Anne Louise Germaine von Staël
Deutschland
Anne Louise Germaine von Staël

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die schönen Künste

Im allgemeinen haben die Deutschen mehr Empfänglichkeit für die Kunst, als sie Geschicklichkeit besitzen, diese Kunst auszuüben. Kaum haben sie einen Eindruck erhalten, so ziehen sie daraus eine Menge Ideen. Sie sprechen viel von Geheimnis, aber nur um es zu offenbaren, und man kann keine Art von Eigentümlichkeit in Deutschland aufweisen, ohne daß jeder erklären will, wie man dazu gekommen ist. Dies ist ein wesentlicher Nachteil; besonders für die Künste, wo alles Sensation ist. Sie werden zergliedert, ehe man sie gefühlt hat, und wenn man hinterher auch sagt, daß die Zergliederung überflüssig sei: so hat man doch die Frucht von dem Baum der Erkenntnis genossen, und die Unschuld des Talents ist dahin.

Nicht, daß ich in Beziehung auf die Künste jene Unwissenheit empfehlen möchte, die ich in Fragen der Literatur zu tadeln nicht aufgehört habe. Allein man muß unterscheiden zwischen den Studien, die sich auf die Ausübung der Kunst beziehen, und zwischen denen, in denen die Theorie des Schaffens sich ausdrückt. Diese, wenn sie allzuweit getrieben werden, ersticken die Erfindung. Man wird verwirrt durch die Erinnerung an alles, was über ein Meisterwerk gesagt worden ist; man fühlt zwischen sich und dem Gegenstande, den man malen will, eine Menge von Abhandlungen über Malerei und Bildhauerei, über das Ideale und das Reale; und der Künstler ist nicht mehr allein mit der Natur. Zweifellos ist die Aufmunterung der Geist aller dieser Handlungen; allein durch allzu viel Aufmunterung ermüdet man das Genie, wie man es durch allzuviel Zwang erstickt, und in Dingen, die von der Einbildungskraft abhängen, bedarf es einer so glücklichen Mischung von Hindernissen und Erleichterungen, daß Jahrhunderte vergehen können, ohne daß man den rechten Punkt erreicht, wo die Blüte des menschlichen Geistes in ihrer ganzen Kraft hervorbricht.

Vor der Reformation hatten die Deutschen eine Schule der Malerei, die die italienische Schule nicht ablehnte. Albrecht Dürer, Lucas Cranach, Holbein haben in ihrer Manier zu malen, Ähnlichkeit mit den Vorgängern Raphaels, Perugino, Andreas Mantegna usw. Holbein nähert sich dem Leonardo da Vinci. Im Ganzen zeigt sich indessen in der deutschen Schule mehr Härte, als in der italienischen, obwohl nicht weniger Ausdruck und Andacht in den Physiognomien. Die Maler des fünfzehnten Jahrhunderts besaßen wenig Kenntnis von den Mitteln der Kunst; dafür bricht aus ihren Werken eine rührende Treuherzigkeit und Bescheidenheit hervor. Man entdeckt keine Ansprüche auf ehrgeizige Wirkungen, man fühlt nur jene innige Bewegung, für die alle Menschen von Talent eine Sprache suchen.

In den Gemälden des vierzehnten und fünfzehnten Jahrhunderts sind die Falten der Gewänder ganz gerade, die Kopfbekleidung ein wenig starr und die Stellungen höchst einfach; aber in dem Ausdruck der Figuren ist etwas, das man zu betrachten nicht müde wird. Gemälde, welche die christliche Religion eingegeben hat, bewirken einen Eindruck, der mit dem der Psalmen große Ähnlichkeit hat, die die Poesie mit der Frömmigkeit so bezaubernd vermischen.

