Carl Spitteler
Olympischer Frühling
Carl Spitteler

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Vierter Gesang
Der zweite Wettkampf:
Der Lauf

                  Am andern Morgen nahm das Wort von neuem auf
Der Hermeneus: «Der zweite Tag gehört dem Lauf.
Wer also, frag ich, von den vier beherzten Helden
Wagt es, den Wettlauf zu bestehn? Er mag sich melden.»
Er riefs. Und als ihm nun die bunte Weibelschar
Die Namen der Bewerber eilends brachte dar,
Verkündet er: «Ihr Völker, hört! Zum schnellen Streit
Erklären sich der edlen Freier drei bereit:
Eros, Apoll und Hermes; die genannten drei.
Glückauf, ihr Wackern, tretet ungescheut herbei!»
Er riefs. Und als die Kämpen vor ihn angekommen:
«Seht ihr dort oben», sprach er, «morgenduftumschwommen
Den Gipfel Akrolymp? Den fliegt im Lauf hinan
Und wieder flugs von dort zurück. Das ist die Bahn.
Ein Steinmann, aus gemerkten Scherben aufgeschichtet,
Ward nächtens auf Geheiß der Obrigkeit errichtet.
Von diesen Scherben bringt ein kleines Pröblein dar,
Den Richtern zum Beweis, daß einer oben war.
Um aber der Erhitzung Unbill zu vermeiden,
Mögt ihr der lästigen Gewänder euch entkleiden.
Schlüpft hier in diese kühlen Wämslein, leicht und knapp,
Und stoßt zu gleicher Zeit beim dritten Mahnruf ab.»

So sprach der Herold Hermeneus. Und eifrig taten
Die Kleider sie beiseite, wie er angeraten.
Und wie sie hurtig nun die Arm und Beine lüpften
Und mit gespenstigen Fingern in die Wämser schlüpften,
Da schnalzte freundlich mit der Zunge jung und alt,
Ermessend der geschmeidigen Körper Wohlgestalt.
«Fürwahr, ein Kleeblatt der Vollendung sind die drei,
Ungerne möcht ich schlichten, wer der Beste sei.»
So meint ein Ruf, und alle jähten: «Wahrlich ja!»
Doch Hera, wie sie kaum den Knaben Eros sah:
«O leckrer Anblick, unverhofft und unerwartet!»
Entschlüpft es ihr. «Wie ist der Knabe fein geartet!
Gleich einem Mädchen ist er rundherum erfreulich,
Bartlos und glatt von Angesicht und unabscheulich.
Muß einem ich erliegen, jemand unterstehn,
Von diesem ließ ich mirs zur Not vielleicht geschehn.»

Zu zweien Malen rief der Herold: «Brechet auf!»
Beim dritten stürzten sie zugleich davon im Lauf.
Und sieh, von ihrem Beispiel mitgerissen, brach
Des Volkes ungeheure Menge rauschend nach.
«Hallo! Juchhui!» Lautlärmend stürmte durchs Gefild
Die frohe Jagd, so daß das aufgeschreckte Wild
Winselnd zu Berge stob, vermeinend, daß zur Ehre
Der Fürstin des Olympos Kesseltreiben wäre.

So lange zwar noch nicht der glimpflich ebne Boden
Viel Leistung forderte von eines jeden Oden,
Hielt mit den Läufern leichtlich Stirn die meiste Schar,
Ja manche überholten jene spielend gar.
Doch wie allmählich nun der Wendelweg den Plan
Verließ und nach dem struppigen Bergwald wuchs hinan
Begab sich von der ungewohnten Müh ein Keuchen
– Sich anzustrengen lag nicht in olympischen Bräuchen –
So daß mit jedem Rank vom Zug ein neues Stück
Seufzend hintabwärts fiel und blieb erschöpft zurück,
Des Atems bar; indes der Rest auf schweren Sohlen
Verzweifelte, die stetigen Freier einzuholen.
Ein dichter Schwarm von Flüchtlingsvolk durchgoß die Halde
Und wie die Freier endlich schwenkten nach dem Walde,
Folgten allein noch ihrem siegesmutigen Schritt
Drei edle Götterjungfern unermüdlich mit:
Die ernste Artemis, in kühnen Sätzen schreitend,
Daneben Aphrodite, gleich dem Springball gleitend,
Und Pallas, wie der Föhnwind stürmend, heiß und jach,

