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Fünfundvierzigstes Kapitel

Der sprachmeisternde Schuster

Liegt es überhaupt jedem denkenden Wesen ob, für eine glückliche Zukunft zu sorgen, so ist es gewiß insbesondere für einen Mann, der Gatte und Vater ist, Pflicht, alles mögliche zu tun, um diese Absicht zu erreichen. Da mir nun einige den Vorwurf gemacht haben, daß ich die Sorge für meine Kinder als ein Spielwerk angesehen hätte, mir es aber durchaus nicht gleichgültig sein kann, aus welchem Gesichtspunkte man mich betrachtet, so will ich meine Handlungen in dieser Rücksicht ein wenig beleuchten, um sowohl die, an denen mir gelegen sein muß, als die, an denen mir gelegen ist, zu überzeugen, daß ich mich jederzeit bestrebt habe und noch bestrebe, gedachten Zweck zu erlangen, und daß, wenn ich nicht allemal die schicklichsten Mittel anwandte, solchen zu erreichen, es mehrenteils von den Umständen abhing, in welchen sich meine Gesundheit befand.

Der Hauptfehler, den ich begangen haben soll, wäre also die Verlassung meiner Schusterei, und man machte soviel Lärm davon, als wenn ich eine französische Generalpachterstelle gegen die eines sibirischen Zobelfängers vertauscht hätte. Nun bin ich so weit entfernt, die Schuhmacherkunst herunterzusetzen, daß ich mich vielmehr von neuem damit befasse und wegen der Reimmatrikulation beinahe supplicando eingekommen wäre; allein ich habe allbereits angeführt, daß ich in Italien eine mehrere Jahre dauernde Lähmung am linken Knie erlitten und daß ich, da wenig Wahrscheinlichkeit da war, von der gedachten Profession Gebrauch machen zu können, mich entschloß, die italienische Sprache zu erlernen, um allenfalls mein Brot damit zu verdienen. Ich kam also gar nicht aus der Absicht nach Gotha, um Schuhe zu machen, als woran ich, den Versuch in Hof abgerechnet, in fünfzehn Jahren nicht gedacht hatte, sondern bloß, um meinen Bruder noch einmal zu besuchen und zu sehen, ob ich von meinem Vormunde, feisten Andenkens, etwas Geld bekommen möchte, die Rückreise nach Wien und von da zu meinem Regimente nach Kroatien machen zu können; allein meine Laufbahn bekam dadurch, daß ich mich zum Meisterwerden überreden ließ, eine ganz andere Richtung. Ich hatte kaum einige Monate Hans Sachsens Dreifuß bestiegen, als ich auch schon spürte, daß die so gekrümmte Schuhmacherstellung sehr nachteilig auf meine Gesundheit würkte, so, daß mir jeder Tag, den ich mit anhaltendem Sitzen zubrachte, schmerzhafte Krämpfe verursachte, ja es kam soweit, daß ich mehr krank als gesund war, so, daß des Doktors Rechnungen meinen Schustererwerb bei weitem aufwogen; wozu noch kam, daß mir die gütige Natur das Schuhmachertalent versagt hat, zu beteuern, daß die engen Schuhe weiter und die weiten enger werden, daß sich die zu langen verkürzen und die kurzen verlängern müßten und daß das thüringische Leder in dem Lande Myner Heeren gegerbt sei; und auf dem linken Knie, wo die zahlreiche Nachkommenschaft des heiligen Crispins ihre meiste Arbeit verrichten müssen, konnte ich damals ebensowenig wie jetzt das mindeste arbeiten, sondern ich mußte das rechte erst daran gewöhnen. Nun hätte ich der schwatzhaften Klasse des gothaischen Publikums leicht den Gefallen tun können, ihr diese Umstände durch einen dienstbaren Geist bekanntzumachen; allein da ich mich nie um einen Dritten bekümmerte, so glaubte ich auf gleiche Gefälligkeit rechnen zu dürfen: ich ließ also diese Leutchen denken und, da die wenigsten von dieser Menschengattung denken können, auch allenfalls plaudern, was sie wollten, und ergriff den Sprachunterricht als ein der Beschaffenheit meines Körpers angemesseneres Geschäfte. Es fanden sich anfänglich viele Liebhaber der italienischen Sprache, daß ich den ganzen Tag beschäftigt und imstande war, mein Hauswesen sehr gut zu führen. Dieses brachte zwei Folgen hervor, die eine, die es haben mußte, nämlich, daß ich den ganzen Tag in Kleidern sein mußte, und die andere, die es nicht zu haben brauchte, doch aber aus der ersten floß, war die, daß meine vier Kunden glaubten, ich verdiente täglich einen Louisdor mit Unterricht, und ließen ihre Schuh und Pantoffeln anderswo machen. Hätte ich mich mehr auf den Gang der Moden verstanden, so würde ich mir freilich leicht haben sagen können, daß die Erlernung der italienischen Sprache nur Liebhaberei und der Verdienst folglich vorübergehend sei; allein ich glaubte, daß ein sehr frugal lebender italienischer Sprachmeister in der Residenzstadt Gotha sein kümmerliches Auskommen finden würde; ich machte aber die Rechnung ohne den Wirt, denn nach einigen Jahren verschwanden die Lernlustigen fast ganz, ich hatte nichts zu dozieren und, da meine gedachten vier Kundleute bei ihrer einmal gefaßten Meinung blieben, auch nichts mehr zu krispinisieren. Es wäre wohl höchst überflüssig zu sagen, daß mir diese Lage als einen Mann, der, sobald er nicht mehr arbeitet, auch nichts mehr zu leben hat, äußerst unangenehm sein und mich auf einen andern Plan, etwas zu verdienen, bringen mußte; weil mir nun die Folgen einer sitzenden Lebensart noch zu neu waren, so fiel ich auf einen, der womöglich noch nachteiliger für mich ausschlug als der erste.

