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Sechsunddreißigstes Kapitel

Pantomime in zwei Akten

Den 26. Dezember 1781 fuhren wir endlich bei schlechtem Wetter von Temiswar ab, kamen aber doch ohne große Beschwerde nach Groß S. Mücklosch; allein jetzt fanden wir den größten Teil der Gegend bis nach Szegedin durch die ausgetretenen Wässer der Marosch und Theis überschwemmt. Weil unser Fuhrmann des Landes nicht kundig war, so mußten wir beständig einen Walachen vorreiten lassen, um in keine Tiefe zu geraten, konnten also nur sehr kleine Tagereisen machen, so daß wir erst den zweiten Januar Szegedin erreichten.

Nun fing die Reise an für mich verdrüßlich zu werden, denn erstens mußte ich alle Hoffnung aufgeben, vor dem Sechsten in Wien zu sein; fürs zweite war das Wetter schlecht und die Ausgaben größer, als ich geglaubt hatte; denn ohngeachtet die Lebensmittel in Ungarn gewöhnlich sehr wohlfeil sind, so brauchten wir doch für Essen, Trinken, Zimmer und Feurung täglich zwölf bis sechzehn Gulden. Dieses möchte manchen wundern; allein wer mit so einem Landkutscher fährt, muß denselben nicht allein mit seinen Pferden übertragen, sondern wenn sie voraussetzen, ohne Passagiers zurückfahren zu müssen, so wissen sie es gemeiniglich mit dem Wirt so zu karten, daß sie in diesem Falle auch freie Zehrung haben; und letztere ermangeln also nicht, die etwanige Zeche sogleich auf Rechnung der Reisenden zu setzen. Den Sechsten speisten wir zu Mittag in Rab; zwischen dieser Stadt und Pest passierten wir durch das zum Marktflecken gemachte große Dorf Schuratschan, dessen Einwohner über ihre Erhebung so freudetrunken waren, daß sie ohne Unterlaß ausriefen: »Vivat Schuratschan! Maria Theresia ist ein Marktflecken geworden!« Den Achten kamen wir nach Pest; doch ehe wir hineinfuhren, begegnete uns folgender verdrüßlicher Zufall. Unser Kutscher, der fast auf der ganzen Reise nicht viel nüchtern wurde, hatte beim letzten Mittagsmahl so viel Wein und Brandewein zu sich genommen, daß er kaum auf dem Bocke zu sitzen vermochte. Als wir nun die ohnweit Pest befindliche Anhöhe hinunterfuhren, begegneten uns einige mit Ochsen bespannte Wagen, dessen Fuhrleute ganz langsam hinten nach gingen. Nun wollte unser benebelter Fuhrmann durchaus haben, daß die Ochsen ihm und seinem Fuhrwerke zu Ehren ausweichen sollten, und fuhr dem nämlichen Geleise hinunter, in welchem die Wagen heraufkamen. All unser Schreien, daß die Fuhrleute nicht Zeit haben würden, den Ochsen zuvorzukommen, war umsonst, und ehe wir es uns versahen, fuhr die Deichsel des vordern Wagens zwischen unsere Pferde und warf das eine so zu Boden, daß es auf den Rücken zu liegen kam und die zwei hintern Füße in die Kutsche streckte. Ein Glück war es, daß es stille lag, sonst hätte es uns sehr beschädigen können, ehe wir aussteigen konnten. Nun liefen die ungarischen Fuhrleute herbei, schoben den Wagen zurück, damit die Deichsel zwischen den Pferden wegkam, und wollten das gefallene Pferd, das sich in die Stränge verwickelt hatte, wieder befreien. Allein unser Kutscher, der es als einen großen Schimpf ansehen mochte, daß diesen Leuten ihre unvernünftigen Ochsen ihm als einem Halbvernünftigen nicht aus dem Wege gegangen waren, gab dem einen eine solche derbe Ohrfeige, daß er zur Erde niedersank. Die andern, über eine so unerwartete Dankbarkeit aufgebracht, schäumten vor Wut, fielen über unsern Kutscher her und wollten ihn erwürgen. Nun konnte dieser, ungeachtet er in Pest diente, ebensowenig Ungarisch als wir und die Ungarn noch weniger Deutsch. Um also diesen Leuten begreiflich zu machen, daß der Kutscher betrunken sei und daß sie ihn gehen lassen und das Pferd losmachen sollten, damit wir unsern Weg weiter fortsetzen könnten, waren wir genötigt, auf öffentlicher Straße eine Pantomime in zwei Akten aufzuführen, von der die handelnden Personen, außer unserm Kutscher, dem sie die meiste Langeweile machen mußte, aus dem Hauptmann von der Osten, seiner Gemahlin, dem Fourier Steube und fünf ungarischen Fuhrleuten bestand, wobei wir aufs wenigste dreißig bis vierzig gehörnte Zuschauer hatten. Der ganze erste Akt unsrer Pantomime war fruchtlos, und während diesem hatte unser Kutscher so viele Stöße bekommen, daß wir glaubten, er würde nicht wieder aufstehen können; als wir aber den zweiten anfingen, der darinne bestund, daß in ihm der Hauptmann von Osten einen Konventionstaler und ich einen Gulden wie mit der Hand nach dem Munde fuhren und ihnen zu verstehen gaben, sie möchten sich für dieses Geld auch einen solchen Rausch antrinken, so ließen sie ihn gehen, halfen dem Pferde wieder auf seine vier Beine, und wir langten wohlbehalten in Pest an.

