Anne Louise Germaine von Staël
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Anne Louise Germaine von Staël

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Vom Enthusiasmus

Viele Menschen sind gegen den Enthusiasmus eingenommen; sie vermengen ihn mit dem Fanatismus, und dies ist ein schwerwiegender Irrtum. Der Fanatismus ist eine ausschließliche Leidenschaft, deren Gegenstand eine Meinung ist; der Enthusiasmus schließt sich an die allgemeine Harmonie an; er ist die Liebe zum Schönen, die Erhebung des Gemüts, die Freude an der Aufopferung, vereinigt in einem Gefühl, das zugleich Größe und Ruhe in sich trägt.

Die edelste Definition ist der wörtliche Sinn bei den Griechen. Enthusiasmus bedeutet: Gott in uns. Wirklich, wenn die Existenz des Menschen ausgedehnt ist, so hat sie etwas Göttliches.

Alles, was uns zur Aufopferung unseres eigenen Wohlbefindens oder unseres Lebens treibt, rührt beinahe immer vom Enthusiasmus her; denn der gerade Weg der egoistischen Vernunft muß sein, sich selbst für das Ziel aller Anstrengungen zu halten, und von dieser Welt kein anderes gut zu schätzen, als Gesundheit, Geld und Macht. Zweifellos reicht das Gewissen aus, um den allerfrostigsten Charakter auf die Bahn der Tugend zu leiten; aber der Enthusiasmus verhält sich zum Gewissen, wie die Ehre zur Pflicht. Es gibt in uns eine Fülle des Gemüts, die man dem, was schön ist, mit Freuden weiht, wenn die Forderungen des Guten erfüllt sind. Genie und Phantasie bedürfen auch einiger Sorge für ihr Glück in dieser Welt; und das Gesetz der Pflicht reicht nicht aus, um alle Wunder des Herzens und des Gedankens zu genießen.

Es läßt sich nicht leugnen, daß die Angelegenheiten der Persönlichkeit den Menschen von allen Seiten bedrängen; selbst in dem, was gemein ist, liegt ein gewisser Genuß, für den viele große Empfänglichkeit zeigen, und man findet die Spuren unedler Neigungen oft unter dem Schein der ausgezeichnetsten Manieren wieder. Die größten Talente schützen nicht immer gegen diese unedle Natur, welche ganz leise über das Dasein der Menschen gebietet und sie ihr Glück in Dingen finden läßt, die unter ihrer Würde sind. Nur der Enthusiasmus kann die Neigung zur Selbstsucht aufwiegen, und gerade an diesem Zeichen soll man die unsterblichen Geschöpfe erkennen. Spricht man mit jemand über Dinge, die einer heiligen Achtung würdig sind, so bemerkt man sofort, ob er eine edle Bewegung empfindet, ob sein Herz für erhabene Gesinnungen schlägt, ob er mit dem anderen Leben ein Bündnis geschlossen hat, oder ob er nur das bißchen Verstand besitzt, das zur Leitung des Mechanismus seines Daseins dient. Und was ist denn das menschliche Wesen, wenn man in ihm nichts weiter erkennt, als eine Klugheit, die auf den eigenen Vorteil abzielt? Noch besser ist der Instinkt der Tiere; denn er ist bisweilen großmütig und stolz. Gerade die Berechnung, die das Attribut der Vernunft zu sein scheint, macht zuletzt unfähig zur ersten aller Tugenden, zur Aufopferung.

Man beschuldigt oft den aufrichtigen Enthusiasmus dessen, was nur dem affektierten zum Vorwurf gemacht werden kann; je schöner ein Gefühl, desto verhaßter wird die falsche Nachahmung. Das größte Verbrechen ist, sich die Bewunderung der Menschen ungerechterweise zu verschaffen; denn man vertrocknet in ihnen die Quelle der guten Regungen, indem man sie nötigt, darüber zu erröten, daß sie dergleichen empfunden haben. Außerdem ist nichts peinlicher, als die falschen Töne, die aus dem Heiligtum des Gemüts selbst hervorzugehen scheinen. Mag sich die Eitelkeit alles das aneignen, was äußerlich ist; es wird daraus kein anderes Übel entstehen, als das der Anmaßung und des Häßlichen. Wenn sie sich aber herausnimmt, die innigsten Gefühle nachzumachen: so scheint es, als verletze sie den letzten Zufluchtsort, wo man ihr zu entkommen glaubte.

Es ist indessen nicht schwer, die Aufrichtigkeit im Enthusiasmus zu erkennen. Dies ist eine so reine Melodie, daß der geringste Mißton ihren ganzen Zauber zerstört; ein Wort, ein Ton, ein Blick drücken die konzentrierte Bewegung aus, die einem ganzen Leben entspricht. Menschen, die man in der Welt streng nennt, haben sehr oft etwas Exaltiertes an sich. Die Kraft, die andere unterwirft, kann nur eine kalte Berechnung sein; die Kraft hingegen, die über sich selbst triumphiert, ist immer durch ein großmütiges Gefühl inspiriert.

Wenn man auch nicht das Übermaß des Enthusiasmus zu fürchten hat, so trägt er vielleicht im allgemeinen zur Kontemplation bei, die der Tatkraft schadet. Die Deutschen sind ein Beweis dafür. Keine Nation ist fähiger zu fühlen und zu denken; aber wenn der Augenblick eintritt, wo gehandelt werden muß, so schadet der Umfang der Begriffe der Entschiedenheit des Charakters. Enthusiasmus und Charakter unterscheiden sich stark. Wählen muß man sein Ziel aus Enthusiasmus; darauf losgehen aber aus Charakter. Der Gedanke ist nichts ohne Enthusiasmus; nichts die Handlung ohne Charakter. Für die literarischen Nationen ist der Enthusiasmus alles; der Charakter aber für die handelnden. Freie Nationen bedürfen des einen und des anderen.

Die Selbstsucht spricht unaufhörlich und mit Wohlgefallen über die Gefahren des Enthusiasmus, und diese angebliche Furcht ist ein wahres Gespött. Denn wenn die wendigen Leute dieser Welt aufrichtig sein wollten, so würden sie eingestehen, daß ihnen nichts lieber ist, als mit Personen zu tun zu haben, für die so manche Mittel ganz unmöglich sind, und die so gern auf das verzichten, was die meisten Menschen beschäftigt.

Diese Stimmung der Seele besitzt bei aller Sanftheit Stärke, und wer sie empfindet, schafft edle Standhaftigkeit. Die Stürme der Leidenschaften schweigen, die Freuden der Eigenliebe welken dahin; nur der Enthusiasmus ist unerschütterlich. Das Gemüt selbst würde unter der Last des physischen Daseins erliegen, wenn nicht etwas Stolzes und Beseeltes das vulgäre Übergewicht der Selbstsucht schwächte. Diese moralische Würde, der nichts beikommen kann, ist in dem Geschenk des Daseins das Bewundernswerteste. Um ihretwillen ist es, selbst unter den herbsten Schmerzen, noch immer schön, gelebt zu haben, wie es schön sein würde zu sterben.


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