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32.
Niederschrift des Rechtsanwalts Dr. Paul Morell

Sonst, wenn ich Margot Sandner als Verteidiger in ihrer Zelle besuchte, fand ich sie in jenem Zustand der weltentrückten Träumerei, der in diesen Monaten nach dem Mord ihr eigentliches Sein war. Es war nur ein Ausfluß ihres innersten, ihr angeborenen Wesens. Sie war immer eine in sich versunkene, leidenschaftlich tief in sich lebende und nach außen schweigsam verschlossene Natur, der der Fremde dieses träumerische Feuer gar nicht zutraute. Sie schaute mit ihren großen, dunkeln, fantastisch glänzenden Augen die Welt anders an, als andere Sterbliche. Sie sah in der Welt Dinge, die andere nicht sahen oder formte sich diese Dinge in einer gewissen ständigen stillen Sehnsucht nach Schönheit zurecht, bis sie sie sah, wie sie sie sehen wollte. Dieses gewissermaßen Mystische in ihr sprach schon aus dem geheimnisvollen Lächeln, mit dem sie, an einem vorbeischauend, jeden Einblick in ihr Inneres abwehrte.

Es war wirklich manchmal, wenn ich ihr als Verteidiger gegenüber saß, als lebte sie schon in einer anderen Welt. Ihr Prozeß – alles, was ich ihr sagte und was ihr Wohl und Wehe betraf, schien sie in keiner Weise zu interessieren. Sie empfand das als eine lästige Störung. Sie benutzte, da sie ja sonst mit keinem anderen reden konnte, meine Besuche, um ihre Gedanken loszuwerden, die ihr in ihrer Versonnenheit durch den Kopf gegangen waren und die nicht das Geringste mit dem furchtbaren Ernst des Tages gemein hatten.

Sprach ich ihr etwa eindringlich und verzweifelt ins Gewissen, daß, wenn sie weiter bei ihrem Schweigen verharrte, das Todesurteil sie bedrohte, so hörte ich ihre weiche, tiefe, teilnahmlose Stimme: »Wir sind alle von unserer Geburt an zum Tod verurteilt und wissen nur nicht, wann das Urteil vollstreckt wird. Ich weiß es zum Glück. Das ist der ganze Unterschied zwischen euch und mir.«

Oder sie fuhr fort: »Man hat ja schon tausendmal gelebt und hat auch die Erinnerung daran – aber alles, damit man nicht die Lust weiterzuleben verliert, kurz und klein geschlagen und kunterbunt durcheinander und ohne Sinn und Verstand und das sind dann die Träume, und was man jetzt lebt, ist nur ein Traum mehr!« – und es war, wenn sie so vor sich hin, ich möchte sagen, verlorene Akkorde auf ihrer eigenen Seele spielte, fast unmöglich, sie in die Wirklichkeit und Gegenwart zurückzurufen.

So war Margot Sandner seit dem Tod ihres Mannes von einer sanften Undurchdringlichkeit. So war ich sie gewohnt.

Aber das, was ich jetzt in der Zelle traf, das war ein anderer Mensch. Eine leidenschaftliche Frau trat mir entgegen, mit fliegendem Atem und bebender Stimme. Man hatte ihr gemeldet, daß die Vollstreckung des Urteils in letzter Stunde aufgeschoben sei. Sie hatte die Geistlichen weggeschickt. Sie wollte nichts von dem Beistand des Arztes wissen. Selbst ich, ihr Verteidiger, mußte mir förmlich gegen ihren Willen ihre Zellentür aufschließen lassen. Sie war allein in der Zelle, aus der sich auch die beiden Wärterinnen jetzt entfernt hatten. Sie rief mir leidenschaftlich zu:

»Man sagt immer, jeder Mensch hat ein Recht auf Leben! Aber man hat doch auch ein Recht auf Tod! Von Rechts wegen! Sagen Sie dem alten Mann, in dessen Händen mein Schicksal liegt, sagen Sie ihm, er soll sich beeilen! Er soll nicht mit mir spielen. Ich will nicht leben. Ich will sterben. Man kann doch nicht mehr tun, als seine Tat gestehen! Erlöst mich doch von diesem Zustand zwischen Tod und Leben!«

Margot Sandner ging mit erregten Schritten durch die Zelle. Sie schlug ihre mystischen Augen zu der niederen Decke auf, als verstände sie die Welt nicht mehr.