Hier fanden wir ein neues Hindernis, indem das auf der Donau gehende Eis die Überfahrt nach Ofen hinderte und uns nötigte, vier Tage liegenzubleiben, wo wir in den »Sieben Kurfürsten« eine ganz artige Zeche bezahlen mußten. Den Eilften wagte ich es, mit einem Fischer nach Ofen zu fahren, ohngeachtet das Eis noch auf beiden Seiten des Stroms ging und nur die Mitte desselben davon frei war. Ich ging daselbst ins Bad, mehr, um mich darinne umzusehen, als es zu brauchen; doch ließ ich mich in eins hineinführen. Nachdem ich etwa eine Stunde darinne gesessen hatte, fiel mir ein, daß ich ein Gänseviertel mit hinübergenommen hatte; weil nun, wie bekannt, das Wasser zehrt, so wollte ich ein Stück davon essen, fand aber, daß es nicht gut ausgebraten war. Da ich dafür hielt, es sei weniger Sünde, es wegzuwerfen, als es mit Ekel zu genießen, so schleuderte ich es durch die der Ausdünstung wegen oben angebrachte Öffnung; weil es nicht wieder herunterfiel, so dachte ich, es läge schon draußen. Auf einmal hörte ich im Nebenbade ein entsetzliches Geschrei; der Pachter des Bades kam herzu gelaufen, und ich konnte nicht geschwinde genug in die Beinkleider kommen, um auch zu sehen, was es gäbe. Als ich die Tür des Bades aufmachen wollte, hielt mich der Pachter zurück und sagte, ich möchte ein wenig warten, bis sich die im Bade ganz erschrockenen Frauenzimmer, welches Mutter und Tochter war, angekleidet hätten. Frauenzimmer! und erschrockene! die Sache interessierte mich gleich, und die Zeit wurde mir lang, bis sie ihre Toilette gemacht hatten. Und siehe da! die Ursache dieses Zetergeschreies war nichts anders als mein Gänseviertel. Nämlich diese beiden Bäder hatten oben in der Höhe eine gemeinschaftliche Öffnung; weil ich nun zu kurz geworfen haben mochte, so war es wieder herunter ins Nebenbad gefallen und hatte dieses Angstgeschrei verursacht. Ich war eben willens, meine Missetat zu bekennen, als der Pachter auf die Vermutung fiel, daß etwa ein Raubvogel dieses weggeputzt und nachgehends gerade über dieser Öffnung habe fallen lassen. Ich ließ sie also bei dieser Meinung, und nachdem ich mich einige Stunden in der obern Stadt umgesehen und die Merkmale betrachtet hatte, welche, in Ansehung der verschiedenen Wasserhöhen, an den nächst der Donau liegenden Häusern angebracht sind, so fuhr ich gegen Abend wieder nach Pest. Wir sollten den Zwölften vormittags zehn Uhr schon mit unserm Fuhrwerk die Donau passieren, da aber erst vieles für die Ofner Garnison hinübergeschafft werden mußte, so kamen wir erst Nachmittag um zwei Uhr auf die Plätten und um drei Uhr nach Ofen, wo wir die Nacht blieben; weil es noch Zeit genug war, die am Ufer der Donau stehende Moschee zu besehen, so wollte ich auch hierinne meine Neugierde befriedigen. In dieser Kirche fand ich einen Schreiner, der seine ordentliche Werkstatt darinnen aufgeschlagen und sie ganz mit fertigen Möbeln angefüllt hatte. Was wird wohl der gute Kalender, der vor einigen Jahren eine Wallfahrt dahin tat, gedacht haben, weil er sein Heiligtum so entehrt angetroffen hat? Den Sechzehnten kamen wir nach Bruck an der Leyda, wo wir uns einer strengen Tobacksvisitation unterwerfen mußten. Als diese vorbei war und wir fortfahren wollten, kam noch ein anderer Aufseher und frug uns, ob wir nichts Mautbares bei uns hätten. Diesem drückte der Herr Hauptmann zwei Konventionstaler in die Hände; er öffnete die Coffres pro forma, guckte hinein, tappte ein wenig drüber hin, worauf er sie wieder zumachte, wir unsers Weges fuhren und den Zwanzigsten in Wien anlangten.


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