Carl Spitteler
Olympischer Frühling
Carl Spitteler

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Zweiter Gesang
Zeus ruft die Götter heim

                                Inzwischen gab der ehrerbietigen Heroldschar
Die mächtigen Befehle Zeus vom Throne dar:
«Zu Aiolos am Stad! Weckt ihn mit Knuff und Kniff,
Daß er euch liefere sein schnellstes Wolkenschiff.
Fahrt dreimal um die Welt, soweit der Raum es gönnt,
Posaunt und schellt und ruft umher, so laut ihr könnt:
‹Zeus ist erwacht. Zu Ende läuft die Reisezeit.
Zu hurtiger Heimkehr mache jeder sich bereit.
Es sollen alle sich von heut in sieben Tagen
Im Schloß versammeln, meinen Willen zu befragen.›»

Und also wie befohlen, also auch geschah.
Und alle Götter kehrten heim von fern und nah.
Und als von heut in sieben Tagen nun die Menge
Der Götterfraun und -männer des Palastes Gänge
Und Treppen mit Geplauder schmückten nach und nach,
Und jedem Neuling Freudenruf den Willkomm sprach,
Und Wiedersehen war in jedem Aug zu lesen,
Und fragten sich einander: «Wo bist du gewesen
Die ganze Zeit? Erzähl! Es ist dir wohl bekommen
Dem Aussehn nach, denn, siehe, du hast zugenommen!
's war eine schöne Zeit; allein daheim, nicht wahr,
Auf dem Olymp ists doch am allerschönsten zwar?»
Horch: draußen ein Getümmel, Volkszusammenlauf.
Und durch die Fenster sahen sie den Berg herauf
Die Wendelstraße ziehn den sonderbarsten Zug,
Den jemals der Olymp auf seinem Rücken trug:
Fischschwänzige Tritonen, Hummer, Stachelrochen,
Die mühsam, wie es ging, auf Schuppenbäuchen krochen;
In ihrer Mitte aber, frei emporgetragen,
Poseidon mit Elissa auf dem Muschelwagen.
Dem Zuge gab ein staunend Volksspalier Gelaß,
Und Weg und Stege wurden von dem Meervolk naß.
Und während eilends in des Hofes Brunnenbecken
Sich das Gefolge warf, die Flossen auszustrecken,
Trat riesig durch des Doppelflügeltores Weite
Poseidon mit der Braut in selbstbewußter Spreite.
Neugierig ward Elissas Anmut aufgenommen,
Und Schmeichelwort und Küsse wurden viel vernommen.
Doch aller Staunen und Bewunderung erregte,
Wie fein und züchtiglich Poseidon sich bewegte.

Da tat sich knarrend auf der goldne Säulensaal,
Und lachend strömte durch die Tür die edle Zahl.
Drin warteten sie schweigend auf des Königs Fuß.
Sieh da, schon trat er unter sie mit trautem Gruß.
Mit raschem Blicke zählt er die verwandte Schar,
Bot jedem einen Händedruck, ein Lächeln dar,
Nach seinen Taten fragend, spöttelnd mit dem Munde.
Kaum aber gab sein Aug ihm von Elissa Kunde,
Stürmt er Poseidon an: «Wo nahmst du, Auerbär»,
– Und schlug ihm aufs Genick – «solch köstlich Kleinod her?»
Hernach im Saale forschend: «Wo ist Hermes?» «Hier!»
«Du schlauer Sünder, was versteckst du dich vor mir?»
Und feinen Blinzelns Hermes untersuchend, las
Er ihm ein Frauenhaar vom Bart: «Was ist denn das?»
Den Fund im Kreise zeigend, den er hoch erhob.
Und jubeljauchzendes Gelächter scholl darob.
Nachdem er dann das ganze Trüpplein durchgeschritten,
Noch manchen Scherz gestichelt, manchen auch erlitten,
Begab er sich zum Throne, setzte huckbequem
Sich auf den Stuhlarm, räusperte und sprach nach dem:

