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24.
Niederschrift der Buchhalterin Oberlin

Es war nur ein kleineres Bankhaus – eine der wenigen noch privaten Firmen am Platz –, wo ich in Stellung war. Ich führte die Bücher, und die Bücher waren in Ordnung – die Bücher, die ich führe, sind immer in Ordnung. Das heißt: Die Bücher schienen mir in Ordnung, soweit ich die Bücher übersehen konnte. Danach hatte ich den Eindruck, als seien wir – ich meine die Firma! Ich identifiziere mich als pflichttreue ältere Person immer mit der Firma, bei der ich gerade bin –, als seien wir für die miesen Zeiten ganz nett liquid. Der Chef ließ freilich oft große Summen auf sein Privatkonto überbuchen – warum, das wußte ich nicht –, denn er lebte mit seiner Frau und seinen zwei Kindern recht bescheiden und trieb keinen Aufwand. Sein Hauptbuch legte er natürlich nicht zur öffentlichen Einsicht aus. Wozu ist der Mensch sonst 'ne Privatfirma?

Ich war schon zwei Jahre in der Stellung. Mit dem Chef war anfangs gut auszukommen gewesen. Seit einem Vierteljahr aber machte er zusehends mit den Nerven schlapp. Rein nichts konnte man ihm mehr rechtmachen. Und er selber machte nichts mehr mit der rechten Ruhe, sondern lief egal nervös hin und her und störte uns nur bei der Arbeit und machte die Kunden kopfscheu – wenn ich ihn nicht, wie alle Welt, als einen seriösen und langjährigen Mann vom Bau gekannt hätte, ich hätte einem so zappeligen Peter nicht meine Spargroschen anvertrauen mögen. Dann saß er wieder stundenlang untätig in seinem Kontor und starrte vor sich hin. Und dann mußten wir abends Überstunden machen, um die verlorene Zeit wieder einzubringen.

An diesem Abend im vorigen Hochsommer war es besonders heiß zugegangen, und ich hatte so meine Gedanken: Wenn der Alte nur nicht schief liegt, daß er so ganz aus der Contenance ist! Ich wollte meine Mutter, da es schon so spät war, mit dem Abendbrot nicht mehr stören – denn die alte Frau kriecht gern mit den Hühnern in die Klappe – und habe mit ein paar Bekannten in einem Gartenlokal gegessen, und wie es gegen elf Uhr nachts war, wollte ich nach Hause gehen und habe zu meinem Schrecken bemerkt, daß ich meine Tasche mit dem Hausschlüssel hatte in dem Bankhaus liegen lassen.

Da war guter Rat teuer. Ich hatte eine schwache Hoffnung: Manchmal hatte es der Chef mit dem Arbeitsfimmel, gerade wenn er den Tag über vor sich hin gebrütet hatte, und dann setzte er sich, kaum daß wir alle uns getrollt hatten und er allein war, erst ordentlich hin und arbeitete fieberhaft die Nacht hindurch, und am anderen Morgen war er dann ganz ungenießbar. Ich habe mir gedacht: ›Vielleicht hast du Glück, und er ist gerade in der Verfassung!‹ – und bin zu der Bank hingegangen.

Wie ich hingekommen bin, habe ich mir gesagt: Marta – du hast wirklich mehr Glück als Ferdinand! – denn die Fenster zur ebenen Erde waren noch hell. Ich habe nun läuten wollen und den Chef dann um Entschuldigung bitten, daß ich ihn persönlich bemühte. Da habe ich zu meinem Erstaunen bemerkt, daß das Haustor unverschlossen war.

Die Tür zum Kassenraum auch. Das hat mich stutzig gemacht. Aber ich gehe durch bis zur Tür zum Privatkontor und klopfe leise, um den Chef nicht mitten in der Nacht zu erschrecken, als stände eine Kolonne Einbrecher draußen. Es hat niemand geantwortet, und ich habe mir gedacht: ›Da ist niemand drinnen in dem Zimmer!‹ – und habe vorsichtig aufgemacht und bin zu Tode erschrocken.

In dem Kontor haben zwei Herren gestanden. Hinter dem Arbeitstisch der Chef mit käseweißem Gesicht und in der Hand das große spitze Papiermesser mit Elfenbeingriff, das er immer zu benutzen pflegte. Vor dem Arbeitstisch ein mir fremder älterer Herr in grauem weitem Mantel, einen großen grauen weichen Filzhut auf dem grauen Kopf, mit erhobenem rechtem Arm. Er hielt einen kleinen Revolver auf den Chef gerichtet und versetzte ganz nüchtern und beiläufig, so als hätten die beiden eine gleichgültige geschäftliche Unterredung:

»Bilden Sie sich nicht ein, daß Sie mich hinterrücks erdolchen können! Derlei haben schon ganz andere Leute als Sie versucht. So leicht wird man mich nicht los!«

Der Chef hat dagestanden wie eine Bildsäule, und der graue Herr hat sich, immer mit dem Gesicht gegen ihn, langsam zur Tür zurückgezogen – so daß man merkte: Er kennt die Gelegenheit und war nicht zum ersten Male in diesen Räumen – und hat dabei gesagt:

