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16.
Aussage des holländischen Kohlentrimmers de Poorter

»Also Sie sind der Schiffsheizer Wilhelm de Poorter, holländischer Staatsangehöriger, zweiundvierzig Jahre alt, unvermählt. Sie sprechen deutsch?«

»Een beetje, Mijnheer!«

»Bleiben Sie nur ruhig sitzen! Es handelt sich hier nicht um ein förmliches gerichtliches Verhör, sondern nur um eine vorläufige Vernehmung!«

»Ik dank Ü, Mijnheer!«

»Sie hatten sich auf dem Kohlendampfer ›Die sieben Provinzen‹ anheuern lassen?«

»Wohl, Mijnheer! Ik hatte Lust, wieder mal naar Deutschland zu fahren!«

»Was zog Sie denn so zu uns?«

»Ik hatte dort im Hafen ... «

»... wo Sie jetzt herkommen?«

»Wel, Mijnheer! Da hatte ik ein Meisje!«

»Was hatten Sie: Ein Mäuschen?«

Der Dolmetscher: »Ein Mädchen, Herr Präsident! Er meint: Eine Braut! Seeleute haben ja in jedem Hafen eine Braut!«

»Nun – und diese Ihre Braut – Herr de Poorter?«

»... die war, als ich an Land kam, hierher vertrekkt, als Kellnerin in Knolls Taverne.«

»Dies Lokal kennen wir aus der Gerichtsverhandlung. Es liegt nicht sehr weit von dem Tatort. Es genießt nicht den besten Ruf.«

»Ik kau Ü niet verstaan, Mijnheer!«

»Sie können mich nicht verstehen? Na, einerlei: Also Sie haben da Ihre Braut getroffen? Das war in der Nacht vom fünfundzwanzigsten zum sechsundzwanzigsten Januar?«

»Ja, Mijnheer!«

»Sie sind dessen ganz gewiß?«

»Seker, Mijnheer! Denn ik bin am nächsten Morgen nach Westindien gesegelt und nü erst wieder naar de Deutschers gekommen. Ik habe gestern im Stoomboot freie Stunde gehabt, und die Klock hat acht Glas gebellt, und ik habe den Maat neben mir, der eine Zeitung gelesen hat, gefragt: ›Kann ik dein Dagblad krigen?‹ Er giewt es mir, und ik lese da ... Und plotseling krig ik einen Schrik! Denn ik lese ... ik lese ... «

Der Dolmetscher: »Herr de Poorter kommt mit der deutschen Sprache, wenn es um Dinge außerhalb des täglichen Verkehrs geht, nicht wohl zurecht. Er will sagen: Plötzlich findet er in der Zeitung einen nochmaligen, nachträglichen Bericht über den Fall Sandner und die bevorstehende Vollstreckung des Urteils. Das erregt ihn aufs höchste. Denn er weiß Dinge, die dem Gericht nicht bekannt sind!«

»Oh – dat is niet mooi – hab' ik gesagt – das gibt en Malör!«

Der Dolmetscher: »Er hielt es für seine Pflicht, sich als Zeugen zu melden. Er glaubte nur, zu spät zu kommen!«

»Ik geloof, dat het te laat is!« – hab' ik dem Maat gesagt, und er, wie wir im Hafen vertäut haben: ›Oei! Nem de koortste Weg zur Polizei!‹«

»Das haben Sie ja nun löblicherweise auch getan, Herr de Poorter! Und es ist, gottlob, noch nicht zu spät! Ich kann Sie nun nicht weiter fragen. Denn ich weiß ja nicht, was Sie wissen und wonach ich Sie fragen soll. Das müssen Sie selbst erzählen. Also Sie saßen am Abend des fünfundzwanzigsten Januar in Knolls Taverne mit einer der dortigen Kellnerinnen, Ihrer Braut, zusammen. Wie heißt das Fräulein?«

