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9.
Bericht der Modesalon-Inhaberin Luise Heidebluth

»Man ist doch etwas Besseres. Man hat sich doch heraufgearbeitet, vom Laufmädel an. Man hat es doch zu etwas gebracht. So ein Modesalon ist doch keine Kleinigkeit. Man verkehrt doch täglich mit der feinen Welt und hat nette Manieren am Leib und ist empfindlich dafür, wenn andere sich einem gegenüber nicht wie zu einer Dame benehmen.

So bin ich förmlich mit allen Nerven zusammengezuckt, wie an diesem Abend noch ganz spät so rüde und laut an meinem Haustor unten die Klingel gerissen wurde, und ich habe mir gedacht: Die Polizei könnte auch besser auf die Nachtschwärmer aufpassen, die solchen Unfug machen! Aber manchmal holen die Leute auch nachts den Doktor aus dem ersten Stock zu einem Kranken und läuten in ihrer Aufregung Sturm. Nun bimmelte es wieder wie das jüngste Gericht. Ich bekam heftiges Herzklopfen. Daran habe ich in den letzten Monaten häufig gelitten. Aber ich habe mich nicht um den Spektakel gekümmert, sondern habe die Zeigefinger in die Ohren gesteckt, um nichts zu hören, und bin so allein in meiner Wohnstube gesessen und habe meine Bücher durchgerechnet, wozu man am Tag ja keine Zeit hat.

Denn es ist ja schrecklich mit den Damen. Erst kaufen sie so: »Was kostet die Welt?« – und wenn sie dann den Hut haben, dann vergessen sie's und sind entsetzt, wenn schließlich mal die Rechnung kommt. Und einklagen kann man nicht. Sonst verdirbt man es mit der besten Kundschaft. Und rechnet man die Bankzinsen gleich mit in den Preis, dann heißt es: Ja – die Heidebluth mit ihren Räuberpreisen ...

Da klingelte es schon wieder – so laut, daß ich es trotz der Finger in den Ohren hören mußte. Denn diesmal war es an meiner Flurtür. Nun pochte es sogar draußen. Mir graulte es ein wenig, wie ich merkte, daß man von mir etwas wollte. Ich dachte mir: ›Die Ernestine, mein Mädchen, wird ja schon nach schauen, was da draußen los ist und es mir melden.‹ Aber nichts rührte sich. Der Trampel hat einen gesegneten Schlaf. Wie das Bimmeln nicht aufhörte, mußte ich meinem Herzen einen Stoß geben und selber an die Tür gehen, und rief bang durch das Schlüsselloch: »Wer ist denn da?« Und draußen eine rauhe Stimme: »Die Polizei!«

Ich bin schön erschrocken. Aber ich habe aufgemacht. Richtig: Da steht draußen im Dunkeln groß und breit ein Wachtmeister und fragt: »Bin ich hier recht bei der unverehelichten Heidebluth?«

Das hat mich verletzt, und ich habe ihm etwas pikiert gesagt: »Sie sprechen mit einer Dame! Ich bin für Sie die Modesalon-Inhaberin Fräulein Luise Heidebluth! Und was das Unverehelichte betrifft«, setzte ich mit einer gewissen Würde hinzu, »so hat das bald ein Ende. Ich bin verlobt – nur noch nicht öffentlich –, aber das kommt. Dann werden Sie mir als Frau Nottebohm – es ist ja schließlich kein Geheimnis mehr – in Firma Nottebohm und Kompanie, Kaffee en gros – vielleicht ein bißchen mehr Respekt erweisen!«

Ja – die Firma kenne er, sagte der Wachtmeister. Die sei prima. Die kenne jeder. Da könne man dreist gratulieren. Aber er sei nicht zum Glückwünschen gekommen, sondern um mich auf das Ministerium zu holen – und sogar, weil es außerordentlich eilig sei, in einem Taxameter auf Staatskosten, der unten warte!

»Was ist denn los – jetzt zu nachtschlafender Zeit?« rief ich entsetzt und kriegte es beinahe mit den fliegenden Nerven. »Doch nicht wieder die gräßliche Mordgeschichte von damals?« Wie der Mann väterlich nickte, begehrte ich auf. »Ich habe beschworen«, sagte ich, »daß ich von nichts weiß – daß ich in der Nacht keinen Fuß aus dem Hause gesetzt habe! Anonyme Briefe kann jeder schreiben und damit eine anständige Geschäftsfrau in die Mäuler von den Leuten bringen! Laßt mich bloß damit ungeschoren!«

»Wir beißen Ihnen ja nicht den Kopf ab«, hat mich der Wachtmeister beruhigt. Er war eigentlich ein hübscher Mensch. »Sie sollen ja nur nachträglich noch ein paar Aussagen machen! Kleinigkeit! Wer wird sich denn so haben! Lohnt sich ja gar nicht, Fräulein Heidebluth!«

Mir hat das Herz doch unheimlich gepocht, und ich hätte gewünscht, ich wäre Gott weiß wo. Aber ich habe mich schnell ein bißchen nett gemacht, und wie ich fertig war, ging ich an die Kammertür von meinem Mädchen, der Ernestine, und machte die Tür auf und rief dem Murmeltier hinein, ich würde eben noch einmal wegen der Sandnerschen Sache um Auskunft gebeten und müsse weg, und sie solle die Tür gut hinter mir zumachen!

Da ist keine Antwort gekommen, und ich habe Licht gemacht und gesehen: Der Ernestine ihr Bett ist leer!

»Ja – was fällt denn dem Mädel ein, nachts aus dem Hause zu laufen?« sage ich ganz entsetzt. Und der Wachtmeister mit einem ganz merkwürdigen Gesichtsausdruck, der mir gar nicht gefiel:

»Die Ernestine Kürbitz ist schon an Ort und Stelle. Die hat sich dort freiwillig eingefunden! Der sollen Sie ja gegenübergestellt werden! Das ist ja der Zweck der Übung!«

Dann hat er mich am Arm gefaßt und gesagt: »Fräulein Heidebluth – erlauben Sie, daß ich Sie bis hinunter stütze! Die Treppe ist steil. Sie stolpern ja!«

Ja. Die Beine haben mir geschwankt. Ich bin mit Mühe unten angekommen und in die Droschke gestiegen und weggefahren zu der schrecklichsten Stunde meines Lebens.


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