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Achtundvierzigstes Kapitel

Ein Anhang

Ich habe es schon sovielmal gesagt, daß das stete Sitzen mir nicht allein sehr schädlich ist, sondern auch, daß ich diese Schädlichkeit schon jetzt empfinde; ich halte es daher nicht nur für erlaubt, sondern auch für Pflicht, alles mögliche zu tun, um derselben vorzubeugen. Dieser Ursachen wegen will ich meine Dienste in Dozierung der italienischen Sprache jeder fundierten Schul- oder andern Anstalt und jeder Herrschaft, deren Dienste permanent sind, als Dolmetscher oder Kammerdiener, es sei in loco oder auf Reisen, oder auch als Instruktor der italienischen Sprache, Vorleser, und auch in andern Fällen, wenn es außer Livree, fürstliche ausgenommen, wenn die Ablegung derselben wahrscheinlich ist, geschehen kann, antragen. Die Beantwortung der Frage, was ich etwa leisten könnte, im Falle sich eine der letztern Stellen für mich finden sollte, würde mich in keine geringe Verlegenheit setzen, und gleichwohl scheint die Natur der Sache eine kleine Erwähnung davon notwendig zu machen, und damit werde ich, da meine Fähigkeiten sehr eingeschränkt sind, bald fertig sein; denn wenn ich sage, daß ich die italienische, französische und walachische Sprache ziemlich verstehe und etwas weniges im Englischen getan habe, auch allenfalls noch hinzusetze, daß ich in Rücksicht Italiens einige Lokalkenntnisse besitze und verschiedne dasige besondre Dialekte kenne, welches, da sich in Italien Fälle erreichen können, wo die Büchersprache nicht hinreichend ist, auch seinen Nutzen haben könnte, so hätte ich freilich meine ganzen Wissenschaften erschöpft, es wäre denn, daß mir mein Schustertalent bei irgendeiner Gelegenheit zustatten kommen sollte, so wie etwa dem Lafleur seines durch Ansetzung des wesentlichen Hosenknopfes.

Alles dieses ist nun freilich sehr wenig, und ich bin weit entfernt, mich dessen zu rühmen; aber der Güte meines moralischen Charakters und der Unfähigkeit, niedrig zu handeln, darf ich mich rühmen; und dabei könnte ich als eine Zugabe noch hinzufügen, daß, wenn es die Umstände erfordern sollten, den Schuster zu verbergen, ich ihn so verkleistern würde, daß solcher nirgends durchschimmern sollte, welches ich zur Steuer der Wahrheit mit einigen Exempelchen erhärten will.