»Worauf wartet man denn noch eigentlich – möchte ich nur wissen! Dieser Fall liegt doch so sonnenklar – so überwältigend einfach ... «

»Das sagen Sie, die durch ihr Schweigen uns alle irreführt!«

»Die Tatsachen sprechen! Wozu brauchen da noch die Menschen zu reden?«

»Weil ich und viele andere diese Sprache der Tatsachen nicht verstehen ... «

»...obwohl ich sofort alles unumwunden zugegeben habe?« Margot Sandner blieb feindselig stehen. Ich zuckte die Achseln:

»Ich habe schon vielen Angeklagten vor Gericht zur Seite gestanden. Diese Menschenkinder alle suchten sich, wie sie nur irgend konnten, von dem Verdacht der Schuld weißzuwaschen. Sie sind mein erster Klient, und wahrscheinlich der einzige Angeklagte auf Erden, der nur Angst hat, daß seine Unschuld an das Tageslicht kommen könnte! Und da soll man nicht die Hände ringen und geradezu an seiner Aufgabe als Verteidiger verzweifeln?«

Ich faltete wirklich die Hände. Ich lief hinter Margot Sandner her, die immer noch durch die Zelle schritt. Ich flehte sie an.

»Liebe Freundin! Machen Sie es mir doch nicht so furchtbar schwer! Ich tue doch wirklich für Sie, was nur ein Mensch irgend vermag! Vor allem: Ich bitte – ich beschwöre Sie: Widerrufen Sie endlich Ihr Geständnis! Widerrufen Sie es jetzt sofort vor Zeugen! Ich lasse in Eile die Vertreter der Behörde holen ... In ein paar Minuten sind sie da!«

Margot Sandner schüttelte ihren Kopf. Sie war eigentlich nur eben noch hübsch zu nennen. Aber ihr blasses Antlitz sah jetzt seltsam vergeistigt aus, in seiner Weltentrücktheit von fast klassischem Schnitt.

»Das würde doch nichts an den Tatsachen ändern, wenn ich hinterher die Tatsachen ableugnete, die mich überführen!« sagte sie mit großer Ruhe. Nun spielte ich meine letzte Karte aus, um diese unglückselige Frau zu retten. Aber in meinem Innern hatte ich eigentlich selber kaum eine Hoffnung mehr.

»Die Tatsachen ändern sich!« sprach ich langsam und nachdrücklich und so bedeutungsvoll, daß Margot Sandner ausnahmsweise ihre dunklen Augen auf mich richtete, statt in eine Ecke der Zelle. »Liebe Freundin! Ich treibe Sie jetzt in die Enge! Ich weise Ihnen nach, daß Sie nicht allein mit dem armen Leopold in der Villa waren, sondern noch ein Dritter sich darin befand. Und er – sehen Sie mir ins Gesicht – er ist der Täter! Und Sie kennen ihn und werden mir jetzt seinen Namen nennen!«

Aber Margot Sandner hatte sich schon wieder abgewendet. Sie strich sich mit ihrer gewohnten Bewegung ein paar lose Haarbüschel aus der Stirn und versetzte gleichgültig:

»Ach – lassen Sie doch die Dummheiten, lieber Morell! Ich kenne doch Ihre Advokatenkniffe!«

»Für derlei ist mir die Lage viel zu ernst und meine Verantwortung viel zu groß!« sagte ich. »Wenn ich Ihnen verrate, daß drei Zeugen diesen großen Unbekannten eine Viertelstunde vor der Tat in das Haus haben eintreten sehen ... «

»Wo haben Sie denn diese Geisterseher aufgetrieben?« Es schien mir doch eine leise Unruhe in Margot Sandners spöttischen Worten: »Und was sind das für Leute?«

»Mit einer gewissen Vorsicht sind ihre Aussagen allerdings aufzunehmen! Das gebe ich zu!«

»Nun also ... Es lohnt gar nicht die Mühe, darüber zu reden!«

»Aber sie beschreiben völlig übereinstimmend den Täter!«

Margot Sandner machte nur eine gelangweilte Schulterbewegung, als wolle sie mir andeuten, ich möge sie doch mit diesen Mätzchen in Ruhe lassen. Sie kehrte mir den Rücken zu. Sie sprach endlich zerstreut und obenhin, um der Sache ein Ende zu machen.