Doch freundlich zu den Schwestern jetzt sich wendend, sprach
Die kluge Pallas: «Schaut doch, heissa! welche Lust
Dahier im duftigen Wald, im Tau und Morgenblust!
Ob auch kein Ruhm und Kampfpreis löhnt der Frauen Taten,
Warum des Wettlaufs selber, frag ich mich, entraten?
Darum so sei denn, wenn mein Rat euch nicht mißfällt,
Je unser eine einem Helden beigesellt,
Versuchend, welchen immer jede sich erküre,
Ob sie mit Wort und Beispiel ihn zum Siege führe.
Hermes vor allen bin ich freund und wohlgesonnen,
Dem Eros Aphrodite, lockengoldumsponnen,
Den herrlichen Apoll geleite Artemis.»
«Ei ja!» frohlockten beide, «wohl gefällt uns dies.»
Jetzt gleich wie wenn am Sonnwendfest beim Freudenfeuer
Von fleißigen Armen zugeschleppt, plötzlich ein neuer
Großmächtiger Reiserholzstoß, dürr und harzgewürzt,
Ins heiße, hungergierige Glutmeer prasselnd stürzt
Und hochaufschnaubend nach dem Sternenhimmel loht
Ein Turm von roten Flammen aus dem blutigen Schlot:
So ward jetzt von der Freundschaft heiliger Zaubermacht
Der Kämpfer Heldenmut mit frischem Hauch entfacht.
Mit heftigem Zuruf hetzend und mit Augenspiel,
Wies ausgestreckten Armes Pallas nach dem Ziel.
Wortlos lief Artemis und streng Apoll voran,
Sah sich zuweilen um und blickt ihn freundlich an.
Doch Aphrodite, Eros traulich angeschmiegt,
Flog nach dem Gipfel, wie durchs Feld ein Zweispann fliegt:
Die Schultern gleich und gleich und streifend nah die Wangen.
Und Lächeln ward getauscht und wonnig Glück empfangen.
Ist dieses meine Hüfte? Wem gehört dies Knie?
Denn ihrer selbst Gefühl erstarb in Harmonie.

Doch auf dem Feld Agon, wo, auf den Bänken stehend,
Die Menge harrte, spähend und mit Tüchern wehend,
Berief den Herold Telopsiades Themiurg:
«Hinauf, o Telopsiades, auf jene Burg,
Ob du ergründest, wie der Wettlauf sich verhält;
Denn siehe, Neugier peinigt die olympische Welt.»
Zur Burg enteilte Telopsiades, vernahm,
Was zu vernehmen war, worauf er wiederkam.
«Gar seltsam», rief er, «ist die Botschaft, die zu melden.
Drei Helden sah ich nicht, ich sah drei Doppelhelden;
Denn ihrer jedem huldigt eine Helferin.
Mit Hermes stürmt die heftige Pallas jach dahin,
Die ernste Artemis ermutigt den Apoll,
Um Eros' Nacken aber schließen liebevoll
Sich Aphroditens Arme, zwei geschmeidige Spangen,
Die Schultern streifen sich, es reiben sich die Wangen.
Und also taumeln sie, ein fliegend Schlangenpaar,
Bewußtlos träumend nach dem Gipfel wunderbar.
Wohl hindert die Verschlingung die vereinten Knie,
Allein den Fuß beschwingen Geist und Harmonie.
Dies ist das Schauspiel, Freunde, das ich hab erspäht.
Doch fragt ihr, wie es um des Laufes Vorteil steht,
Vernehmt: noch immer läuft die Flucht der Stirnen gleich,
Und jedes Heldenpaar ist annoch hoffnungsreich.
Die Schalen halten Gleichgewicht in Moiras Waage.
Zu raten, wer der Sieger, ferne, daß ichs wage.»
So meldete der Herold Telopsiades.
Doch Hera seufzte tief und sprach zu sich: «Indes
Ich einsam und verlassen hier im Felde sitze,
Schwelgt auf dem Bergeskulm und auf des Frohsinns Spitze
Inzwischen Aphrodit an Eros' Mund und Wangen,
Hält mit verbuhlten Armen kosend ihn umfangen,
Verstrickt ihm Aug und Herz, verwickelt ihm die Knie,
Die Schmeichlerin! Und ich? Das sollt ich leiden? Nie!»
Und gegen Rhodos' Ohr sich neigend, raunte sie:
«Sag an, o Rhodos, du geliebte Hindin mein,
Du meine Taube, meines Herzens Sonnenschein,
Wird wohl ein schüchternes Gebetlein dir mißfallen
Von Hera, deiner Freundin, die dich liebt vor allen?»
Rhodos gab ihr zurück: «Mein Leben und mein Leib
Sind da für deine Laune, deinen Zeitvertreib.
Nur deine Ungunst kann, nichts andres kann mir schaden.
Es hört auf dich die Sklavin, sprich, befiehl in Gnaden.»
«Auf denn! Herzliebling, auf! Geschwind zu Promachos,
Der Amazonenfürstin, daß ihr schnelles Roß
Sie dir gewähre, samtgesattelt, goldgezügelt,
Den Weißling, der die andern alle überflügelt:
Kein Lamm ist also sanft, kein Kind so wenig schlimm.
Mit diesem renne, aber einen Umweg nimm,
Daß niemand dich gewahrt, zum Akrolymp empor,
Bis Aphroditens Gurren trifft dein feines Ohr.
Dort dräng dich durchs Gebüsch und lehn dich aus den Zweigen,
Dem Knaben Eros deinen Blumenmund zu zeigen;
Auf daß, von heißer Liebessehnsucht jäh erfaßt,
Er von sich schleudre Aphroditens ekle Last
Und jage hinter dir, mit unvernünftgem Flehen
Und tollen Redensarten heischend, ihm zu stehen.
Du aber reite kühlen Blutes deine Bahn,
Den andern rasch vorbei, den Akrolymp hinan,
Mit listigen Weibeskünsten bald ihm flink entfliehend
Und bald ihn wieder wonnig lächelnd nahe ziehend,
Auf daß als Erster er den Siegespreis gewinne.
Des bleib ich ewig dir in Freundschaft dankbar inne.»

