Anne Louise Germaine von Staël
Deutschland
Anne Louise Germaine von Staël

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Die deutsche Sprache

Wenn man den Geist und den Charakter einer Sprache studiert, so lernt man die philosophische Geschichte der Meinungen, der Sitten und Nationalgewohnheiten; und die Umwandlungen der Sprache müssen über die Bahn des Gedankens notwendigerweise sehr viel Licht verbreiten. Allein solch eine Analyse würde ihrer Natur nach metaphysisch sein und die Masse von Kenntnissen erfordern, die uns in einer fremden Sprache fast immer, in der eigenen nicht selten fehlen. Man muß also bei dem Eindruck stehenbleiben, den das Idiom einer Nation in seinem gegenwärtigen Zustande auf uns macht. Da das Französische mehr als irgendein anderer europäischer Dialekt gesprochen wird, so ist es zugleich abgeglättet durch den Gebrauch und gestählt für den Zweck; keine Sprache ist klarer, keine kündigt leichter an, keine drückt netter aus, was man sagen will. Das Deutsche schmiegt sich der Bestimmtheit und der Schnelligkeit der Unterhaltung weit weniger an. Selbst vermöge der grammatikalischen Zusammensetzung wird der Sinn einer Phrase gewöhnlich erst am Schlusse derselben gefaßt. Das Vergnügen zu unterbrechen, das die Erörterung in Frankreich so sehr belebt, und das alles, was man zu sagen hat, in möglichst kürzester Zeit vorzutragen nötigt: – dies Vergnügen kann also in Deutschland gar nicht vorhanden sein; denn da die Anfänge der Phrasen ohne das Ende nichts bedeuten, so muß man jedem den Spielraum lassen, den er für nötig hält. Dies leistet viel für die Ergründung der Dinge, dies ist auch höflicher; aber es ist weniger anziehend.

Die deutsche Liebenswürdigkeit ist herzlicher, aber weniger abgestuft als die französische; man hat in Frankreich mehr Achtung vor dem Rang und überhaupt mehr Behutsamkeit; man schmeichelt mehr, als man schont; so nähert man sich weit lieber selbst den zartesten Dingen.

Das Deutsche ist eine herrliche Sprache für Poesie, höchst reichhaltig für metaphysische Untersuchungen, aber sehr positiv in der Unterhaltung. Die französische Sprache hingegen ist nur reich an Wendungen, welche die feinsten Beziehungen der Gesellschaft ausdrücken; sie ist arm und umgrenzt in allem, was die Phantasie und Philosophie angeht. Die Deutschen fürchten mehr, ein unangenehmes Gefühl zu erzeugen, als sie zu gefallen wünschen. Daher kommt es, daß sie die Höflichkeit, soweit es immer in ihrer Macht stand, Regeln unterworfen haben; und ihre Sprache, die in ihren Büchern so kühn ist, wird in der Unterhaltung durch alle die Formen eingezwängt, durch die sie überladen ist. Ich erinnere mich, in Sachsen an einem Unterricht in der Metaphysik teilgenommen zu haben; ein berühmter Philosoph gab ihn: aber, indem er den Baron von Leibniz zitierte, konnte selbst der Strom der Rede ihn nicht bewegen, den Baronstitel wegzulassen, der zu dem Namen eines großen, seit einem Jahrhundert verstorbenen Mannes durchaus nicht paßte.

Das Deutsche paßt besser für die Poesie als für die Prosa, und mehr für die geschriebene Prosa, als für die gesprochene. Ein herrliches Werkzeug, wenn man alles malen, alles sagen will, aber dafür kann man im Deutschen nicht, wie im Französischen, über verschiedene Gegenstände, die sich darbieten, hingleiten. Wollte man deutsche Worte so galoppieren lassen, wie die französische Unterhaltung es erfordert, so würde man ihnen alle Anmut, alle Würde rauben. Das Verdienst der Deutschen liegt in der guten Ausfüllung der Zeit; das Talent der Franzosen besteht darin, daß sie die Zeit vergessen machen.