Die zweite und schönere Epoche der Malerei war die, wo die Maler die Wahrheit des Mittelalters beibehielten, indem sie ihr den vollen echten Glanz der Kunst beigesellten. Bei den Deutschen entspricht nichts dem Jahrhundert Leos des Zehnten. Gegen das Ende des siebzehnten bis zur Mitte des achtzehnten Jahrhunderts gerieten die schönen Künste beinahe überall in einen sonderbaren Verfall. Der Geschmack artete in Affektation aus. Jetzt offenbarte sich der große Einfluß Winkelmanns nicht nur auf sein Vaterland, sondern auch auf das übrige Europa. Seine Schriften gaben jeder künstlerischen Einbildungskraft die Richtung nach dem Studium und der Bewunderung der Denkmäler des Altertums. Er verstand sich aber besser auf Bildhauerei, als auf Malerei; auch bestimmte er die Maler, in ihre Werke mehr kolorierte Statuen aufzunehmen, als überall die lebendige Natur fühlbar zu machen. Indessen verliert die Malerei durch Annäherung an die Bildhauerei den besten Teil ihres Zaubers; denn die Täuschung, die der einen notwendig ist, steht den unbeweglichen und ausgesprochenen Formen der anderen entgegen. Nehmen die Maler ausschließend die antike Schönheit zum Modell, die sie nur aus Statuen kennen: so geschieht ihnen, was man der klassischen Literatur der Modernen zum Vorwurf macht, nämlich, daß sie die Wirkungen der Kunst nicht in ihrer eigenen Begeisterung schöpfen.

Mengs, ein deutscher Maler, hat sich in seinen Schriften über die Kunst als ein philosophischer Denker gezeigt. Als Winkelmanns Freund teilte er dessen Bewunderung für die Antike. Trotzdem hat er sehr oft die Fehler vermieden, die man den durch Winkelmanns Schriften gebildeten Malern zum Vorwurf machen kann: Künstlern, die sich größtenteils auf die Nachbildung der alten Meisterstücke beschränken. Mengs hatte sich auch den Correggio zum Muster genommen, d. h. einen Meister, der sich in seinen Gemälden von der Gattung der Bildhauerei entfernt und in seinem Helldunkel die unbestimmten und köstlichen Eindrücke der Melodie wachruft.

Bis zu dem Augenblick, wo die neue Schule ihren Einfluß auch auf die schönen Künste erstreckte, hatten die deutschen Künstler beinahe ohne Ausnahme Winkelmanns Meinungen übernommen. Goethe, dessen universellen Geist wir überall wiederfinden, hat in seinen Werken gezeigt, daß er den wahren Genius der Malerei weit besser begriff, als Winkelmann. Doch, wie dieser, überzeugt, daß die Gegenstände der christlichen Welt die Kunst nicht begünstigen, sucht er den Enthusiasmus für die Mythologie der Alten wieder zu erwecken; und dies ist ein Versuch, der nie gelingen kann. Vielleicht sind wir gleich unfähig, Christen oder Heiden zu sein; doch wenn die schöpferische Einbildungskraft zu irgendeiner Zeit im Menschen wieder aufleben sollte, so wird sie sich nicht durch Nachahmung der Alten fühlbar machen.

Die neue Schule folgt in den schönen Künsten demselben System wie in der Literatur: sie erklärt nämlich das Christentum ganz laut für die Quelle des Genies der Modernen. Die Schriftsteller dieser Schule charakterisieren auch auf eine ganz neue Weise das, was in der gotischen Baukunst zu den religiösen Gefühlen der Christen paßt. Daraus folgt nun freilich nicht, daß die Modernen nur gotische Kirchen bauen können und dürfen; weder Kunst noch Natur wiederholen sich. Das einzige, worauf es ankommt bei dem gegenwärtigen Schweigen des Talents ist, die Verachtung zu beseitigen, mit der man alle Schöpfungen des Mittelalters behandeln wollte. Unbestritten brauchen wir sie nicht anzunehmen: aber nichts schadet der Entwicklung des Genies mehr, als alles Originelle als barbarisch zu betrachten.