«Ich höre», hauchte Rhodos. Und von Promachos
Erbat sie sich den sanften schnellen Weißling, schoß
In krummem Bogen durch den Wald den Berg empor.
Und als nun Aphroditens Gurren traf ihr Ohr,
Da lehnte sie sich lächelnd aus des Busches Zweigen,
Dem Knaben Eros ihren Blumenmund zu zeigen.
Und kaum daß Eros' Augen ihren Blick gewannen,
So schleudert Aphroditen sein Verdruß von dannen
Und eilte hinter ihr und hieß sie stillestehn,
Mit Bitten sie beschwörend und mit tollem Flehn.
Doch festen Sinnes ritt sie stetig ihre Bahn,
Den andern Helden vor, den Akrolymp hinan,
Mit wonnigem Lächeln bald ihn zaudernd nahe ziehend
Und bald ihm spöttisch wieder pfeilgeschwind entfliehend.
«Ach weh mir Armen», schrie er, «welche Folterpein!
Wohnt denn in deinem Herzen statt des Mitleids Stein?»
«An Mitleid», seufzte Rhodos, «weh mir, bin ich reich.
Du bist es, der mich peint. Denn ach, mein Herz ist weich.
Allein versteh: der Herrin bleib in Dank und Minne
Ich treu, und ihres Mundes Auftrag halt ich inne.»
«Ach!» stöhnt er, «einen geizigen Kuß nur mögest schenken!
Mich wird er heilen und die Königin nicht kränken.»
«O nicht doch! schweig! arglistger, falscher Lügenknabe!
Denn hast du einmal bloß die erste Liebesgabe,
So wird dein Hunger nach der zweiten ungeduldig.
Und desto mehr ich dir gewähre, bleib ich schuldig.
Hinan zum Gipfel! Strenge kann allein hier taugen.
Und foltert dich mein Anblick, nun so schließ die Augen.
«So sterb ich hier, das schwör ich wahrlich und gewiß»,
Ächzt er, indem Verzweiflung ihn zu Boden riß,
So daß der bittre Tränenstrom, der langgehemmte,
Plötzlich befreit, ihm Aug und Backen überschwemmte.
«Ach! Kind des Leichtsinns», klagte sie, «was tust du nun?
Ist dies der Augenblick, zu liegen und zu ruhn?
Hörst du nicht Hermes, nicht Apoll vorübereilen?
Den Thron, die Königin verspielst du, wirst du weilen.»
«Was gilt mir Thron und Königin, stehst du daneben?
Sag selbst: ists möglich? kann man ohne dich denn leben?»
«Weh mir», gewährte sie in der Bedrängnis Not,
«So seis! Allein, vernimm mein schrecklichstes Gebot:
Nachdem du einen einzigen keuschen Kuß empfangen,
So sollst du, schwör mirs, ferner nichts von mir verlangen.»
Er schwurs. Doch als der keusche Kuß bezogen war,
Geriet er außer sich: «Das wäre doch fürwahr»,
Tobt er entrüstet, «aller Tücken Übertücke,
Wenn man mich jetzt, nachdem ich kaum vom schönsten Glücke
Flüchtig gekostet, plötzlich wieder von sich stieße!
Gesteh: wenn einer einen Bettler nippen ließe
Am reichen Mahl, des Duft ihm in die Nase flöge,
Und, kaum begonnen, ihm die Schüssel schnell entzöge,
Wär solches nicht die scheußlichste der Grausamkeiten?
Ein Tiger selber könnte dieses nicht bestreiten.
Eh ich ihn schmeckte, mocht ich deinen Kuß entbehren,
Nun aber heisch ich ihn, ich darf ihn frei begehren.»
Und da ihr ob der Gegenwehr ein Schuh entfiel,
Ergriff er ihren Fuß und sang das Rätselspiel:
«Errate, was für Vöglein halt ich in der Hand?
Es sind nicht mehr als fünf und sind doch zehn benannt.
Sie singen nicht, sie fliegen nicht, sie gehn allein
Mit einem Bein. Das Bein behalt ich, das ist mein.»
Und also fort, bis daß sie selber liebeskrank
Vom Pferde glitt und weinend an die Brust ihm sank.
«Betörter! Willst du wirklich denn mit wachem Willen»,
So seufzte sie beglückt, «um einer Sklavin willen
Der Fürstin des Olymp und ihrer Herrlichkeit
Geflissentlich entsagen jetzt und alle Zeit?
Was hab ich Ärmste denn, dir solches zu ersetzen?
Ein Herz voll Liebe. Wird sie ewig dich ergetzen?
Wird deine Torheit niemals bitter dich gereuen?
Und wirst du zu mir halten, redlich und in Treuen?»
«Halt ein! Still! Sprich nicht also!» gab er heiß zurück.
«Schilt Seligkeit nicht Torheit. Oder wiegt das Glück,
Von dir geliebt zu werden jetzt und alle Zeit,
Nicht mehr als Königsmacht und Heras Herrlichkeit?
Reut dich das Blau des Himmels? Komm, vertraue mir!
Wahr bin ich. Treu und redlich halt ich stets zu dir.»
«O Schande!» rief sie, «weh mir, der Verräterin!»
Und wankt in Eros' Armen nach dem Busche hin.
Dort kosten sie, von Schlehen und Jasmin bedacht.
Doch grasend vor dem Busche hielt der Weißling Wacht.

