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Dreiundvierzigstes Kapitel

Ein gefährliches Nachtlager

Nun war ich, wie gesagt, Bürger und Meister und bekam eine Frau von dem sanftesten Charakter und besten Herzen, nur schade, daß diese Eigenschaften nicht allemal hinreichen, ein Hauswesen zu führen und zu erhalten. Was unsere Vermögensumstände anbetrifft, so hatte ich, wie gesagt, 35 Dukatens, die nicht einmal zum Meisterwerden hinreichten; doch fand ich Mittel, das Fehlende herbeizuschaffen, und meine Frau, die etwa 300 Gulden haben sollte, hat außer 25 Gulden, so sie noch darzu als ein Geschenke ansehen mußte, keinen Heller davon gesehen. Doch muß ich sagen, daß alles rechtmäßig zugegangen ist; denn sie hatte einen Rechtsgelehrten zum Vormunde, der sich ihrer 300 Gulden annahm; und es nimmt mich gar nicht wunder, daß sie nichts bekommen hat, denn solche Fälle haben sich schon mehr ereignet und werden sich, noch ehe der – mit dem Sankt Gotthardsberg in Kollision kommen wird, zur Schande der Vormünderei noch mehrmal ereignen; allein daß ich ihrem Vormunde noch obendrein 28 Gulden, sage achtundzwanzig Gulden, den Gulden zu 21 guten Groschen gerechnet, an Vormundschaftsgebühren bezahlen mußte, das, ich muß es gestehen, war mir ein wenig auffallend.

Nachdem unsere Hochzeit vorbei war, überrechnete ich die eingelaufenen Geschenke, brachte aber weder durch die Addition noch Multiplikation mehr heraus, als eben zur Bezahlung des in Fried und Freuden verzehrten Hochzeitmahls hinreichend war, und ein einziger übrigbleibender Taler war das ganze Kapital, so ich zu meiner Profession verwenden konnte. Ich sage dieses nicht, daß jemand glauben soll, als habe es uns an irgendeinem Bedürfnisse des Lebens gemangelt; denn hätte ich dieses nur vermuten können, so würde ich einen andern Weg eingeschlagen haben, da wir aber mit unserer Muhme gemeinschaftliche Sache machten, so hatten wir alles, was zur menschlichen Nahrung und Notdurft erforderlich ist, beinahe im Überflusse; sondern nur, um einigen Leuten die irrige Meinung zu benehmen, die sie in diesem Punkte von uns gefaßt haben. Weil mir mein Vormund das versprochene Geld nicht schickte und ich doch die Profession mit Vorteil treiben wollte, so ging ich sechs Monate nach unserer Hochzeit noch einmal nach Treffurt zu ihm. Dieses Muster von – hatte mir doch im Anfange 170 Taler versprochen, nachgehends 109, allein nun sagte er, daß nach durchsuchter Rechnung (in fünfzehn Jahren hatte er keine Zeit zum Durchsuchen gehabt) sich's gefunden habe, daß ich etwa noch sechzig Taler bekommen würde. Da ich gar nicht wußte, was ich von diesem Vormundshandel denken sollte, so nahm ich mir vor, zu meinem Bruder zu gehen, um mich bei ihm zu erkundigen, wie er mit ihm gefahren sei. Als ich zu ihm kam, sagte er mir, daß es ihm auch nicht viel besser gegangen sei, und gab mir den Rat, zu nehmen, was ich bekommen könnte. Nur einen einzigen Zug von diesem lieben Vormunde will ich zur Erbauung aller derer, so Vormünder haben oder welche bedürfen, anführen. Im Jahr 1751 erbten wir etwa 700 Taler, welche in Laubtalern zu ein Taler, zwölf Groschen, vier Pfennig ausgeliehen wurden; im Siebenjährigen Kriege schrieb er uns, daß er das Kapital, und zwar den Dukaten im damaligen Werte zu vier Talern, habe einnehmen müssen; ich und mein Bruder waren noch Kinder und meine Mutter zu gut, als daß sie hätte wissen sollen, daß es Schurken dieser Art in der Welt gäbe, und wir mußten über die Hälfte dran verlieren; verstande er sich nun nicht mit dem Manne, der das Kapital hatte, welches doch wahrscheinlich ist, so wird ihm wenigstens niemand den Titel eines midasmäßigen Rechtsgelehrten absprechen, besonders da die Anzahl der Laubtaler in der Obligation angemerkt worden war. Weil von meiner Familie niemand wußte, daß ich weiter als nach Treffurt gegangen war, so wollte ich mich nicht lange aufhalten, sondern ging den folgenden Tag wieder von Bevern ab, wo mir unterwegens folgendes Nachtlager zuteil ward.

