Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

28.
Aufzeichnung des Staatsanwalts Sigrist

Der junge Regierungsrat hatte endlich den Schiffsheizer und seine Braut und den buckligen Zigarrenstummelsammler aus der unentwegt unten wogenden und lärmenden Menge herausholen können und das Kleeblatt aus dem mitternächtigen Getümmel im Vorzimmer oben in Sicherheit gebracht. Die erste, die von da auf meine Anordnung als Zeugin hereinspazierte und sich gleich frech überall umguckte, war die Kellnerin in Knolls Taverne, die Tilde Rübel mit ihrem knallroten schiefen Topfhut über dem spitzen, nachtbleichen Gesicht und dem giftgrünen Mantel über der spillerigen Gestalt.

Herr Nottebohm war jetzt gereizt und kampflustig. Ehe ich es hindern konnte, brüllte er drohend die Rübel an:

»Ich bin kein grauer Herr! Es gibt keine grauen Herren! Wenn es welche gibt, gehöre ich nicht dazu! Merken Sie sich das gefälligst von vornherein!«

Ich wollte ihn beschwichtigen. Aber er tobte weiter:

»Das ist kein Beruf für mich, grauer Herr zu sein! Ich dränge mich nicht zur Guillotine! Das überlasse ich anderen! Ich brauche meinen Kopf täglich acht Stunden. Ich muß mir meinen Kopf mehr, als mir lieb ist, über der brasilianischen Kaffeevalorisation zerbrechen!«

Die Rübel sah sich äußerst dreist im Kreise um und fragte uns vertraulich, wie alte Bekannte:

»Wo habt ihr denn den losgelassen?«

Ich verwies ihr diese rüden Manieren, obwohl es ja hoffnungslos war, und versetzte:

»Fräulein Rübel! Kennen Sie diesen Herrn?«

»Na gewiß doch!« sprach die Tilde Rübel plötzlich erfreut. »Jetzt erkenne ich ihn erst wieder. Ich habe ihn nicht mehr gesehen, seitdem sie ihn das letztemal aus dem Zuchthaus 'rausgeschmissen haben. Das ist ein ganz alter gewiegter Taschendieb. Behalten Sie den man nur gleich da. Schauen Sie nur schnell nach, solange er noch im Lokal ist, ob Sie auch alle noch Ihre goldenen Uhren haben! Darin ist der alte Mann stark.«

»Man befreie mich von dieser Bestie!« donnerte Herr Nottebohm. »Tscha – das wird mir nu doch man zu doll!«

»Lassen Sie diese Unverschämtheiten, Rübel – sonst setzt's was!« sagte ich streng. »Und sehen Sie diesen Herrn an, und sagen Sie uns, ob das der Herr war, der vor Ihren Augen in die Villa gegangen ist.«

Die Tilde Rübel starrte dem Herrn Nottebohm ins Gesicht und fing laut an zu lachen.

»Nee! So dämlich hat der damals nich ausgeschaut!« sprach sie. »Der war ja auch 'n Dussel ...«

»Ich gehe jetzt!« versetzte Herr Nottebohm energisch und griff nach seinem Hut. Die Wachtmeister sprangen dazwischen.

» ... aber in so 'ner anderen Fassong um die Neese 'rum«, ergänzte die Rübel. »Und der da ist ja viel breiter ins Gesichte. Nee – der Olle da gehört wegen anderen Dingen ins Zuchthaus. Aber in der Villa war er nu mal nicht. Dat steht fest!«

»Sie kennen die Bedeutung des Eids?«

»Wo werd' ich nich? Wenn man erwischt wird, gibt's doch mindestens 'n Jahr!«

» ... und Sie könnten Ihre Aussagen beschwören?«

»Na – so 'n Eid von mir – der kann 'nen Puff vertragen!«

Ich entließ das Geschöpf und ließ den Zigarrenstummelsammler Pipel-Ede vorführen. Die Aussage dieses Nachtphilosophen habe ich mir in seiner Sprechweise stenographiert.

Der Gelegenheitsarbeiter Eduard Piper, in seinen Kreisen Pipel-Ede genannt, humpelte herein. Er nahm eine unendlich schmierige, uralte Mütze ab, die über seiner roten Schnapsnase gesessen hatte, und zwinkerte uns humoristisch aus wässerigen Äugelchen an. Dann stellte er sich, sinnend mit der Hand am Stoppelkinn, in eine malerische Positur und beäugte nachdenklich Herrn Nottebohm von Kopf bis Fuß.