Inzwischen zu Rhodopen auf dem hohen Felde
Begann und flüsterte die Königin: «In Bälde,
O Wonne! muß nunmehr auf Liebessehnsuchtschwingen
Des Knaben Eros Anmut mir entgegenspringen.
Ich will zur Linken, willst du nicht zur Rechten spähen,
Ob nirgends Rhodos' rotes Röcklein ist zu sehen?»
Sie sprachs. Kaum hatte sie geendet, so erscholl
Ein Willkommsturm zwiespältig aus dem Volk. «Apoll!»
Jauchzte die Mehrzahl, doch die Gegenstimmenmacht
Begehrte trotzig: «Hermes!» Eine Jubelschlacht
Lief durch die Reihen auf und ab. Gleich Schwerterschlägen
Hieb man die beiden Namen feindlich sich entgegen.
Und immer lauter, immer eigenköpfiger brüllte
Der Doppelstimmendonner, der die Luft erfüllte.
Bis einesmals die dicht geschloßne Völkermasse
Sich spaltete und durch die aufgeregte Gasse
Apoll, von Artemis geführt, zum Ziele stob,
Den Stab berührend, den der Hermeneus erhob,
Und ihm ein Scherblein von dem Steinmann überwies.
Darauf mit einem Dankesblick nach Artemis
Verzog er einsam seitwärts, um der Stirne Glast
Zu kühlen und zu mäßigen des Atems Hast.
Doch Artemis, des Dankes Rechnung zu begleichen,
Trat neben ihn, unfähig, von dem Freund zu weichen.
Also genossen sie gemeinsam, Wang an Wange,
Das Doppelglück des Sieges und der Freundschaft lange,
Und ihre Blicke sprachen vieles ungesagt.