In Wien hatte ich, wie gedacht, freien Zutritt in dem Hause der Frau von Naschold, geborne Baronesse von Steinberg; und es konnte nicht fehlen, ich mußte zuweilen mit Personen außer meiner Sphäre in Kollision kommen. Da ich nun, außer etwas Sprachkunde, in keiner Wissenschaft etwas Reelles getan habe und nichts tun konnte, so mußte ich im Reden sehr piano zu gehen und meine Blößen zu verdecken suchen, doch wußte ich das Wenige, so ich vom Superfiziellen aufgeschnappt habe, so wie viele andre, zur rechten Zeit auszukramen und an den Mann zu bringen, daß man in diesem Hause so gefällig war, mich würklich für einen Studierten und sogar, verzeih mir's Gott! für einen Exjesuiten zu halten. Niemand witterte etwas vom Schuster; doch fehlte wenig, so war er noch kurz vor meiner Abreise zu jedermanns Wissenschaft gekommen. Ich hatte nämlich allbereits fünf Monate auf der Lorenzi-Pastei bei einem Manne namens Meyer gewohnt, ohne zu wissen, daß er ein Schuster war. Eines Abends kam ich nach Hause und hörte in einer Stube hintenaus stark klopfen und jemanden schreien. Als ich hineinkam, sahe ich vier Schustergesellen, von denen der eine seinen Lehrling eines Vergehens halber wacker durchknieriemte, während die andern das Geschrei des armen Purschen nachäfften und zu gleicher Zeit alle vereint auf ihre Sohlen pochten. Nachdem ich dieses Konzert mit angehört hatte und eben im Begriffe war, ins Bette zu gehen, kam Meister Meyer nach Hause und erzählte als eine große Seltenheit, daß ein Kaufmannsdiener eine Wette von zwei Louisdor gelegt und sich anheischig gemacht habe, ohne fremdes Zutun ein Paar Schuhe zu machen. In dem Augenblicke fiel mir meine eigene Schuhmacherkunst ein, und ich konnte dem Triebe nicht widerstehen, zu versuchen, ob ich auch noch welche machen könnte. Ich sagte ihm, daß ich mir auch getraue, ein Paar zu machen, und als er sein Befremden darüber äußerte, ließ ich ihn ein Paar für mich zurichten, die ich dann auch verfertigte. Des andern Tages war ich noch damit in voller Arbeit begriffen, als die Tochter des Herrn von Martinelli, bei dem ich während meines dasigen Aufenthaltes oft zu Tische gebeten wurde, auf die Hausflur trat und nach mir fragte. Kaum hatte ich soviel Zeit, den Schuh aus der Hand zu legen und mich in meinen Überrock zu werfen, als sie husch in die Stube trat und mir sagte, Papa warte mit dem Essen auf mich und habe ihr befohlen, mich gleich mitzubringen, wobei sie mir denn den ganzen Kochzettel vordeklamierte. Nichts war vermögend, die kleine Schwätzerin zu entfernen, und sie bestand auf die Ausführung des buchstäblichen Befehls ihres Papas, mich sogleich mitzunehmen. Da es mir nicht möglich war, die Merkmale, die der Pechfaden an meiner Hand zurückgelassen hatte, mit kaltem Wasser abzuwaschen, so befand ich mich in keiner kleinen Verlegenheit, die nicht wenig vermehrt wurde, da ich die gewöhnliche Tischgesellschaft mit einem fremden Frauenzimmer vermehrt fand, welches die Schwester des Herrn Krause, Informator der Martinellischen Kinder, war, die ich aber an einem öffentlichen Orte, in Ansehung ihrer Kleidung, Juwelen und selbst ihres Teint, für nichts Geringers als für eine Gräfin würde gehalten haben. Nun mußte ich bei Tische mit der Hand allerhand Manövres machen, sie bald mit der Serviette, bald mit dem Schnupftuche, bald unter dem Tische zu verbergen suchen; und wollte ich einen Bissen essen, so mußte ich erst überall herum sondieren, um zu verhüten, daß sie nicht etwa jemands Aufmerksamkeit auf sich zöge; allein endlich verschüttete ich ein Glas Wein auf meine Beinkleider, die glücklicherweise ganz neu waren. Die Frau von Martinelli, die für dieselben besorgt war, hieß der Köchin warm Wasser und Seife bringen. Ich entfernte mich einige Augenblicke, wusch, ohne daß es jemand merkte, den Fleck aus den Beinkleidern? nein, den Schuster von der Hand, setzte mich wieder zu Tische und ließ mir das Mittagsmahl wohl schmecken.