Ohnweit Göttingen kam ich auf ein Dorf, das Geismar heißt, wo ich über Nacht blieb. Im Wirtshause sahe ich außer dem Wirte, der eine Dragonermontierung anhatte, niemanden als eine alte Frau, die trauerte und alle Augenblicke in diese Worte »Ach Gott! ach Gott!« ausbrach. Nach dem Abendessen gab ich dem Wirte zu verstehen, daß er mich zu Bette bringen möchte, und da es kalt und ich vom Regen sehr durchnäßt war, so sahe ich es gerne, daß er mir ein Bette in der Stube neben den Ofen hin machte. Etwa um neun Uhr kamen drei Männer, die sich auf eine halbe Stunde mit ihm heimlich unterredeten, und ich hörte, daß er zu ihnen sagte: »Geht nur nach Hause, ich kann's allein verrichten.« Was konnte ich nun aus diesen Worten machen, nichts! und gleichwohl konnte ich kein Auge zutun. Um eilf Uhr hörte ich jemanden dem Wirte ein Zeichen geben, worauf er auf die Hausflur ging, und ich konnte sehr wohl hören, daß sie miteinander sprachen, aber kein Wort davon verstehen; worauf er wieder in die Stube kam, sich hinter den Tisch setzte, den Kopf darauf legte und so über denselben hinlauschend mich immer genau beobachtete. Nun wurde ich auf den Mann aufmerksam, der Schlaf den Augenblick verscheucht und ich so munter, als wenn ich schon ausgeschlafen hätte. Ich fing an, mich zu räuspern, damit er hören sollte, daß ich nicht schlief, und betrachtete ihn ebenso genau als er mich. Es mochte halb zwei Uhr sein, so stand er auf, nahm aus einem in der Wand befindlichen Schränkchen Papier nebst Feder und Dinte und tat, als ob er schreiben wollte; er wendete das Papier hin und her, tauchte die Feder in die Dinte, ohne jedoch einen Buchstaben zu machen; und aus der Art, wie er sich dabei benahm, war leicht zu schließen, daß er auch keinen machen konnte. Anfänglich wollte ich ihn fragen, warum er nicht schlafen ginge, doch er konnte sagen, daß er nicht schlafen könnte oder wegen irgendeinem Geschäfte wachen müßte. Ich zog meinen Mantel dicht über den Kopf, doch so, daß ich durch die Seitenöffnung hindurchsehen und den Wirt, der fortfuhr, seinen Bogen Papier hin und her zu wenden, beobachten konnte. Ich hielte mich anfangs ganz stille, um zu sehen, wo das verdrüßliche Spiel hinauswollte, fing aber nachgehends so stark zu schnarchen an, als wenn ich noch so fest schliefe. Nun stand der Wirt ganz leise auf, lauschte über den Tisch hinüber und kam, als ich zu schnarchen fortfuhr, ganz langsam hinter demselben hervor und gerade auf mich zu. Als er noch drei Schritte von mir war, sahe ich, daß er ein solches Messer, wie die Gärtner oder Winzer zu haben pflegen, in der Hand hatte, dessen Klinge glänzte, als wenn sie erst aus der Politur käme. Hier kann man sich meinen Schrecken vorstellen; was er eigentlich willens hatte, weiß ich nicht, allein alle Umstände ließen nicht viel Gutes vermuten; in meinen Mantel gehüllt, sprang ich auf und stellte mich gerade vor den Kerl hin, der, weil er mich vielleicht im tiefen Schlafe zu überraschen glaubte, wie vom Schlag gerührt dastand. Er frug mich mit auffallender Verwirrung, was mir fehlte, und verbarg das Messer unter seinem Dragonerrocke; weil ich nicht für gut fand, ihm Zeit, sich von seiner Betäubung zu erholen, zu geben, so sagte ich ihm, daß mir eine Ohnmacht bevorstünde und daß ich augenblicklich an die freie Luft müsse. Hierauf sagte er mit stotternder Stimme, daß ich nur auf die Hausflur zu treten brauchte, wo es lüftig genug sei, und machte mir die Stubentüre auf; als ich hinausging, dachte ich alle Augenblicke, er werde mich von hinten angreifen und mit dem noch unter dem Rocke verborgenen Messer die Kehle abschneiden. Zu meinem Glücke und zu seiner Beschämung fand ich nicht allein die Türe, die von der Hausflur auf den Hof, sondern auch die, so von da auf die Straße ging, offen; ich sah mich einen