»Wer sollte denn das gewesen sein?«

»Mein Gott, natürlich – was Sie genau wissen – dieser fremde graubärtige Herr in grauem Mantel und Hut!« sagte ich. Ich hatte mir eigentlich kaum mehr eine besondere Wirkung meiner Worte erwartet. Aber im selben Augenblick drehte sich Margot Sandner unwillkürlich zu mir herum. Sie bemühte sich, ihre Haltung zu bewahren, sie zwang ihre Züge zu einem ruhigen Ausdruck. Aber ein fahler Schein – bleicher noch als ihre bisherige Gefängnisblässe – legte sich darüber hin, und durch ihre zarte, eben nur mittelgroße Gestalt lief ein kaum merkliches Zittern.

Einen Augenblick war zwischen uns Stille.

»Liebe Freundin!« begann ich dann, selbst mit vor Aufregung gepreßter Stimme. »Sie wissen um diesen – nennen wir ihn kurz – diesen grauen Herrn?«

»Ich habe keine Ahnung, was das für ein grauer Herr sein soll!«

»Ich sehe es Ihnen ja an! Sie können sich ja nicht mehr verstellen!«

»Sie sind kein Menschenkenner, Morell!«

Margot Sandner hatte sich schon wieder völlig beruhigt. Die Anwandlung war vorbei. Sie setzte sich. Sie stützte gleichgültig das Kinn auf die Hand. Sie gab sich den Anschein, als sei für sie die Sache erledigt. Ich drängte. Ich flüsterte ihr ins Ohr:

»Liebste, beste Freundin! Sie haben sich nun einmal verraten. Sie können die Anwesenheit des grauen Herrn nicht mehr in Abrede stellen!«

»Das müßte ein komischer Kauz sein«, sagte sie mit einem leisen und verächtlichen Spott in der dunklen Stimme. »Der mal da ist und gleich darauf wieder nicht! Oder hat man eine Spur von ihm gefunden?«

»Morgen wird die ganze Villa noch einmal auf das genaueste von der Behörde durchsucht!« rief ich. »Man hat es mir auch auf meine Vorstellungen hin feierlich versprochen. Ich werde selbst dabei sein! Ich werde als Ihr Sachwalter darauf bestehen, daß mit schonungsloser Gründlichkeit vorgegangen wird – daß der Backsteinboden im Keller aufgerissen wird – daß die Parkettböden und Dielenbretter entfernt werden – daß die Tapeten abgerissen werden ... «

»Die Tapeten?« fragte sie stirnrunzelnd. »Die teuren Ledertapeten?«

»Herrgott – was liegt denn jetzt daran, wenn wir auf diese Weise irgendein Lebenszeichen – oder ein Todeszeichen des grauen Herrn entdecken! Er müßte sich ja irgendwo tot in der Villa befinden – nach menschlichem Ermessen!«

Margot Sandner antwortete nicht. Sie starrte eine Weile vor sich hin. Es war, als ob sie etwas überlegte. Sie stand auf. Sie trat auf mich zu. Sie war äußerlich ganz gefaßt.

»Sie waren Leopolds Freund«, sagte sie, »und Sie haben nach seinem Tod gesagt, Sie wollten auch weiterhin mein Freund bleiben, und Sie beweisen das ja auch durch den rührenden und vergeblichen Eifer, mit dem Sie mir zur Seite stehen. Vergeblich – ja. Ich habe es Ihnen bisher recht schlecht gelohnt und es Ihnen recht schwer gemacht. Und mich zuweilen im stillen über die Engelsgeduld gewundert, die Sie mit mir gehabt haben. Aber jetzt ist es soweit. Jetzt fordere ich einen wirklichen Freundschaftsdienst von Ihnen!«

»Gott sei Dank!«

»Sie müssen mir versprechen, ihn zu erfüllen!«

»Mit tausend Freuden!«

»... und genau so, wie ich es Ihnen sage ... «

»... wenn es mir irgendwie menschenmöglich ist ... «

»Gut!«

Margot Sandner dachte wieder nach. Dann sagte sie langsam, im gewöhnlichen Gesprächston:

»Sie müssen jetzt gleich in die Villa hinausfahren!«

»Wie?«

»Sie steht ja leer. Der Gärtner ist in unserer Stadtwohnung geblieben. Wer hat denn Sinn da draußen für Rasenbeete? Von dem Gärtner, wenn Sie den herausklingeln, kriegen Sie die Schlüssel zur Villa. Er kennt Sie ja als unseren besten Freund!«

»Ja, aber ... «

»Sie müssen mir aber schwören, ganz allein hinauszufahren. Es darf niemand Sie begleiten und irgendwie wissen, was Sie da tun!«

»Das ist aber doch eine seltsame Aufgabe, liebe Freundin!« sagte ich.

»Wieso?«

»Nun ... der weite Weg ... «

»Mit der Droschke? Die lassen Sie natürlich in einiger Entfernung halten! Nein – besser – Sie lohnen sie ab und gehen zu Fuß zurück und nehmen unterwegs eine neue!«

»Sie muten mir etwas zu, was ich sehr ungern täte!«

»Lieber Morell – ich verstehe Sie wirklich nicht ... «

»Nun«, sagte ich, »es ist nicht jedermanns Sache, nachts in das Mordhaus ... «

»Angst?« fragte Margot Sandner ungläubig. »Von der Seite kenne ich Sie ja gar nicht ... «

»Von Angst ist natürlich bei mir keine Rede ... «

»Der arme Leopold ist tot. Haben Sie keine Sorge! Der erscheint Ihnen nicht!«

»Und doch wäre es mir lieber, Sie ersparten mir, nach all den Aufregungen heute, diese anstrengende nächtliche Fahrt. Morgen ist doch auch noch ein Tag. Heller Tag. Da geht das alles ja viel bequemer ... «

»Morgen ist es zu spät!« sagte Margot Sandner. »Das weiß ich seit ein paar Minuten gerade durch Sie!«

»Ich fühle mich aber nun einmal jetzt zu angegriffen, um ... «

Ich brach ab. Ich hörte Margot Sandners Stimme:

»Dabei versichern Sie mir, Sie seien mein Freund! Und bei dem ersten kleinen Gefallen, den ich von Ihnen verlange, versagen Sie! Ich hätte es nicht von Ihnen gedacht, Morell ... «

»Es kommt doch darauf an, was ... «, begann ich. Doch sie ließ mich nicht weiterreden.

»Aber dann legen Sie auch, bitte, die Verteidigung nieder, und überlassen Sie mich meinem Schicksal! Ich werde es aber jedem, dem ich es auf dieser Welt noch sagen kann, sagen, daß Sie nicht den Mut aufgebracht haben, nachts allein ein unbewohntes Haus zu betreten. Das wird Ihrem Ansehen als Verteidiger und Ihrer Karriere nicht sehr förderlich sein!«

Damit hatte sie mich an meinem wundesten Punkt, meinem Ehrgeiz, getroffen. Ich sah ein: Ich mußte ihren Willen erfüllen.

Ich fragte finster:

»Also, was soll ich tun?«

»Gott – es ist eigentlich eine Kleinigkeit!« sagte Margot Sandner. »Morgen wird, wie Sie das leider in Ihrer Betriebsamkeit angestiftet haben, in der Villa das unterste zu oberst gekehrt. Nun machen Sie Ihren Übereifer wenigstens in einem Punkt gut. Es könnte sich nämlich bei der Gelegenheit in der Villa etwas finden – eigentlich durchaus nichts Besonderes – es liegt gerade mir nur aus bestimmten Gründen daran, daß darüber nicht unnötig geredet wird. Jeder Mensch hat doch seine kleinen Heimlichkeiten – nicht? Und ich bin doch gerade besonders verschlossen. Es gibt Sachen – an die soll man mir nicht rühren!«

»Und da soll ich ...?«

»Also passen Sie auf: Sie schließen auf und gehen durch die große Diele halblinks. Da kommen Sie in das Rauchzimmer mit dem elektrischen Ofen, den wir für den Winter draußen hatten, damit wenigstens ein Zimmer in ein paar Minuten durchheizt ist, wenn man einmal hinauskommt, und mit dem Telephon auf dem runden Tisch. Die elektrischen Knipser sind im ganzen Haus überall an den Türen rechts. Da können Sie nicht fehlen!«

»Und dann ...?« fragte ich mechanisch.