Ich habe, als ich von Deutschland redete, bereits die Bemerkung gemacht, daß es dort wenig merkwürdige moderne Gebäude gebe. Im Norden von Deutschland sieht man im ganzen nur gotische Denkmäler und die Natur und die Poesie unterstützen die Stimmungen des Gemüts, die diese Denkmäler hervorrufen. Ein deutscher Schriftsteller, namens Görres, hat eine interessante Beschreibung einer alten Kirche geliefert. Man sieht, sagt er, Figuren von Rittern, die mit gefalteten Händen auf einem Grabmal knien. Oben sind einige wunderbare Seltenheiten Asiens angebracht, die nur da zu sein scheinen, um als stumme Zeugen die Reise des Verstorbenen nach dem gelobten Lande zu bestätigen. Die dunklen Bogengänge der Kirche bedecken die Entschlafenen mit ihren Schatten; und man könnte glauben, man befinde sich in einem Walde, dessen Zweige und Blätter der Tod dermaßen durchdrungen hat, daß sie sich nicht wiegen und bewegen können, wenn die Jahrhunderte, gleich den Nachtwinden, sich fangen in ihren verlängerten Gewölben. Die Orgel läßt in der Kirche ihre majestätischen Töne hören; bronzene Inschriften, halb zerstört von dem feuchten Hauch der Zeit, deuten verworren die Großtaten an, die, nachdem sie lange glänzende Wahrheit gewesen sind, nun wieder zur Fabel werden.

Wenn man sich in Deutschland mit den Künsten beschäftigt, so möchte man immer lieber von den Schriftstellern, als von den Künstlern reden. In jeder Beziehung sind die Deutschen stärker in der Theorie, als in der Praxis, und der Norden in den Künsten, die das Auge treffen, so wenig günstig, daß man sagen möchte, es sei ihm nur der Geist des Nachdenkens gegeben worden, um dem Süden zum Zuschauer zu dienen.

Man findet in Deutschland eine Menge Bildergalerien und Sammlungen von Zeichnungen, die die Liebe zu den Künsten in allen Klassen der Gesellschaft beweisen. Bei großen Herren und bei Gelehrten trifft man Kopien der Meisterstücke des Altertums. Goethes Haus ist in dieser Hinsicht besonders merkwürdig. Er liebt nicht bloß das Vergnügen, das der Anblick von Statuen und Gemälden großer Meister gewähren kann; er glaubt sogar, daß Genie und Gemüt dadurch gewinnen. »Ich würde vollkommener werden«, sagt er, »wenn ich den Kopf des olympischen Jupiter, den die Alten so sehr bewundert haben, vor Augen hätte.« Mehrere ausgezeichnete Maler haben sich in Dresden niedergelassen; die Meisterwerke der dortigen Galerie wecken Talent und Nacheiferung. Jene Jungfrau Raphaels, die zwei Kinder betrachtet, ist für sich allein ein Schatz; in dieser Figur ist eine Erhebung und eine Reinheit, die das Ideal der Religion und der inneren Stärke des Gemüts ist. Die Vollkommenheit der Züge ist in diesem Gemälde nur ein Symbol; die langen Gewänder, ein Ausdruck der Scham, wenden alles Interesse auf das Gesicht hin, und die Physiognomie, noch bewundernswürdiger als die Züge, ist gewissermaßen die himmlische Schönheit, die sich durch die irdische offenbart. Das Christuskind, das die Mutter in ihren Armen hält, ist höchstens zwei Jahre alt; aber der Maler hat die mächtige Kraft des himmlischen Wesens in dem kaum gebildeten Gesicht auf wunderbare Weise auszudrücken gewußt. Der Blick der kindlichen Engel, die unten angebracht sind, ist entzückend; nur die Unschuld dieses Alters hat noch Zauber neben der himmlischen Reinheit. Ihr Erstaunen beim Anblick der strahlenden Jungfrau gleicht der Überraschung, die Menschen empfinden könnten; ihre Miene sagt, daß sie mit Vertrauen anbeten, weil sie in ihr eine Bewohnerin desselben Himmels erkennen, den sie vor kurzem verlassen haben.

