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Achtunddreißigstes Kapitel

Die Cuccagna

Da Wien ohnedem eine große Menge Einwohner in sich faßt und die Anwesenheit des Papstes noch mehrere dahin gelockt hatte, so kann man sich das Gewühle denken, das die Cuccagna des Baron von Breteuil verursachte, die er wegen der Geburt des Dauphins gab. Dieser Botschafter hatte im Prater zwei Häuser aufführen lassen, von dessen Dächern rot' und weißer Wein rann. Hier sahe man nun Eimer, Kannen, Töpfe, Hüte, ja sogar Mützen an Stangen gebunden, um den Wein darin aufzufangen, und jeder trachtete die andern Gefäße wegzustoßen und das seinige zu füllen, wobei natürlicherweise das meiste auf die Erde lief. Hatte auch einer sein Geschirr voll, so gehörte es doch nicht ihm, sondern demjenigen, der es am ersten von der Stange herunterreißen konnte; war aber jemand so glücklich, ein Geschirre voll zu bekommen, so ging er wie im Triumph herum und bot ihn seinen Bekannten umsonst, Fremden aber für einige Kreuzer zum Trinken an. Außer diesem wurde eine große Menge Brot und Fleisch ausgeworfen, welche beide Artikel 400 Zentner betragen haben sollen. Um diese Verwirrung mit anzusehen, ging ich mit Herr Krausen, einem Pieristen, der Informator der Martinellischen Kinder war, in den Prater. War es nun Zufall, daß der Kaiser nebst dem Papste eben dazu kamen, oder wollten sie wirklich den Spaß mit ansehen, genug, sie fuhren da vorbei in das am Ende des Walles befindliche Lusthaus. Kaum hörte man, daß der Papst käme, so wendete sich alles nach der Chaussee, um den Segen zu erhalten. Diejenigen, die das Fleisch auswarfen, hielten unterdessen ein wenig inne, allein der Wein rann ohne Aufhören fort; und gleichwohl sahe ich nur zwei Männer, welche, während daß die andern den Segen holten, ihre Eimer mit Wein anfüllten und in Sicherheit brachten. Als ich in die Stadt zurückkam, äußerte jemand das Verlangen, ein Stück von dem Fleische zu haben, welches man noch immer auswarf, und ich mußte mich anheischig machen, eins davon zu holen. Ich nahm mir vor, mein Versprechen zu halten und keine Rippenstöße zu achten, ging wieder hinaus und drängte mich, soviel ich konnte, unter das Getümmel. Nicht lange hatte ich gewartet, als ein Stück Braten auf mich zu geflogen kam; sogleich streckte ich meine Hände aus, es traf aber einen vor mir stehenden Soldaten dermaßen auf den Kopf, daß ihm der Hut auf eine Seite fuhr, worauf es sodann mir auf die Brust fiel. Hier hielt ich es so fest, daß es mir einen ziemlichen Fleck im Kleide verursachte; demohngeachtet griff der Soldat um sich, mir es wegzunehmen. Weil ich bei dem ganzen Handel bemerkt hatte, daß überhaupt das Recht des Stärkern gegen den Schwächern ausgeübt wurde, so ließ ich mich in Vergleich ein, und der Soldat trat mir gegen Erlegung eines Siebzehnkreuzerstücks sein angemaßtes Eigentumsrecht gutwillig ab. Nun hätte ich vielleicht besser getan, im ersten besten Gasthofe ein Stück Braten zu holen, welches mir nicht so viel gekostet haben würde, als ich für das Fleck auszumachen geben mußte; ich dachte aber, man müsse sein Wort auch in den kleinsten Dingen halten, besonders wenn man solches dem schönen Geschlechte gegeben hat. Nach diesem gab der Botschafter im Prater ein Feuerwerk, wofür Herr Stuwer 6000 Gulden bekam, den fremden Abgesandten aber ein kostbares Souper nebst einer prächtigen Illumination. Alles dieses soll dem Abgesandten einen Aufwand von 6000 Talern verursacht haben. Der Wald, in welchem diese Feierlichkeiten abgehandelt wurden und bei Lebzeiten der Maria Theresia für jeden vom Mittelstande und der Volksklasse unzugänglich war, aber gleich beim Antritte der Regierung Josephs freigegeben wurde, dient jetzt jedermann zum angenehmsten Belustigungsort. An Sonn- und Feiertagen ist der Zulauf dahin außerordentlich. Fast unter jedem Baume findet man eine Bude, entweder sich da mit verschiedenen Spielen zu belustigen oder mit Speise und Trank und noch mit etwas zu ergötzen. Alles dieses ist so vermischt, daß man Karussell, Billards, Kegelbahn, Traiteurs und mathematische Waagen untereinander antrifft. Diese letztern sind so beschaffen, daß die, so das Gewicht ihres Individuums zu wissen wünschen, nur auf ein schräg an der Waage angebrachtes Brett zu treten brauchen, durch dessen Druck der Weiser auf die Zahl gerichtet wird, welche die Pfunde anzeigt; bei jeder dieser Waagen steht ein Harlekin, welcher das Gewicht der Personen mit lauter Stimme ausruft. Da sich nun die Schönen, die dem Unterschiede des Gewichts am meisten ausgesetzt sind, auch am meisten wiegen lassen, so ruft er ohne Unterlaß: die Mamsell wiegt mitsamt dem Planschet, Kopfputz oder gesticktem Unterrocke soundso viel Pfund, wodurch mehrere angelockt werden, sich auch für einen Kreuzer wiegen und ihre Schönheit ausrufen zu lassen.


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