Anne Louise Germaine von Staël
Deutschland
Anne Louise Germaine von Staël

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Weimar

Von allen Fürstentümern Deutschlands zeigt keines in solchem Maß wie Weimar die Vorzüge eines kleinen Landes, wenn sein Fürst ein Mann von vielem Geist ist, und, ohne etwas vom Gehorsam einzubüßen, seinen Untertanen zu gefallen suchen kann. Ein solcher Staat bildet eine besondere Gesellschaft, in der man durch die innersten Beziehungen zueinander gehört. Die Herzogin Luise von Sachsen-Weimar ist das wahre Muster einer von der Natur zum höchsten Range bestimmten Frau. Ohne Anmaßung, ohne Schwachheit, erweckt sie zugleich und in gleichem Grade Vertrauen und Ehrfurcht; der Heldensinn der Ritterzeit ist in ihre Seele gedrungen, ohne ihr von der Sanftmut ihres Geschlechts das Geringste zu nehmen. Die militärischen Talente des Herzogs werden allgemein geschätzt. Seine geistreiche sinnige Unterhaltung erinnert in jedem Augenblick daran, daß er des großen Friedrichs Zögling gewesen ist; sein Geist und der Geist seiner Mutter hat Weimar zum Sammelplatz der hervorragendsten Geister gemacht. Zum erstenmal erhielt Deutschland eine gelehrte Hauptstadt; doch konnte diese Hauptstadt, da sie übrigens sehr klein ist, nur durch ihr literarisches Licht Aufsehen erregen, ohne zugleich die Mode der Schöngeisterei, die wie alle übrigen, Einförmigkeit hervorbringt, aus ihrem zu engen Kreise allgemein verbreiten zu können.

Herder war gestorben, als ich in Weimar ankam; aber Wieland, Schiller und Goethe lebten noch.

Der Aufenthalt in kleinen Städten ist mir von jeher über alle Maßen langweilig erschienen. Er engt den Geist der Männer ein und macht das Herz der Frauen zu Eis; man lebt einander so nahe, daß man von einander gedrängt und gedrückt wird. In großen Städten waltet eine öffentliche Meinung, die uns anreizt. In kleinen Städten ist man einer kleinlichen Prüfung aller seiner Handlungen unterworfen; jeder einzelne Zug unseres Lebens wird beobachtet und macht das Verständnis des Charakters im Ganzen unmöglich; und je mehr man der Unabhängigkeit, der Größe zustrebt, desto schwerer wird einem das Luftatmen hinter den Stäbchen eines – Vogelbauers.

Dieser peinliche Zwang war in Weimar nicht vorhanden. Weimar war keine kleine Stadt; es war ein großes Schloß, wo eine ausgesuchte Gesellschaft sich mit Teilnahme über jedes neue Kunstprodukt unterhielt. Liebenswürdige Schülerinnen einiger höheren Köpfe beschäftigten sich mit literarischen Arbeiten, als wären es die wichtigsten Neuigkeiten der Zeit gewesen, zogen durch Lesen und Studieren die Welt zu sich heran und entrissen sich mit Hilfe des unermeßlichen Gedankenraumes den Zwangsformen der Umstände. Im gemeinschaftlichen Nachdenken über die großen Fragen, die das allgemeine Schicksal aufwirft, vergaß jeder die Privatanekdoten im Leben seines Nachbars. Hier fand man keinen erbärmlichen Kleinstädter, der so leicht das Aufgeblasene für Grazie und die Ziererei für Liebenswürdigkeit hält.

In Weimar, wo die Phantasie durch den Verkehr mit Dichtern beständig genährt wurde, fühlte sie das Bedürfnis der äußeren Zerstreuung weniger; diese Zerstreuungen helfen zwar, die Bürde des Lebens tragen, helfen aber auch zugleich oft, die Lebenskräfte abnutzen. Man führte auf dem Landsitze, den man die Stadt Weimar nannte, ein regelmäßiges, geschäftevolles, ernsthaftes Leben; wohl konnte es bisweilen ermüden, aber nie setzte es den Geist durch kleinliches, gemeines Interesse herab; und wenn es hier und da am Reiz eines Vergnügens mangelte, so fühlte man doch nicht auf der anderen Seite seine Geisteskräfte abnehmen.

Der einzige Prachtgeschmack des Fürsten bestand in einem entzückenden Garten. Man segnet ihn für diesen Volksgenuß, den er mit dem letzten Einwohner der Stadt teilte. Das Schauspiel wird von dem ersten Dichter Deutschlands, von Goethe, geleitet. Es findet eine so allgemeine Teilnahme, daß es die gesellschaftlichen Vereinigungen, in denen so manche geheime Langeweile zur Sprache kommt, entbehrlich macht.

Man nannte Weimar längst Deutschlands Athen, und in der Tat war es die einzige Stadt, in der das Interesse für die schönen Künste einheimisch, national und ein brüderliches Band für alle Städte ist Ein liberaler Hof suchte aus Bedürfnis der Gewohnheit die Gesellschaft der Männer von Geist auf, und die Literatur gewann deutlich unter dem Einfluß des guten Geschmacks, der an diesem Hofe vorherrschte.

Man konnte hier im Kleinen sich einen guten Begriff von der Wirkung machen, die solch eine wechselseitige Berührung, wenn sie allgemein würde, in Deutschland hervorbringen müßte.


 << zurück weiter >>