Correggios Nacht ist, nach Raphaels Jungfrau, das schönste Meisterwerk der Dresdner Galerie. Man hat die Anbetung der Hirten sehr oft dargestellt; aber da die Neuheit des Gegenstandes nichts bedeutet gegenüber dem Vergnügen, das die Malerei verursacht, so reicht die Art und Weise, wie das Gemälde Correggios gedacht ist, für die Bewunderung desselben aus. In der Mitte der Nacht erhält das Kind auf dem Schoße seiner Mutter die Huldigungen der Hirten. Das Licht, das von dem Heiligenschein, der sein Haupt umgibt, ausgeht, hat etwas Erhabenes. Die Personen, die fern von dem göttlichen Kinde in den Hintergrund des Gemäldes gestellt sind, befinden sich noch in der Dunkelheit, und man möchte sagen, diese Dunkelheit sei das Sinnbild des menschlichen Lebens, ehe die Offenbarung es aufgehellt hatte.

Unter den verschiedenen Gemälden moderner Künstler zu Dresden erinnere ich mich eines Kopfes von Dante, der ein wenig den Charakter der Figur Ossians in dem schönen Gemälde von Gérard hatte. Diese Analogie ist glücklich. Dante und Fingals Sohn können sich über Jahrhunderte und Wolken hin die Hände reichen.

Ein Gemälde von Hartmann stellt den Besuch der Magdalena und der beiden Frauen, Maria genannt, am Grabe Christi vor. Ihnen erscheint der Engel, um ihnen anzukündigen, daß Christus auferstanden ist. Der geöffnete Sarg, der keine sterblichen Überreste mehr enthält, die Frauen, von bewundernswürdiger Schönheit, die ihre Blicke gegen den Himmel wenden, um dort denjenigen wiederzusehen, den sie in den Schatten des Grabes gesucht hatten, bilden ein Gemälde, das zugleich malerisch und dramatisch ist.

Schick, ein anderer deutscher Künstler, der sich jetzt zu Rom niedergelassen hat, ist Urheber eines Gemäldes, das das erste Opfer Noahs nach der Sintflut darstellt. Die Natur, durch die Gewässer verjüngt, scheint eine neue Frische erhalten zu haben; die Tiere zeigen Vertraulichkeit mit dem Patriarchen und dessen Kindern, weil sie gemeinschaftlich der allgemeinen Flut entgangen sind. Das Grün, die Blumen und der Himmel sind gemalt mit lebhaften und natürlichen Farben, die die Sensation orientalischer Landschaften zurückrufen. Mehrere andere Künstler bemühen sich, wie Schick, dem neuen System, das in der literarischen Poesie eingeführt, oder vielmehr erneuert ist, zu folgen; aber die Künste bedürfen des Reichtums, und große Glücksgüter sind in den verschiedenen Städten Deutschlands zerstreut. Außerdem besteht in Deutschland der wirkliche Fortschritt, den man gemacht hat, darin, daß man die alten Meister ihrem Geiste nach fühlt und kopiert. Das ursprüngliche Genie hat sich noch nicht stark ausgesprochen.

Die Bildhauerei ist in Deutschland mit keinem sonderlichen Erfolg geübt worden, teils weil es an Marmor fehlt, der die Meisterwerke unsterblich macht, teils weil die Deutschen weder den Takt noch die Anmut der Stellungen und Gesten haben, die nur die Gymnastik oder der Tanz schaffen können. Dabei rivalisiert ein Däne, namens Thorwaldsen, der sich in Deutschland gebildet hat, gegenwärtig zu Rom mit Canova, und sein Jason gleicht dem, den Pindar als den schönsten Mann beschreibt; ein Vließ liegt um seinen linken Arm, eine Lanze trägt er in der Hand, und die Ruhe der Kraft charakterisiert den Helden.

Ich habe bereits gesagt, daß die Bildhauerei im allgemeinen dabei verliert, daß der Tanz so ganz vernachlässigt wird. Das einzige Phänomen, welches es in dieser Kunst in Deutschland gibt, ist Ida Brun, ein junges Mädchen, das durch sein gesellschaftliches Dasein von dem Künstlerleben geschieden ist.