»Deswegen habe ich ja bei meinem diesmaligen Besuch Wert darauf gelegt, daß das Haustor und die Kontortür unverschlossen bleiben, damit ich mich nötigenfalls ungehindert entfernen kann, ohne auf Ihre Güte angewiesen zu sein. Ich sah Ihnen nämlich gleich schon an, Verehrtester, daß Sie heute abend etwas Besonderes im Schilde führten! Die Kunst der Verstellung ist Ihnen nicht gegeben!«

Dann sprach der graue Herr trocken:

»Durch diese Geste mit dem Messer haben Sie sich nun selber an das Messer geliefert, und das endgültig! Ich kenne jetzt keine Schonung mehr! Gute Nacht!«

Er trat mit dem Rücken gegen mich über die Schwelle. Während er mit der linken Hand nach hinten nach der Klinke tastete und die Tür für seinen Rückzug aufschlug, sprang ich in den Winkel zwischen ihr und der Wand. So sah er mich nicht. Der Chef hinter seinem Tisch drinnen erst recht nicht. Auch mein Klopfen hatten sie nicht gehört. Die beiden hatten nur Augen und Ohren für einander.

Der fremde Herr ist durch den Kassenraum gegangen. Ich habe hinter der Tür durch den Spalt in den Angeln sehen können, daß er einen kurzen grauen Vollbart gehabt hat und ebensolchen Schnurrbart und ein blasses, unbewegtes, sozusagen geschäftliches Gesicht.

Er ist hinausgegangen und hat bis zur Straße hinaus sich immer wieder mißtrauisch umgedreht, ob er nicht von hinten angegriffen würde, so, als sei er solche Ausbrüche der Verzweiflung gewöhnt. Aber der Chef hat nicht die Kraft gehabt, ihm zu folgen und den Kampf mit dem Papiermesser gegen den Revolver aufzunehmen, sondern er hat nebenan in seinem Privatkontor mit dem Kopf auf der Tischplatte gelegen und die Arme davor und war wie von einem Krampf geschüttelt. So hat er mich nicht sehen können, wie ich bald nachher voller Angst auf den Fußspitzen mit meiner Schlüsseltasche weggeschlichen bin, die richtig noch auf meinem Platz lag. Hinaus bin ich ganz leicht gekommen. Die Tür zum Vorplatz und das Haustor waren ja auf. Der graue Herr, der vor mir weggegangen war, hatte ja keinen Schlüssel, um die zuzuschließen.

Draußen auf der Straße war von ihm nichts mehr zu sehen, und ich bin ganz aufgelöst nach Hause gekommen und habe die ganze Nacht nicht schlafen können. Und wie ich endlich gegen Morgen eingeschlafen bin, habe ich verschlafen – das war mir doch noch nie passiert – und war deswegen ganz außer mir.

Alle Kollegen waren schon da und haben nicht auf ihren Plätzen gesessen und ihre Arbeit erledigt, sondern sind beisammengestanden. Das schien mir sonderbar. Aber ich habe nicht gefragt, sondern wollte mich vor allem bei dem Chef entschuldigen. Wie der alte Kassierer das hörte, sagte er mit Grabesstimme:

»Damit werden Sie kein Glück haben, Fräulein Oberlin! Der Chef ist verreist! Er hat einen Zettel hinterlassen, er müsse in dringenden Geschäften ins Ausland. Aber er käme bald wieder, und wir sollten inzwischen hier nur weitermachen.«

Er ist aber nie wieder zurückgekommen, sondern soll in Amerika gesehen worden sein. Wir haben nicht weitergemacht. Denn dem Prokuristen ahnte Unheil, und er benachrichtigte die Polizei. Da zeigte es sich: Meine Bücher waren in Ordnung, aber alles andere nicht. Die Bank war zwei-, dreifach überschuldet. Selbst die Depots der Kunden angegriffen. Die Behörden haben alles gleich versiegelt und einen Steckbrief erlassen. Mich hat keiner nach dem grauen Herrn gefragt – von dem wußte niemand, und es hätte ja auch nichts daran geändert, daß die Bank futsch war, und ich habe mich so alteriert, daß ich mit den Nerven zusammengebrochen bin, und habe vierzehn Tage im Bett gelegen, und dann zur Erholung aufs Land. Wie ich wieder soweit war, habe ich mich um eine neue Kondition umgesehen. Das war mir wichtiger als polizeiliche Vernehmungen wegen dem grauen Herrn, wo ich womöglich noch verdächtig erschienen wäre, weil ich die Nacht vor der Flucht mit den beiden allein in der faulen Bank zusammen war und, mal mit so 'nem Namen in der Zeitung, alles, nur keine Vertrauensstellung mehr irgendwo bekommen hätte. So fand ich einen soliden Posten in Süddeutschland, und bin gleich hin und dort geblieben. Ich bin jetzt nur seit ein paar Tagen kurz zum Besuch meiner Mutter hier. Das ist alles, was ich weiß.


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