Inzwischen kam mit Pallas Hermes angejagt.
Doch kaum gewahrten sie den ruhenden Apoll,
So prallten sie zurück und trennten sich im Groll.
Sahst du im Stoppelfelde, wenn den flüchtigen Hahn
Umsonst im hohen Sprung versucht der bissige Zahn,
Den schnödgetäuschten Jagdhund wütend rückwärts jappe
Und vor Verdruß nach der Gefährtin mürrisch schnappen?
So ward des Hermes und der Pallas Bund zerrissen,
Da sie den Ruhm des Sieges mußten grollend missen.

Doch wo bleibt Eros? Spöttisch klang die Frage schon,
Und auf des Knaben Ankunft lauerte der Hohn.
Doch nimmer wollte das ersehnte Opfer kommen.
Da ward Trompetenstoß und Heroldsruf vernommen:
«Ihr Völker, sammelt euch und schweigt, denn dem Gerichte
Naht Aphrodite, daß von Eros sie berichte.»
Flugs scharte sich die Menge, froh der Neuigkeit,
Und sieh, da stand die goldne Göttin spruchbereit.
Jetzt, boshaft nach der Fürstin schielend, sagte sie:
«Geronten, auf den Knaben Eros hoffet nie!
Denn ihn, ich weiß nicht, ob ihr meine Meinung trefft,
Versäumt ein wichtiges und eifriges Geschäft
Mit einem Dirnlein, mir mit Namen unbekannt,
Das ihm, ich weiß nicht wer, hat huldreich zugesandt.
Die Arbeit scheint geheim, ein Rößlein steht zur Lauer,
Geseufz tönt aus dem Busch, weiß nicht von welcher Trauer.
Und also hitzig ist der Andachteifer beider,
Daß an den Zweigen hangen ihre Schuh und Kleider.»

Betroffen schwieg das Volk. Indes die Königin
Gleich einem wunden Panther kreischend: «Lügnerin!
Schamlose Ziege!» rief sie, «tückisch und verschmitzt!
Wohl weiß ich, wo die Kröte deiner Bosheit sitzt.
Tu nicht so fromm und rein. Hier nützt dir kein Verstellen.
Denn ich durchschaue dich und will dich klar erhellen,
Daß alle Welt dich kennenlerne. Selber feil
Zu jeglichem Verrat, verbuhlt und männergeil,
Hast du, weil leider dir der Knabenfang mißlungen,
Aus Neid und Ärger uns dies Märlein vorgesungen.
Doch, daß du künftig mögest minder albern lügen,
Mag zur Belehrung dir ein bündiger Spruch genügen:
Wenn einem, sei es Eros oder wer es wäre,
Das Schicksal hat vergönnt die unerhörte Ehre,
Nach mir zu heben seines Herzens Niedrigkeit,
Ob hoffnungslos, ist gegen andern Reiz gefeit.
Das also, Aphrodite, merk dir und beherze.
Fahr hin! Sag Dank! Und minder blöde Späßlein scherze!»
Erstaunten Blickes nach der Fürstin wandte sich
Die Falsche und erwiderte bescheidentlich:
«Vergib, ehrwürdige Königin, verzeihe mir!
Hätt ich vermuten können, daß so teuer dir
Der zarte, leckre, minnigliche Lockenknabe,
Ich hätte nicht gesprochen also, wie ich habe.
Ich hätte teilnahmsvoll, von deinem Schmerz ergriffen,
Die böse Trauerbotschaft schonend abgeschliffen.
Doch da du Schmach und Schande mir ins Antlitz schmeißest,
Mich Ziege schimpfst und Lügnerin mich heißest,
Gestatte diese beiden kleinen Wahrheitszeugen,
Die ehrerbietig hier vor deine Füße fleugen.»
Mit diesen Worten holte sie, beglückt von Hohn,
Zwei Schuhe aus dem Kleid und warf sie vor den Thron:
Der Rhodos seidnen, goldgestickten Frauenschuh
Und Eros' lederne Sandale mit dazu.
«Genügt dir dieses Zeugnis, sprich, genügt es dir?
Wo nicht, wohlan, so rüste dich und folge mir,
Samt dem Gericht und allen, die da Lust verspüren.
Ich will euch pünktlich an die rechte Stelle führen,
Auf daß erwähre eines jeden Augenschein,
Welch Werk mit Eros schafft die holde Rhodos dein.»