Die Deutschen zeichnen sich in der Instrumentalmusik aus. Die Kenntnisse, die sie erfordert, und die Geduld, deren es zu ihrer Ausführung bedarf, sind ihnen ganz natürlich; sie besitzen auch Komponisten von sehr mannigfaltiger und sehr fruchtbarer Einbildungskraft. Nur eine Einwendung möchte ich gegen ihr Genie als Musiker machen: sie bringen zu viel Geist in ihre Werke, sie denken zu viel über das, was sie machen. In den schönen Künsten steht der Instinkt über dem Gedanken. Die deutschen Komponisten folgen dem Sinn der Worte allzu genau; freilich ein großes Verdienst für die, welche die Worte höher achten, als die Musik, wobei sich auch nicht leugnen läßt, daß der Mangel an Übereinstimmung zwischen dem Sinn der einen und dem Ausdruck der anderen sehr unangenehm sein kann. Die Italiener, welche die wahren Natur-Musiker sind, passen die Gesangsweisen den Worten nur auf sehr allgemeine Weise an. Da in Romanzen, in Gassenliedern wenig Musik ist, so mag man dies Wenige den Worten unterwerfen; aber in den großen Wirkungen der Melodie muß man das Gemüt durch eine unmittelbare Sensation bestürmen.

Wer die Malerei an und für sich wenig liebt, legt doch einen hohen Wert auf die Gegenstände der Gemälde; denn er möchte darin die Eindrücke dramatischer Szenen wiederfinden. Ebenso geht es in der Musik. Empfindet man sie nur schwach, so verlangt man, daß sie sich selbst den geringsten Abstufungen der Worte mit Treue anschmiege; allein, wenn sie das Innerste des Gemüts aufregt, so ist jede Aufmerksamkeit, die ihr nicht ausschließlich gewidmet wird, nur eine lästige Zerstreuung, und vorausgesetzt, daß zwischen dem Gedicht und der Musik kein Gegensatz vorhanden ist, überläßt man sich der Kunst, die den Sieg über alle davon tragen muß. Denn die süße Träumerei, in die sie uns versenkt, vernichtet die Gedanken, die die Worte ausdrücken können, und indem die Musik das Gefühl des Unendlichen in uns weckt, muß alles, was darauf hinzielt, den Gegenstand der Melodie hervorzuheben, ihre Wirkung vermindern.

Gluck, den die Deutschen mit Recht zu ihren genialen Männern rechnen, hat auf wunderbare Weise den Gesang den Worten anzupassen verstanden, und in mehreren seiner Opern durch den Ausdruck der Musik mit dem Dichter gewetteifert. Als Alceste für Admet zu sterben beschließt, und dieses ganz im stillen den Göttern dargebrachte Opfer ihrem Gemahl das Leben wiedergibt, ist der Kontrast der fröhlichen Gesangsweisen, welche die Wiedergenesung des Königs feiern, und der unterdrückten Seufzer der Königin, die ihn zu verlassen verurteilt ist, von wahrhaft tragischer Wirkung. In der Iphigenie auf Tauris sagt Orest: Die Ruhe kehrt zurück in mein Gemüt, – und die Arie, die er singt, drückt dieses Gefühl aus; allein die Begleitung dieser Arie ist düster und bewegt. Erstaunt über diesen Kontrast, wollten die Musiker bei der Aufführung diese Begleitung mäßigen; aber Gluck ward böse und rief ihnen zu: »Kehrt euch nicht an den Orest; er sagt zwar, er sei ruhig, aber er lügt.« Indem Poussin die Tänze der Schäferinnen malt, setzt er in die Landschaft den Grabstein eines junges Mädchens mit der Inschrift: Auch ich war in Arkadien; In dieser Manier, die Künste aufzufassen, ist, wie in Glucks scharfsinnigen Kombinationen, etwas Gedachtes. Aber die Künste sind über den Gedanken erhaben; ihre Sprache sind die Farben, oder die Formen, oder die Töne. Könnte man sich die Eindrücke vorstellen, deren unsere Seele vor ihrer Bekanntschaft mit dem Worte empfänglich sein muß, so würde man die Wirkung der Malerei und der Musik besser begreifen.