Augenblick um, als ich ihn nur noch in der Stubentür auf mich warten sah, so tat ich einige Sätze durch den Hof durch auf die Straße; und ob ich gleich, den Mantel ausgenommen, in bloßem Hemde und barfuß war, so glaubte ich doch der Hölle entflohen zu sein. Nun lief ich durch den Kot durch, der mir an manchen Orten bis an die Knie ging, bis zum ersten Bauernhaus, das ich im dunkeln erblickte; als ich anklopfte, frag der Bauer, wer da sei. Ich bat ihn hierauf, mich bis zu Tagesanbruch in sein Haus aufzunehmen. Ich müßte ins Wirtshaus gehen, war seine Antwort; ich sagte ihm, daß ich daraus käme, allein einer gewissen Ursache wegen nicht dableiben könne, er sollte mich nur einige Stunden (es war schon drei Uhr) ins Haus nehmen, ich sei barfuß und befürchte, die nasse, kalte Witterung möchte meiner Gesundheit schaden; doch nichts vermochte den Mann zu erweichen. Ich mußte also in der dunkeln Nacht, wo ich keine drei Schritte vor mich weg sehen konnte, wieder fort und mein Heil bei einem andern suchen. Da ich so im Dorfe herumwanderte, fand ich hinter einem Garten einen Rasen, worauf ich mich, um den Tag zu erwarten, legte und mich mit dem Mantel, so ich umgeworfen hatte, so gut ich konnte, zudeckte, weil ich lieber einige Stunden auf dem nassen Rasen liegen als noch so einen rohen Menschen bitten wollte. Als ich etwa eine halbe Stunde da zugebracht hatte, hörte ich in dem Hause, wozu der Garten gehörte, Fleisch zu Würsten hacken; weil ich nun glaubte, diese Leute, so noch munter waren, würden mich aufnehmen, und nicht ohne Grund nachteilige Folgen befürchten mußte, wenn ich bis den anbrechenden Tag auf dem nassen Rasen und in der Kälte zubringen wollte, so stand ich auf und ging über den niedergetretenen Zaun nach dem Hause zu; als ich anklopfte, kamen vier Leute heraus, die mich vom Kopf bis zum Fuß betrachteten. Ich bat auch diese, mir ein Obdach zu vergönnen, weil mir im Wirtshause etwas widerfahren sei; denn aus Furcht, in Weitläuftigkeiten zu geraten, wollte ich mich nicht deutlicher ausdrücken; allein auch diese waren gegen alles Bitten taub, ließen mich in der Nässe stehen und bewunderten nur, daß ich nicht in den im Garten befindlichen tiefen Teich, an dem ich dicht vorbeigekommen war, gefallen sei. Nun nahm ich mir vor, zu dem Pfarrer des Ortes zu gehen, um zu sehen, ob ich etwa bei ihm mehr Mitleid als bei seinen Eingepfarrten finden möchte, doch ehe ich zu ihm kam, sah ich einige mit Laternen versehene Leute im Dorfe herumgehen, welche ich für die Nachtwache hielt und auf sie zuging. Als ich zu ihnen kam, fand ich, daß es der Wirt nebst noch einigen Bauern war, so mich suchten, und unter andern auch der, so mich nicht hatte einlassen wollen, welcher nun bedauerte, daß er mir nicht aufgemacht habe. Ich bat ihn hierauf nebst noch zwei andern, daß sie die Nacht bei mir bleiben möchten, welches sie auch alle drei taten, ohne das Geld anzunehmen, so ich ihnen für die Mühe geben wollte. Jetzt frugen mich diese Leute, was mir widerfahren sei, weil sie nicht glauben könnten, daß ich diese nächtliche Wanderung aus einer kleinen Ursache unternommen hätte. Da ich mich, wie gesagt, keiner Weitläuftigkeit bloßstellen wollte, so sagte ich ihnen, daß da ich so nah am Ofen gelegen hätte, so sei wahrscheinlich der schnelle Übergang aus der Hitze in die Kälte Ursach gewesen, daß ich wie außer mir selbst gekommen und so ins Dorf gelaufen sei. Als ich des Morgens meinen Weg weiter fortsetzen wollte, waren mir die Füße durch die Nässe so aufgelaufen, daß ich die Hinternähte der Stiefeln aufschneiden mußte, um selbige anziehen zu können. Dieses Histörchen, so sich 1783 gegen Ende des Februar zugetragen hat, muß den Einwohnern des genannten Dorfes noch wohl bekannt sein.


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