Obgleich der Sinn der deutschen Satzperioden oft erst am Ende hervortritt, so gestattet doch die Zusammensetzung nicht immer, sie mit einer Pointe zu beenden; und doch ist dies eins der stärksten Mittel, um in der Unterhaltung Eindruck zu hinterlassen. Selten hört man unter Deutschen sogenannte Bonmots, die Gedanken selbst, nicht den Glanz, der ihnen gegeben wird, muß man bewundern. Die Deutschen finden in dem glänzenden Ausdruck eine Art von Marktschreierei und halten sich an den abstrakten Ausdruck, weil er gewissenhafter ist und dem Wesen des Wahren mehr entspricht: die Unterhaltung darf jedoch keine Mühe kosten, weder für das Verstehen, noch für das Sprechen. Sobald sich die Unterhaltung nicht mehr auf die allgemeinen Angelegenheiten des Lebens bezieht, und man in den Kreis der Ideen eintritt, wird die Unterhaltung in Deutschland allzu metaphysisch; es gibt kein Mittelgut zwischen dem Gemeinen und dem Erhabenen, und doch ist es gerade dies Mittelgut, worin sich die Kunst der Konversation zeigt.

Die deutsche Sprache hat eine ihr eigentümliche Lustigkeit. Aber dies ist eine volkstümliche Lustigkeit, die alle Klassen begreifen. Die seltsamen Tönungen der Wörter, ihre altertümliche Einfalt, geben der Spötterei etwas Malerisches, womit sich das Volk ebensogut belustigen kann wie die Gebildeten. Die Deutschen sind in der Wahl ihrer Wörter weniger beschränkt als wir, weil ihre Sprache, die bei weitem weniger zur Unterhaltung der Vornehmen gebraucht worden ist, nicht, wie die unsrige, aus Wörtern besteht, die ein Zufall, eine Anwendung, eine Anspielung lächerlich machen; aus Wörtern, die, nachdem sie alle Abenteuer der Gesellschaft ausgehalten haben, vielleicht ungerechterweise verbannt sind, aber doch nicht länger gestattet werden können. Der Zorn hat sich im Deutschen sehr oft ausgedrückt; aber nie hat man daraus eine Waffe der Verspottung gemacht, und die Wörter, die man anwendet, haben noch ihre volle Wahrheit, ihre volle Kraft. Dies ist ein Vorteil mehr; dafür aber kann man im Französischen tausend feine Bemerkungen ausdrücken und tausend Kunstwendungen machen, deren die deutsche Sprache bis jetzt unfähig ist.

Im Deutschen muß man sich mit den Ideen, im Französischen mit den Personen messen; mit Hilfe des Deutschen muß man grübeln, mit Hilfe des Französischen zum Ziel gelangen. Mit dem ersteren muß man die Natur, mit dem anderen die Gesellschaft malen. Goethe läßt in seinem Roman von Wilhelm Meister eine deutsche Frau sagen: daraus, daß ihr Liebhaber französisch an sie geschrieben, habe sie geschlossen, daß er sie verlassen wolle. Wirklich gibt es in unserer Sprache eine Menge Phrasen, etwas zugleich zu sagen und nicht zu sagen, etwas hoffen zu lassen, ohne es zu versprechen, und etwas zu versprechen, ohne sich zu binden.

Das Deutsche ist weniger biegsam, und möge es immer so bleiben! Denn nichts verursacht soviel Abscheu als diese Sprache, wenn sie zu Gleisnereien verbraucht wird, wie geartet diese auch sein mögen! Ihre schleppende Zusammensetzung, ihre vervielfachten Zwischensätze, ihre gelehrte Grammatik erlauben ihr keine Anmut in der Kunst, sich anzupassen; und man möchte sagen, sie sperre sich von selbst gegen die Absicht dessen, der sie redet und in ihr zum Verräter an der Wahrheit werden will . . .


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