Wozu alle der Schnickschnack? und das zwar da, wo man das Ende erwartet, wird mancher sagen, ich glaube es doch nicht, daß sich jemand einfallen lassen wird, einen dreiundvierzigj ährigen Fußfutteralmachermeister zu einem der genannten Geschäfte umzumodeln. Allen denen sage ich, daß ich mehr als jeder andere daran zweifle und daß ich den Schritt nur deswegen getan habe, um, im Falle daß ich bei meiner jetzigen Beschäftigung meine Gesundheit aufopfern sollte, überzeugt zu sein, alles getan zu haben, um diesem Übel zuvorzukommen. Denn ich weiß, wie schwer es hält, sich ohne Kanäle in ein ander Geleise hineinzuarbeiten. Ich habe zum Beispiel nur einen einzigen Schritt auf das Schriftstellertheater gewagt, bloß um die Lesebegierde insoferne zu benutzen, als erforderlich sein möchte, um mein aus dem Geleise gestolpertes Finanzsystem wieder in Gang zu bringen; allein wie froh will ich sein, wenn ich mit heiler Haut davonkomme, ohne daß mich die Herren, die man mir unter dem Namen von Rezensenten bekannt gemacht hat und die die Geißel aller Halb- und Aftergelehrten, solcher unzünftigen Pfuscher, wie unsereiner ist, sein sollen, mit einem »Abermals ein – – –« demütigen. Aber zu einem Dolmetscher oder Kammerdiener sollte ich mich doch wohl noch umformen lassen können. Es ist wahr, es finden sich unter letztern Männer, denen ich mich in keiner Hinsicht gleichzustellen wagen würde, allein es gibt doch auch so manche arme Sünder unter ihnen, deren größeste Kunst darin besteht, daß sie die Chronique scandaleuse studieren und ihren Herren alle Stadt-, Land- und Dorfneuigkeiten hinterbringen; wobei sie dann gewöhnlich nicht ermangeln, die Handlungen ihrer Freunde und Kreaturen im vorteilhaftesten Lichte und die der andern von der verkehrten Seite vorzustellen. Dient nun ein solcher einem Herren von zu großem Wirkungskreis, um alles dasjenige, so eben von keinem großen Belang ist, mit eignen Augen zu sehen, so kann ein solcher Spürhund zuweilen den besten Absichten ihrer Herren eine entgegengesetzte Richtung geben.

Hier möchte ich in allem Ernste zu schreiben aufhören, zumal eben ein artiges Mädchen hereintritt, die auf das Ende meines Gekritzels wartet, um ihr das Maß um – das Knie? nein, nur um – den Fuß zu nehmen, denn sie will keine Stiefelchen, sondern nur ein Paar Schuh, und da darf man ohne schwere Ahndung nicht so weit gehen; allein ich muß das liebe Kind warten lassen und meine geneigten Leser bitten, mich erst noch eines Geständnisses und Wunsches entledigen zu dürfen.

Da ich so lange Jahre im Auslande verlebt und jetzt meine Dienste auf gedachte Art angetragen habe, so könnte jemand versucht werden zu glauben, daß ich keine Neigung weder zu einer steten Lebensart noch zu meinem Vaterlande hätte. Allein ich beteure auf Ehre, daß ich wünsche, daß ich sehnlich wünsche, den Überrest meiner Lebenstage in meinem Vaterlande zuzubringen. Wer nicht weiß, was Vaterlandsliebe ist, der verlasse es neunzehn Jahre, wenn ihn dann der Anblick seines Geburtsorts und der Gegenden, wo er seine Kindheit durchspielt und seine Jugend durchlebt hat, nicht rühret, dem beneide ich seine Gefühle nicht. Was mich betrifft, ich würde die Wiederverlassung desselben gewissermaßen als das widrigste aller meiner Schicksale ansehen. Wenn ich bei meiner Profession irgendein Nebengeschäfte bekomme oder solche so weit ausbreiten kann, um einige Gehülfen nehmen und dadurch das zu anhaltende Sitzen vermindern zu können, so soll mir nie im Sinn kommen, mein, in Vergleichung mit so vielen andern, gewiß recht glückliches Vaterland zu verlassen; und daß dieses mein vorzügliches Bestreben ist, kann jeder Unbefangene daraus abnehmen, daß ich mir jetzt durch einen besondern Schuhmachernahrungszweig eine neue Hülfsquelle zu eröffnen und meine Profession zu erweitern suche; denn ich würde mich selbst verabscheuen, wenn ich Gatten- und Vaterpflicht zu verkennen fähig sein sollte. Ein Mann, der nicht alles tut, was in seinen Kräften steht, seiner Gattin das Leben so angenehm als möglich zu machen und seinen Kindern die bestmöglichste Erziehung zu geben, gehört unter den Auswurf, und der, so die Seinigen auf eine niederträchtige Weise ihrem Schicksale überläßt, unter die Ungeheuer der menschlichen Gesellschaft. Allein, tue ich einen Blick in die Zukunft und sehe den Mann, wie er mit seiner Familie den Ertrag seiner einzelnen Bestellungen verzehren muß, ohne das Nötige zum Wiederankauf der Materialien zurücklegen zu können, denn fühle ich, daß dieses für mich Schritte sein würden, die mich einer größern Dürftigkeit, als ich zu tragen vermag, entgegenschleudern müßten.