»Ob er's is?« entrang es sich seiner heiseren Kehle. »Ob er's nich is? ... Wie die Welt is ... die is auch mal so und mal so ... hat ein großer Gelehrter gesagt ...«

»Schwatzen Sie nicht, sondern sagen Sie, ob nach Ihrer Meinung ...«

»Meine Meinung ... Da muß ick lachen. Meine Stimme hat doch keinen Wohlklang vor Gericht, indem ich mich im Kittchen auskenne! Na ja – das passiert den Besten ...«

»Glauben Sie an Gott?« fragte ich. »An ein Jenseits?«

Der Pipel-Ede schnitt eine mißgünstige Grimasse und kraulte sich kitzlich im Genick, das seit seinem letzten Aufenthalt im Gefängnis sicherlich nicht mehr mit Wasser und Seife in Berührung gekommen war.

»Dort werden wir alle mitsammen noch einmal die dollsten Unannehmlichkeiten erleben«, sagte er, »wenn wir nicht noch in uns gehen und uns bessern, mein Herr! Lassen Sie sich das gesagt sein von einem alten Mann, der mit einem Bein im Krematorium steht! ... Ob das nu der Herr ist, der damals in die Villa spaziert is? Nee – das hat dem Herrn da ferngelegen. Sowas tut der Herr da doch nicht! Sonst wäre ja seine Rübe futsch! Auf die legt der Herr doch Wert! Hat recht! 'n schöner Mann! Aber die Nase von dem Herrn hier gefällt mir nicht. Die war damals ganz anders. Die war gewalttätig. Die hat nischt Gutes verheißen! Der Herr hier – der soll der graue Herr sein? Nee – da möchte ich doch lieber mit ›Nein!‹ vorgehen.«

Eduard Piper, genannt Pipel-Ede, zog sich mit einem leutseligen Grinsen zurück. Die Bekundungen dieses Nachtgeschöpfes waren wertlos. Um so wichtiger die letzte Vernehmung im Zug der Zeugen, die des Schiffsheizers Willem de Poorter. Er stapfte mit dem breiten, schwankenden Gang des Seemanns herein. Er war ja auch kein klassischer Zeuge. Er war ein roher Patron. Das zeigten schon seine brutalen, bartlosen, von der Rotglut der Kessel dunkelbraun gebrannten Züge. Aber immerhin – er stellte vor diesen feurigen Öfen auf hoher See seinen Mann, er war freiwillig als Ausländer an Land gegangen. Er war hierher geeilt. Er hatte sich den Behörden zur Verfügung gestellt. Vielleicht nur, um auf deutsche Staatskosten mit seiner Hafenbraut, der Tilde Rübel, ein Wiedersehen zu feiern ... Aber wenn auch diese Spekulation auf eine Reiseentschädigung zutraf, so änderte das nichts an der Tatsache, daß der Fall selber ihn in keiner Weise persönlich berührte. Er hatte nicht das geringste Interesse daran, irgendwie mit der Wahrheit hinter dem Berge zu halten. Im Gegenteil: Ihm winkte, wenn er den Täter überführte, eher noch eine Belohnung.

Der Holländer musterte finster, eindringlich und lange den Herrn Nottebohm. Er stand breitbeinig, mit über der Brust verschränkten Armen. Man sah die blauen Tätowierungen – ein Männchen am Galgen, ein vom Liebespfeil durchbohrtes Herz – auf seinen beiden mächtigen, dunkelbehaarten Handrücken. Er räusperte sich, wollte ausspucken, besann sich, daß sich das nicht schickte, schüttelte bedächtig mehrmals hintereinander den Kopf und sprach endlich mit tiefer Stimme:

»Der Mijnheer war dat seker niet ...«

»Sie meinen: Der graue Herr, der damals vor Ihren Augen in die Villa ging ...«

»Der Mijnheer war dat seker niet ...«

» ... und der Herr, der da vor Ihnen steht, sind zwei verschieden Persönlichkeiten?«

»Ik kan het niet helpen! Der Mijnheer hier war dat niet!«

Der Dolmetscher sprang auf und ergänzte:

»De Poorter sagt: Der Herr damals sei gut vier Fingerbreit größer gewesen! Die Nase habe eine ganz andere Form gehabt. Breiter und stumpfer. Der Bart viel wirrer und lichter grau. Der ganze Gesichtsausdruck sei anders gewesen – lange nicht so gutmütig wie bei dem Mijnheer hier, sondern verhalten und hart, mit lauernd zusammengepreßten Lippen. Tückisch habe er ausgesehen. Der Mijnheer hier habe mit dem Menschen von damals nichts gemein. Davon sei er, de Poorter, überzeugt!«

»Würde de Poorter das beeidigen können?«

De Poorter, mit fester Stimme:

»Wel, Mijnheer!«

»Dann wissen wir genug, Herr de Poorter, und brauchen Sie nicht mehr. Sie erhalten draußen eine Geldvergütung für Ihre Bemühungen! Herr Regierungsrat – bitte, veranlassen Sie das Nötige!«

»Dank Ü, Mijnheer!«

Der Seemann Willem de Poorter schob sich mit einer ungelenken Verbeugung aus der Tür. Als er fort war, ging eine stumme Bewegung durch den Saal. Herr Nottebohm stand majestätisch da. Er musterte die Anwesenden mit stiller Würde. Ich sagte:

»Herr Nottebohm: Danach bestätigt sich in einer – verzeihen Sie das Wort – eben doch überraschenden Weise Ihre Angabe, daß Sie vor der Villa, noch einige Minuten ehe der Schuß fiel, von Reue erfaßt, umgekehrt und durch die Seitenstraße, die Sie gekommen, wieder zurückgegangen sind!«

»Ich bin nicht gegangen, sondern gelaufen!« sagte Daniel Nottebohm. »Tscha – gelaufen! Um nicht noch einmal in Versuchung zu kommen – mit der Villa ... Da bin ich stracks davongelaufen wie ein Dieb in der Nacht!«

»Wie lange sind Sie gelaufen?«

»Ich bin fünfzig Jahre alt. Ich mache in Kaffee. Ich bin kein Langstreckenläufer. Nach knapp zwei, drei Minuten ist mir der Atem ausgegangen. Das Herz sagte mir: Nee – Alter ... nu lat man sin! Ich spürte 'nen lütten Swindel. Das kam nun alles nach ... Das schlechte Gewissen, daß ich an der Luise gezweifelt hatte. ... Die Beschämung vor einem selber. Ich dachte mir: ›So ein herzhafter Schluck – der würde dich jetzt wieder auf die Beine bringen! ... ‹ Aber da stand man ja nun in dem Villenviertel. In dem sagen sich im Winter Fuchs und Wolf Gutenacht. Alle Häuser unbewohnt, alle Straßen still und kein Mensch in Sicht. Da sehe ich gerade vor mir helle Fenster und trete näher und sage mir: ›Kiek, mein oller Daniel! Deine Tugend soll belohnt werden – da ist noch dir zu Ehren ein Lokal offen!‹ Es schien nicht eben das feinste zu sein. Aber ich habe flugs darauf Kurs genommen. Und unter der Laterne am Eingang – da bin ich gerade mit dem verflixten Jong, dem ich zehn Minuten früher auf der Hauptstraße begegnet sein soll, ohne ihn zu sehen, und der mich in die ganze Geschichte hineingeritten hat – ja – da bin ich mit dem Gänsehändler, dem Witzel, zusammengetroffen!«

»Davon haben Sie ja noch gar nichts gesagt?«

»Tscha – das fällt mir nun erst bei! Man kommt harmlos als Staatsbürger und Geschworener, um ein Wort für eine Verurteilte einzulegen, und wird ja nun wohl gleich von Wachtmeistern überfallen und zum ›grauen Herrn‹ ausgerufen und wird gewaltsam abgeschleppt, und unten auf dem Platz schreien sie: ›'runter mit der Rübe! Lynscht ihm!‹ Tscha – da soll der Mensch auch noch Gedächtniskünstler sein! Aber jetzt sehe ich ja noch den Witzel unter der Laterne vor mir. Der Mann hatte sich ja vielzuviel Gänse aufgepackt. Dem lief der Schweiß nur so 'runter. Der kam mit seiner schweren Kiepe höll'sch langsam vorwärts ...«

»Und zwar auf der Hauptstraße, wo Sie wenige Minuten vorher an ihm vorbeigegangen waren. Nur waren Sie schneller als er von der Villa durch eine Seitengasse zurückgeeilt und stießen vor Knolls Taverne wieder auf ihn?«