Von allen Musikern hat vielleicht Mozart in dem Talent, die Musik mit Worten zu vermählen, den größten Verstand gezeigt. In seinen Opern, und besonders in »Don Juan« hat er alle Abstufungen dramatischer Szenen fühlbar gemacht; der Gesang ist voll Fröhlichkeit, während die buntscheckige und starke Begleitung den phantastischen und düsteren Gegenstand des Stücks anzudeuten scheint. Zwar gewährt auch diese geistige Vermählung des Musikers mit dem Dichter ein Vergnügen; allein es erwächst aus der Reflexion und gehört nicht in den Zauberkreis der Künste.

Ich habe in Wien die »Schöpfung« von Haydn gehört. Vierhundert Musiker führten sie zusammen auf: ein würdiges Fest zur Ehre des Werks, das dadurch gefeiert wurde. Aber auch Haydn schadete bisweilen seinem Talent durch seinen Verstand. Bei den Worten des Textes: Gott sprach, es werde Licht, und es ward Licht, spielten die Instrumente anfangs leise, so daß sie kaum vernehmbar waren, dann aber brachen sie plötzlich mit einem fürchterlichen Lärm los, der den Glanz des Tages anzeigen sollte. Auch sagte ein Mann von Geist: »Bei der Erscheinung des Lichts muß man sich die Ohren zuhalten.«

Nachahmung und Ausdruck sind in den schönen Künsten von einander verschieden. Darüber ist man, glaub' ich, einer Meinung, daß die nachahmende Musik verbannt werden müsse. Aber über die Ausdrucks-Musik bleiben noch zwei Ansichten übrig. Einige wollen in ihr die Übersetzung der Worte finden; andere, und zwar die Italiener, begnügen sich mit einem allgemeinen Verhältnis zwischen den Lagen des Stücks und der Absicht der Arien, und suchen das Vergnügen der Kunst einzig in ihr selbst. Die Musik der Deutschen ist mannigfaltiger, als die der Italiener. Aber die Künste, wie die Gefühle, haben eine bewundernswürdige Eintönigkeit, die nämlich, aus der man einen ewigen Augenblick machen möchte.

Die Kirchenmusik ist in Deutschland minder schön als in Italien, weil die Instrumente in ihr vorherrschen. Wenn man zu Rom das Miserere, von Menschenstimmen gesungen, gehört hat, so erscheint alle Instrumentalmusik, selbst die der Dresdner Kapelle, als irdisch. Die Violinen und Trompeten machen einen Bestandteil des Dresdener Orchesters während des Gottesdienstes aus, und die Musik ist mehr kriegerisch als religiös. Der Kontrast der lebhaften Eindrücke, die sie bewirkt, mit der kirchlichen Andacht, ist nicht angenehm. Man muß das Leben nicht in der Nähe von Gräbern beseelen. Die Kriegsmusik treibt zur Aufopferung des Daseins.

Auch die Musik der Wiener Kapelle verdient gerühmt zu werden. Von allen Künsten, welche die Wiener schätzen, ist die Musik die erste. Ich habe zu Wien das Requiem gehört, das Mozart einige Tage vor seinem Tode komponiert hatte, und das in der Kirche am Tage seines Leichenbegängnisses gesungen wurde. Was ist rührender, als ein Mann von überwiegendem Talent, der auf diese Weise sein eigenes Leichenbegängnis feiert, und zugleich von dem Gefühl seines Todes und seiner Unsterblichkeit begeistert ist!

»Man muss sich in unseren neueren Zeiten auf einen europäischen Standpunkt erheben.«

Frau von Staël.


 << zurück weiter >>