Hier bin ich nun einmal am Schlusse meiner sonderbaren Lebensgeschichte. Sollte mir dieselbe, nach Abzug einiger hundert Taler Kosten, so viel reinen Gewinst abwerfen, daß ich mir ein mittelmäßiges Häuschen und einige Stücken Land, in der wahren Bedeutung des Worts, kaufen kann, dann bliebe mir nichts mehr zu wünschen übrig. Die Bearbeitung des Feldes sollte meine Erholungsstunden ausfüllen, und der Genuß meines selbstgebauten Brots würde meine übrige Arbeit versüßen. Da ich nun durch verschiedene Umstände zu der Glückseligkeit, die mir aber in Wahrheit etwas teuer zu stehen kommt, gelangt bin, mir selbst genug zu sein, so werde ich mich in den Zirkel meiner Familie einschränken, alles erlittene Unrecht vergessen, der Vermahnung des Appels nachleben, in dem Häuschen, das da kommen soll, als ein hausbackener Philosoph den Nachmittag meines Lebens mit jedermann in Frieden und nur mit wenigen in Vertraulichkeit zubringen und in dieser ganz behaglichen Lebensart zu verharren suchen bis an mein, Gott gebe! – so weit als möglich entferntes Ende.

 

 

Verzeichnis der Abbildungen

Ansicht von Gotha mit Schloß Friedenstein (Kupferstich von Wilhelm Richter, 1690; Schloßmuseum Gotha)

Ansicht von Stralsund (Kupferstich, 1720; Kulturhistorisches Museum Stralsund)

Stadthaus und Nieuwe Kerk in Amsterdam (Kolorierter Stich von Johann Benedikt Winkler; Staatliche Kunstsammlungen Weimar, Schloßmuseum)

Die Peterskirche in Rom (Raccolta delle più belle vedute antiche e moderne die Roma. Disegnate ed incise secondo lo stato presente dal Cavalier Giuseppe Vasi. Volume Primo. Rom 1786)

Die Trajanssäule in Rom (Vasi)

Die Dreifaltigkeitsbrücke in Florenz (Meyers Universum. Erster Band. Hildburghausen und New York 1835)

Trient (Die Donau-Reise und ihre schönsten Ansichten. Herausgegeben und bevorwortet von J. Meyer. Zweiter Band. Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1849)

Donaulandschaft (Description du Danube ... par Mr. Le Comte Louis Ferdinand de Marsigli. Tome V. A la Haye 1744)

Das Cerna-Tal bei den Warmen Bädern (Franz Griselini. Versuch einer politischen und natürlichen Geschichte des Temeswarer Banats in Briefen an Standespersonen und Gelehrte. Erster und zweiter Teil. Wien 1780)

Römische Inschriften an der Donau (Griselini)

Die Veteranische Höhle (Die Donau-Reise)

Die Residenz des türkischen Paschas in Orsowa (Meyers Universum. Zehnter Band. Hildburghausen, Amsterdam und Philadelphia 1843)

Walachische Trachten (Steube)

Budapest (Die Donau-Reise)

Der Neue Markt in Wien (Wahrhafte und genaue Abbildung aller Kirchen und Klöster, welche sowohl in der kaiserl. Residenzstadt Wien als auch in denen umliegenden Vorstädten sich befinden. Daselbst nach dem Leben gezeidmet von Salomon Kleiner, Architecturae Cultorem. Augsburg 1724)

Pius VI. erteilt den Ostersegen vom Balkon der Jesuitenkirche in Wien 1782 (Kolorierter Stich von C. Schütz; Staatliche Kunstsammlungen Weimar, Schloßmuseum)


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