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Drittes Kapitel

Die Lindenbäume in Möllen

Kaum hatte ich die Ehre, zum Gesellen promoviert zu werden, so entstand auch der Wunsch in mir, zu sehen, ob nicht etwa jenseit des Berges auch Korn wachsen möchte; sobald daher mein Gepäcke, welches, außer einem grünen Röckchen, noch in einem blauen Rock nebst verhältnismäßiger Wäsche bestand, in Ordnung war, trat ich meine Wanderschaft mit einer in zwanzig Gulden Konventionsgeld bestehenden Kasse, die vor dem Tore durch eine gute Freundin noch mit einem Laubtaler vermehrt wurde, im Namen des heiligen Crispinus an. Meine erste Reise ging nach Rudolstadt, wo meine Tante, die Frau Obergärtnerin Gallenius, so gefällig gewesen war, mich mit einem sogenannten Verschreiben an ihren Hausschuhmacher zu versehen. Erfurt war also der erste Ort, den ich außer meiner Geburtsstadt zu Gesichte bekam und wo ich das erste Mal übernachtete. Unter den vielen auf Arbeit wartenden Gesellen waren einige, die nebst den zwei Kleidern, die ich hatte, auch ein doppeltes Reisegeld vermuteten, und diese setzten meiner Kasse dermaßen zu, daß solche noch denselben Abend bis auf die Hälfte zusammenschmolz; hierzu kam noch, daß einer die Schwachheit eines Neulings zu benutzen wußte und mir einen Degen, den ich nötig zu haben glaubte, um zwölf Gulden verkaufte. Den folgenden Tag kam ich, nebst meinem Degen, an dem man noch einige Merkmale der Versilberung wahrnehmen konnte, frühe nach Remda und hätte noch sehr leicht bis Rudolstadt kommen können; allein im Wirtshause fand ich alles in Bewegung und im Tanze begriffen; ich ging also auf den Tanzboden, um dieses Vergnügen mit anzusehen. Hier war einer von diesen Herren so gefällig, mir seine Dulzinea, welches ein recht artiges rundes Mädchen war, zum Tanze anzutragen. Es ist wahr, die Blödigkeit gegen das schöne Geschlecht (welche sich doch nach einem sechsjährigen Aufenthalte in Italien in etwas gelegt hat) und noch mehr meine geschwächte Geldkasse setzte mich nicht wenig in Verlegenheit, doch war ich nicht so unempfindlich, den Antrag auszuschlagen. Ich faßte das Mädchen beim Arm und hüpfte einigemal mit ihr um den in der Mitte des Tanzsaals befindlichen Pfeiler herum. Sei es nun, daß meine Schuhe nicht das gehörige Gewicht hatten und bei dem Konzert, das sie während dem Tanze mit den Füßen gaben, eine Dissonanz verursachten oder daß ich mich sonst etwas links benahm; genug, es schien mir, als ob dem Mädchen nichts an mir gelegen wäre; ich führte sie also ihrem Amanten wieder zu, machte meine Verbeugung, warf einige Groschen in den großen Baß und verließ den Tanzboden. Des andern Tages, da ich meine Zeche bezahlt hatte, setzte ich meine Reise nach Rudolstadt fort. Unterwegs überzählte ich meine Barschaft und fand ohne sonderliche Mühe, daß sie noch in neun Gulden bestand. Hier war also nötig, zu überlegen, wie dieser Defekt am leichtesten zu heben sei, und die Vermahnung, sich auf der Reise mit nichts Überflüssigem zu beschweren, tat mir hier vortreffliche Dienste. Ich beschloß also, die Last meines Reisebündels durch die Veräußerung meines blauen Überrocks zu vermindern, worzu mir der Wirt des letzten Dorfes gegen eine kleine Erkenntlichkeit behülflich war. Er ging in das Dorf, und in weniger als einer Viertelstunde kam er mit der erfreulichen Nachricht wieder, daß ihn der Herr Schulmeister des Orts an sich handeln wollte. Ich verließ mich auf seine Ehrlichkeit, gab ihm den Rock, und nach einer halben Stunde hatte ich drei Taler dafür, ohne die Ehre zu haben, den Herrn Schulmeister persönlich zu sprechen; und mit solchem Zuwachse versehen, erreichte ich Rudolstadt. In dieser gewiß recht artigen Stadt, welche bekanntlich die Residenz des Fürsten von Schwarzburg-Rudolstadt ist und in einem reizenden Tale, durch welches sich die Saale schlängelt, so wie die Residenz des Fürsten auf einem Berge liegt, von welchem man eine bezaubernde Aussicht über eine recht romantisch schöne Gegend genießt, brachte ich ein ganzes Jahr sehr vergnügt zu. Doch ich will meine Leser mit den alltäglichen Auftritten eines Schuhmachergesellen nicht belästigen. In der Tat wüßte ich auch nichts Merkwürdiges zu erzählen, es müßte dann sein, daß ich daselbst, außer meiner Tante, von vielen angesehenen Personen mit ausgezeichneter Höflichkeit behandelt wurde, wofür ich, von Dankbarkeit durchdrungen, heute noch den verbindlichsten Dank abstatte. Nach Verlauf eines Jahres setzte ich, durch die Güte meiner Tante mit allem Nötigen versehen, meine Reise über Erfurt, Nordhausen, Werningeroda und Wolfenbüttel nach Braunschweig fort. Nach meiner Ankunft daselbst besuchte ich sogleich meinen Bruder, welcher zur selbigen Zeit bei Ihro Durchlaucht der Prinzessin von Bevern und Äbtissin von Steterburg Gärtner war; dieser empfing mich mit brüderlicher Zärtlichkeit, äußerte großes Verlangen, mich einige Zeit bei sich zu behalten; und als die Prinzessin zufälligerweise meine Ankunft erfuhr, so hatte ich das Glück, ihr vorgestellt zu werden, wo ich nicht allein von ihr beschenkt wurde, sondern sie ließ sich auch soweit herab, mir einen ihrer Bedienten mitzugeben, der mich nach Braunschweig zu ihrem Hofschuhmacher in Arbeit bringen mußte. Bei diesem Manne, der, wo ich nicht irre, Bischoff oder gar Papst hieß, hatte ich es so gut, als es nur immer ein Schuhmachergeselle verlangen kann, wozu freilich die seltene Rekommendation einer Prinzessin das meiste beigetragen haben mochte. In dieser schönen und großen Stadt, wo ich alles, ja noch mehr hatte, als ich brauchte, würde ich mich wahrscheinlich länger als sechs Wochen aufgehalten haben, wenn nicht ein durch Zufall nach Lübeck gekommenes Mädchen, das ich sehr gut kannte, meine Neugierde gereizt hätte, die Königin der Hansestädte zu sehen. Nachdem ich also von meinem Bruder Abschied genommen, der mich sehr ungern von sich ließ, dennoch aber mit mehr als hinreichendem Reisegelde versah, ging ich über Beina, Hannover, Celle, Harburg und Hamburg nach Lübeck. Da ich meinen Weg über Möllen nahm, wo der berufene Eulenspiegel begraben liegt, so will ich denjenigen von meinen Lesern, welche etwa eine nähere Nachricht von seinen Reichsinsignien zu haben wünschen, geflissentlich damit dienen. Bei meiner Ankunft daselbst war der damalige Kirchner, dessen Geschäfte gewöhnlich ist, den Cicerone zu machen, abwesend, also vertrat seine hübsche Frau, welches mir noch lieber war, seine Stelle, welche, nachdem ich ihr vier Schillinge gezahlt hatte, mir die Kirche öffnete, wo ich in einem ohnweit dem Altar befindlichen Schrank folgende Seltenheiten zu sehen das Glück hatte, als