»So war es!« sprach Herr Nottebohm erschöpft. »Fragen Sie den Mann doch selber! Ich kaufe keine Gänse mehr bei ihm! Das kann er nicht verlangen! Das heute abend – das nenne ich keinen Dienst am Kunden! Nö!«

»Herr Witzel!« sagte ich, als der eilig herbeigerufene Gänsehändler, jung, kräftig, schnurrbärtig, mit einem freimütigen, treuherzigen Lächeln vor uns stand: »Sind Sie in jener Nacht noch einmal Herrn Nottebohm begegnet?«

»Ja – vielleicht zehn Minuten später vor Knolls Taverne!«

»Warum haben Sie uns das nicht gesagt?«

»Ich bin nicht danach gefragt worden!« sprach der Gänsehändler Witzel. »Ich bin nur gefragt worden, ob ich auf der Straße einem grauen Herrn begegnet sei. Da habe ich geantwortet: ›Ja – dem Herrn Nottebohm!‹ Worum die Sache ging, das habe ich nicht gewußt und hat mir keiner von den Herren verraten und weiß ich jetzt noch nicht. Ich habe es nicht für so furchtbar wichtig gehalten, daß der Herr Nottebohm nachts über die Straße gegangen ist! Das kann doch vorkommen!«

»Ich habe dem Herrn Nottebohm noch unter der Laterne gesagt«, fuhr der Gänsehändler Witzel fort: ›Herr Nottebohm! Sie werden gesucht! Jetzt eben haben mich ein paar Leute im Vorbeilaufen auf der Straße nach Ihnen gefragt – ein Matrose und ein Buckliger und die Kellnerin von hier!‹ Da hat der Herr Nottebohm ärgerlich mit der Hand abgewinkt und gesagt: ›Snaken Sie nicht! Ich bin ein respektabler Bürger. Ich habe keine Bekanntschaften unter solchem Volk‹, und ich habe gemerkt, daß der Herr nicht zum Reden aufgelegt war, und die Kundschaft darf man nicht verstimmen, und ich habe die Klappe zugemacht, und er ist in die Wirtsstube getreten und hat einen steifen Grog getrunken und hat gezahlt und ist dann gleich wieder fort, weil ihm die Gesellschaft, scheint's, nicht recht gepaßt hat. Und ich habe noch ein bißchen dagesessen, bis die Tilde, die Kellnerin, endlich zum Vorschein gekommen ist. Der liederliche Lappen, der hat nämlich die längste Zeit noch draußen in der Winterkälte mit ihrem Matrosen von vorhin zusammengestanden. Man hat's durch die Fenster sehen können. Das sei einer von ihrer Hundertschaft von Bräutigams – haben drinnen die Gäste gesagt. Und wie sie nun endlich glücklich da war, hat sie mir meine Stube im Oberstock angewiesen, und ich habe mich schlafen gelegt und von nichts mehr in der Nacht gehört und in aller Frühe meine Gänse auf den Markt gebracht und mittags heim zu Muttern!«

»Also der Herr Nottebohm war unzweifelhaft mit Ihnen in Knolls Taverne?«

»Nicht nur mit mir! Da haben ihn alle gesehen. Der Baas und viele können das bezeugen. Denen habe ich noch gesagt, wie der Herr Nottebohm weggegangen ist: ›Respekt! Dat war Nottebohm! Der Kaffee-Nottebohm! Den kenn' ich! Dat's 'n feiner Herr!‹ Zum Baas habe ich noch gesagt: ›So 'nen Gast kriegste nicht leicht wieder in deinen Verbrecherkeller!‹ Da haben sie alle gelacht!«

»Die letzte und entscheidende Frage, Herr Witzel: Als die drei Leute an Ihnen vorbeiliefen, war ein paar Minuten vorher – das wissen wir – in der Villa der Schuß gefallen, der Herrn Sandner niederstreckte. Unmittelbar nach der Begegnung mit diesen Leuten haben Sie in Knolls Taverne Herrn Nottebohm getroffen?«

»Ich kann nicht fliegen!« sprach Herr Nottebohm düster.