»Rechts von dem elektrischen Ofen hängt an der Ledertapete ein kleines Bild, ein Blumenstück. Es ist scheußlich. Es ist von mir. Ich habe es seinerzeit als Kunstgewerblerin verbrochen, um mich einmal an etwas Höherem zu versuchen. Aber Leopold hatte einen Narren daran gefressen. Er ließ es in Gold rahmen und hängte es da draußen auf, wo es nach seiner Meinung das beste Licht hatte!

Dies Blumenstück, lieber Morell«, Margot Sandners Stimme dämpfte sich zu einem umflorten und flüsternden Klang, »nehmen Sie vom Nagel und tasten mit der Hand an der Tapete dahinter. Dabei kommen Sie auf einen verborgenen Knopf hinter der Tapete. Wenn Sie auf den Knopf drücken, geht eine Tapetentür auf, und dahinter ist ein schmaler Wandschrank. Ein ganz gewöhnlicher Schrank. Und auch nur ein paar gewöhnliche Sachen darin!

Leopold hat sich, wie wir in die Villa zogen, den Kasten einbauen lassen!« fuhr Margot Sandner fort. »Er war in so Sachen furchtbar vorsichtig. Er meinte, es sei gut wegen den Dieben in dem entlegenen Villenviertel, wo er zudem noch oft auf Geschäftsreisen war. Es sind noch ein paar solche Schränke im Haus. Aber in denen ist nichts. Nur in diesem!«

»Und was ist in ihm?« fragte ich.

»Gott – fast wertloses Zeug!« sagte Margot Sandner. »Sie werden ja sehen! Ich erzähle Ihnen jetzt nicht erst viel davon. Ich will Sie nicht wieder kopfscheu machen. Ich bin froh, daß Sie von Ihrer rätselhaften Angst zurückgekommen sind und hinausfahren. Sie sehen übrigens wirklich elend aus ... «

»In solch einer Nacht, liebe Freundin! Sie sind die einzige von allen, die ihre Fassung behält!«

»Nein. Ich habe auch keine Ruhe in mir, bis das geschehen ist! Also – Morell – ich habe Ihr heiliges Versprechen: Sie nehmen den Inhalt des Schrankes heraus – es ist ganz wenig – und bringen ihn weg. Sie werden gleich selber sehen, wie man das auf furchtbar einfache Weise macht – und sorgen dafür, daß ihn kein Mensch weiterhin zu Gesicht bekommt – Wie Sie das machen, ist Ihre Sache. Da wird Ihnen schon etwas einfallen. Es ist nicht so schwer – und Sie drücken, ehe Sie weggehen, die Tapetentür wieder in den Schnapper und hängen das schreckliche Bild wieder an den Nagel und erzählen keinem Menschen ein Sterbenswort von der ganzen Geschichte, die ja auch niemanden etwas angeht! Nicht wahr?«

Ich stand und zauderte. Margot Sandner fragte in einem sonderbaren Tonfall:

»Haben Sie schon wieder Angst?«

»Gebrauchen Sie, bitte, dieses Wort nicht!« erwiderte ich gereizt. Und sie plötzlich hastig:

»Dann weg! Nur weg! Die Stunden verrinnen. Es ist gar nicht mehr lange bis zum Morgen! Bis dahin muß das geschehen sein!«

Jetzt merkte ich auch ihr die Unruhe an.

»Es ist etwas ganz Unverfängliches, was ich von Ihnen verlange!« drängte sie. »Es ist die reine Privatsache! Es wäre ja nur gerade für mich unangenehm! Also ich habe Ihr festes Versprechen! Fahren Sie jetzt hinaus!«

Ich nickte. Ich klingelte und ließ mir die Zellentüre aufschließen. Margot Sandner gab mir zum Abschied die Hand.

»Fürchten Sie sich nicht vor dem grauen Herrn da draußen!« sagte sie halblaut, daß es der Wärter auf der Schwelle nicht hörte. »Es gibt keine Gespenster! Es ist alles auf der Welt so einfach – so furchtbar einfach!«


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