«Vielliebe Vettern, vielgeliebte Basen beide,
Es ist fürwahr mir eine Herz- und Augenweide,
Wieviel der kräftigen Männer und der Frauen lind
Wir hier in edler Sippschaft warm beisammen sind.
Stolz steht im Holz der Wald der stämmigen Titanen,
Und kerniger Taten Zukunft darf ich freudig ahnen.
Vor allem lasset mich Elissen, unsrer neuen
Lieben Verwandten, einige Grußesworte streuen:
Im Namen aller heiß ich herzlich sie willkommen.
Als Schwester unter dem Geschwister aufgenommen,
Sei im Olymp sie stets ein gern gesehner Gast
Gleich unsereinem. Also wünsch ichs aufgefaßt.
Zum zweiten nehmet sämtliche, so Weib als Mann,
Meinen gefühlten königlichen Dankspruch an,
Daß euer keiner bei dem ersten Mahnungszeichen
Dem Heimruf sich entzog und schmählich mocht entweichen.
Von selbst sich fügen ist der freien Seelen Kunst;
Ich bitt um eures ferneren Gehorsams Gunst.
Aus Laune nicht, hochedle Freunde, und nicht gerne
Hab ich aus grüner Heimlichkeit und blauer Ferne
Euch heimgenötigt und der Ferien Lieblichkeit
Vorschnell gekürzt. Allein der Ernst ist an der Zeit.
Gar manches gibts zu sorgen, mehreres zu schlichten.
Das Menschenvolk vor allem heißt mein Amt mich richten.
Doch das ist mein Geschäft, ich werd es sorglich lenken.
Ihr andern wollet dieser Satzung Folge schenken:
Auf dem Olymp verbleibet sämtlich überhaupt;
Die Erdenfahrt ist fortan keinem mehr erlaubt,
Es wäre denn, er habe des mein Wort dabei.
Sonst setz ich keine Schranken, der Olymp ist frei.
Um aber eure treue Folgsamkeit zu löhnen
Und eure Herzen an die Heimat zu gewöhnen,
Will ich zu eurer trauten Ankunft Gruß und Ehren
Ein allgemeines mondenlanges Fest gewähren
Oben im Bundesfelde rings der Jubelhalle
Für die gesamten Völker des Olympos alle.
Niemand ist ausgeschlossen, bloß die Trübsal fehle.
Und was das Herz gelüstet, übe jede Seele.
Enthebt euch nun, geliebte Vettern, rüstet, schmückt
Euch emsig, laßt die Sorgen und zum Feste rückt!»

Demalso wallten festlich nach der Jubelhalle
Die vielgestalten Völker des Olympos alle.
Vom fürstlichen Titanen, dessen Göttergang
Im Purpurmantel kündete den Herrenrang,
Über der Halb- und Viertelsgötter Zwitterschar,
An Rang unebenbürtig, aber lieblich gar,
Bis zum Zentauren abwärts alle Zwischenstufen,
Wie sie des Zufalls Spiel und Liebeslaune schufen.
Von tausend Trachten eine einzige Völkerwelt.
Und alles strömte durcheinander, traut gesellt.
Sieh: zwischen ernsten Musen, heiligen Kamönen
Bockbeinige Satyrn; neben stolzen Göttersöhnen
Ein Schwarm Mainaden, nackt vom Wirbel bis zur Zeh.
Wollust und Würde tun sich im Olymp nicht weh.

Und war ein großes Fest. Und seine vielen Gäste
Bewirtete der König königlich aufs beste.
Und jedem durfte seine Herzbegehr gelingen.
Die Wasserkünste ließ den langen Tag er springen;
Am müden Abend aber nach der Dämmerung
Lieh er dem Fest mit Feuerspielen frischen Schwung:
Erst Puff und Knall, dann lustige Lämplein, Fackelbrand;
Leuchtfässer kamen lodernd vom Gebirg gerannt,
So daß der flammende Olymp, von Glutschein rot,
Die Nacht durchqualmte, gleich als litt er Feuersnot.

