Anne Louise Germaine von Staël
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Anne Louise Germaine von Staël

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Faust

Unter den gewöhnlichen Puppenspielen gibt es eines: »Doktor Faust« betitelt, das von jeher viel Glück in Deutschland gehabt hat. Vor Goethe hatte schon Lessing sich mit der Bearbeitung des Stoffes beschäftigt. Das Wundermärchen von Doktor Faust beruht auf einer allgemein bekannten Volkslegende. Einige englische Schriftsteller haben gelehrte Werke über den Doktor Faust und sein Leben herausgegeben; sie schreiben ihm die Erfindung der Buchdruckerkunst zu. Seine ausgebreitete Wissenschaft konnte ihn vor der Langeweile des Lebens nicht schützen; er versuchte (so erzählt die Legende), um diesem Seelenaussatz zu entgehen, einen Bund mit dem Teufel zu schließen, und der Teufel holte ihn am Ende. Diese wenigen Umstände haben Goethe den Stoff zu dem seltsamen Werk gegeben.

Man darf in diesem weder den Geschmack, noch die Regelmäßigkeit, noch die Kunst suchen, die auswählt und vollendet; wenn sich aber die Phantasie ein geistiges Chaos ebenso denken könnte, wie man oft das materielle Chaos beschrieben hat, so hätte Goethes »Faust« das Werk dieses geistigen Chaos sein müssen. Es ist unmöglich, die Kühnheit der Gedanken weiterzutreiben, und nach dem Lesen des »Faust«, oder wenn man auch nur daran denkt, ergreift uns immer eine Art von Schwindel. Der Teufel selbst ist der Held des Stückes; der Verfasser denkt sich ihn aber nicht als ein scheußliches Schreckbild, wie man es den Kindern gewöhnlich vormalt; er hat ihn, wenn ich so sagen darf, zur Quintessenz des Bösen gemacht. Goethe hat sich in diesem zugleich wirklichen und phantastischen Wesen den bittersten Spott erlaubt, dem der Hohn je Worte lieh, und zugleich eine ergötzliche Keckheit von guter Laune. Es herrscht in den Reden des Mephistopheles eine höllische Ironie, die die gesamte Schöpfung und die Welt als ein schlechtes Buch angreift, zu dessen Rezensenten sich der Teufel macht.

Mephistopheles spottet über den Verstand selbst und sucht, ihn lächerlich zu machen, sobald er uns auffordert, an irgendetwas ernsthaften Anteil zu nehmen, besonders aber, wenn er uns Vertrauen in unsere eigenen Kräfte einflößt. Es ist sonderbar, daß gerade die größte Bosheit und die göttliche Weisheit in diesem Punkt zusammentreffen, daß beide die Leere und die Schwächen von allem, was auf Erden ist, anerkennen. Wenn aber jene diese Wahrheit nur deswegen aufstellt, um uns das Gute zu verleiden, so tut es diese nur, um uns über das Böse zu erheben.

Fände sich im »Faust« nichts weiter als stechender philosophischer Spott, so würde man diese Gattung von Witz mit dem vergleichen können, der in mehreren Schriften Voltaires zu Hause ist; so aber liegt diesem Werk eine Phantasie ganz anderer Art zu Grunde. Nicht allein die moralische Welt, wie sie ist, wird darin vernichtet, die Hölle selbst tritt an ihre Stelle. Es ist eine Kraft der Zauberei, eine Poesie des bösen Prinzips, ein Rausch der Verführung, eine Verirrung der Gedanken, über die man zugleich schaudern, lachen und weinen muß. Man sollte einen Augenblick glauben, die Regierung der Welt sei den Händen des Teufels anvertraut. Man schaudert, weil er unerbittlich ist; man lacht, weil er jede befriedigte Selbstliebe erniedrigt und lächerlich macht; man weint, weil die menschliche Natur ein schmerzhaftes Mitleid hervorruft.

Goethes Mephistopheles ist ein ausgebildeter, gesitteter Teufel. Er läßt ihn mit Kunst den anscheinend leichten Spott handhaben, der sich so gut mit einer tiefen Bosheit verträgt, läßt ihn alles Albernheit oder Ziererei nennen, was Empfindung ist. Seine Gesichtszüge sind boshaft, falsch, niedrig-gemein; er ist linkisch, aber nicht blöde, herrisch ohne Stolz, süßlich bei Frauen, weil er hier allein nötig hat zu betrügen, um zu verführen; unter Verführen versteht er bloß, der Leidenschaft eines andern behilflich zu sein, denn er selbst kann sich nicht einmal stellen, als liebe er.