Das traf. Machtlos sank hin die Fürstin, bleich und stumm.
Dann sprang sie weinend auf, stieß Thron und Schemel um:
«Und ich? ich soll verdammt sein, solches anzuhören?
Ein jeder meutert, ich nur soll mich nicht empören?
Zuviel! Nein, wo man meiner lacht, ist nicht mein Platz.
Folgt mir, ihr Amazonen! Auf!» Jetzt Sprung und Satz.
Ein tausendfaltig Schildgetöse, Schwertgeklirr.
Drauf Wagenrasseln, Rosse strampelnd im Geschirr.
Dann plötzlich stieß das stolze Heer, beleidigungsfroh,
Durch die geschloßnen Völkerhaufen, schroff und roh.
Ein barscher Ruf, Trompetenklang, Standartenflitter:
Und heimwärts fuhr das wetterleuchtende Gewitter.

Doch als der Heereszug nun in den Wald verritt
Und dumpf nur aus der Ferne droschen Trab und Tritt:
«Weil Eros selbst», urteilte Archelaos jetzt,
«Des eignen Wertes sich enthoben und entsetzt,
Indem mit Worten nicht, vielmehr mit Werk und Tat
Er unsre heilige Fürstin kränkte durch Verrat,
Hat er hiemit von seinen edlen Kampfgenossen
Und von dem Wettstreit sich auf ewig ausgeschlossen.
Du aber, Hermeneus, das deine mögest tun:
Den Sieger dieses heutigen Tages nenn uns nun.»

«Den Sieg im Wettlauf», rief der Herold würdevoll,
«Erkennt der Richter Spruch dem einzigen Apoll.
Kein Zweifel hat geherrscht, kein zweiter kam in Frage.
Doch nun genug des ernsten Werks an diesem Tage.
Euch alle lad ich ein, beim Feste zu verweilen,
Wer aber heimwärts strebt, will Urlaub ich erteilen.»
Es riefs der Hermeneus. Doch keiner zog nach Hause,
Denn alle weilten gern beim Freudenfest und Schmause.
Und Archelaos ließ die Wasserkünste springen:
Ein üppig Mahl verordnet er vor allen Dingen
Nebst Kurzweil allerlei und Markt und Augenweide
Und keinem ward die frohe Weile zum Entleide.
Bis daß die letzten Strahlen blitzten durch die Äste,
Da standen alle auf und kehrten heim vom Feste.

Allein des Schlafs verlustig und des Friedens bloß,
Warf sich die Königin im Bette ruhelos
Umher, bald offnen Auges nach der Decke sehend,
Bald nach der finstern Wand die heiße Stirne drehend,
Und wie von eines innern Fieberfeuers Plage
Gepeinigt, stöhnte wimmernd ihre leise Klage.
Doch vor der Herrin Lager teilnahmsvoll begann
Und hub mit mildem Trosteswort Rhodope an:
«Was stöhnst und wimmerst du, geliebte Herrin mein,
Sag an, als wie geplagt von Fieberfeuerspein?
Sieh, wie dein Haupt sich wälzt, dein Leib sich dreht und windet!
Die Unruh ist es nicht, worin der Schlaf sich findet.
Was kümmert dich? Verhehl es nicht, gesteh es mir!
Denn was dich immer schmerzt, tut weher mir als dir.»
Mit lautem Stöhnen öffnete den Klagemund
Die Königin und gab die Antwort seufzend kund:
«Ich drehe mich, dieweil, wohin ich mich auch drehe,
Ich stets ein neues böses Bild gezwungen sehe.
Denn nimm, ich schaue nach der Decke jetzt empor,
So schwebt mir Armen dieser ekle Greuel vor:
Ich seh am Akrolymp die roten Weidenrosen,
Worin, die schändlich mich verrieten, schamlos kosen.
Doch wenn ich nach der Wand mich kehre, schau ich Blut.
Rhodos, der Falschheit Tochter, des Verrates Brut,
Die undankbarste, giftigste der giftigen Schlangen
Seh ich ans Kreuz genagelt vor dem Schloßtor hangen.
Und eine Stimme zischt: Versuchs! Ihr Wehgeschrei
Wird deinem Herzen Balsam sein und Schlafarznei.
So zischelt unaufhörlich mir die Stimme zu.
Doch hilf mir, Liebling! Hilf, Rhodope, Gute du!
Mit deiner klaren Stimme hilf die Bilder bannen!
Stimm an die Harfe! Singe, singe sie von dannen!»
Sie riefs. Und zu der Harfe sanftem Murmelklang
Begann Rhodopens klarer Mund den Wohlgesang:

«Als Rhodos die gestrenge Strafe nun empfing,
Daß sie, ans Kreuz genagelt, vor dem Schloßtor hing,
Da lockte fern vom Berg ihr klägliches Geschrei
Den zarten Knaben Eros aus dem Wald herbei.
Und seine Tränen mischend in der Freundin Klage,
Hub reuig an sein schöner Mund und sang die Sage:
‹Ach, wehe mir! Die Qualen, die dein Leichnam duldet,
Nicht du, ich einzig, weh mir, habe sie verschuldet.
Da ich trotz deinem Sträuben, deinem Widerstehn
Dir mit Gewalt den Greuel aufzwang, der geschehn.
Treu warst du, wolltest nicht von deiner Herrin lassen.
Fluch mir Verführer! Ach! du mußt mich feindlich hassen.›
‹O sprich nicht also, Eros, holder Knabe mein!›
Rief Rhodos, ‹gerne leid um dich ich solche Pein.
Doch um die Marter, die mich foltert, nicht zu mehren,
Mußt du mir einer letzten Bitte Gunst gewähren:
Geh hin, verlaß mich, Liebster, daß du mich nicht schauest,
Vor meinem blutigen, entstellten Leib nicht grauest,
Damit nicht, wenn dein Blick vor meinen Wunden schaudert,
Dein Herz indessen zwischen Lieb und Ekel zaudert.
Vom Glück verklärt, Hingebung lächelnd, schön und jung,
So möge mich bestatten die Erinnerung.›
‹Nein!› rief er stürmisch, ‹die Geliebte läßt man nicht,
Wenn mit des Todes Flügelschlag ihr Odem ficht.
Und glaub mir, heiliger acht ich deine Wundenmale
Und hehrer als das Himmelsblau im Sonnenstrahle.
Drum laß vereint mit dir mich weinen, mit dir leiden,
Denn wahrlich früher will ich nicht von hinnen scheiden,
Als bis ich, wenn dein junges Leben sterben muß,
Gläubig empfangen deinen letzten Abschiedsgruß,
Inbrünstig mit zerknirschtem Herzen ihn entgegnend,
Die wunden Füße küssend und dein Antlitz segnend.›
So sprachen sie, einander Trost und Freundschaft winkend
Und Liebeszähren aus dem Kelch des Todes trinkend.
Und siehe, fester als im weichsten Lotterbette
Gedieh der Bund der Eintracht auf der Marterstätte.
Doch als der letzte Seufzer ausgelitten war
Und glanzlos stierte Rhodos' schönes Augenpaar,
Da rauscht es in der Luft: vom Kreuzesmarterpfahl
Schwang sich aufs Schloß ein Leichengeier kahl und fahl.
Dachauf, dachab, vom Giebel bis zum Zinnenkranze
Humpft er umher in schauerlichem Klauentanze.
Und es geschah, ob dieses Geiers giftigem Hauch
Durchzog des Hauses heitre Hallen Höllenrauch,
Und auf dem Herde funkelten des Unheils Kohlen,
So daß die Königin auf ruhelosen Sohlen
Bei Tag und Nachtzeit, ohn ein Stündchen Frieden mehr,
Vom Speicher bis zum Keller irrte hin und her,
Zu keiner Arbeit lustig, keines Amtes waltend,
Doch angstvoll mit den Händen das Gehör verhaltend.
Sie konnte doch den Hauch des Geiers nicht beschwören,
Sie mußte Tag und Nacht der Rhodos Schreien hören.
‹O weh der Torheit!› klagte sie, ‹die mich umfangen!
O weh der Bluttat, die ich ganz umsonst begangen!
Da ich, die ich zu trennen und entzweien meinte,
Durch meine blinde Rache enger noch vereinte.
Und statt durch Rhodos' Tod in Frieden zu gesunden,
Hab ich der Reue Folterqualen nun gefunden.
Ich lag im Rost, nun wandl ich zwischen Feuerflammen.
Und Fluch und Wahnsinn schlagen über mir zusammen.›»

