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Sechzehntes Kapitel

Ein trauriger Auftritt

Hier in Cremona war es, wo ich unter das kaiserliche Militär trat, bei dem Riedschen Regimente als Fourier angestellt wurde und zwei Jahre sehr angenehm durchlebte, denn ich war so glücklich, an dem Wundarzt Herrn Schley und dessen liebenswürdiger Gattin wahrhafte Freunde zu finden. Sie waren beide aus Deutschland, er der Sohn des ersten Arztes des Landgrafen von Hessen-Hanau und sie eine vornehme Kaufmannstochter aus Hanau. Um unsere Freundschaft recht dauerhaft zu machen, hatte ich die Ehre, bei ihrem ersten Kinde Patenstelle zu vertreten; und wünschte noch einmal nach Italien zu kommen, so wäre es gewiß, um diesen Freunden noch einmal zu sagen, daß ich ihre Freundschaft mit ins Grab nehmen werde. Allein nach Verlauf einiger Zeit hatte ich das Unglück, in eine schwere Krankheit zu verfallen, welche beinah zwei ganze Jahre dauerte.

Eines Abends hatte ich etwas mit Ekel gegessen, worauf mir so übel wurde, daß ich mich noch dieselbe Nacht ins Spital tragen lassen mußte; doch erholte ich mich bald wieder und hatte mich schon als Rekonvaleszent gemeldet, als ich plötzlich einen Gichtkrampf am linken Fuß bekam, welcher mir entsetzlichen Schmerz verursachte und ihn so zusammenzog, daß die Ferse kaum einen halben Schuh vom Leibe entfernt war. Hierzu kam noch ein schmerzhafter Geschwulst, der sich am linken Knie ansetzte, nebst einem hitzigen Fieber, so daß ich geraume Zeit nichts von mir wußte, als wenn mich der große Schmerz am Knie an mein trauriges Dasein erinnerte. Achtzehn Monate hatte ich in diesen betrübten Umständen zugebracht und mehrmal gehört, daß sie mir den Fuß abnehmen wollten, als der Regimentsfeldscher einst vor mein Bette kam und sagte, daß er kein ander Mittel wisse, um mich von dem unbeschreiblichen Schmerz zu befreien, als den Fuß gar abzunehmen, und beratschlagte sich mit dem Bataillonfeldscher, der gewöhnlich alle Operationen verrichtete, ob es ober oder unter dem Knie geschehen sollte. Man kann leicht denken, wie mir zumute war und daß ich mich widersetzte; allein was würde es geholfen haben, wenn sie auf ihrer Meinung bestanden hätten, denn ein Schlaftrunk würde mich außerstand gesetzt haben, es zu verhindern. Zufälligerweise kam der berühmte Doktor und erste Arzt der kaiserlichen Spitäler in der Lombardei, Herr Borgieri, dazu, welcher sich nie um mich bekümmert hatte, weil die Externen nicht unter seine Aufsicht gehörten. Dieser frug den Regimentsfeldscher, was er da für einen Patienten habe und worüber sie konsultierten. Nachdem er ihre Meinung, mir den Fuß abzunehmen, gehört hatte, kam er zu mir, untersuchte die Sache selbst und sagte hierauf zu den Feldschers, er glaube, man könne mich ohne Aufopferung des Fußes wiederherstellen. Dieses mochte den mehrgedachten Regimentsfeldscher sehr verdrossen haben, denn er ging wohl vier Wochen vor meinem Bette vorbei, ohne daß ich etwas anders als ein mechanisches »Come và signore?« von ihm gehört hätte. Einst sagte ich diese nachlässige Behandlung dem erwähnten Doktor, der den Kopf schüttelte und mir versprach, sich meiner anzunehmen, welches er auch redlich hielt. Das erste, was er mit mir vornahm, war, daß zwei Krankenwärter wechselsweise das Knie mit einem Marke rieben und dabei die Hände über einem Kohlenfeuer wärmen mußten, anstatt daß der Regimentsfeldscher wollene, in warmes Seifenwasser, Milch oder Essig getauchte Tücher darum hatte schlagen lassen. Als dieses einige Wochen beobachtet worden war, mußten sie den Fuß zu gleicher Zeit ein wenig bewegen, welches mir im Anfange entsetzlich schmerzte. Hierauf ließ er mir zwei Krücken machen, welche so bequem waren, als nur immer solche traurige Werkzeuge sein können. Das erste Mal, als ich aus dem Bette kam, konnte ich nur einige Schritte weit hinken und wurde noch dazu vom Regimentsfeldscher verspottet, welcher mich mehrmals frug, ob ich eine Furlana (ein italienischer hüpfender Tanz) mitmachen wollte. In dieser Zeit kam unser Regimentssprachmeister Herr Hoffmann auch ins Spital. Dieser war jederzeit einer von meinen besten Freunden, er nahm viel Anteil an meinem Schicksale und gab mir den Rat, die italienische Sprache nach der Grammatik zu lernen, weil ich befürchten müßte, wegen meinen wenigen Dienstjahren den Abschied ohne alle Pension zu erhalten; weil ich nun auch wußte, daß ich von Hause nicht viel zu gewarten hatte und es gar nicht wahrscheinlich war, daß ich von der erlernten Profession würde Gebrauch machen können, so gab ich mir soviel Mühe, daß ich mich, ohne zu erröten, jedem Examen in dieser Sprache unterwerfen kann.

Als ich soweit wiederhergestellt war, daß ich mit einer Krücke gehen konnte, verließ ich das Spital und ging zur Compagnie, wo ich nicht lange war, als Befehl kam, daß die halben Invaliden aufgeschrieben und zu dem ersten Garnisonregimente geschickt werden sollten, welcher Gelegenheit ich mich bediente, um die Mehadier-Bäder zu brauchen. Nicht ohne Rührung nahm ich von der Schleyischen Familie und vom Herrn Hoffmann Abschied und begab mich nebst noch mehr andern Unteroffizieren und Gemeinen nach Mantua, wo wir in der Zitadelle so lange liegenblieben, bis die andern, die mit uns gehen sollten, zu uns kamen.


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