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23.
Eine Zwischennotiz des Staatsanwalts Sigrist

Der frische, fast stoppelkurzgeschorene Kopf des jungen Regierungsrats lugte wieder durch einen Spalt der Saaltür. Aus der Narbentätowierung seiner erregten Züge suchten mich durch den Zwicker zwei dienstbeflissene Augen. Ich hoffte, er brächte nun endlich jenen unseligen holländischen Schiffsheizer mit seinem Anhang wieder zur Stelle. Aber als ich auf ihn zutrat, rapportierte er atemlos:

»Da ist noch eine Zeugin, die sich aus der Menge draußen gemeldet hat und den grauen Herrn schon früher gesehen haben will ...«

»Wann?«

»Im vorigen Hochsommer sei es gewesen, sagt sie!«

»Das Erdenwallen dieses Nachtschattens streckt sich ja immer mehr in die Länge!« sagte ich. »Was macht denn die Zeugin für einen Eindruck?«

»Sie scheint eine zuverlässige ältere Person, eine gewisse Marta Oberlin. Damals Buchhalterin in einem inzwischen gerichtlich geschlossenen kleinen privaten Bankhaus!«

»Also bitten Sie sie in Gottes Namen herein!«

Die Zeugin Oberlin war ein alterndes Fräulein, so gegen vierzig, groß und mager, dunkel gekleidet, mit einem leidenden länglichen Gesicht, über das zuweilen ein nervöses Zucken lief. Ich ermahnte sie:

»Fräulein Oberlin! Wir wollen hier in der allgemeinen Aufregung keine Gespenster beschwören, sondern uns streng an den gesunden Menschenverstand und die Wahrnehmungen unserer fünf Sinne halten! Also, malen Sie uns hier nicht den Teufel an die Wand, sondern erzählen Sie uns von Ihrem grauen Herrn nur, was Sie durchaus vor Ihrem Gewissen verantworten können!«

»Wenn man doppelte Buchhalterin ist«, Fräulein Oberlin hatte, wie sie mir vornüber gebeugt in ihrer ganzen Länge gegenübersaß, die wehmütige Neigung einer Trauerweide, »und es gehen einem seit zwei Jahrzehnten täglich ganze Vermögen durch die Finger, da lernt man Gewissenhaftigkeit, mein Herr! ... Im Gegenteil: Ich nehme die Dinge immer viel zu schwer. Das ist es!«

Sie schnaubte sich noch einmal kräftig. Sie begann.


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