»Tilde schreibt sich dat Meisje!«

»Und der Familienname Ihrer Braut? Den kennen Sie nicht? Na ja! Also nun, bitte, weiter!«

Der Dolmetscher: »Den Herrn de Poorter läßt, wie gesagt, bei einer zusammenhängenden Schilderung sein deutscher Wortschatz im Stich. Ich übertrage: Herr de Poorter hat, als es elf Uhr schlug und damit die Polizeistunde für Knolls Taverne gekommen war, das Lokal verlassen. Seine Braut hat ihn die Straße hinunter ein paar Minuten weit begleitet. An einer Straßenecke wollte sie umkehren.«

»Kennt der Zeuge die Namen der beiden Straßen?«

Der Dolmetscher: »Nein! Er sagt, auf die hätte er nicht geschaut! Es stand da eine große Villa mit lauter dunkeln Fenstern.«

»Auch diese Villa war ihm unbekannt?«

Der Dolmetscher: »Ja. Er sagt, es hätten viele solche Villen von reichen Leuten ringsherum gestanden. Er hätte gestanden und sich von der genannten Tilde verabschiedet, weil er doch am nächsten Morgen nach Westindien in See ging. Es sei kein Mensch in der Nähe gewesen, bis auf einen kleinen buckligen Mann. Der sei die Straßen lang gegangen und habe Zigarrenstummel aufgelesen. Das Kerlchen sei stehengeblieben und habe gefragt, was er dafür bekäme, wenn er die beiden rasch traute, und da hätten sie alle drei gelacht!«

»Um wieviel Uhr war das genau?«

Der Dolmetscher: »De Poorker sagt: Sicherlich mehrere Minuten nach elf. Denn elf Uhr hat er noch in Knolls Taverne schlagen hören. Also, sie hätten da noch geplaudert ...«

Herr Dr. Sigrist, gedämpft: »Das sind ja lauter belanglose Dinge! Ich fürchte, Herr Präsident, der Mann will sich nur durch Zeugengebühren eine Freifahrt zu seiner sogenannten Braut herausschlagen!«

Der Präsident: »Nun – wir werden ja gleich sehen, Herr Staatsanwalt! Bitte, jetzt zur Sache! Hat sich in dieser Zeit vor dem Hause etwas Merkwürdiges begeben?«

Der Dolmetscher: »De Poorter erklärt: Nein. Es sei nur durch die ganz leere Straße, während sonst niemand zu sehen war, im hellen Mondschein ein älterer Herr langsam auf das Haus zugegangen, habe das Haus aufgeschlossen und sei eingetreten!«

Der Staatsanwalt: »Wirklich sehr interessant, daß nachts ein älterer Herr seine Villa, eine der vielen Villen des Vororts, aufsucht. Der Zeuge weiß ja nicht einmal, welche!«

Der Dolmetscher: »Es ist den dreien draußen aufgefallen, daß der Herr das Haustor wohl aufgesperrt und hinter sich geschlossen, aber nicht zugesperrt hat.«

»Wir hätten den Hausleutel hören sollen!«

Der Dolmetscher: »De Poorter meint, sie drei hätten das Rasseln des Hausschlüssels von innen heraus vernehmen müssen. Es hatte den Anschein, als sei der ältere Herr nur auf einen Sprung in das Haus hineingegangen und wolle gleich wieder fort. Da seien sie aufmerksam geworden und auf das Haus zugegangen, und der Zigarrenstummelsammler habe gemeint, ob man nicht schnell das Tor aufklinken und sich etwas herausholen könne!«

»Und Sie, Herr de Poorter – was sagten Sie zu dem schönen Vorschlag?«

»Ja, Mijnheer – de Tilde hat auch gesagt: ›Dat kommt van Paß! Dat kommt gelegen!‹ Wir sollten hurtig den schönen Mantel aus der Diele wegnehmen, in die ihn der alte Herr sekerlich gehängt hat! Mögelik, daß sogar Geld darin steckt!«