Hier schwieg Rhodope. Aber still und stumm beharrte
Die Fürstin, welche schweigend nach der Decke starrte.
Verwundert aber sprach Rhodope: «Herrin mein,
Zwar seh ich still dich liegen und geduldig sein.
Warum denn aber starrst du nach der Decke stumm?
Um welche Antwort, rede, schweigst du dich herum?»
Und es erwiderte und sprach die Königin:
«Ich weiß, weshalb ich starre nach der Decke hin.
Ein Schauspiel schau ich: peitschen seh ich deine weißen
Unschuldigen Lenden und mit spitzen Ruten schmeißen,
Weil dein Gesang für deine falsche Schwester sagt
Und eine Warnung munkelt, die mir nicht behagt.
Hinwider, wenn ich schweige, schweig ich dir zuliebe.
Denn wahrlich, o Rhodope, jeder all der Hiebe
Auf deinen Rücken schafft mir größre Kümmernisse,
Als wenn die Rute mir mein eigen Fleisch zerrisse.
Darum, Herzliebling, woll ein zweites Mal beginnen.
Erlöse mich von diesem Schauspiel, sings von hinnen!»
So rief die Königin und seufzte tief und bang.
Worauf zum zweitenmal Rhodopens Wohllaut sang:

«Die Fürstin sprach zu mir, die Reine, Stolze, Hehre,
Die Herrscherin der Welt, die Königin der Ehre,
Der ich mit Leib und Leben treu ergeben bin,
Als Freundin beides und als schlechte Dienerin.
Sie sprach zu mir: ‹Den wilden Rachedurst, den heißen,
Zu löschen, muß ich jemand plagen, wen zerreißen.›
Und ich erwiderte: ‹Ei nun, wohlan, zerfleische
Rhodopens Rücken und ihr Blut und Leben heische.›
Besorge nicht, daß meines Mundes Wehgeschrei
Mit Gnadeflehen deinen Ohren lästig sei.
Mit festgeschloßnen Lippen will ich alle Plagen,
Mit Lächeln, was dein heilger Mund verhängt, ertragen.
Denn glaub mir: minder schmerzt die Rute, die mich quält,
Als mich mit Hochmut und mit stolzem Glück beseelt
Die freudige Hoffnung, daß durch meine kleinen Wunden
Du mögest, teure Herrin, heil und frisch gesunden.»

Mit diesen Worten schloß den tröstlichen Gesang
Und schwieg Rhodope. Aber stürmisch weinend schlang
Ihr um den Hals und Nacken ihre weißen Arme
Hera. «Erbarme dich!» so schluchzte sie, «erbarme!
Willst du an mir auch handeln, wie die andern taten?
Willst du der Schwester gleich mich ebenfalls verraten?
Doch eh du mich verrätst, komm, küsse mich indessen!
Komm, laß uns das verhaßte Mannsgezänk vergessen,
Des Wettkampfs Greuel, der Titanen frechen Bart
Im seligen Glücke deiner Freundschaftsgegenwart!»
Die Dienerinnen sammelte sodann zuhauf
Die Königin, und dieses trug sie ihnen auf:
Mit goldnem Zierat, Ketten, Spangen und Gehenken
Zum Zeichen ihrer Huld Rhodopen zu beschenken.
Auch, um des Herzens süße Meinung zu beweisen,
Ließ sie erlesnes Obst und blumenduftige Speisen
Dem Liebling unterbreiten in kristallnen Schalen
Und würzigen Glühwein, ihren heißen Dank zu malen.
«Vertraue jenem Nektar!» «Nimm von diesem Kuchen!»
«Willst du von jenem Honig nicht vielleicht versuchen?»
Und jede beste Beere, die ein Finger fund,
Schob er nachdrängend in der Freundin Leckermund.
Also versäumten sie, vergnügt und ungezwungen,
Auf ihres Bettes Lager sitzend, trautumschlungen,
Die lange schwarze Nacht, bis daß am Himmel fern
Mit schwankem Tritt der übernächtge Morgenstern
Sich heimwärts stahl, verhehlend sein verschämt Gesicht,
Und nüchtern stieg empor das bleiche Tageslicht.
Da sanken sie, von Lieb und Naschwerk süß und satt,
Zufrieden schlummernd auf den Pfühl der Lagerstatt.


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