  1. ein von Eisendraht geflochtenes Diadem.
  2. Einen Degen mit einem großen stählernen Gefäß.
  3. Einen großen Sporn von eben der Art, dessen Sternlein die Größe eines großen Talers haben mochte. Welches alles vom besten Eisen zu sein schien.
  4. Eine hölzerne, mit einer sehr kleinen Öffnung und hölzernen Reifen versehene Kanne, deren sich seine Herrlichkeit zum Trinken bedient haben sollen.
  5. Sein Bildnis, nebst demjenigen seiner Frau Mutter, welche beide, in Lebensgröße in Stein ausgehauen, aber nicht in der Kirche selbst, sondern außer derselben an der Kirchmauer angelehnt sind. Außer diesen höchst interessanten Merkwürdigkeiten sahe ich die auf dem Kirchhofe befindlichen Linden mit so viel Namen beschnitzelt und mit so viel Nägeln aller Art garniert, daß ich keinen Raum mehr zu meinem St. fand, den ich einzugraben willens war; es könnte aber auch sein, daß ich mir nicht Mühe genug gegeben habe, einen ausfindig zu machen.

Anfänglich wußte ich würklich nicht recht, warum ich eine so gute Lebensart, als ich zu Braunschweig und Steterburg genoß, verließ, ob es dem gedachten Mädchen oder der Stadt Lübeck wegen geschahe; allein, kaum war ich daselbst angekommen, als ich es sogleich erriet; denn da ich das mehrgedachte Mädchen nicht antraf, so setzte ich meinen Weg weiter fort; und da meine Reiseschatulle mit mehr als zwanzig Gulden Konventionsgeld versehen war, so verließ ich Lübeck, ohne von der Güte des bekannten Mädchens (welche ein Spital in Lübeck erbauen ließ, wo jeder Reisende einige Tage mit Speise und Trank unentgeltlich bewirtet wird) Gebrauch zu machen, und kam über Wismar, Rostock und Trebsees in Stralsund an.


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