Und war der Kurzweil bei dem Feste allerhand,
Was nur die Seele wünschte und der Witz erfand.
Bald aber schauten alle auf ein Wonnespiel,
Das jedem mehr, als was das Fest ihm bot, gefiel:
Sie schauten nach dem Tisch, an welchem Aphrodite,
Gesellig plaudernd, lagert in der Schwestern Mitte.
Und Antwort gab dem Staunen die Bewundrung kund:
«Sie nickt!» «Jetzt lächelt sie!» «Sie öffnet halb den Mund!»
Hernach mit Ungestüm: «Schnell, Freunde, kommt doch, seht:
Wahrhaftig, sie steht auf, sie blickt umher, sie geht!»
«Wie groß!» «Und doch so leicht!» «Mich mahnts an Hirschengang.
Der Glieder edles Gleichmaß schreitet wie Gesang!»
Mit schmeichelndem Gesicht zu Aphrodite trat
Jetzt Zeus: «Herztraute Aphro, meine Keckheit naht
Mit einer Bitte: Hebe dich auf jene Bühne,
Daß allem Volk der Frühling deines Anblicks grüne.»
«Ich finde weder Fleck noch Fehl in deiner Bitte.»
Und hurtig auf die Bühne klettert Aphrodite.
Und als die Bühne Aphrodite kaum erstiegen,
Verstummte Sang und Klang, und die Gespräche schwiegen,
Weil aller Augen Sehnsucht an dem Zauber hing,
Der ihrem Liebreiz unaufhörlich auserging.
«O Aphrodite, schreite!» «Bück dich!» «Drehe dich!»
Und jedem Wunsch willfuhr sie angelegentlich.
Und also immer weiter in Vergnüglichkeit
Durch ungezählte Stunden eine lange Zeit.
Kniefällig ließ sich endlich Aphrodite nieder,
Und Küsse nach dem Volke schickend immer wieder:
«Ach, liebste Freunde», rief sie, «laßt es nun bewenden!»
Ein jedes Spiel wird überdrüssig, wills nicht enden.
Seht, wie ich müde bin und mürb und krafterschöpft.
Die Arme sind mir Blei, die Beine wie geköpft.
Wollt drum, doch rechnet mir die Bitte nicht zum Bösen,
Mich von der allzuheißen Huldigung erlösen!»
Darob erhob sich ein Tumult: «Mitnichten, nein!
Bleib noch ein Weilchen! Gnade! Nur ein Stündchen klein!»
Bis endlich Zeus mit ihrem Ächzen Mitleid spürte
Und die Erschöpfte, Weinende dem Volk entführte.
Geknickt, gebrochen und gelähmt, mit wankem Schritte
An Pallas' Busen sinkend, stammelt Aphrodite:
«Ach, welche Marter! Weh! Ich bin zu Tode froh!
Doch morgen, hoff ich, leid ich schlimmer noch als so.»
Und alle Tage also wie zu Anbeginn
Hob sie des Volkes Gunst zur Wonnekönigin.

