze im Regen die beiden Fontänen.

Vor der Wache des Brandenburger Tores standen zwischen den Säulen einige Soldaten und sahen gelangweilt vor sich hin. Unbeweglich stand der Posten da, unbekümmert um den Regen, trotzdem seine weiße Hose naß und grau geworden war und anklebte. Er wartete stoisch auf die Ablösungsstunde.

Von den Bäumen des Tiergartens klatschten dichte Tropfen; zuweilen schüttelten sich die nassen Zweige und ein Regenschauer prasselte nieder, der heftig auf seinen aufgespannten Schirm trommelte, während er, die Bahn erwartend, am Waldsaume auf und ab ging.

Der Wagen war ziemlich leer, und er setzte sich gegen alle Gewohnheit in das Innere, wo eine drückende, dumpfe Luft herrschte, daß er das Fenster hinter sich öffnen mußte.

Ein feuchtschwerer Duft wogte aus dem Walde her. Nebelhaft schien er dem feuchten Boden zu entquillen.

Zuweilen hörte man, wie das Wasser unter den Rädern aufrauschte. Oder der Nachregen stürzte von den Bäumen.

Manchmal flammte es in der Ferne auf, schwach und ersterbend.

Der Wagen schwankte und stieß, und Willy war froh, als er endlich aus dem Tiergarten heraus war, unter dem Eisenbogen der Stadtbahn durchfuhr, über den schmutzigen Spreekanal, – dann links der breite Sandsteinbau der Technischen Hochschule, und endlich war er am Ziele.

Er mußte mit seinem großen, ihn hindernden Bukett über ein paar breite Pfützen springen, dann überschritt er die Allee und bog in die enge Sophienstraße ein.

Die Fenster der kleinen Villa waren weit geöffnet; aus der ersten Etage, durch die hin- und herflatternden Vorhänge strömte eine drängende Lichtfülle.

An dem einen Fenster waren die Vorhänge weit zurückgeschlagen, und als die Gittertür ins Schloß fiel, sah er, daß dort oben sich jemand bewegte. Er erkannte die Gestalt.

Es war seine Mutter, seine geliebte, angebetete Mutter.

Sie grüßte und winkte, und er lächelte und winkte hinauf, und dann stürmte er fast über den Kiesweg und die breite Steintreppe hinauf, zu ihr … seiner Mutter. –


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