»Nein. Sie können nicht fliegen, Herr Nottebohm! Sie können nicht fast zugleich in der Villa und in Knolls Taverne gewesen sein! Und wenn Herr Witzel und andere Sie dort gesehen haben ...«

»Tscha! Dann werde ich wohl nicht in der Villa gewesen sein!«

»… und wenn Herr Witzel das beschwören kann ...«

»Ich und die anderen! Mit zwei Fingern auf der Bibel!«

» ... so ist ja Ihr Alibi und damit Ihre Unschuld klar erwiesen. Es war eine bedauerliche Verkettung der Umstände. Sie wissen, die Gerechtigkeit trägt eine Binde vor den Augen ...«

»Ich glaube, es ist mehr eine Gasmaske!« sprach Nottebohm dumpf.

»Wir taten ja nur unsere Pflicht. Oder das, was wir irrigerweise, aber nach bestem Wissen und Gewissen, für unsere Pflicht hielten. Tragen Sie uns die paar peinlichen Stunden nicht nach, Herr Nottebohm, die wir Ihnen bereiten mußten. Vergessen Sie sie! Es ist Ihnen ja weiter nichts passiert!«

Der Gänsehändler Witzel hatte sich entfernt. Daniel Nottebohm richtete sich in einer edlen Größe auf. Sein nüchternes Antlitz war tief schmerzbewegt. In seinen kühlen Kontoraugen schwamm das helle Wasser.

»Nichts passiert?« sprach er mit erstickter Stimme. »Tscha – da fragt sich, was man so passieren nennt! Wenn ich auf der Straße über eine Bananenpelle ausglitsche und sehe mich lang hin – tscha – da passiert was. Das sieht jeder Gassenbengel! Aber daß man mir den Glauben an die Menschheit genommen hat, in den paar Stunden ... das läßt sich nicht photographieren, meine Herren – da sind innere Mächte – möchte man sagen – im Menschen!«

»Da hat man nun sein Glück gefunden«, fuhr er leise fort, und nun liefen ihm die Tränen über die Backen. »Da hat man sich gesagt: Nun bist du auf deine alten Tage versorgt, und es sorgt jemand um dich, und du hast jemanden, den du liebhaben kannst – tscha – da kommt ihr und knickt mir diesen Blütenzweig, und an dem späten Blütenzweig hat mein Herz gehangen ...

Da trompetet ihr mir in die Ohren«, nun schluchzte er bitterlich, »die Luise war die Nacht über außer Haus ... mein Luiseken ... und was das Grausamste ist: Sie will nicht sagen wo! Und das ist wahr ... o Gott ... o Gott ... das ist wahr ...«

»Fassen Sie sich, Herr Nottebohm!«

Daniel Nottebohm schüttelte kummervoll den Kopf. Er holte sein Taschentuch hervor und schnaubte sich in einem Ausbruch von Verzweiflung.

»Nu war man Bräutigam!« stieß er hell und klagend hervor. »Nu hat man glücklich noch den Anschluß gekriegt – vor Torschluß, auf seine alten Tage – und fing an, aufzublühen – lachen Sie nicht, meine Herren –, da gibt es so ein inneres Blühen im Menschen, möcht' ich sagen ... und nun soll's wieder nicht sein! O Gott ... o Gott ... o Gott – das tut weh!«

Plötzlich gewann Nottebohm seine Würde wieder und trocknete sich die Augen.

»Im Orient habe ich Schlangenbändiger gesehen«, sprach er. »Aber ich bin keiner! Ich zähme keine Natter an meinem Busen! Ich verzichte, nach so viel Undank und Verrat. Ich gehe künftig einsam meinen Weg und verkaufe Kaffee, bis ich sterbe. Aber, meine Herren, ich danke es Ihnen nicht, daß Sie mich aufgeklärt haben! Hätten Sie mich lieber im Stand der Unschuld gelassen! Es wäre so schön gewesen – zu schön für diese Welt!«

»Immerhin wissen wir ja noch nichts Näheres, Herr Nottebohm!« sagte ich. »Auch wir hier brennen ja vor Ungeduld, etwas über des Fräulein Heidebluth Verbleib in dieser Nacht zu erfahren, die ja jetzt wieder dunkler als je vor uns liegt!« Ich wandte mich an den jungen Regierungsrat neben mir. »Bitte, fragen Sie doch mal bei dem Doktor drüben nach, ob Fräulein Heidebluth nicht endlich in absehbarer Zeit vernehmungsfähig ist!«

Der junge Herr mit den vielen Schmissen kehrte gleich wieder zurück.

»Sie sieht noch aus wie ein Geist. Aber sie hat sich aufgerappelt! Sie sagt, es läßt ihr keine Ruhe! Sie kommt jetzt selber!«


 << zurück weiter >>