Da ich nämlich geraume Zeit in Italien gewesen, der dasigen Sprache und Lokalkenntnis ziemlich kundig bin und mich überhaupt auf einem hübschen Teile unsrer alten Halbkugel umgesehen und, soviel ich weiß, fünf Sinne habe, so dachte ich bei einem großen Herren (denn einem kleinen möchte ich nicht dienen, und wenn es auch der größte Dickbauch wäre) als – in Dienste zu kommen; und weil ich befürchtete, daß ich ohne die Modesprache, ohne welche in Deutschland mancher Deutsche keinen Deutschen verstehen würde, eine schlechte Figur machen möchte, so erlernte ich über Hals und Kopf noch Französisch. Nachdem ich einige Zeit Unterricht in dieser Sprache genossen hatte, so machte mir mein Lehrmeister die Eloge, daß ich einige Fortschritte darin gemacht hätte; es ist wahr, er änderte in der Folge sein Urteil und sagte, ich spräche nur sehr mittelmäßig Französisch, und das möchte auch so ziemlich mit der Wahrheit übereinstimmen; doch das hätte nichts zu bedeuten gehabt, denn ein angehender –, der mittelmäßig Französisch spricht, der müßte doch unter aller Prüfung sein, wenn er nach einigen Dienstjahren nicht für einen mittelmäßigen Franzosen sollte passieren können; allein die Aussicht, die ich hatte, war zu entfernt, und der ganze Erfolg war, daß ich die Modesprache im Kopfe und ein Dutzend Louisdor weniger im Beutel hatte. Ich befand mich also in einer der kritischsten Lagen, in der sich wohl je ein sprachmeisternder Schuster befunden hat. Hier muß ich mir nun Gerechtigkeit widerfahren lassen; ich tat alles, was ein Mann, der Gatten- und Kinderpflicht kennt, tun kann; denn ob ich gleich voraussahe, daß eine anhaltend sitzende Lebensart meine Gesundheit zerstören würde, so ergriff ich doch den Leisten; denn es war hier nicht die Frage, was möchtest du gerne tun, sondern was mußt du tun, um Frau und Kinder für Verlegenheit zu sichern. Ich fing an zu arbeiten, tat mich um neue Kunden um, empfahl mich meinen alten und war eben im Begriffe, da mir Sprachunterricht und Schuhmachen heterogene Dinge schienen, ersterm zu entsagen und bloß auf meine eigene Kinder einzuschränken, als mich mein böser Genius mit der Bekanntschaft einiger Personen strafte, die mir ungebeten den Gefallen taten, mich zur Niederlegung meiner Profession zu bereden und dadurch aus dem Regen in die Traufe zu bringen.

Aus allem diesen erhellet nun wohl, daß, außer gedachtem Nebenumstande, an den ich nicht gerne denke, die Erhaltung meiner Gesundheit die Hauptursache der Niederlegung meines Handwerks war. Hätte man mich nun des Leichtsinnes oder der Unbedachtsamkeit beschuldigt, so wäre mir vielleicht nicht zuviel geschehen, und ich würde mich auch nicht im geringsten darüber beschwert haben; allein einige hielten dafür, der Titel Herr (der ich vorher schon war) schmeichle meine Ohren mehr als der eines Meisters, suchten mich des gedachten Schrittes wegen lächerlich zu machen, über die Veranlassung dazu einen dichten Schleier zu ziehen und betrachteten mich als einen Mann, der von seiner Jugend an in der Schuster-Sphäre gelebt und gewebt hätte und nun auf einmal den drolligen Beruf fühlte, den Knieriemen mit der Grammatik zu vertauschen, um die italienische Sprache zu dozieren. Dieses wäre doch gewiß ein Zug, der aufs allerwenigste eine Gerichtsschöppenstelle in der abderitischen Ratsversammlung verdiente. Wäre man so billig gewesen, Rücksicht auf meine Gesundheit zu nehmen und zu überlegen, daß ich in fünfzehn Jahren keine Schuh habe machen sehen und daß ich mehrenteils in Bewegung war, so würde man mich gewiß weniger strenge beurteilt haben.


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