»Haben Sie Ihrer Braut das nicht verwiesen, Herr de Poorter?«

»Ik hab' zu den beiden gesagt: ›Nu gud! Warum nit? Miwel! Aber ik sall mij niet men inlaten!‹«

Der Dolmetscher: »Er meint, meinetwegen! Aber er selber wolle sich nicht darauf einlassen!«

Der Staatsanwalt: »Das nächtliche Gerede dieses Zweifelhaften Kleeblatts vor irgendeiner völlig gleichgültigen Villa ...«

Der Dolmetscher (in plötzlicher Erregung): »Verzeihung! De Poorter sagt eben, er habe während dieser Beratschlagung, am Gittertor des Vorgartens stehend, das daran angebrachte Hausschild betrachtet und dabei den Namen des Besitzers gelesen!«

»Und wie lautete der, Herr de Poorter?«

»Wel: Leopold Sandner!«

»Das wissen Sie ganz genau?«

»Ja – Mijnheer!«

»Warum haben Sie diesen für Sie doch nichts bedeutenden Namen so genau in der Erinnerung behalten?«

Der Dolmetscher: »Er sagt: Wegen dem, was gleich darauf sich ereignet hat!«

»Schildern Sie das, bitte, Herr de Poorter!«

Der Dolmetscher: »Er berichtet: Während die drei immer noch, nun schon geraume Zeit, vor der Villa standen und mit dem Entschluß, sich des Mantels zu bemächtigen, kämpften, hörten sie Schritte und sahen die Schatten von zwei Schutzleuten um die Ecke biegen und bekamen es mit dem schlechten Gewissen, obwohl sie ja noch nichts verbrochen hatten, und entfernten sich eilig quer über die Straße. Sie waren kaum etwa zwanzig Schritte weit, da krachte aus der Villa durch die Nachtstille ein Schuß ...«

»Een Schot, Mijnheer!«

»Sie drehten sich um und sahen, wie die Schutzleute die Villa besetzten und eindrangen, und flüchteten in Eile, um nicht irgendwie in die Sache verwickelt zu werden.«

»Ik hab' gesagt, Mijnheer: Weg! Sonst kommen wir auch noch in die Totenkiste!«

Der Dolmetscher: »Die drei liefen nach de Poorters Aussage die Straße hinab in der Richtung nach Knolls Taverne, und die Tilde rief unterwegs noch dem von dort kommenden, ihr von seinem häufigen Einkehren bekannten Gänsehändler Witzel zu, ob er nicht einen grauen älteren Herrn gesehen hätte? Das hätte der Witzel bejaht. Der Herr sei vorhin, als er sich mit seiner schweren Last von gerupften Gänsen ein wenig verschnauft habe, auf der Straße im hellen Mondschein an ihm vorbeigegangen in der Richtung nach der Sandnerschen Villa.«

»Haben die drei denn diesem Witzel nicht auch erzählt, daß daraufhin in dieser Villa geschossen worden ist?«

Der Dolmetscher: »De Poorter sagt, sie seien im Begriff gewesen, ihm das mitzuteilen. Da sei gerade ein neuer Streiftrupp Polizei im Laufschritt aus der Nebenstraße gekommen. Da hätten sie schleunigst gemacht, daß sie weiter kamen!«

Der Präsident: »Wir müssen sofort sehen, daß wir diesen Gänsehändler Witzel ermitteln!« Nach einer längeren Pause: »De Poorter – stehen Sie auf! Sehen Sie mir ins Auge! Sagen Sie mir auf Ehre und Gewissen: Sie haben wirklich in dieser Nacht nach elf Uhr einen älteren Herrn in die Villa eintreten sehen?«

»De grauwen Mijnheer? – Ja. Bei God!«

»Warum nennen Sie ihn den grauen Herrn?«

»Er hatte en korten grauwen Backenbard en Knevel ... «

Der Dolmetscher: »Er meint: Er hatte einen kurzen grauen Backenbart und einen grauen Schnurrbart. Er trug einen weiten grauen Mantel und einen großen grauen weichen Filzhut tief in die Stirne gedrückt.«

