Anne Louise Germaine von Staël
Deutschland
Anne Louise Germaine von Staël

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Tieck – Claudius – Jean Paul

Tieck ist Verfasser eines Romans, der für den Leser bezaubernd ist. Die Ereignisse sind im »Sternbald« in geringer Anzahl und nicht einmal bis zur Auflösung gestaltet, doch kann man wohl nirgends eine reizendere Schilderung des Künstlerlebens finden. Der Dichter versetzt seinen Helden in die schöne Zeit der Künste und macht ihn zum Schüler Albrecht Dürers und Zeitgenossen Raphaels. Er läßt ihn durch verschiedene Länder Europas reisen. Dieses wandelnde und zugleich träumerische Leben kann nur in Deutschland ganz empfunden werden. Wir beschreiben immer in unseren Romanen die Sitten und geselligen Verhältnisse; aber in dieser Phantasie, die über die Erde, die sie durchstreift, erhaben hinschwebt, liegt ein großes Geheimnis des Glücks.

Fast immer verweigert das Schicksal den armen Sterblichen ein glückliches Los und Verhältnisse und Umstände, die sich nach ihren Wünschen fügen; doch ist ihnen meistenteils der Augenblick hold, und die Gegenwart ist immer noch die beste Zeit des Menschen. In diesem Genuß des Augenblickes, der das Leben des Künstlers ausmacht, liegt also eine sehr weise, poetische Philosophie.

Mehrere der Gedichte, die der Verfasser in die Geschichte eingeflochten hat, sind wahre Meisterwerke. Verse, einem französischen Roman beigemischt, unterbrechen in der Regel das Interesse und zerstören die Harmonie des Ganzen. Nicht im Sternbald. Es ist an sich eine so poetische Dichtung, daß die Prosa darin wie ein Rezitativ erscheint, das dem Gesang folgt oder ihn vorbereitet. Ein Gedicht über die Rückkehr des Frühlings ist berauschend, wie die Natur selbst in dieser Jahreszeit. Tausendgestaltig wird die Kindheit dargestellt. – Der Mensch, die Pflanzen, die Erde, der Himmel, alles so jung, so reich an Hoffnung; – man sollte meinen, daß der Dichter die ersten schönen Tage und die ersten Blumen besingt, welche die neuerschaffene Erde schmückten.

Er weiß mit einer anscheinend einfachen Schreibart durch Aufrichtigkeit des Gefühls bis ins tiefste Herz zu dringen. Er reizt zu Tränen, wie zum Lachen, weil er Mitgefühl erregt und uns in dem, was er selbst empfindet, einen Bruder und Freund zu erkennen gibt. Von Claudius' Schriften läßt sich kein Auszug geben, sein Talent wirkt unmittelbar wie Gefühl, und man muß ihn selbst empfunden haben, um darüber sprechen zu können. Er gleicht den Malern der flamländischen Schule, die sich manchmal bis zur Darstellung des Höchsten in der Natur erheben, oder dem Spanier Murillo, der Bettler und Zigeuner mit einer vollkommenen Wahrheit malt, aber ihnen oft, ohne es selbst zu wissen, Züge von edlem und tiefem Ausdruck beimischt. Um mit Glück das Komische mit dem Pathetischen zu vermischen, muß man sich in beidem mit gleich außerordentlicher Natürlichkeit bewegen können. Sobald das Erzwungene durchscheint, zerfällt jeder Gegensatz in seine feindlichen Bestandteile. Aber ein ausgezeichnetes, reich mit Gutmütigkeit ausgestattetes Talent kann glücklich verbinden, was nur auf den Zügen des Kindes reizend ist: Lächeln und Tränen.

Ein anderer Schriftsteller, neuer und berühmter als Claudius, hat sich durch Schriften, die man Romane nennen würde, wenn überhaupt eine bekannte Benennung so seltsamen Geistesprodukten beizulegen wäre, einen großen Ruf in Deutschland erworben. Jean Paul Richter besitzt unstreitig mehr Geist, als nötig ist, ein Werk zu schreiben, das Ausländer und Deutsche in gleichem Grad ergreifen könnte, und dennoch vermag nichts von dem, was er geliefert, die Grenzen der deutschen Zunge zu überschreiten. Seine Bewunderer werden dies der Eigentümlichkeit seines Genius selbst zuschreiben; mir scheint es sowohl von seinen Mängeln wie von seinen Vorzügen herzurühren. Man muß sich in unsern neueren Zeiten auf einen europäischen Standpunkt erheben. Die Deutschen begünstigen zu sehr in ihren Schriftstellern jene ausschweifende Kühnheit, die, wie verwegen sie auch scheinen mag, nicht immer ungesucht und ungekünstelt ist.

Man findet in Jean Pauls Schriften bewundernswerte Schönheiten, der Entwurf aber und der Rahmen seiner Gemälde sind so fehlerhaft, daß die lichtesten Strahlen des Genies sich darin wie in einem Chaos verlieren. Jean Pauls Werke müssen unter dem doppelten Gesichtspunkt des Ernstes und des Scherzes betrachtet werden, denn er vermengt fortwährend beide. Er legt mit Scharfsinn und Laune seine Beobachtungen des menschlichen Herzens dar, doch kennt er es meistens nur, wie es sich aus dem Standpunkt der kleinen Städte Deutschlands beurteilen läßt, und seine Sittengemälde zeigen oft zu viel Unschuld. Äußerst feine, ja fast kleinliche Bemerkungen über die moralischen Regungen, erinnern etwas an jene Feenmärchen, deren Ohr das Gras wachsen hörte.

Man könnte aus Jean Pauls Schriften eine merkwürdige Sammlung von Gedanken ausziehen. Wenn man ihn aber liest, fällt seine wunderliche Gewohnheit auf, aus allerlei alten, vergessenen und wissenschaftlichen Büchern Bilder und Anspielungen zu entlehnen; was er auf die Weise zusammenstellt, ist gewöhnlich sehr sinnreich, wo aber, um in einen Scherz einzugehen, Aufmerksamkeit und Nachdenken erfordert wird, da möchten weniger andere als die Deutschen geneigt sein, auf dem Weg des Studiums zum Lachen zu gelangen und sich mit gleicher Anstrengung belustigen als belehren zu lassen.

Bei alledem liegt in diesen Schriften ein Schatz von neuen Ansichten und Gedanken, der den, dem es gelingt, ihn herauszugraben, ungemein bereichert. Jean Paul hat öfter Ähnlichkeit mit Montaigne. Er besitzt große Erhabenheit im ernsten Teile seiner Werke, doch erschüttert uns auch manchmal die fortwährende Schwermut seiner Schreibart bis zur Ermattung. In Jean Pauls Romanen scheint die Hauptgeschichte nur ein schwacher Vorwand zu sein, Episoden aneinander zu reihen.


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