Doch als der Abende und Morgen stete Reise
Den Mond des Festes lenkte nach dem Ende leise,
Gefiel es eines späten Abends Zeus, das Prassen
Der Götter in der Jubelhalle zu verlassen.
Und auf dem Söller draußen unterm weiten freien
Nachthimmel ließ er sich des Denkens Traum gedeihen.
Und wie er so geruhsam in der samtnen Nacht
Betrachtete der glitzernden Gestirne Pracht,
Geschah es, daß ein Windstoß, der in Wirbeln wehte,
Den Sternenvorhang seitwärts auseinanderblähte,
So daß ein weiter Spalt entstand und durch den Spalt
Dem Blick gelang, der Wahrheit wirkliche Gestalt
Hinter dem gleisnerischen Schleier anzuschauen.
Doch was er schaute, füllte seine Brust mit Grauen.
Anankes zornige Riesenfüße sah in steten
Gemeßnen Tritten er die Weltenmühle treten,
Darob viel tausend Sonnen außer dem Geleise
Den Raum durchwirbelten in schwindelhaftem Kreise.
Mitunter kreuzten sie einander auf der Reise:
Alsdann geschah mit Gasgeheul und Gischt und Dampf
Ein heißer gegenseitiger Vernichtungskampf.
Die Sonnen platzten, und ein Eisenschlackenregen
Schoß blindlings durch die Weltenhöhlen allerwegen.
Sieh dort ein Blümchen Leben, ein erbärmlich Ei
Von Gottesseele fliehen durch die Wüterei,
Verzweifelnd, wo es in dem tollen Sterngewinde
Ein Ruheplätzchen für ein Stündchen Seufzer finde.
«Dort schwirrt die Erde! Wag ichs? Wird sie Schutz mit leihn?»
In eine Bodenspalte duckt sichs hinterm Stein
Und drückt sich platt mit eingezogenem Genick.
Schon aber hat Anankes scharfer Mörderblick
Es ausgespäht. «Was seh ich! Wie? Lebendig Leben?
Fluch und Verrat! Wer tats? Wie hat sich das begeben?
Auf, Henker Tod! Verjag es, töte, tilge, rott!
Es wagts, es keimt im Weltraum noch ein Tröpflein Gott!»
So schäumt Anankes Wut. Was weiter sich begab,
Schnitt der Zusammenschluß des Vorhangs neidisch ab,
Der wiederum des Sternenhimmels Friedensbild
Über die Wahrheit schob als lustigen Lügenschild.

Das war die schlimme Wahrheit, welche Zeus vernahm.
Und als er wieder in die Jubelhalle kam,
Traurig, mit gramumwölkter Stirne, still und stumm,
Da ging ein heimlich Zischeln bei den Gästen um:
«Ei seht doch, liebe Freunde! Sagt: ist Zeus berauscht,
Daß er so umgewandelt dasitzt wie vertauscht?»

Am Morgen aber ward durch königliche Boten
Willkommner Aufruf unterm Volk herumgeboten:
«Dieweil des Jubels Ende gern den Gipfel mag,
Gestattet Zeus als Schlußstück auf den letzten Tag
Für jeden, wer er wäre, gleich und einerweis,
Ein Rätselfrägsel und ein golden Ei zum Preis:
Wer an Anankes Welt an irgendeinem Flecke
Eine gesunde Zwiebel, einen Zweck entdecke.»
Ob diesem Spruch entstand ein abgrundtiefes Denken
Mit Stirnerunzeln, Nägelkauen, Köpfehenken.
Denn ob aus Goldgier oder Ehrgeiz, einerlei,
Sie guckten alle nach dem goldnen Weisheitsei.
Doch als nun vor vereintem Volk am letzten Tage
Der König Antwort heischte auf die Rätselfrage,
Versuchte mancher manche Lösung, findig zwar
Und köstlich fürs Gemüt – nur schad, sie war nicht wahr.
Darob Verlegenheit und allgemeines Schweigen,
Denn jeder wußte nichts, und niemand mocht es zeigen.
«Nun, Aphrodite», scherzte Zeus, «komm nieder, heck!
Was meinst denn du dazu? Wo hat die Welt den Zweck?»
«Ei was», rief sie, «der einzige Zweck, von dem ich meine,
Bin ich! Flari flara!» Und wippt ihm mit dem Beine.
Verwundert schaute Zeus sich und bedenklich um:
«Wißt, was die Schönin gluckste, ist nicht gar so dumm.
Erbaulich klingts zwar nicht, allein es wird so sein:
Der Weltenwerte höchste heißen Form und Schein.
Komm, Aphro, hol ihn, deinen Weisheitshennepreis!
Drum lach mich lieblich an und küß mich zum Beweis!»

Gern ließ die Schmunzelnde das Urteil sich gefallen,
Und Beifallsjauchzen scholl von den Olympiern allen.
Doch als nun Aphrodites Kühnheit sich vermaß,
Daß sie auf Heras leeren Thronsitz lachend saß,
Rief Zeus: «Auf! Lüpf du deine losen Schenkelinnen,
Du lockre Geiß, von Heras Ehrenstuhl von hinnen!
Obgleich in bitterm Streit mit mir und Ehezwist,
So bleibt sie mein Gemahl, die deine Fürstin ist.»


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