Faust vereinigt in seinem Charakter alle Schwachheiten der menschlichen Natur, das Streben nach Wissenschaft und die Ermüdung bei der Arbeit, die Notwendigkeit des Erfolges und die Sättigung im Vergnügen. Faust ist ein vollkommenes Vorbild des veränderlichen beweglichen Wesens, dessen Gefühle noch ephemerer sind als das kurze Leben, über das er sich beschwert. Faust hat mehr Ehrgeiz als Kraft; die Bewegung in seinem Innern reizt ihn gegen die Natur, läßt ihn zu Zaubereien greifen, um den harten, aber notwendigen Bedingungen zu entgehen, die dem sterblichen Menschen auferlegt sind. Man sieht ihn, wenn der Vorhang aufgerollt wird, mitten unter seinen Büchern und einer Menge physikalischer Instrumente und chemischer Gläser und Flaschen sitzen. Faust studiert unablässig die Natur und vor allem die schwarze Kunst, in der er es schon ziemlich weit gebracht hat.

In Goethes »Faust« verändert sich der Rhythmus beständig nach der Lage, und die daraus entstehende glänzende Mannigfaltigkeit ist bewundernswürdig. Die deutsche Sprache versteht sich auf Zusammensetzungen besser als die französische. Goethe scheint sie insgesamt benutzt zu haben, um mit Tönen wie mit Bildern die seltene Überspannung von Ironie und Schwärmerei, von Traurigkeit und guter Laune auszudrücken, die ihm in diesem Werk zur Seite standen. Es hieße in der Tat, zu viel Naivität verraten, wenn man voraussetzen wollte, ein Mann wie Goethe wisse und fühle nicht die Fehler wider den guten Geschmack, die man seinem Stück vorwerfen kann; aber es verlohnt sich der Mühe, die Beweggründe zu finden, die ihn veranlaßten, diese Fehler, ich will nicht sagen, stehenzulassen, sondern vorsätzlich hineinzuarbeiten.

Goethe hat sich in diesem Spiel keiner bisherigen Gattung unterworfen; es ist weder eine Tragödie, noch ein Roman. Er hat sich vorgenommen, in seinem Werk jeden nüchternen Gang im Denken zu meiden; man würde Ähnlichkeit mit dem Geist des Aristophanes finden, wenn Shakespeares Pathos nicht Schönheiten ganz anderer Art hineinwebte. Faust erregt Staunen, Rührung, sogar Tränen; er läßt aber kein sanftes Gefühl in der Seele zurück. Zwar werden der Eigendünkel und das Laster schreckensvoll bestraft; dennoch fühlt man in dieser Strafe nicht die wohltätige Hand des Zuchtmeisters. Man sollte vielmehr glauben, das böse Prinzip selbst richte die Rache gegen das Verbrechen, das es begehen hieß; und die Gewissensqual, wie sie hier geschildert wird, scheint ebenso wie das Vergehen, auf das sie folgt, aus der Hölle zu stammen.

Der Glaube an böse Geister findet sich in vielen Dichtungen der Deutschen; die Natur des Nordens stimmt ganz zu dieser Gemütsart. Es ist in Deutschland bei weitem nicht so lächerlich, wie es in Frankreich sein würde, sich des Teufels in Dichtungen zu bedienen. Insofern wir dergleichen Ideen unter literarischen Gesichtspunkten betrachten, steht es fest, daß unsere Phantasie sich etwas bildlich darstellt, was dem Begriff eines bösen Geistes entweder im menschlichen Herzen oder in der Natur ähnlich sieht. Der Mensch tut oft das Böse auf eine sozusagen uneigennützige Weise ohne Zweck, ja selbst in zweckwidriger Hinsicht, nur um eine gewisse innere Bitterkeit zu befriedigen, die das Bedürfnis, zu schaden, in ihm hervorruft. Neben den Gottheiten des Heidentums gab es andere Gottheiten aus dem Titanengeschlecht; diese stellten die empörten Kräfte der Natur dar. Ebenso sollte man glauben, daß die bösen Neigungen der Seele in der Gestalt der bösen Geister personifiziert werden.

Es ist unmöglich, »Faust« zu lesen, ohne daß er das Denken auf tausenderlei Weise anregt. Man streitet sich mit dem Verfasser herum, man klagt ihn an, man spricht ihn los; er veranlaßt uns, über alles nachzudenken, läßt uns – um den Ausdruck eines naiven Gelehrten des Mittelalters zu gebrauchen – nachdenken über alles und über noch etwas mehr.

Übrigens ist »Faust« keineswegs ein gutes Muster. Man mag das Werk als das Resultat der Verirrung des Verstandes oder der Befriedigung der Vernunft ansehen, soviel ist gewiß: es ist zu wünschen, daß sich dergleichen Erscheinungen nicht vervielfältigen; wenn aber ein Genie, wie Goethe, alle Fesseln von sich wirft, drängen sich ihm die Gedanken in solcher Fülle auf, daß sie von allen Seiten die Grenzsteine der Kunst überschreiten und umstürzen.


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