»Konnte man sein Äußeres deutlich erkennen?«

Der Dolmetscher: »De Poorter sagt: Der graue Herr ging ja in hellem Mondschein bedächtig quer über die Straße auf die Villa zu, ohne die drei, die abseits an der Ecke standen, zu beachten oder überhaupt zu bemerken. Er war etwa fünfzig Jahre alt, mittelgroß. Er hielt sich etwas gebeugt und hüstelte ein paarmal tief auf ... «

»Ist Herrn de Poorter sonst noch etwas aufgefallen an dem grauen Herrn?«

Der Dolmetscher: »Nein! Sein Gesicht, soweit man es zwischen dem Bart und dem Hutrand sehen konnte, war eher blaß als rot und gleichgültig von Ausdruck. So wie etwa ein Geschäftsmann der City. Auf der Straße würde er keinem Menschen, aufgefallen sein, meint de Poorter. Da sähe man in jedem Hafen und in den Docks und Kontoren und Lagerhäusern viele solche Gentlemen!«

Der Präsident, nach kurzem Schweigen:

»Ich stelle noch einmal fest: Leopold Sandner wurde vor elf Uhr in seiner Villa am hellen Fenster gesehen. Als es elf Uhr schlug, betrat Frau Sandner das Haus. Einige Minuten nach elf Uhr wäre dann der graue Herr, von dem Sie sprechen, erschienen und ihr in das Haus gefolgt. Hätten denn die beiden Schutzleute, die später sich zeigten, den grauen Herrn sehen können?«

Der Dolmetscher: »De Poorter sagt: Nein! Die kamen erst nachher um die Ecke. Wenn sie damals schon in der Nähe waren, müssen sie in der Seitenstraße gestanden haben!«

»Herr de Poorter: Haben Sie noch etwas zu bemerken?«

»Neen, Mijnheer! Dat is alles. Ik hab' mich dann niet mehr um den Schot gesorgt und bin in den Hafen zurückgereist und ower See!«

»Sie haben auch Ihre Braut, das Fräulein Tilde, seitdem nicht wiedergesehen?«

Der Dolmetscher: »De Poorter sagt: Doch! Jetzt eben! Unterwegs auf der Fahrt vom Flugplatz habe ihm der Wachtmeister, der neben ihm saß, angeraten, an Knolls Taverne zu halten und die Tilde, die jetzt, nach der Polizeistunde, jedenfalls noch mit der Säuberung des Lokals beschäftigt sei, als Zeugin mitzunehmen!«

»Das war wohl auch der Grund, weswegen er verspätet hier eintraf?«

Der Dolmetscher: »Ja – Herr Präsident! Die Tilde wollte anfangs nicht mit. Die mochte nichts mit der Obrigkeit zu tun haben. Sie hatte, wie de Poorter sagt, durch die schon viel Unglück im Leben gehabt. Sie ist schon ein halbes Dutzend mal wegen Diebstahls vorbestraft! Schließlich wurde sie von dem Wachtmeister mit sanftem Zwang, nämlich unter Hinweis auf ihre Zeugenpflicht, veranlaßt, mitzufahren. Aber es dauerte einige Zeit, bis sie sich fertiggemacht hatte. Unterwegs haben sie zufällig auch noch den Zigarrenstummelsammler auf der Straße gesehen, der da wie allnächtlich seinem Gewerbe nachging, und ihn trotz seines heftigen Sträubens mit in die Kraftdroschke gepackt und hierher gebracht!«

»Wo sind diese beiden Leute?«

»Unten in dem Automobil, Mijnheer! Er sitzt neben dem Kutscher und die Tilde mit dem Wachtmeister hinten!«

»Man soll sie sofort hierherauf holen!«


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